Schlüsselwörter
Li-Fraumeni Syndrom - TP53 - Tumor-Risiko-Syndrome - Krebsfrüherkennung - Leitlinie
Einleitung
Krebs ist nach wie vor eine lebensbedrohende Erkrankung, das gilt vor allem auch für
Krebserkrankungen bei Patienten mit erblichen Tumor-Risiko-Syndromen (TRS). Seit März
2017 gibt es auf Initiative der Europäischen Kommission das Europäische Referenznetzwerk
(ERN) für Genetische Tumor-Risiko-Syndrome – GENTURIS als eines von 24 ERNs. Der Auftrag
ist die Verbesserung der Wissenslage und damit die Erfassung von Patienten mit TRS
und die Entwicklung europaweit einheitlicher Versorgungskonzepte (www.genturis.eu). Hierzu gehört die Erstellung von Leitlinien auf europäischer Ebene. Für Patienten
mit TRS spielt die Krebsfrüherkennung eine wesentliche Rolle, für viele der seltenen
TRS gibt es jedoch keine nationalen Leitlinien. Eine der ersten aus dem ERN GENTURIS
hervorgegangenen EU-Leitlinien wurde für Patienten mit einem Li-Fraumeni Syndrom (LFS)
bzw. TP53-assoziierten Tumor-Risiko-Syndromen geschrieben. Diese Syndrome, diagnostische
und
therapeutische Aspekte sowie die im letzten Jahr veröffentlichte Leitlinie werden
hier dargestellt.
Unter einem erblichen TRS versteht man ein Krankheitsbild mit einem deutlich erhöhten
Risiko für die Entstehung bestimmter Tumoren, das meist auf einer pathogenen Keimbahn-Variante
in einem einzelnen Gen beruht. Es handelt sich somit in der Regel um klassische monogene
Erbkrankheiten, die den Mendelʼschen Gesetzen der Vererbung folgen. Vererbt wird dabei
nicht der Tumor, sondern die Tumordisposition und damit das erhöhte Tumorrisiko.
Mindestens 3 – 5% aller (soliden) Krebserkrankungen – je nach Tumortyp und Patientenalter
ggf. auch deutlich mehr – entstehen auf dem Boden eines TRS, in Deutschland sind das
bei knapp 500 000 Krebserkrankungen [1] jährlich mindestens 15 000 – 25 000. Typische allgemeine Verdachtskriterien für
das Vorliegen eines TRS sind:
-
für den Tumor ungewöhnlich frühes Erkrankungsalter
-
multiple Primärtumoren in der Eigenanamnese
-
familiäre Häufung von Tumoren
-
typisches Spektrum der Tumoren in der Eigen-/Familienanamnese
-
seltene Tumoren
-
spezifische molekulare Tumorbefunde
Der Verdacht auf ein TRS ergibt bei der Erhebung der Eigen- und Familiengeschichte
und ist sowohl für den Patienten als auch für die Familienmitglieder von präventiver
und ggfs. therapeutischer Bedeutung und damit von hoher klinischer Relevanz. Ist die
genetische Ursache eines TRS geklärt, sind für die einzelnen TRS Informationen zu
den Tumorrisiken, den entsprechend präventiven Maßnahmen und ggfs. vorhandenen individuellen
Therapiemaßnahmen verfügbar.
