Schlüsselwörter
COVID-19 - Strategie - Schnelltests - Antigentest - Öffentlicher Gesundheitsdienst
- Fall- und Kontaktpersonenmanagement
Key words
COVID-19 - strategy - rapid testing - antigen testing - public health service - contact
tracing
Ausgangslage
1. Chancen und Risiken infolge der Test-Charakteristika
Antigen-Schnelltests bieten zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie große Chancen, da sie kostengünstig und schnell einen Großteil der Fälle mit einer hohen Viruslast
entdecken können [1]. Vor allem wiederholtes Testen bietet die Chance, Ausbrüche zu kontrollieren [2]
[3]
[4].
Antigen-Schnelltests sind jedoch in ihrer Möglichkeit, infizierte Personen zu identifizieren
limitiert
[1]:
-
ein relevanter Anteil von infektiösen Personen wird nicht erfasst (von ca. einer Person
aus fünf – also 20% bis zu einer Person aus 20 – also 5%) [5]
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die Sensitivität der Tests kann bei Kindern und Personen ohne Symptome (z. B. bei
atypischem Verlauf oder während der präsymptomatischen Phase) deutlich niedriger ausfallen
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das Testergebnis eines Antigen-Schnelltest stellt lediglich eine Momentaufnahme dar
und ist in der Regel nur wenige Stunden, maximal einen Tag, gültig [3]
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Zudem liefern Antigen-Schnelltests in deutlich höherem Maße als PCR-Tests falsch-positive Ergebnisse. Dies wird vor allem dann ein Problem, wenn viele Personen getestet werden, die eine
geringe Wahrscheinlichkeit haben infiziert zu sein [5]
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[23].
Infobox: Ausmaß eines falsch-positiven Testergebnisses
Wenn in einer Stadt mit 100 000 Einwohner/innen alle Personen bei einer Prävalenz
von 35 pro 100 000 mit einem Antigen-Schnelltests mit sehr guten Test-Charakteristika
(Sensitivität 95%, Spezifität 99,5%) getestet werden würden, dann sind 533 positive
Testergebnisse zu erwarten. Von diesen sind 33 Personen, die mit SARS-CoV-2 infiziert
sind und 500 falsch positive Testergebnisse; was 93,8% aller positiven Testergebnisse
entspricht.
Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass die Güte der Antigen-Schnelltests, die sich in Deutschland aktuell auf dem Markt befinden,
vielfach unklar ist. Die Angaben in der Medizinprodukte-Liste zum Antigen-Test auf
SARS-CoV-2 des BfArM beruhen auf einem Abgleich der Herstellerangaben mit den durch
das PEI in Abstimmung mit dem RKI festgelegten Mindestkriterien. Herstellerunabhängige
Untersuchungen liefern z. T. deutlich abweichende (niedrigere) Ergebnisse, die durch
Zufall allein nicht erklärt werden können [5]
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[23]. Hinzu kommt, dass die meisten Studien aufgrund eines geringen Stichprobenumfangs
oft keine validen Aussagen über die Spezifität und damit die Rate falsch-positiver
Testergebnisse treffen können.
Damit Antigen-Schnelltests einen entscheidenden Mehrwert zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie
liefern können, muss der Einsatz an die genannten Herausforderungen angepasst werden.
2. Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung
Nutzen und Schaden eines großflächigen Einsatzes von Antigen-Schnelltests hängen entscheidend
vom Wissen, der Gesundheitskompetenz und dem Verhalten der Bevölkerung ab. So besteht
das Risiko, dass die Anzahl an Neuinfektionen ansteigt, wenn infizierte Personen die
Testsensitivität oder die Dauer der Aussagekraft eines negativen Testergebnisses überschätzen
und sich infolge eines daraus resultierenden überhöhten Sicherheitsgefühls weniger
an die AHA+L-Regeln halten oder vermehrt Risikoverhaltensweisen eingehen. Des Weiteren
birgt eine hohe Anzahl falsch-positiver Testergebnisse das Risiko, dass die Aussagekraft
positiver Testergebnisse generell als gering erachtet wird, was wiederum die Bereitschaft
zum Nutzen von Schnelltests sowie die Bereitschaft zur vorgesehenen Isolation bis
zur Verfügbarkeit eines PCR-Bestätigungstests erheblich verringern könnte.
