Pneumologie 2021; 75(11): 869-900
DOI: 10.1055/a-1551-9734
Leitlinie

S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID[*]

S1 Guideline Post-COVID/Long-COVID
Andreas Rembert Koczulla
 1   Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
,
Tobias Ankermann
10   Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (DGPP)
,
Uta Behrends
17   Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, Chronisches Fatigue Centrum
,
Peter Berlit
 5   Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)
,
Sebastian Böing
 8   Berufsverband der Pneumologen (BdP)
,
Folke Brinkmann
10   Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (DGPP)
,
Christian Franke
 8   Berufsverband der Pneumologen (BdP)
,
Rainer Glöckl
 1   Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
,
Christian Gogoll
 1   Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
,
Thomas Hummel
12   Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V.
,
Juliane Kronsbein
 2   Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)
,
Thomas Maibaum
 3   Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
,
Eva M. J. Peters
 4   Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM)
,
Michael Pfeifer
 1   Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
,
Thomas Platz
 7   Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) und Redaktionskomitee S2k-LL SARS-CoV-2, COVID-19 und (Früh-) Rehabilitation
,
Matthias Pletz
11   Paul Ehrlich Gesellschaft für Chemotherapie e. V. (PEG)/Sektion Infektiologie
,
Georg Pongratz
16   Deutsche Schmerzgesellschaft, Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie
,
Frank Powitz
 8   Berufsverband der Pneumologen (BdP)
,
Klaus F. Rabe
 1   Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
,
Carmen Scheibenbogen
15   Charité Fatigue Centrum
,
Andreas Stallmach
 9   Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS), Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI)
,
Michael Stegbauer
 2   Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)
,
Hans Otto Wagner
 3   Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
,
Christiane Waller
14   Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM)
,
Hubert Wirtz
 1   Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
,
Andreas Zeiher
 6   Deutsche Gesellschaft für Kardiologie- Herz- und Kreislaufforschung (DGK)
,
Ralf Harun Zwick
13   Österreichische Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP)
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie hat die AWMFS1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID initiiert. In einem breiten interdisziplinären Ansatz wurde diese S1-Leitlinie basierend auf dem aktuellen Wissensstand gestaltet.

Die klinische Empfehlung beschreibt die aktuellen Post-COVID/Long-COVID-Symptome, diagnostische Ansätze und Therapien.

Neben der allgemeinen und konsentierten Einführung wurde ein fachspezifischer Zugang gewählt, der den aktuellen Wissensstand zusammenfasst.

Die Leitlinie hat einen expilzit praktischen Anspruch und wird basierend auf dem aktuellen Wissenszugewinn vom Autorenteam stetig weiterentwickelt und adaptiert.


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Abstract

The German Society of Pneumology initiated the AWMFS1 guideline Post-COVID/Long-COVID. In a broad interdisciplinary approach, this S1 guideline was designed based on the current state of knowledge.

The clinical recommendation describes current post-COVID/long-COVID symptoms, diagnostic approaches, and therapies.

In addition to the general and consensus introduction, a subject-specific approach was taken to summarize the current state of knowledge.

The guideline has an expilcit practical claim and will be continuously developed and adapted by the author team based on the current increase in knowledge.


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Bei der vorliegenden S1-Leitlinie handelt es sich um einen klinisch-praktischen Leitfaden, der bei Post-/Long-COVID spezifischen Symptomen eine klinische diagnostisch-therapeutische Orientierung auf dem Boden einer sehr häufig noch begrenzten Datenlage liefern soll. In dieser Leitlinie wird insbesondere dem klinischen Versorgungsweg Rechnung getragen. Zeitnahe Aktualisierungen sollen bei Zunahme der Evidenz durchgeführt werden.

Die Verantwortlichkeiten für die einzelnen fachspezifischen Abschnitte liegen jeweils bei der entsprechenden Fachgesellschaft.

1 Einleitung

Das neuartige Corona-Virus Typ 2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2, SARS-CoV-2) ist für die Pandemie mit der Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) verantwortlich, die zu globalen Krisen mit angespannten Ressourcen in Gesundheitssystemen geführt hat. COVID-19 (ICD U07.1) ist heute als Multiorgan-Krankheit mit einem breiten Spektrum von Manifestationen anerkannt. Ähnlich wie bei anderen Infektionskrankheiten, gibt es nach einer akuten SARS-CoV-2-Infektion immer mehr Berichte über anhaltende Beschwerden ([Abb. 1]), die jenseits einer Zeitspanne von 4 Wochen ab Infektion als Long-COVID oder post-akute Folgen von COVID-19 (post-acute sequelae of COVID-19) [1] und bei Persistenz von mehr als 12 Wochen als Post-COVID-Syndrom bezeichnet werden ([Abb. 2]).

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Abb. 1 Pragmatische Einteilung der Symptomhäufigkeit nach aktueller Literatur ohne Anspruch auf Vollständigkeit nach [3] [45] [195] [196] [197] [198]. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 2 Überblick über COVID-19 Nomenklatur (in Anlehnung an NICE 2020 [199]). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]

Im ICD-10 findet sich der Zustand nach COVID-19 unter den Schlüsselnummern für besondere Zwecke als U.09.9 hinterlegt. Diese Schlüsselnummer ist zu verwenden, wenn eine anderenorts klassifizierte Störung in Zusammenhang mit einer vorausgegangenen COVID-19 steht, aber COVID-19 nicht mehr vorliegt. Diese Schlüsselnummer ist nicht anzuwenden, wenn COVID-19 noch vorliegt.

Die Häufigkeit des Post-COVID-Syndroms variiert je nach untersuchter Patientenpopulation und ist über alle Patienten hinweg mit einer Häufigkeit von bis zu 15 % anzunehmen [2]. Die Häufigkeit scheint unabhängig von vorbestehenden Komorbiditäten zu sein [3], allerdings können ähnliche somatische oder psychosomatische Beschwerden in der Anamnese bzw. eine hohe psychosoziale Belastung die Manifestation eines Post-COVID-Syndroms begünstigen. Darüber hinaus wird die Häufigkeit durch das Studiendesign, die Rekrutierungsstrategie, die eingesetzten Fragebögen und die Kriterien der Genesung beeinflusst [4].

Die genauen Ursachen für ein Post-COVID-Syndrom sind bislang nicht bekannt. Eine Persistenz des Virus bzw. von Virusbestandteilen über Wochen und Monate kann eine Rolle spielen [5] [6]. Weitere mögliche Pathomechanismen sind andauernde postinfektiöse strukturelle Gewebeschäden, inklusive Endothelschaden und gestörter Mikrovaskularisierung, Hyperkoagulabilität und Thrombosen, eine chronische Immundysregulation, (Hyper-)Inflammation bzw. Autoimmunität, Dysregulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) sowie potenzielle Nebenwirkungen der COVID-19-Therapie [7] [8].