Definition und Klinik des Li-Fraumeni Syndroms
Definition und Klinik des Li-Fraumeni Syndroms
Das LFS ist ein autosomal-dominantes TRS mit einer Prävalenz von ca. 1 : 5000, verursacht
durch pathogene Keimbahn-Varianten im TP53-Tumorsuppressor-Gen auf Chromosom 17p13. Die durch die Inaktivierung des p53-Proteins
bedingten primären Neoplasien treten lebenslang, d. h. vom frühen Kindesalter bis
ins höhere Erwachsenenalter auf. Das tumorfreie Überleben bis zum 30., 45., und 60. Lebensjahr
wird für Frauen auf 55%, 15% und 5% geschätzt, für Männer auf 65%, 50% und 12% [2], [3]. Das Spektrum der Tumorerkrankungen ist insgesamt breit und unterscheidet sich bei
Kindern und Erwachsenen. Abhängig vom Patientenalter stehen die folgenden Tumoren
im Vordergrund:
-
Kindesalter: Nebennierenrindenkarzinom, Choroid-Plexus-Tumor, Rhabdomyosarkom, Medulloblastom
-
Jugendalter bzw. frühes Erwachsenenalter: Osteosarkom, Mammakarzinom, Leukämie, Gliom,
Weichteilsarkom (malignes fibröses Histiozytom, Liposarkom, Leiomyosarkom)
-
spätes Erwachsenenalter: Pankreaskarzinom, Prostatakarzinom
Syn- und metachrone Tumorerkrankungen sind möglich. Die altersabhängige Inzidenz ist
in [Abb. 1] dargestellt. Ein typischer Stammbaum und klinischer Verlauf sind in [Abb. 2 a] und [b] gezeigt. Die klinische Variabilität des LFS wird zum einen durch die unterschiedliche
Restaktivität des p53-Proteins bestimmt, da nicht alle pathogenen Varianten in TP53 zu einem völligen Funktionsverlust führen. Zum anderen gibt es bislang nur teilweise
bekannte modifizierende genetische Faktoren, gleiches gilt für Lebensstil und Umweltfaktoren.
Abb. 1 Tumorinzidenzen bei LFS für Frauen und Männer, adaptiert nach Mai et al. [2].
Abb. 2 a Stammbaum einer Familie mit LFS. b Zeitlicher Verlauf von Diagnosen und Therapie einer Patientin mit LFS.
Molekulargenetische TP53-Diagnostik
Molekulargenetische TP53-Diagnostik
Die Indikationskriterien für eine molekulargenetische Analyse von TP53 sind in [Tab. 1] dargestellt. Ein LFS ist mit dem Nachweis einer krankheitsursächlichen Keimbahn-Variante
in TP53 molekulargenetisch gesichert. Entgegen einer initialen Annahme sind Varianten in
CHEK2 nicht mit dem LFS assoziiert.
Tab. 1 Klinische Kriterien [21] für eine TP53-Testung und Chompret-Kriterien [22], [23], [24].
|
klinische Kriterien für das klassische LFS
Ein Proband mit
-
einem Sarkom diagnostiziert vor dem 45. Lebensjahr, UND
-
einem erstgradig Verwandten mit Krebs vor dem 45. Lebensjahr UND
-
einem erst- oder zweitgradig Verwandten mit Krebs vor dem 45. Lebensjahr oder einem
Sarkom unabhängig vom Alter.
|
|
Chompret-Kriterien
Ein Proband mit
-
einem Tumor des LFS-Spektrums (Weichteilsarkom, Osteosarkom, prämenopausaler Brustkrebs,
Hirntumor, Nebennierenrindenkarzinom, Leukämie oder bronchoalveolärer Lungenkrebs)
vor dem 45. Lebensjahr UND
-
mindestens einen erst- oder zweitgradig Verwandten mit einem Tumor des LFS-Spektrums
(außer Brustkrebs, wenn der Proband Brustkrebs hat) vor dem 56. Lebensjahr oder mit
multiplen Tumoren.
ODER
ODER
ODER
Brustkrebs vor dem 31. Lebensjahr
|
TP53 weist eine komplexere Struktur auf als initial bekannt, sodass in zurückliegenden
Analysen nicht immer alle Bereiche des Gens erfasst wurden. So kodiert TP53 für mindestens 8 verschiedene mRNA-Isoformen, die durch alternatives Spleißen bzw.
durch eine unterschiedliche Promotoraktivität gebildet werden [4], [5], sodass bis zu 12 verschiedene Protein-Isoformen erzeugt werden. Neuere Daten zeigen
auch, dass Intron 9 2 alternative Exons (9β und 9γ) kodiert [6]; ebenso konnte gezeigt werden, dass Intron 1 einen Hotspot für genomische Rearrangements
darstellt. Länger zurückliegende Analysen von TP53 mit unauffälligem Befund sollten daher ggf. wiederholt werden.