Ein breiter Einsatz von Antigen-Schnelltests erfordert eine umfangreiche Kommunikationsstrategie
zur Steigerung und Aufrechterhaltung der Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung. Hierbei
müssen auch Änderungen im (Risiko-)Verhalten der Bevölkerung antizipiert und berücksichtigt
werden.
3. Ressourceneinsatz und Adressat/innen
Eine Teststrategie, die auf den bevölkerungsweiten Einsatz von Antigen-Schnelltests
fokussiert (z. B. im Rahmen von Eigentestungen) oder Gruppen mit einem vergleichsweise
geringen Infektionsrisiko regelmäßig testet (z. B. im Rahmen einer wöchentlichen Testung
aller Schüler/innen und Lehrer/innen in Deutschland) geht mit einem massiven Ressourcenaufwand
einher. Ressourcen, die primär auf nicht infizierte Personen und Personen mit einem
geringen Infektionsrisiko zurückfallen und somit nur geringfügig zur Eindämmung der
pandemischen Lage beitragen.
Infobox: Wahrscheinlichkeit einer SARS-CoV-2 Infektion mit und ohne Risiko
Die Wahrscheinlichkeit nicht mit SARS-CoV-2 infiziert zu sein, liegt bei einer Person ohne bestehenden Risikokontakt
und ohne Krankheitssymptome selbst in Regionen mit einer Prävalenz von 100 Infizierten
pro 100 000 bei>99,99%.
Wenn jedoch nur Personen betrachtet werden, die Symptome einer akuten Atemwegsinfektion
aufweisen - und dies bei insgesamt 1500 Personen einer 100 000 Einwohnerstarken Stadt
der Fall wäre (Prävalenz=1,5%), beträgt die Wahrscheinlichkeit einer symptomatischen
Person mit SARS-CoV-2 infiziert zu sein ca. 6%, was bei 1500 symptomatischen Personen
90 Infizierten entspricht.
Hinzu kommt, dass der ungezielte Einsatz von Testressourcen mit schwerwiegenden sozialen
Konsequenzen einhergeht. Erkenntnisse aus der sozialepidemiologischen Forschung legen
nahe, dass vor allem sozial besser gestellte Personen, Personen mit einem vergleichsweise
geringen Infektionsrisiko und Personen mit einem insgesamt höheren Gesundheitsbewusstsein
die Möglichkeit kostenloser Antigen-Schnelltests in Anspruch nehmen werden. Strukturell
bedingt benachteiligte Personen, Personen mit einem erhöhten Infektionsrisiko sowie
Personen mit einem insgesamt geringeren Gesundheitsbewusstsein werden das Angebot
erwartungsgemäß deutlich seltener in Anspruch nehmen [24]
[25]
[26].
Eine umfassende Strategie zum bevölkerungsweiten Einsatz von Antigen-Schnelltests
muss daher gleichermaßen die wirtschaftlichen Folgen des erwartbar hohen Ressourceneinsatzes
sowie soziale Aspekte hinsichtlich schwer erreichbarer Bevölkerungsgruppen in den
Blick nehmen.
Lösungsansatz: Adaptiver Einsatz von Schnelltests
Um den genannten Herausforderungen gerecht zu werden, muss der bevölkerungsweite Einsatz
von Antigen-Schnelltests adaptiv erfolgen. Eine entsprechende Teststrategie sollte
zwei Ansätze umfassen:
Ziele einer risikostratifizierten Teststrategie
-
Um die Infektionszahlen bundesweit langfristig senken zu können, müssen Personen mit
einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, mit SARS-CoV-2 infiziert zu sein, gezielt getestet
und nach einem bestätigten positiven Testergebnis in die Kontaktpersonennachverfolgung
eingebunden werden, um Infektionsketten möglichst frühzeitig unterbrechen zu können
(„Gezieltes Testen“)
-
Um Personen mit einem hohen Risiko für schwere Krankheitsverläufe vor den gravierenden
Folgen einer SARS-Cov-2-Infektion zu schützen, müssen Testungen setting- und zielgruppenspezifisch
erfolgen („Protektives Testen“)
Eine risikostratifizierte Teststrategie umfasst sowohl gezielte sowie protektive Testungen,
je nach Bedarf. Die Umsetzung eines solchen adaptiven Ansatzes kann wie folgt gelingen:
-
Einbringung in eine umfassende Gesamtstrategie Der Einsatz von Schnelltests muss in eine umfassende Gesamtstrategie eingebunden
sein, bestehend aus:
-
der Einbindung in die Arbeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) zum Fall- und Kontaktpersonenmanagement
Diese Einbindung ist der Grundpfeiler der Strategie, welche primär ihre Wirksamkeit
durch die direkte Integration in die Kontaktpersonennachverfolgung entfaltet. Um weitere
Infektionen durch positiv getestete Person und deren Kontaktnetzwerke zu verhindern,
ist eine zeitnahe Reaktion notwendig.