Bislang fehlen für viele klinische Probleme noch pathophysiologische Erklärungen und auch Evidenzen aus klinischen Studien, insofern spiegelt diese Leitlinie den aktuellen Wissensstand bei Erstellung wider. Die S1-Leitlinie adressiert nach COVID-19 neu aufgetretene oder persistierende bzw. intensivierte Symptome. In der Betrachtung dieser Symptome sollten in diesem Zusammenhang aber auch immer differenzialdiagnostische Überlegungen angestellt werden und ggf. Differenzialdiagnosen, die für die Symptomatik in Frage kommen, überprüft werden.

Patienten mit Post-/Long-COVID geben sehr häufig das Symptom „Fatigue“ an. Es tritt auch nach einer Vielzahl anderer Viruserkrankungen auf. Das prominenteste Beispiel ist die infektiöse Mononukleose durch Epstein-Barr-Virus (EBV), aber auch andere Viren wie bspw. Humanes Herpesvirus (HHV), Influenzaviren oder Rickettsien sind Verursacher einer solchen postinfektiösen Symptomatik [9] [10] [11]. Das Vollbild eines post-infektiösen Chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) (synonym Myalgische Encephalomyelitis, ME) (ICD-10 G93.3) ist möglich.

Die Aufreihung der Disziplinen beginnt mit der Infektiologie und der Allgemeinmedizin.

Das Kapitel „Fatigue“ wird aufgrund der großen Häufigkeit und der besonderen Bedeutung des Symptoms für betroffene Patienten in einem eigenen, interdisziplinär erstellten Kapitel besprochen. Die weiteren Kapitel sind in alphabetischer Reihenfolge sortiert.


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2 Post-/Long-COVID

2.1 Definition der Begrifflichkeiten

[Abb. 2] bietet einen Überblick über die gängigsten Begrifflichkeiten zu Long-COVID/Post-COVID-Syndromen. Zudem wurden in der Literatur weitere Begriffe wie z. B. ‚post-acute sequelae of COVID-19‛ (PASC), ‚chronic COVID syndrome‛ (CCS) oder ‚COVID-19 long-hauler‛ beschrieben. In Anlehnung an den Cochrane Rehabilitation-Review [12] kann eine der folgenden 4 Kategorien herangezogen werden, um ein Post-/Long-COVID zu diagnostizieren:

  1. Symptome, die aus der akuten COVID-19-Phase oder deren Behandlung fortbestehen,

  2. Symptome, die zu einer neuen gesundheitlichen Einschränkung geführt haben,

  3. neue Symptome, die nach dem Ende der akuten Phase aufgetreten sind, aber als Folge der COVID-19-Erkrankung verstanden werden,

  4. Verschlechterung einer vorbestehenden Grunderkrankung.


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2.2 Prävalenz von Post-/Long-COVID-Symptomen

Die Symptome und deren Häufigkeit sind in den dazu publizierten unterschiedlichen Studien nicht unmittelbar vergleichbar. So wird diese durch die untersuchten Patientenpopulationen (Alter, Geschlecht, etc.), die Größe der Patientenpopulationen und den Selektionsprozess der Patienten (z. B. populationsbasiert vs. Symptom-getriggert) und die Erfassung der Symptome (selbstberichtet vs. ärztlich diagnostiziert) beeinflusst. Nur einige Punkte, die in den bisher vorliegenden Studien sehr unterschiedlich sind, sind hier illustriert ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Überblick über das Problem der Heterogenität unterschiedlicher Post-/Long-COVID-Studienpopulationen (übersetzte Grafik nach [200]). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020–027.html [rerif]

Während die Prävalenz von Long-/Post-COVID-Symptomen nach schweren Verläufen häufiger ist, zeigen sich im Niedrigprävalenzbereich in 13,3 % der Test-positiven Studienteilnehmer/innen Symptome ≥ 28 Tage, bei 4,5 % ≥ 8 Wochen und bei 2,3 % ≥ 12 Wochen Dauer [13], allerdings kann dieses auch bei Patienten mit initial milder SARS-CoV-2-Infektion auftreten [14]. Dabei werden sehr häufig Fatigue, Luftnot und sowohl eingeschränkte körperliche wie auch geistige Leistungsfähigkeit beschrieben. Grundsätzlich kann Long-/Post-COVID sowohl nach leichten als auch nach schweren Verläufen auftreten. Bei einigen Patienten kommt es im Verlauf zu einer Spontanheilung oder zu einer deutlichen Abschwächung der Symptome.


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3 Kernaussagen

  • Komplexe Krankheitsbilder wie Post-/Long-COVID erfordern bei einer zunehmenden Spezialisierung im Gesundheitswesen eine generalistische interdisziplinäre Herangehensweise mit Blick auf den ganzen Menschen sowie eine Kontinuität in der Versorgung.

  • Wenn (neu aufgetretene) Symptome oder Beschwerden nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion den Verdacht auf ein Post-/Long-COVID-Syndrom lenken, sind immer auch andere Differenzialdiagnosen zu bedenken und ggf. auszuschließen.

  • Die Diagnose eines Post-/Long-COVID-Syndroms kann weder durch eine einzelne Laboruntersuchung noch durch ein Panel an Laborwerten diagnostiziert bzw. objektiviert werden. Ebenso schließen normale Laborwerte ein Post-/Long-COVID-Syndrom nicht aus.

  • Eine weiterführende spezialärztliche Abklärung kann angezeigt sein, wenn nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion Einschränkungen länger als 3 Monate persistieren.

  • Patienten mit schwerer Lungenbeteiligung können (nahezu) komplett rekonvaleszieren. Bei anhaltender Symptomatik z. B. über 3 Monate hinweg sollte jedoch eine pneumologische Diagnostik initiiert werden.

  • Die Effektivität einer therapeutischen Vakzinierung bei Patienten mit Post-COVID ist nicht gesichert. Diese sollte nur in Studien erfolgen.


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4 Pathogenese

Die Pathogenese des Post-/Long-COVID-Syndroms ist nicht geklärt, sie ist multifaktoriell und nicht bei jedem Patienten gleich. Mögliche Trigger sind langdauernde Gewebeschäden, eine Persistenz von Viren oder Virusbestandteilen sowie eine chronische (Hyper-)Inflammation und/oder Autoimmunphänomene ([Abb. 8]).