Da TP53 gegenwärtig meist mittels NGS-Multi-Gen-Analysen (NGS, Next-Generation-Sequencing)
untersucht wird, werden zwangsläufig auch TP53-Varianten bei Patienten mit Krebserkrankungen gefunden, bei denen keine etablierten
klinischen Kriterien zur TP53-Testung ([Tab. 1]) erfüllt sind. Dies kann einerseits die Interpretation von TP53-Varianten erschweren; andererseits können so aber auch LFS-Patienten mit einer neu
entstandenen („de novo“) pathogenen Variante identifiziert werden, die aufgrund der
unauffälligen Familienanamnese nicht über klinische Kriterien erfasst werden. Die
Häufigkeit der De-novo-Entstehung von TP53-Varianten wird auf bis zu 30% geschätzt [7], was im Vergleich zur De-novo-Variantenhäufigkeit in anderen Tumorsuppressorgenen
wie BRCA1 und BRCA2 (geschätzt weniger als 5% [8]) häufig ist. Zum anderen wird das
bekannte phänotypische Spektrum des LFS hin zu milderen Verläufen erweitert.
TP53-Mosaikvarianten
Eine von einem Elternteil vererbte krankheitsursächliche genetische Variante liegt
bei einer Person meist in allen Körperzellen sowie auch in den Keimzellen (Ei-, Samenzellen)
heterozygot vor. Daraus resultiert ein 50%iges Wiederholungsrisiko für Nachkommen.
TP53-Varianten treten allerdings nicht selten als genetische Mosaike auf, einem Nebeneinander
von Zellen mit und ohne die ursächliche genetische Variante [9]. Grundsätzlich sind hierbei 2 Konstellationen zu unterscheiden:
-
Eine Variante kann isoliert nur in den Keimzellen eines Individuums vorliegen. Diese
Person selbst ist klinisch gesund, kann aber Nachkommen mit einem LFS bekommen. Sind
mehrere Keimzellen betroffen, spricht man von einem Keimzellmosaik, also ein Nebeneinander
von Keimzellen mit und ohne Variante.
-
Eine Variante kann in der frühen Embryonalentwicklung auftreten, sie liegt dann in
mehreren, nicht aber in allen Körpergeweben vor, was den klinischen Phänotyp beeinflussen
kann. Dies bezeichnet man als somatisches oder postzygotisches Mosaik. Je nachdem,
wann diese De-novo-Variante während der Embryonalentwicklung aufgetreten ist, sind
mehr oder weniger Gewebeanteile bzw. Gewebe betroffen. Das Vorhandensein von TP53-Veränderungen als somatisches oder postzygotisches Mosaik sollte bei Patienten mit
scheinbar sporadischen Tumorerkrankungen, die stark auf eine krankheitsverursachende
TP53-Variante hinweisen, berücksichtigt werden (z. B. frühes Nebennierenrindenkarzinom,
Choroid-Plexus-Karzinom und Brustkrebs vor dem 31. Lebensjahr, multiple typische Primärtumoren)
[10]. Das Vorliegen solcher Mosaike kann zu unauffälligen molekulargenetischen Analysen
in einer Blutprobe führen. Für Geschwister ergibt sich keine
Risikoerhöhung, da die Eltern diese Variante nicht in den Keimzellen tragen.
Von den vorgenannten Mosaikkonstellationen abzugrenzen sind Varianten, die nur im
Tumorgewebe (somatische Mutationen) vorliegen. TP53-Varianten im Tumor gehören zu den häufigsten genetischen Veränderungen in Malignomen
und bedeuten nicht, dass ein LFS vorliegt, es handelt sich meistens um sporadische
Tumoren.
