Aktuelle Kardiologie 2021; 10(05): 377-379
DOI: 10.1055/a-1494-7456
Editorial

Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH)

Thomas Klingenheben
,
Karl La Rosée

Liebe Leserin, lieber Leser,

aufgrund der Fortschritte in Diagnostik und Therapie hat sich in den letzten Jahrzehnten die Prognose von Menschen mit angeborenen Herzfehlern so verbessert, dass zwischenzeitlich die meisten von ihnen das Erwachsenenalter erreichen. In den Industrieländern hat diese Entwicklung dazu geführt, dass die Mehrheit aller Patienten mit kongenitalen Herzerkrankungen sich im Erwachsenenalter befindet. Dieser Entwicklung haben die Fachgesellschaften durch entsprechende Leitlinien Rechnung getragen, und die Behandlung von EMAH-Patienten hat daher zunehmend Bedeutung für die Erwachsenenkardiologie.

Dabei ist es allerdings so, dass eine Vielzahl von EMAH-Patienten teilweise sehr unregelmäßig von Kardiologen gesehen werden, wie die Professoren Diller und Baumgartner in ihrem Übersichtsartikel über Adäquate Versorgungsstrukturen und Bedeutung von Big-Data-Analysen darlegen; die lebenslange kardiologische Anbindung dieser Patienten ist nach Leitlinien erforderlich und sollte in Kooperation mit EMAH-Praxen oder -Zentren erfolgen. Die Autoren konnten in einer kürzlich publizierten Studie aus Daten des Nationalen Registers für Angeborene Herzfehler demgegenüber zeigen, dass etwa die Hälfte der EMAH-Patienten keine reguläre kardiologische Versorgung in Anspruch nimmt, sondern überwiegend hausärztlich versorgt wird. Das betrifft selbst einen Teil der Patienten mit hochkomplexen Vitien.

Die Morbidität und Mortalität von EMAH-Patienten mit komplexen Herzfehlern ist im Langzeitverlauf sehr häufig durch tachykarde Rhythmusstörungen beeinflusst. Insbesondere stellen ventrikuläre Rhythmusstörungen eine Langzeitfolge nach operierten Vitien dar. In ihrer Übersicht zeigen Dr. Nürnberg und Kollegen auf, dass die Katheterablation auch in diesem Patientenkollektiv zunehmende Bedeutung im Arrhythmie-Management erlangt hat. Entsprechend den zugrunde liegenden Vitien sind die Tachykardie-Mechanismen komplex; unterschieden werden muss zudem zwischen erworbenen und angeborenen Rhythmusstörungen. Die Autoren betonen auch die Komplexität der Ablationsprozeduren, die bereits bei der sorgfältigen Klärung des Gefäßzugangs bei den vielfach voroperierten Patienten beginnt und nicht zuletzt durch das Erreichen des arrhythmogenen Substrats bei individueller Vitium-spezifischer Anatomie erschwert sein kann.

Die Diagnosestellung eines komplexen Vitiums ist beim Erstkontakt im Einzelfall schwierig. In der Erwachsenen-kardiologischen Praxis spielen EMAH-Patienten meist eine nachgeordnete Rolle, sodass ein angeborenes Vitium möglicherweise initial nicht erkannt oder eingeordnet werden kann. PD Huntgeburth und Mitarbeiter zeigen anhand ihrer sehr systematischen Übersicht, wie im Rahmen der systematischen Echokardiografie überraschende Echobefunde als Erstdiagnose eines angeborenen Herzfehlers richtig bewertet werden können.

Das Management der bei vielen angeborenen Herzfehlern vorliegenden Pulmonalklappendegeneration hat durch die Einführung der katheterbasierten Pulmonalklappenimplantation eine beträchtliche Innovation erfahren. Prof. Ewert stellt das interventionelle Verfahren vor, erläutert die Indikationen und die bislang vorliegenden Ergebnisse bei jungen EMAH-Patienten.

Dass es bei Patienten mit Aortenisthmusstenose mit der chirurgischen oder interventionellen Behandlung nicht getan ist, sie vielmehr eine lebenslange Erkrankung darstellt, wird von den Professoren Eicken und Kaemmerer dargelegt. So stellt die Re-Koarktation nach frühkindlicher chirurgischer Therapie ein mögliches Problem dar, welches allerdings zumeist interventionell gut behandelt werden kann. Andererseits persistiert bei vielen Patienten trotz erfolgreicher Behandlung eine therapiebedürftige arterielle Hypertonie. Auch sollte eine potenzielle sekundäre Entwicklung von Aneurysmata der thorakalen Aorta erkannt werden, sodass Patienten auch nach Therapie der CoA lebenslang kardiologisch betreut werden sollen.

Sportmedizinische Aspekte und ganz allgemein Fragen der körperlichen Belastbarkeit spielen in der Betreuung von EMAH-Patienten eine relevante praktische Rolle. In ihrem Beitrag stellen Frau J. Hock und Prof. Hager die sportkardiologischen Untersuchungsprotokolle dar und arbeiten Empfehlungen für die Praxis heraus, anhand derer EMAH-Patienten hinsichtlich sportlicher Aktivitäten beraten werden können.

Die Chronizität der Erkrankung bei EMAH-Patienten kann im Verlauf der Erkrankung zu psychosozialen Problemen führen, von denen Angststörungen oder Depressionen hier beispielhaft genannt werden. In ihrem Artikel zeigten Frau PD Westhoff-Bleck und Prof. Kahl auf, wie psychokardiologische Aspekte sinnvoll in die interdisziplinäre Langzeitbetreuung von EMAH-Patienten eingebunden werden können.

Die infektiöse Endokarditis stellt eine wichtige Komplikation bei EMAH-Patienten dar, wie Dres. Maser und Radke in ihrem Beitrag darlegen. Dabei korreliert das Risiko mit der Komplexität des zugrunde liegenden Herzfehlers und ist besonders hoch bei zyanotischen Vitien. Dies schlägt sich auch in den Empfehlungen zur Endokarditisprophylaxe nieder. Bei anhaltendem Fieber und Infektionszeichen sollten EMAH-Patienten daher großzügig abgeklärt werden, wobei dies vorzugsweise in einem Zentrum mit Zugriff auf multimodale Bildgebung erfolgen sollte.

Eine häufig adressierte Frage ist die nach der adäquaten Antikoagulation bei EMAH-Patienten, insbesondere in jüngerer Zeit auch die Frage nach der Bedeutung von NOAKs in dieser Patientengruppe. In einer Kurzübersicht haben die Heftherausgeber die hierzu verfügbaren Daten zusammengetragen und Empfehlungen für die kardiologische Praxis formuliert.

Möglicherweise vermissen Sie in diesem Themenheft einen Artikel zum Thema EMAH und Schwangerschaft: Dieser für die kardiologische Praxis extrem wichtige Bereich wurde bereits im Themenschwerpunkt Schwangerschaft (Aktuelle Kardiologie 2014; 3[4]: 242–246) von Frau Prof. N. Nagdyman abgehandelt, sodass wir diesen exzellenten Artikel zum Studium empfehlen möchten.

Wir wünschen Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine erkenntnisreiche Lektüre.

Ihre

Dr. med. Karl La Rosée, Bonn

Prof. Dr. med. Thomas Klingenheben, Bonn



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
11. Oktober 2021

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