Zahlreiche Studien weisen aus, dass unter Verwendung molekulargenetischer Testverfahren in verschiedenen Organen eine Viruspersistenz für mehrere Monate bei Patienten nachgewiesen werden kann [15] [16] [17], insbesondere bei Patienten mit Immundefekten [18]. Andere Studien weisen eine Virusausscheidung im Respirationstrakt [19] oder Gastrointestinaltrakt [20] über 4 bzw. 2 Monate nach COVID-19-Infektion nach, ohne dass die Patienten unter Symptomen leiden müssen. Somit kommt es ohne Zweifel bei einer Gruppe von Patienten zu einer Viruspersistenz, die zumindest bis zu einem gewissen Ausmaß eine Immunaktivierung bedingen kann.


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5 Medikamentös therapeutische Intervention und Vakzination

Gesicherte therapeutische Interventionen beim Post-/Long-COVID sind nicht bekannt. Die bei einem Teil der Patienten beobachtete Viruspersistenz wird auf eine unzureichende Virus-eliminierende Immunantwort zurückgeführt. Vor diesem Hintergrund war es naheliegend, den Effekt einer post-infektiösen SARS-CoV-2-Vakzinierung auf den Verlauf zu untersuchen. In einer kleinen Observationsstudie wurden wegen COVID-19 initial hospitalisierte Patienten mit Post-COVID-Syndrom gegen SARS-CoV-2 geimpft und in einem 2:1-Design mit nicht-geimpften Patienten nach jeweils 8 Monaten Symptomdauer verglichen. Ein Monat nach Impfung bzw. dem entsprechenden Zeitraum bei den Kontrollpatienten wurden die Symptome erhoben. Es zeigte sich in diesem Kollektiv mit ausgeprägten Post-/Long-COVID-Symptomen bei 23,2 % der Vakzinierten und 15,4 % der Nicht-Vakzinierten eine Verbesserung und bei 5,6 % der Vakzinierten und 14,2 % der Nicht-Vakzinierten eine Verschlechterung der Symptome [21]. Auch wenn die Effekte statistisch signifikant unterschiedlich sind, sind sie jedoch nur gering ausgeprägt. Größere kontrollierte, prospektive Studien sind notwendig, um die Effektivität einer Vakzinierung bei Post-/Long-COVID zu überprüfen.

Empfehlung

Die Effektivität einer frühzeitigen therapeutischen Vakzinierung bei Patienten mit Post-/Long-COVID ist nicht gesichert. Diese sollte vorerst nur in Studien erfolgen


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6 Versorgungsalgorithmus

Die Abbildung stellt einen pragmatischen Versorgungsalgorithmus für Patienten mit Post-/Long-COVID dar ([Abb. 5]). Folgende Konsultationsanlässe können unterschieden werden:

6.1 Primärärztliche Versorgung

In der primärärztlichen Versorgung ([Abb. 4]) ist eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung einschließlich neurologischem, psychischem und funktionellem Status zu empfehlen ([Abb. 6]). Die gezielte Befunderhebung unter besonderer Berücksichtigung neu aufgetretener oder aber durch die Erkrankung vermehrt symptomatischer Einschränkungen sowie Basisdiagnostik im Labor ist von zentraler Bedeutung. Der in ([Abb. 7]) abgebildete Algorithmus kann eine Hilfestellung bei der Einschätzung geben.

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Abb. 4 Hausärztliche Betreuung. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 5 Vorschlag eines Modells praxisorientierter Versorgungswege. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 6 Die Post-/Long-COVID-Nachsorge hat häufig einen interdisziplinären Charakter. Die Anordnung und Erwähnung der Fachdisziplinen hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Wertigkeit. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 7 Flussdiagramm für den Selbstbericht von Patienten auf der Post-COVID-19-Skala des funktionellen Status. Diese Skala ist nur für erwachsene COVID-19-Patienten validiert. Eine analoge altersadaptierte Evaluation der Alltagsfunktion ist jedoch auch für Minderjährige angezeigt (nach [22]). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 8 Mögliche Endorganschäden durch mögliche multifaktorielle Ursachen des Post-/Long-COVID-Syndroms. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
Empfehlung

Nach primärärztlicher Basisdiagnostik sollte bei fehlender klinischer Verschlechterung den Betroffenen zunächst ein abwartendes Vorgehen unter primärärztlicher Betreuung und Behandlung empfohlen werden.

Empfehlung

Bei Warnhinweisen in der Basisdiagnostik sowie einer eventuellen klinischen Verschlechterung oder Unklarheiten sollte den Betroffenen eine vertiefende Diagnostik und/oder eine Überweisung an den Organspezialisten angeboten werden.

Empfehlung

Eine erhöhte Aufmerksamkeit und Prinzipien der psychosomatischen Grundversorgung zur Verhinderung einer Chronifizierung sollten bei folgenden Symptomen angewandt werden:

  • Ähnliche somatische oder psychosomatische Beschwerden in der Anamnese

  • Hohe psychosoziale Belastung

  • Frühere gehäufte Konsultationen mit unergiebiger somatischer Diagnostik


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6.2 Warnhinweise

Als Warnhinweise sind ein schlechter Allgemeinzustand, eine signifikante Gewichtsabnahme, unerklärliche oder neu aufgetretene neurologische Defizite/Auffälligkeiten, neue Schmerzsymptomatik, schlechte oder sich verschlechternde somatische oder psychische Befunde sowie unerklärliche Auffälligkeiten in der Basisdiagnostik zu verstehen. Diese sollten Anlass zu einer vertiefenden Diagnostik und/oder einer Überweisung z. B. in eine Post-COVID-Ambulanz geben.


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6.3 Funktioneller Status bei Post-/Long-COVID-Patienten

Zur Einschätzung des funktionellen Status des Post-/Long-COVID-Syndroms bietet sich die von Klok et al. [22] entwickelte Skala an, die mittlerweile anhand einer großen Kohorte validiert wurde [23] ([Abb. 7]). Patienten, die „leichte“, „mäßige“ oder „schwere“ Funktionseinschränkungen angaben, wiesen signifikant häufiger und intensiver Symptome auf, hatten eine reduzierte Lebensqualität und waren bei der Arbeit und bei üblichen Alltagsaktivitäten eingeschränkt [23]. Patienten, die „keine“ oder „vernachlässigbare“ Funktionseinschränkungen angaben, zeigten hinsichtlich der o. a. Aspekte keine signifikanten Limitationen. Diese einfach anzuwendende Funktionsskala hat bei symptomatischen Post-/Long-COVID-Patienten eine hohe Aussagekraft in der Langzeit-Nachverfolgung der funktionellen Einschränkungen von Post-/Long-COVID-Patienten. Dieser Ansatz hat Schwächen. So ergeben sich z. B. Limitierungen bei jüngeren Patienten mit ambulant überwundener SARS-CoV-2-Infektion, die ihre berufliche Tätigkeit wieder aufgenommen haben, aber noch eine Überbeanspruchung bei der Bewältigung ihres Alltags bemerken. Außerdem gilt die Skala nur für Erwachsene. Bei Kindern und Jugendlichen sollte u. a. die Bewältigung der Alltagsanforderungen inklusive Schulunterricht erfragt werden.