Der Nachweis einer TP53-Variante in einer Blutanalyse sichert die klinische Diagnose eines LFS daher nicht,
denn eine hohe Fraktion an zirkulierender Tumor-DNA bei einer vorliegenden Tumorerkrankung
mit somatischer TP53-Variante kann das Vorliegen einer Keimbahn-Variante vortäuschen.
Ebenso kann das Phänomen der klonalen Hämatopoese das Vorliegen eines LFS simulieren
[11], [12], hierbei handelt es sich um somatische TP53-Varianten in einer klonalen Population hämatopoetischer Stammzellen. Solche Veränderungen
sind ab dem ca. 30. Lebensjahr zunehmend häufiger nachweisbar, insbesondere bei Nikotinabusus
und nach einer Chemotherapie oder Radiatio [13], [14].
Daher ist insbesondere bei einer geringen Allelfrequenz einer TP53-Variante die Analyse unterschiedlicher Gewebe für die Diagnosesicherung notwendig.
Interpretation von TP53-Varianten
Interpretation von TP53-Varianten
Die Beurteilung von Varianten mit Funktionsverlust, sog. „loss-of–function“-Varianten
(Frameshift- oder Nonsense-Varianten, Spleißvarianten, Deletionen einzelner oder mehrerer
Exons) ist oft eindeutig. Die Interpretation der häufigeren Missense-Varianten ist
dagegen deutlich anspruchsvoller. Hier ist zwischen „loss-of-function“ und dominant-negativen
Varianten zu unterscheiden, die durch Tetramerbildung mit p53-Wildtyp-Proteinen zu
einer Inaktivierung des normalen Proteins führen [15]. Die dominant-negativen TP53-Varianten weisen eine höhere Penetranz, insbesondere in der Kindheit, auf als „loss-of-function“
Varianten.
Bei der Klassifizierung von Sequenzvarianten gelten die Richtlinien des „American
College of Medical Genetics and Genomics“ (ACMG) und der „Association for Molecular
Pathology“ (AMP) [16]. Diese sogenannten ACMG-AMP Guidelines basieren auf 28 verschiedenen Kriterien aus
unterschiedlichen Kategorien. Unter anderem fließen phänotypische und familienanamnestische
Daten in die Klassifizierung ein ([Tab. 1]). Weitere Aspekte sind u. a. die Häufigkeit der Variante in Populationsdatenbanken
(z. B. gnomAD), bioinformatische Vorhersagen der Auswirkungen der Variante auf das
Spleißen bzw. physikalisch-chemische Veränderungen sowie funktionelle Analysen. Um
dieser Komplexität Rechnung zu tragen, wurde unter dem Schirm des ClinGen-Konsortiums
(https://www.clinicalgenome.org) ein TP53-spezifisches „Variant Curation Expert Panel“ (VCEP) gegründet, um
TP53-spezifische ACMG-AMP-Kriterien weiterzuentwickeln. Da ausschließlich Varianten der
ACMG-AMP-Klassen 5 (pathogen) und 4 (wahrscheinlich pathogen) eine klinische Relevanz
besitzen, werden nur Varianten dieser beiden Klassen in der aktuellen ERN-Leitlinie
als „krankheitsverursachend“ bezeichnet [17]. Die Unterscheidung von Varianten der Klassen 1 – 3 (benigne, wahrscheinlich benigne
und unklar) und Varianten der Klassen 4 und 5 hat aus diesem Grund eine hohe klinische
Relevanz und sollte nur von entsprechend qualifizierten Experten durchgeführt werden.