-
einer risikostratifizierten Herangehensweise, die das mehrfache Testen von Personen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für
das Bestehen einer SARS-CoV-2 Infektion ebenso ermöglicht wie das tägliche Testen
zum Schutz von Personen mit einem hohen Risiko für schwere Krankheitsverläufe
Die Risikostratifizierung zielt darauf ab, begrenzte Ressourcen an den Punkten einzusetzen,
wo sie den höchsten Nutzen bringen.
-
einer einheitlichen Kommunikationsstratgie
Diese sollte sowohl aus einer bevölkerungsweiten sowie zielgruppen- und kultursensiblen
Aufklärungs- und Informationskampagne und einheitlichen Verfahrensanweisungen für
alle beteiligte Akteur/innengruppen bestehen. Die Testzentren und Standorte für eine
aktive Aufklärung der Aussagekraft und Begrenzungen der Testergebnisse genutzt werden.
-
der gezielten Ausweitung der Zugänge zu niederschwelligen Testmöglichkeiten für die gesamte Bevölkerung, insbesondere für vulnerable und schwer zugängliche Personengruppen
Eine mehrmalige Testung bei leichten Symptomen setzt einen alltagsnahen und niederschwelligen
Zugang zu Testmöglichkeiten voraus. Neben der Einrichtung zentral gelegener Testeinrichtungen,
sollte hierzu auch die Nutzung bestehender Infrastruktur wie Apotheken oder Arztpraxen
und der Aufbau aufsuchender Teams, um beispielsweise Testungen in Schulen oder Betrieben
realisieren zu können, geprüft werden. Dabei muss insbesondere die Erreichbarkeit
von Personen mit eingeschränkter Mobilität berücksichtigt werden.
-
der Sicherstellung eines zeitnahen, kostenlosen und niedrigschwelligen Zugangs zu den Ergebnissen von Bestätigungstests
Durch die hohe Rate falsch-positiver Testergebnisse muss jedes positive Schnelltestergebnis
mittels eines PCR-Tests geprüft werden. Grundlage für eine Schnellteststrategie sollte
daher das Bestehen einer Infrastruktur sein, die den raschen Zugang zu den Ergebnissen
eines Bestätigungstest garantiert.
-
der Etablierung eines einheitlichen und übergreifenden Informationssystems, um die flächendeckende Surveillance sämtlicher positiver Testergebnisse sicherzustellen
Hier bietet sich eine bundesweit einheitliche Onlineplattform, auf welche nicht nur
alle Testzentren und Teststandorte medienbruchfrei zugreifen können, sondern darüber
hinaus auch die Ergebnisse der Schnelltests sowie die bei positivem Testergebnis notwendigen
Bestätigungstests unkompliziert registriert werden können. Auf diese Weise können
Reichweite und Testgüte live evaluiert werden.
-
Gezieltes Screening
Durch gezieltes Screening können „versteckte“ Infektionsherde (d. h. Netzwerke von
Infektionen, die keinem Ausbruch oder bekannten Infektionsnetzwerk zugeordnet werden
können) identifiziert und diese rasch und gezielt der kommunalen Kontaktpersonennachverfolgung
zugeführt warden [27]
[28]. Die Fokussierung auf Personengruppen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für
das Bestehen einer SARS-CoV-2 Infektion ermöglicht ein gezieltes Ressourcenmanagement.
Im Rahmen des gezielten Screenings sollten alle Personen mit Symptomen einer akuten
Atemwegsinfektion sowie Kontaktpersonen der Kategorie I und II gezielt getestet werden
und bei einem PCR-positiv bestätigten Testergebnis direkt in die Kontaktpersonennachverfolgung
eingebunden werden. Hierzu sind klare und einfache Vorgaben an die Bevölkerung genauso
wie eine entsprechende Testinfrastruktur notwendig.