Empfehlung

Um erwachsene Patienten im primärärztlichen Erstkontakt besser zu charakterisieren und auch um bspw. die vorhandene oder drohende Arbeits-, Ausbildungs oder Schulunfähigkeit abzuschätzen, kann ein validierter Fragebogen herangezogen werden ([Abb. 6]).


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7 Infektiologische/immunologische Aspekte

7.1 Persistenz von Viren bzw. Virusbestandteilen

Zahlreiche Studien weisen aus, dass unter Verwendung molekulargenetischer Testverfahren in verschiedenen Organen eine Viruspersistenz für mehrere Monate bei symptomatischen Patienten nachgewiesen werden kann [15] [16] [17], insbesondere bei Patienten mit Immundefekten [18]. Andere Studien weisen eine Virusausscheidung im Respirationstrakt [19] oder Gastrointestinaltrakt [20] bis 4 bzw. 2 Monate nach COVID-19-Infektion nach, ohne dass die Patienten unter Symptomen leiden müssen. Somit kommt es ohne Zweifel bei einer Gruppe von Patienten zu einer Viruspersistenz, die zumindest bis zu einem gewissen Ausmaß eine Immunaktivierung bedingen kann.

7.1.1 Chronische (Hyper-)Inflammation und Autoimmunität

Da ähnlich wie bei Autoimmunerkrankungen bei Patienten mit Post-/Long-COVID eine Dominanz des weiblichen Geschlechtes zu beobachten ist, wird in Analogie eine T- und B-Zell-Dysregulation (-Dysfunktion) in der Pathophysiologie des Post-/Long-COVID-Syndroms postuliert [24]. Das SARS-CoV-2-Virus könnte in Antigen-präsentierenden Zellen eine „bystander-Aktivierung“ von T-Zellen gegen Autoantigene auslösen. Diese Hypothese wird durch die Beobachtung gestützt, dass in Autopsiestudien eine hohe Dichte von CD8 +-T-Zellen in der Lunge und anderen Organen beobachtet wurden [25]. Eine weitere Ursache für eine Hyperinflammation oder Autoimmunität können Veränderungen der Mikrobiota des Gastrointestinaltraktes sein [26]. Eine (pro-inflammatorische) Dysbiose ist typisch für COVID-19-Patienten, persistiert über den Krankenhausaufenthalt hinaus und korreliert mit dem Schweregrad der COVID-19-Erkrankungen und einer verlängerten fäkalen SARS-CoV-2-Ausscheidung [27] [28].


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7.2 Diagnostikempfehlungen

Neben einer T-Zell-vermittelten Autoimmunität gibt es Hinweise auf Auto-Antikörper bei Patienten mit COVID-19. So konnten in einer Studie bei 52 % der Patienten anti-Phospholipid-Autoantikörper nachgewiesen werden [29]. Ebenfalls konnten Auto-Antikörper gegen Interferone, Neutrophile, Citrullinpeptide und Zellkerne bei 10–50 % der Patienten mit COVID-19 nachgewiesen werden. Auch wenn es unklar ist, wie lange diese Antikörper persistieren (und ob sie bei Patienten mit Post-/Long-COVID länger persistieren), sind sie doch in die Pathogenese verschiedener Autoimmunerkrankungen wie dem Sjögren-Syndrom, dem Lupus erythematodes oder rheumatoider Arthritis eingebunden [30] [31]. Typisch für eine schwere COVID-19-Erkrankung ist die Lymphopenie [32]; dieser T- bzw. B-Zellmangel korreliert auch mit einem persistierenden Virusshedding (s. o.) [33] [34]. Eine für im Median über 54 Tage persistierende Lymphopenie und erhöhte CRP- bzw. D-Dimer-Werte finden sich bei 7,3 %, bzw. 9,5 % von Patienten mit überstandener COVID-19-Erkrankung [35] [36]. Allerdings konnten andere Arbeitsgruppen keine Veränderungen von Laborparametern nachweisen [37].

Hinweis

Somit kann weder durch eine einzelne Laboruntersuchung oder ein Panel an Laborwerten ein Post-COVID-Syndrom positiv diagnostiziert oder wahrscheinlich gemacht werden.

Ebenso schließen normale Laborwerte ein Post-COVID-Syndrom nicht aus. Ggf. kann eine PCR auf SARS-Cov-2 durchgeführt werden, um zu unterscheiden, ob Symptome im Rahmen einer persistierenden Infektion oder ohne Nachweis einer persistierenden Infektion zu werten sind.


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7.3 Therapieoptionen

Hinweis

Gesicherte therapeutische Interventionen beim Post-/Long-COVID sind nicht bekannt.

Die bei einem Teil der Patienten beobachtete Viruspersistenz wird auf eine unzureichende Virus-eliminierende Immunantwort zurückgeführt. Vor diesem Hintergrund war es naheliegend, den Effekt einer post-infektiösen SARS-CoV-2-Vakzinierung auf den Verlauf zu untersuchen. In einer Observationsstudie wurden wegen einer COVID-19-Erkrankung hospitalisierte Patienten gegen SARS-CoV-2 geimpft und in einem 2:1-Design mit nicht-geimpften Patienten verglichen. Ein Monat nach Impfung bzw. dem entsprechenden Zeitraum bei den Kontrollpatienten wurden die Symptome erhoben. Es zeigte sich in diesem Kollektiv mit ausgeprägten Post-/Long-COVID-Symptomen bei 23,2 % der Vakzinierten und 15,4 % der Nicht-Vakzinierten eine Verbesserung und bei 5,6 % der Vakzinierten und 14,2 % der Nicht-Vakzinierten eine Verschlechterung der Symptome [21]. Auch wenn die Effekte statistisch signifikant unterschiedlich sind, sind sie jedoch nur gering ausgeprägt. Kontrollierte prospektive Studien sind notwendig, um die Effektivität einer Vakzinierung bei Post-/Long-COVID zu überprüfen.


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7.4 Offene Fragen in der Infektiologie

  • Ist eine Viruspersistenz bei Patienten mit Post-/Long-COVID häufiger als bei Patienten ohne Folgesymptome bzw. ohne Post-/Long-COVID-Symptome?

  • Gibt es eine genetische Disposition für ein Post-COVID-Syndrom?