Vorsorge und Prävention entsprechend der aktuellen ERN-Leitlinie zur Krebsfrüherkennung
beim LFS
Vorsorge und Prävention entsprechend der aktuellen ERN-Leitlinie zur Krebsfrüherkennung
beim LFS
Die Leitlinien der ERN sind als komplementär zu den in manchen europäischen Ländern
bereits vorhandenen nationalen Leitlinien zu betrachten. Sie repräsentieren die aus
Sicht der europäischen Experten notwendige Mindestversorgung von Patienten mit LFS,
diese kann durch die Vorgaben aus den jeweiligen nationalen Leitlinien ergänzt werden.
Abweichend von den Leitlinien kann in speziellen Einzelfällen die Expertenmeinung
die klinische Versorgung eines Patienten definieren.
Die Leitlinien des ERN GENTURIS zum LFS basieren auf einer Studie, die zeigt, dass
sich das Gesamtüberleben von Patienten mit LFS 5 Jahre nach Diagnose mit einem intensivierten
Krebsfrüherkennungsprogramm um über 20% steigern ließ [18].
Die ERN GENTURIS-Leitlinie empfiehlt das in [Tab. 2] aufgeführte engmaschige Krebsfrüherkennungsprogramm [17]. In der Tabelle werden den ERN-Empfehlungen diejenigen einer internationalen Expertengruppe
[19] gegenübergestellt. Nennenswerte Unterschiede sind, dass im Kindesalter die körperliche
Untersuchung und ein Ultraschall von Abdomen und Becken (sowie ggf. eine Blutuntersuchung)
alle 3 – 4 Monate statt halbjährlich durchgeführt werden. Zudem werden eine obere
Endoskopie und eine Koloskopie unabhängig von der Eigen- und Familienanamnese empfohlen.
Zusätzlich wird eine jährliche dermatologische Untersuchung sowie für Frauen ab 20
Jahren eine halbjährliche klinische Brustuntersuchung empfohlen. In den internationalen
Empfehlungen wird der Beginn der Untersuchungen immer ab Geburt bzw. ab Diagnosestellung
empfohlen, unabhängig davon, ob es sich um eine (wahrscheinlich) pathogene
Variante im TP53-Gen mit einem hohen Krebsrisiko im Kindesalter handelt, da das Krebsrisiko nicht
ausschließlich durch die Variante definiert wird. Zudem gibt es bis auf das Brust-MRT
(20 – 75 Jahre) keine Altersbeschränkung „nach oben“ (betrifft insbesondere das Schädel-MRT).
Neben diesen nicht invasiven Verfahren sollte aufgrund des hohen Mammakarzinomrisikos
die Möglichkeit einer prophylaktischen bilateralen Mastektomie besprochen werden.
Tab. 2 Empfehlungen für Krebsfrüherkennungsuntersuchungen: Vergleich der ERN GENTURIS-Leitlinie
[17] mit einer internationalen Leitlinie [19].
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ERN-GENTURIS-Leitlinie
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internationale Leitlinie
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|
Art der Untersuchung
|
Zeitpunkte
|
Art der Untersuchung
|
Zeitpunkte (wenn nicht anders angegeben ab Geburt bzw. Diagnosestellung)
|
|
* Das heißt, wenn in der Familie Krebserkrankungen im Kindesalter aufgetreten sind
oder es sich um eine Variante handelt, bei der bereits in der Literatur oder in Datenbanken
Tumorerkrankungen im Kindesalter beschrieben sind, oder es sich um eine sog. „dominant
negative“ Missense-Variante handelt.