Infobox: Ressourceneinsatz eines gezielten Screenings
Weisen in der bereits zuvor genannten Stadt mit 100 000 Einwohner/innen bei einer
Prävalenz von 35 pro 100 000 Personen (80% symptomatischen Verläufen) rund 1,5% der
Bevölkerung Symptome einer Atemwegsinfektion auf, so trifft dies auf 1500 Personen
zu. Werden nun alle 1500 symptomatischen Personen im Verlauf des Bestehens der Symptome
3-mal getestet (Testsensitivität 95%), würden mit 4500 Tests 27 der 35 infizierten
Personen erfasst. Wenn nur eine Person aus 7 nicht-symptomatische Personen in Ihrem
Kontaktnetzwerk hat, könnte der Ausbruch mit maximaler Ressourceneffizienz durch die
Kombination aus gezielten Schnelltest-Screenings und Kontaktpersonennachverfolgung
kontrolliert werden.
3. Intelligentes Ausbruchsmanagement:
In Regionen und Settings mit hohen Infektionsraten und/oder hohen Risiken für Folgeinfektionen
oder größeren Ausbrüchen, bietet sich eine gezielte Testung aller Personen in mehreren
Sequenzen an, bis kein weiterer Infektionsfall mehr identifiziert wird [2]
[4]. Dies kann sowohl Kommunen mit einer sehr hohen Infektionslast (z. B. 7-Tages Inzidenz>250/100 000
EW) als auch Schulen oder Betriebe mit einem entsprechendem Ausbruchsgeschehen umfassen.
4. Protektive Testungen zum Schutz von Risikogruppen:
In Settings mit besonders hohem Risiko für Ausbrüche und gravierenden Konsequenzen
von Infektionen, wie es z. B. in Alten- und Pflegeheimen ohne ausreichenden Impfschutz
häufig der Fall ist, sollte der Zugang durch tägliches Testen aller aufsuchenden Personen,
wie z. B. Pflegepersonal oder Besucher/innen, kontrolliert werden [29]
[30]
[31]
[32].
Stärken einer risikostratifizierten Teststrategie
Bei einem risikostratifizierten Einsatz von Antigen-Schnelltests werden begrenzte
Ressourcen gezielt und effektiv zur Senkung der Infektionszahlen in der Bevölkerung
sowie gleichermaßen zum Schutz von Risikopersonen eingesetzt.
Die Schwächen bei Test-Sensitivität werden durch ein wiederholtes Testen erheblich
reduziert [2]
[3]
[4]. Zudem fokussiert die Gesamtstrategie nicht auf die Identifikation einer jeder einzelnen
Infektion, sondern primär auf die zu erwartenden positiven Effekte auf Bevölkerungsebene.
Bei der gezielten Verbindung des risikostratifizierten Einsatzes von Schnelltests
mit einer direkten Nachverfolgung der jeweiligen Kontaktnetzwerke erhöht sich die
Chance, dass zeitnah weitere Fälle aufgedeckt werden können.
Durch die deutlich höhere Vortestwahrscheinlichkeit eines risikostratifizierten Testens
fällt der Anteil falsch-positiver Testergebnisse deutlich geringer aus und insgesamt
weniger ins Gewicht [1]. Die weitreichenden Konsequenzen falsch-positiver Testergebnisse können ferner durch
die zeitnahe Realisierung von Bestätigungstests reduziert werden, welche innerhalb
von 24h erfolgen sollten.
Ein intelligenter Einsatz von Antigen-Schnelltests bietet zahlreiche Synergien zur
Arbeit des öffentlichen Gesundheitsdiensts (ÖGD) und lässt sich direkt in das Fall-
und Kontaktpersonenmanagement integrieren. Als größter Public Health-Akteur vor Ort
kann der ÖGD bei der Identifikation gefährdeter Bevölkerungsgruppen ebenso behilflich
sein, wie bei der Identifikation relevanter Settings.
Durch ein einheitliches, übergreifendes Informationssystem können bestehende Wissenslücken
bezüglich der Testcharakteristika geschlossen und ungeeignete Testsysteme identifiziert
und in der Folge vom Markt genommen werden.