  • Gibt es pathophysiologisch unterscheidbare Subformen von Post-COVID-Syndromen?

  • Wie sind Autoimmunphänomene ausgelöst (molecular mimicry, bystander Aktivierung?) und einzuordnen als nur temporär assoziiert mit der Infektion oder unabhängig?


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8 Allgemeinmedizinische Aspekte

(Empfehlungen zur allgemeinmedizinischen Diagnostik und Therapie siehe Supplement)

8.1 Einleitung

Dem Allgemeinarzt kommt als primär versorgendem Arzt eine wichtige Rolle zu. Ein Basisleitfaden ist im Supplement hinterlegt. Die DEGAM-Leitlinien Müdigkeit [38], Schwindel [39], Husten [40] und Überversorgung [41] sowie der Expertenkonsens zu ME/CFS [42] und die zeitnah zu erwartende Neuauflage der NICE-Leitlinie zu ME/CFS [43] bieten weitere Orientierung an.


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8.2 Allgemeinmedizinische Empfehlungen zum Krankheitsverlauf

  • Bei Belastungsintoleranz sollte eine Überlastung, die zu Zunahme der Beschwerden führen kann (sog. post-exertionelle Malaise, PEM) vermieden werden.

  • Es sollte eine psychosomatische Grundversorgung angeboten werden.

  • Es sollte eine symptomorientierte Therapie und psychosoziale Betreuung initiiert werden.

  • Die Koordination der fakultativ erforderlichen spezialisierten Behandlung mit evtl. erneuter stationärer Therapie bzw. rehabilitativen Maßnahmen sollte angeboten werden.

  • Die Absprache mit nicht-ärztlichen Leistungserbringern im Gesundheitswesen (Physiotherapie, Ergotherapie, psychologischer Psychotherapie, Logopädie, Ernährungsberatung, Pflegedienst, ebenso wie Apotheken, Soziotherapie …) sollte ggf. initiiert werden.

  • Es sollte eine engmaschige Zusammenarbeit mit Behörden, Ämtern, Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern angestrebt werden.

  • Eine Heilmittelversorgung sollte bei Bedarf initiiert werden.


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8.3 Therapieoptionen

Die Therapie orientiert sich an den Symptomen. Für eine spezifische Therapie gibt es bislang noch keine wissenschaftlich belastbaren Belege.


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8.4 Braucht der geriatrische Patient ein spezifisches primärärztliches Vorgehen?

Während bei jüngeren Patienten Symptome wie Husten, Luftnot oder Fieber im Vordergrund stehen können, besteht ein ernsthafter Verlauf bei geriatrischen Patienten eher in einer kognitiven Verschlechterung, Verwirrtheit, Fatigue und Sturzgefahr. Diese unspezifischen Symptome können Hinweise auf schwerwiegende Veränderungen wie lokale Thrombenbildung, Dehydratation oder Delir sein.

Empfehlung
  • Es sollte eine regelmäßige Überprüfung der Vitalparameter, aber auch der kognitiven Funktionen erfolgen.

  • Bei Hinweisen auf Verschlechterung sollten u. a. Sauerstoffsättigung, D-Dimere, das Blutbild (Lymphopenie), Kreatinin und die Elektrolyte kontrolliert werden.

  • Sowohl die Angehörigen wie auch die Sozial- und Pflegedienste, Physio- und Ergotherapeuten und Logopäden sollten frühzeitig mit eingebunden werden [44].


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8.5 Offene Fragen

  • Kann zwischen einem (unspezifischen) Post-Intensiv-Care-Syndrom (PICS) und Post-COVID unterschieden werden?

  • Wie kann der „Post-Lockdown-Zustand“ einschl. Gewalterfahrung vom Post-/Long-COVID-Syndrom abgegrenzt werden?

  • Gibt es dauerhafte und spezifische Organschäden durch SARS-CoV-2?


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9 Fatigue

Fatigue ist ein sehr häufiges Symptom im Rahmen von Post-/Long-COVID, welches i. d. R. mit anderen Beschwerden in Kombination auftritt. Aus diesem Grund wurden die damit verbundenen Fragen in einem interdisziplinären Kapitel abgehandelt.

9.1 Einleitung

Unabhängig von der Schwere der akuten COVID-19-Infektion berichten Patienten sehr häufig von Fatigue [37]. Fatigue ist eine subjektiv oft stark einschränkende, zu den vorausgegangenen Anstrengungen unverhältnismäßige, sich durch Schlaf oder Erholung nicht ausreichend bessernde subjektive Erschöpfung auf somatischer, kognitiver und/oder psychischer Ebene. Wenn bei Patienten im Alter unter 60 Jahren schwere Fatigue mit Belastungsintoleranz, kognitiven Störungen und Schmerzen auftreten und diese für mehr als 6 Monate bestehen, sollte das Vorliegen eines Chronischen Fatigue Syndroms (ME/CFS, G93.3) mithilfe der international akzeptierten Diagnosekriterien überprüft werden. Von 1655 COVID-Patienten gaben in einer Verlaufsstudie 6 Monate nach stationärer Behandlung einer COVID-19-Infektion 63 % Fatigue oder Muskelschwäche an [45]. An einer Befragung einer bevölkerungsbasierten Kohorte von nicht-hospitalisierten Probanden 4 Monate nach SARS-CoV-2-Infektion nahmen 458 Personen teil, die zu 46 % Fatigue berichteten [46]. Weitaus niedrigere Zahlen wurden in einer App-basierten prospektiven Studie bei 4182 erhobenen Fällen ermittelt: Nach 28 Tagen berichteten 13,3 %, nach mehr als 8 Wochen 4,5 % und nach mehr als 12 Wochen 2,3 % Teilnehmer Symptome wie Fatigue, Cephalgien, Dyspnoe und Geruchsverlust [47]. Auch Kinder und Jugendliche klagen über Fatigue und ähnliche damit kombinierte Symptome wie Erwachsene, inklusive Belastungsintoleranz bzw. PEM. Die Post-COVID-Fatigue findet sich verteilt über alle Altersgruppen mit einem beobachteten leichten Überwiegen weiblicher Patienten. Die Relevanz von Fatigue und Belastungsintoleranz bzw. PEM für die Alltags- und Berufsbewältigung sind hoch [48].

Analoge post-infektiöse Syndrome mit Fatigue im Zusammenhang mit Viren-, Bakterien-, Pilz- und Protozoen-Infektionen oder Autoimmunerkrankungen [49] [50] sind seit gut 100 Jahren in der wissenschaftlichen Literatur bekannt [51] [52]. Es besteht oft eine Komorbidität mit der Fibromyalgie.