|
|
komplette körperliche Untersuchung (im Kindesalter sollte v. a. auf eine Virilisierung oder verfrühte Pubertät geachtet
sowie der Blutdruck gemessen werden; nach einer Radiotherapie sollte im Bestrahlungsfeld
auf das Auftreten von Basalzellkarzinomen geachtet werden)
|
ab Geburt halbjährlich, ab 18 Jahren jährlich
|
komplette körperliche Untersuchung (einschließlich Blutdruck, Wachstumskurven, cushingoide Erscheinung, Anzeichen einer
Virilisierung und vollständige neurologische Beurteilung)
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im Kindesalter alle 3 – 4 Monate, im Erwachsenenalter halbjährlich
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Ganzkörper-MRT (in Abhängigkeit der Befunde ohne Gadolinium)
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jährlich, ab Geburt bei Vorliegen einer (wahrscheinlich) pathogenen Keimbahn-Variante
im TP53-Gen, die mit einem hohen Krebsrisiko einhergehend eingeschätzt wird* oder nach vorheriger
Chemo- oder Radiotherapie; sonst ab dem Alter von 18 Jahren
|
Ganzkörper-MRT
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jährlich (halbjährlich wechselnd zu Brust-MRT und Ultraschall des Abdomens und Beckens)
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für Frauen: Brust-MRT
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jährlich, zwischen 20 und 65 Jahren
|
für Frauen: Brust-MRT
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jährlich, zwischen 20 und 75 Jahren (halbjährlich wechselnd zu Ganzkörper-MRT)
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|
–
|
–
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für Frauen: klinische Brustuntersuchung
|
halbjährlich, ab 20 Jahren
|
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Schädel-MRT (bei Erstuntersuchung mit Gadolinium, danach in Abhängigkeit der Befunde ohne Kontrastmittel)
|
jährlich, ab Geburt bei Vorliegen einer (wahrscheinlich) pathogenen Keimbahn-Variante
im TP53-Gen, die mit einem hohen Krebsrisiko einhergehend eingeschätzt wird*; sonst ab dem
Alter von 18 Jahren bis zum Alter von 50 Jahren, insbesondere im Kindesalter halbjährlich
abwechselnd mit Ganzkörper-MRT
|
Schädel-MRT (bei Erstuntersuchung mit Kontrastmittel, danach ohne Kontrastmittel, wenn vorheriges
MRT normal und keine neuen Auffälligkeiten)
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jährlich
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|
Ultraschall des Abdomens
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halbjährlich ab Geburt bis zum Alter von 18 Jahren
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Ultraschall des Abdomens und Beckens
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im Kindesalter alle 3 – 4 Monate, im Erwachsenenalter jährlich (halbjährlich wechselnd
zu Ganzkörper-MRT)
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Bestimmung Steroide im Urin, wenn der Abdomen-Ultraschall keine ausreichende Darstellung der Nebenniere ermöglicht
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halbjährlich ab Geburt bis zum Alter von 18 Jahren
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bei unzureichender Ultraschallqualität Blutuntersuchung (Gesamt-Testosteron, Dehydroepiandrosteronsulfat und Androstendion)
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im Kindesalter alle 3 – 4 Monate
|
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Koloskopie
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alle 5 Jahre ab dem Alter von 18 Jahren, wenn in einer Familie Darmkrebs aufgetreten
ist oder eine Radiotherapie des Bauchraums aufgrund einer vorhergehenden Krebserkrankung
erfolgt ist
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obere Endoskopie und Koloskopie
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alle 2 – 5 Jahre, ab 25 Jahren
|
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–
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–
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dermatologische Untersuchung
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jährlich, ab 18 Jahren
|
Zusätzlich sollen allgemeine Anzeichen einer Tumorerkrankung sofort abgeklärt werden,
diese sind Gewichtsverlust, Fieber, nächtliches Schwitzen, Abgeschlagenheit oder eine
anfangs schmerzlose Schwellung im Muskel oder Bindegewebe als häufiges Symptom eines
Sarkoms. Exogene Faktoren wie Rauchen, radioaktive Strahlung, übermäßige UV-Strahlung
sollten – soweit möglich – vermieden werden.
Tumorbiologie
P53 erfüllt zahlreiche Aufgaben, dazu gehören die Regulierung des Zellzyklus im Rahmen
der DNA-Reparatur, des zellulären Alterns, des Zelltods, der Autophagie und des Stoffwechsels.