9.1.1 Pathophysiologische Überlegungen

Fatigue kann durch eine Vielfalt von Körper- und Organfunktionsstörungen bedingt sein. Eine (objektivierbare) körperliche oder kognitive (z. B. konzentrative) Minderbelastbarkeit als auch emotionale Belastungen (z. B. durch Depression) können einzeln oder kombiniert zur Entstehung einer Fatigue beitragen. Aber auch der individuelle Umgang mit Fatigue (motivationale Faktoren, Coping-Verhalten, Schlafgewohnheiten) stellt einen wichtigen Faktor dar [53].

Die Pathogenese von Fatigue nach COVID-19 ist noch unklar; diese wird in aktuellen Studien zurzeit untersucht [54] [55] [56]. Akzeptiert ist, dass sowohl eine Vielfalt COVID-19-bedingter Organschädigungen (z. B. in Lunge, Herz, Hirn, peripherem Nervensystem) als auch psychische Kormorbiditäten häufig und in individuell unterschiedlichen Kombinationen auftreten können und für Entstehung von Fatigue bedeutsam sind [6]. Ebenso können eine sog. Low-grade-Inflammation bzw. eine Autoimmunantwort im Rahmen der Infektion eine Rolle spielen [57].


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9.1.2 Diagnostikempfehlungen

Zur Einschätzung von Symptomatik und Schweregrad sollten einfach zu erhebende psychometrische Selbstauskunftsinstrumente wie z. B. die Fatigue-Skala (FS), die Fatigue Severity Scale (FSS) oder die Fatigue Assessment Scale (FAS) eingesetzt werden. Die individuell berichteten Fatigue-Symptome (körperlich, kognitiv, emotional) werden eruiert und entsprechend differenzialdiagnostisch andere Organ- oder psychische Erkrankungen ausgeschlossen. Die klinische Diagnostik beinhaltet daher neben einer ausführlichen Anamnese einschließlich Screeningfragen auf Depression, Schlafstörungen und Angststörung sowie klinischer Untersuchung eine Labordiagnostik und ggf. die Einbeziehung der fachspezifischen Kompetenzen zur Objektivierung der Funktionseinschränkung auf körperlicher, kognitiver und/oder psychischer Ebene. Wegen der therapeutischen Relevanz empfohlen wird ein Orthostasetest (z. B. passiver 10-Minuten-Stehtest).

Empfehlung

Zur Einschätzung der Symptomatik sollten Selbstauskunftsinstrumente zum Einsatz kommen.


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9.1.3 Therapieoptionen

Bisher ist keine kausale Therapie bekannt.

Ziel der Therapie sollte eine Symptomlinderung sowie die Vermeidung einer Chronifizierung sein. Dazu gehören die Förderung des Schlafs, Schmerztherapie, Kreislaufsupport, Maßnahmen zur Stressreduktion und Entspannung, Stärkung von persönlichen Ressourcen sowie die Unterstützung eines adäquaten Coping-Verhaltens (z. B. weder Überforderung noch Vermeidung von Aktivitäten). Je nach individueller Symptomatik (körperlich, kognitiv und/oder emotional) kommen unterschiedlich gewichtet zusätzlich eine kontrollierte Anleitung zu körperlicher Aktivität bzw. dosiertem körperlichem Training zum Einsatz, ein Training der kognitiven Leistungsfähigkeit und/oder eine psychotherapeutische bzw. psychopharmakologische Behandlung. Eine ergotherapeutische Unterstützung kann überlegt werden. Körperliche Überbeanspruchung mit nachfolgender Symptomverschlechterung (PEM) sollte durch ein individuell angemessenes Energiemanagement (Pacing) vermieden werden. Eine Heilmittelversorgung kann sinnhaft sein und belastet bei entsprechender Kodierung nicht das Praxisbudget. Sollten sich ambulante Maßnahmen als nicht ausreichend erweisen, kann über eine (teil-)stationäre Rehabilitation mit dem individuell angezeigten indikationsspezifischen Behandlungsschwerpunkt nachgedacht werden (s. auch Kapitel „Rehabilitation“).

Empfehlung

Bisher ist keine kausale Therapie der Fatigue bekannt.

Therapieziel sollte eine Symptomlinderung sowie die Vermeidung einer Chronifizierung sein.


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9.1.4 Offene Fragen

  • Wie können die Symptome einer Fatigue optimal behandelt werden?

  • Welche infektiologischen Kriterien (SARS-CoV-2-Nachweis, SARS-CoV-2-Serologie, typische COVID-Symptome) erlauben die Zuordnung der Fatigue-Symptomatik zu einer SARS-CoV-2-Infektion?

  • Wie ist der natürliche Verlauf der Post-COVID-Fatigue-Erkrankung


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10 Dermatologische Aspekte

10.1 Einleitung

Hautveränderungen nach COVID-19-Infekt stoßen auf großes öffentliches Interesse und werden relativ häufig berichtet, wenn auch in einem elativ geringen Prozentsatz an Patienten (bis 25 %) [58] [59] [60] [61]. Es zeigt sich ein buntes Bild von Hautläsionen, das von makulopapulösen und morbilliformen (flach bis kleinknotig-erhaben) und Livedo reticularis/racemosa-artigen (netzartig, bläulich), über urtikarielle (flüchtig, quaddelförmig) und Erythema multiforme-artige (vielgestaltig bis großblasig auf rotem Grund) bis hin zu varizelliformen (klare Bläschen auf gerötetem, oft juckendem Grund) Hautveränderungen reicht. Außerdem werden sog. COVID-Zehen, v. a. bei jüngeren und kaum symptomatischen Patienten, beschrieben, die als bläuliche, kissenartige Verdickungen über den kleinen Zehen- aber auch Fingergelenken imponieren und die einer Pernio bzw. Chilblain-Läsion sehr ähnlich sehen, häufig aber asymmetrisch und scharf begrenzt sind [62], wobei der lokale Nachweis von SARS-CoV-2 oft nicht gelingt [63].

10.1.1 Pathogenetische Konzepte dermatologischer Symptome bei Post-/Long-COVID-19

Histologisch finden sich z. T. Hinweise auf thromboembolische/thrombotische Ereignisse in kleinen Hautgefäßen, denen wahrscheinlich viral-geladene Antigen-Antikörper-Immunkomplexe zugrunde liegen, z. T. perivaskuläre lymphozytäre Infiltrate und z. T. ein intradermales Ödem [60] [67] [68] [69] [70] und im weiteren Verlauf eine fibrosierende Umwandlung des dermalen Gewebes [71]. ACE2 wird von epidermalen und follikulären Keratinozyten, dermalen Fibroblasten, vaskulären Endothelzellen in der Haut exprimiert [72] und die Expression korreliert mit Entzündungsparametern (natürliche Killerzellen, zytotoxische T-Zellen, B-Zellen) [73]. In bis zu 25 % der Fälle wird außerdem über vermehrten Haarausfall Wochen bis Monate nach Infektion [64] und gelegentlich wird über Hyperästhesie [65], sowie über Rhagaden und Exsikkosen der Hände im Sinne eines toxischen Handekzems [66] berichtet.