Das physiologische p53-Tetramer bindet sequenz- oder strukturspezifisch an DNA, es
erfolgen Interaktionen zwischen den 12 bereits genannten p53-Isoformen sowie den Proteinen
p63 und p73. Veränderungen im TP53-Gen führen dazu, dass die Tumorsuppressorfunktion von p53 nicht ausreichend wirksam
ist und dass z. B. auch die Funktion eines aktivierten Onkogens übernommen werden
kann. Die gleiche Variante kann unter verschiedenen Bedingungen, in gesundem Gewebe
oder im Tumor zu unterschiedlichen funktionellen Auswirkungen führen. Häufig erfolgt
im Tumor die Inaktivierung des 2. Allels durch Deletion, Missense-Mutation oder uniparentale
Disomie [20].
Chemo- und Strahlentherapie
Chemo- und Strahlentherapie
Es ist zu beachten, dass die fehlende p53-Funktion dazu führen kann, dass der Einsatz
von genotoxischen Chemotherapeutika und/oder Bestrahlung zum Auftreten von weiteren
Neoplasien infolge iatrogener Zellschäden führen kann [19]. Etwa 30% der therapeutisch bestrahlten LFS-Patienten entwickeln im Bestrahlungsfeld
eine Zweitneoplasie.
Potenziell risikobehaftete therapeutische oder auch diagnostische Maßnahmen sollten
deshalb sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Sie können zur Anwendung kommen, wenn
es keine weniger genotoxischen Alternativen gibt und die Diagnostik und Therapie in
einer aktuell vorliegenden Situation erforderlich ist.
Datenbanken
Beim LFS bestehen diverse offene Fragen:
-
Wie hoch sind die Tumorrisiken in Abhängigkeit von der vorliegenden TP53-Variante?
-
Was sind risikomodifizierende genetische und nicht genetische Faktoren?
-
Wie können wir die Prävention und Früherkennung verbessern?
-
Wie können wir die psychosozialen Aspekte adressieren?
-
Wie können wir Krebserkrankungen bei Patienten mit LFS besser behandeln?
Zur Klärung dieser Fragen ist die Erhebung entsprechender Daten von LFS-Patienten
und -Familien notwendig. Das LFS ist in folgenden Datenbanken berücksichtigt:
-
In Deutschland wurde 2017 ein LFS-Register etabliert zur Sammlung von Blut- und Tumorproben
sowie klinischer und genetischer Daten von LFS-Patienten. Die Patienten können sich
selbst oder über ihre Ärzte registrieren. Das Register arbeitet international mit
dem Li-Fraumeni Exploration (LiFE) Research Consortium, mit der sogenannten LiFT-UP-Studie
und mit der internationalen LFS-Patientenorganisation, die auch einen deutschen Zweig
hat, zusammen (https://lfsa-deutschland.de).
-
Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbünde
„Research4Rare“ sollen die Diagnostik seltener Erkrankungen verbessern. Das o. g.
LFS-Register ist Bestandteil eines dieser BMBF-Verbundprojekte, im Rahmen dessen u. a.
eine klinische Ganzkörper-MRT-Studie erfolgt.
-
Weitere Register des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs
und des Deutschen Konsortium für Familiären Darmkrebs werden für alle beteiligten
Standorte zentral geführt.
-
Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V. organisiert fachliche Arbeitskreise
unter Beteiligung von Patientenvertretern, dazu gehört auch der Arbeitskreis „Erbliche
Tumorerkrankungen“, mit mehr als 30 aktiven Standorten zum Aufbau und Betrieb von
Datenbanken und Registern, u. a. für TRS einschließlich LFS.
Diese und weitere relevante Register, Akteure und Aktivitäten sind beispielhaft in
[Tab. 3] aufgeführt.
Tab. 3 Beispielhafte Liste der Register und Datenbanken mit LFS-Patienten.
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Nr.
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Register/Datenbank
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Zuständigkeit
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1.