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10.2 Diagnostikempfehlungen dermatologischer Symptome bei Post-/Long-COVID-19

Bei Verdacht auf eine COVID-19-assoziierte Hautstörung ist zunächst ein akuter bzw. ein durchgemachter Infekt nachzuweisen. Ein negatives Ergebnis schließt allerdings eine Assoziation nicht aus. Neben SARS-CoV-2 ist es sinnvoll, eine Induktion durch Medikamente auszuschließen [74] [75]. Schließlich gibt es eine verschärfende Wechselbeziehung zwischen COVID-19 und chronisch entzündlichen Hauterkrankungen wie der Psoriasis und dem systemischen Lupus erythematodes, die durch pro-inflammatorische Zytokine und autoimmune Reaktionen geprägt sind [59]. Hier ist insbesondere bei Patienten mit immunsupressiver Behandlung die fachspezifische dermatologische und ggf. auch rheumatologische Abklärung empfehlenswert [76] [77] [78].


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10.3 Therapieoptionen

Die meisten Hautläsionen, die im Zusammenhang mit COVID-19 beschrieben wurden, heilen spontan und ohne spezifische Behandlung in wenigen Wochen ab. Bei behandlungswürdigem Befund (z. B. quälender Juckreiz, entstellende Läsionen) kann symptombezogen behandelt werden (z. B. Antihistaminika; kühlende und abdeckende Externa; deeskalierend, läsional und lokal kurzzeitig anzuwendende Kortikosteroide). Bei Exsikkosen können rückfettende und feuchtende Externa empfohlen werden. Bei nicht kontrollierbaren Symptomen und hautdestruktiver Entwicklung (z. B. fehlende Spontanheilung, Nekrosen) sollte die fachspezifische Überweisung erfolgen. Bei Hinweis auf psychische Belastung in Zusammenhang mit Hautläsionen (z. B. ausgeprägte Entstellungsbefürchtung bei Haarausfall, zwanghaftes Waschen der Hände) ist die psychosomatische Mitbetreuung angezeigt.

Empfehlung

Über die zu erwartende vollständige Remission der Hautveränderungen und des Haarverlusts sollte aufgeklärt werden.


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10.4 Häufig gestellte praxisrelevante Fragen

  • Frage: Wie sind Hautveränderungen nach SARS-CoV-2-Infektion zu behandeln?

Eine spezifische Therapie ist nicht bekannt. Wie oben genannt, kann eine symptombezogene Behandlung entsprechend allgemeinmedizinischer und dermatologischer Standards lokal und systemisch durchgeführt werden.

  • Frage: Sollte Haarausfall nach SARS-CoV-2-Infektion behandelt werden?

Haare wachsen zyklisch und legen nach einigen Jahren eine Wachstumspause ein (Telogen, Dauer etwa 3 Monate). 10–20 % der Haarfollikel befinden sich in der gesunden Kopfhaut in dieser Phase und wachsen nicht bzw. fallen beim Haarwaschen u. U. leicht aus (etwa 100 Haare pro Tag). Entzündliche Erkrankungen und Stress können dazu führen, dass Haarfollikel vorzeitig aus der Wachstumsphase (Anagen) in Telogen übergehen (etwa weitere 10–30 %, Dauer des Übergangs 2–12 Wochen) [79] [80] [81]. 3–6 Monate später befinden sich diese Haare ohne Behandlung wieder in der Wachstumsphase. Bei einer Wachstumsgeschwindigkeit von etwa 1 cm/Monat ist je nach Haarlänge mit einer entsprechend zeitverzögerten vollständigen Wiederherstellung zu rechnen, die durch die Gabe von Haarwachstum-stimulierenden Medikamenten wie z. B. Minoxidil kaum beeinflusst werden kann, welches somit i. d. R. nicht verwendet werden sollte.


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10.5 Offene Fragen

  • Wie sind die Hautveränderungen bei Post-/Long-COVID pathophysiologisch zu erklären?

  • Welche Post-/Long-COVID-Patienten entwickeln die dermatologischen Probleme?

  • Wie groß ist der Overlap mit systemischer Manifestation von rheumatologischen Erkrankungen, z. B. SLE, PsA?


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11 HNO-spezifische Aspekte

11.1 Riechstörungen

11.1.1 Einteilung

Riechstörungen werden eingeteilt in quantitative und qualitative Riechstörungen: Die Normosmie bezeichnet eine normale Empfindlichkeit, die Hyposmie ein vermindertes Riechvermögen und die (funktionelle) Anosmie eine sehr deutliche Einschränkung bzw. den Verlust des Riechvermögens. Die Parosmie bezeichnet die veränderte Wahrnehmung von Gerüchen in Gegenwart einer Reizquelle, die Phantosmie die Wahrnehmung von Gerüchen in Abwesenheit einer Reizquelle. In der Allgemeinbevölkerung kommt eine Hyposmie in etwa 15 %, eine funktionelle Anosmie in weiteren ca. 4 % vor [82].


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11.1.2 Diagnostikempfehlungen

Ein plötzlicher Riechverlust bei Patienten ohne nasale Obstruktion hat eine hohe Spezifität und Sensitivität für COVID-19 [83] [84] [85]. Damit sollte eine neu auftretende Riechstörung/Anosmie zur Testung auf SARS-CoV-2 führen sowie zu den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich der Weiterverbreitung des Infektes. Eine ausschließliche Selbstauskunft hinsichtlich der Riechstörung korreliert nur eingeschränkt mit psychophysisch gemessenen Befunden[86].

Neben standardisierten Kurzfragebögen [87] wird das Riechvermögen mit psychophysischen Riechtests untersucht. Hier steht klinisch die Dufterkennung im Vordergrund. Düfte werden hier z. B. anhand von standardisierten Listen mit je 4 Begriffen identifiziert, z. B. mit den „Sniffin’ Sticks“ [88] oder dem „UPSIT“ [89]. Präziser wird die Diagnostik durch Erhebung einer Riechschwelle (z. B. mit Rosenduft-Verdünnungsreihe) und der Unterscheidung von Düften.

In der Akutsituation empfehlen sich neben der schlichten Befragung der Patienten psychophysische, evtl. selbstständig durchführbare Wegwerf-Systeme, wie z. B. ein „Scratch and Sniff“-Dufterkennungstest [90]. Eine Alternative stellt u. U. die Selbsttestung in häuslicher Quarantäne dar [91].