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Li-Fraumeni Syndrom-Krebsprädispositionssyndrom-Register 01
www.krebs-praedisposition.de
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Arbeitsgemeinschaft Genetische Krebsprädisposition der Gesellschaft für Pädiatrische
Onkologie und Hämatologie e. V. (GPOH)
|
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2.
|
HerediCaRe Datenbank
www.konsortium-familiaerer-brustkrebs.de
|
Deutsches Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs
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3.
|
Erblicher Darmkrebs
www.hnpcc.de
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Deutsches Konsortium für Familiären Darmkrebs
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4.
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Register und Datenbank für Tumordispositionssyndrome
www.gfhev.de
|
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V.
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5.
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Register ERN GENTURIS
www.genturis.eu
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Europäisches Referenznetzwerk für Genetische Tumorrisikosyndrome (ERN-GENTURIS)
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6.
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Research4Rare
www.research4rare.de/register-biobanken
|
Forschungsverbünde für seltene Erkrankungen, Zentren für Seltene Erkrankungen in Deutschland
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7.
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Deutsches Genom-Phänom-Archiv (GHGA)
www.ghga.de
|
Deutsche Genom-Phänom-Archiv
|
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8.
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Infrastrukturplattform für Biobanken und Register
www.tmf-ev.de
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Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V.
(TMF)
|
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9.
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Übergreifende Auswertung von Registern und Datenbanken
www.medizininformatik-initiative.de
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Medizin-Informatik-Initiative
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Diese zahlreichen Aktivitäten sollen deutschlandweit durch alle Fachdisziplinen zur
Verbesserung der Identifikation und Betreuung aller Patienten und Familien mit erblicher
Tumordisposition einschließlich LFS genutzt werden können.
Ausblick
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Erkennung und korrekte Einordnung monogen
erblicher TRS wichtig ist, da Patienten und asymptomatische Anlageträger eine spezielle
und langfristige medizinische Betreuung benötigen. Einerseits besteht ein hohes Lebenszeitrisiko
für ein bestimmtes und oft breites Tumorspektrum sowie ein hohes Wiederholungsrisiko
bei erstgradig verwandten Familienangehörigen. Andererseits ist durch TRS-spezifische
intensivierte Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen sowie chirurgische Maßnahmen
eine effiziente Risikoreduktion möglich. Für einige TRS bestehen inzwischen auch spezifische
medikamentöse Therapieansätze. Trotzdem ist davon auszugehen, dass noch immer ein
großer Teil der Familien nicht identifiziert und damit nicht adäquat betreut wird.
TRS stehen somit paradigmatisch für ein äußerst erfolgreiches Konzept der präventiven
Onkologie und individualisierten (personalisierten) Medizin. Sie begegnen praktisch
jedem Arzt in jeder Altersgruppe und zeigen eine mitunter ausgeprägte klinische Variabilität,
auch innerhalb einer Familie. Für die professionelle Betreuung der Patienten und ihrer
Angehörigen ist in besonderem Maße eine multidisziplinäre Zusammenarbeit zwischen
Humangenetik, Pathologie und verschiedenen klinischen Disziplinen notwendig. Spezialisierte
Zentren sollten in die Diagnostik, Koordination der Früherkennung und Behandlung eingebunden
sein.
Kernaussagen
Das LFS gehört zu den erblichen TRS des Kindes- und Erwachsenenalters, häufig wird
es nicht erkannt.
Für das LFS wurde gerade eine EU-Leitlinie erarbeitet, die bestehende nationale und
internationale Empfehlungen ergänzt.
Klinische Konsequenzen sollten nur bei (wahrscheinlich) pathogenen TP53-Keimbahn-Varianten, nicht jedoch bei Varianten unklarer Signifikanz, gezogen werden.
Bei der Diagnostik und Tumortherapie von Patienten mit LFS sind Besonderheiten zu
beachten, insbesondere die strenge Indikationsstellung für strahlenbelastende Maßnahmen.
Die Betreuung der Patienten sollte in einem interdisziplinären Team an spezialisierten
Zentren erfolgen.