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11.1.3 Endoskopische Untersuchung der Nase/Bildgebung

In einer Untergruppe der Patienten mit COVID-19-assoziierten Riechstörungen findet sich eine Schleimhautschwellung mit Sekret in der Riechspalte/Olfactoriusrinne [92]. Darüber hinaus wurden vereinzelt auch Veränderungen im Bereich des Bulbus olfactorius (MRT-Bildgebung) oder des orbitofrontalen Kortex nachgewiesen [93] [94].


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11.2 Therapieoptionen

Sollen Riechstörungen behandelt werden?

Der Verlauf von Riech- und Schmeckstörungen bei COVID-19 wird als generell günstig angesehen: Ein Großteil der Patienten berichtet eine vollständige bzw. weitgehende Besserung binnen 1–2 Monaten. In ca. 5–20 % der Fälle bleiben relevante Einschränkungen zurück [95]. Sofern eine COVID-19-assoziierte Riechstörung sich nicht binnen 4–12 Wochen wieder weitgehend zurückgebildet hat, sollte eine neurologische oder HNO-ärztliche Vorstellung erfolgen, mit Anamnese (v. a. auch mit Blick auf alternative Ursachen) und psychophysischer Testung sowie nasaler Endoskopie (bzw. bei speziellen Indikationen auch kranieller Bildgebung) [96]. Sofern eine Riechstörung länger anhält, kann eine Therapie mit konsequentem, strukturiertem „Riechtraining“ versucht werden [82] u. a. in der Hoffnung, im Bereich der Riechschleimhaut die Regeneration olfaktorischer Rezeptorneurone anzuregen. Klassischerweise werden hier die Düfte Rose, Zitrone, Eukalyptus und Gewürznelke verwendet [86], wobei an jedem der 4 Düfte morgens und abends jeweils 30 Sekunden gerochen werden sollte, über den Zeitraum von Wochen und Monaten, bis sich das Riechvermögen wieder normalisiert hat. Hinsichtlich der Therapie mit intranasalen Kortikosteroiden liegen widersprüchliche Berichte vor [97].


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11.3 Offene HNO-Fragen

  • Wie können Fehlgerüche und Riechphantome erklärt werden?

Parosmien können evtl. durch gestörte Aktivierungsmuster erklärt werden, die im Rahmen der Regeneration von der Riechschleimhaut zum Bulbus olfactorius übertragen werden. Andere Hypothesen beziehen sich auf Neurinome im Bereich der Riechschleimhaut, auf Störungen in der Verarbeitung der Aktivierung auf Ebene des Bulbus olfactorius oder von übergeordneten Verarbeitungszentren. Ähnliche Erklärungen werden auch für Phantosmien bemüht, allerdings finden sich Phantosmien häufig bei kompletten Anosmien, sodass ihnen evtl. Deafferenzierungen zugrunde liegen. Parosmien und Phantosmien treten nicht selten gemeinsam auf und sind anamnestisch schwer zu trennen [98].

  • Was bedeuten Riechstörungen für den Alltag?

Riechstörungen wirken sich hinsichtlich (1) der Gefahrerkennung im Alltag aus und führen z. B. zu mehr Lebensmittelvergiftungen, sie haben wesentliche Konsequenzen (2) für den Genuss von Nahrungsmitteln aufgrund der fehlenden Aromawahrnehmung, sodass das Essen fade schmeckt und das Belohnende, die Freude beim Essen fehlt, was zu Fehlernährung und Gewichtsverlust führen kann, und (3) die Kommunikation über Düfte geht verloren, was z. B. zu verminderter emotionaler Bindung zu Familienmitgliedern oder veränderter Sexualität führen kann. In etwa einem Drittel der Patienten mit Riechstörungen finden sich depressive Verstimmungen [99].

  • Wie ist die Prognose von COVID-19-assoziierten Riechstörungen?

Bei 80–95 % der Betroffenen mit COVID-19-assoziierten Riechstörungen kommt es zur weitgehenden Wiederherstellung des Riechvermögens innerhalb von 1–2 Monaten [100].

  • Gibt es pathophysiologisch unterscheidbare Subformen?


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12 Kardiologische Aspekte

12.1 Diagnostikempfehlungen

Kardiovaskuläre Komplikationen sind in den ersten 6 Monaten nach COVID-19 signifikant erhöht. Hierzu gehören insbesondere venöse Thrombosen, ischämische Schlaganfälle, Myokardinfarkte, Lungenembolien und auch das Auftreten einer Herzinsuffizienz (Post-acute COVID-19 syndrome) [1]. Auch im Vergleich zu Patienten mit durchgemachter Influenza-Pneumonie zeigen COVID-19-Patienten ein um ca. 30–50 % erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte und Schlaganfälle in der post-akuten Phase [101]. Die Inzidenz neu auftretender kardiovaskulärer Komplikationen in den ersten 6 Monaten nach COVID-19 ist direkt assoziiert mit dem Schweregrad der Akuterkrankung. Während der Akutphase hospitalisierte Patienten haben eine annähernde Verdoppelung der in der Folgezeit auftretenden kardiovaskulären Komplikation im Vergleich zu Patienten, die während der akuten COVID-19-Phase ambulant behandelt wurden [102].

Die häufig genannten kardiologischen Post-COVID-19-Symptome sind Dyspnoe, insbesondere unter Belastung evtl. Thoraxschmerzen, seltener Palpitationen und Tachykardien ([Abb. 1]).

Pathophysiologisch werden mehrere Mechanismen angeschuldigt, zu den kardialen Symptomen in der Post-COVID-19-Phase beizutragen. Hierzu gehören neben der direkten Virusinfektion des Herzens mit potenzieller Viruspersistenz insbesondere Folgen der generalisierten Inflammation sowie immunologische Mechanismen, die über eine Schädigung der Kardiomyozyten und einen fibrös-fettigen Umbau des Herzens zu einer reduzierten Pumpfunktion, zum Auftreten von Arrhythmien sowie auch zur autonomen Dysfunktion mit resultierenden Tachykardien unter vermehrter adrenerger Stimulation beitragen können. Eine echokardiografisch messbare Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion findet sich in ca. 10 % der Patienten 4–6 Monate nach COVID-19, eine NT-pro-BNP-Erhöhung als Ausdruck der kardialen Belastung in ca. 9 % der Patienten.


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12.2 Diagnostische Maßnahmen

Alle Patienten, die im Rahmen der COVID-19-Akutphase kardiovaskuläre Komplikationen erlitten hatten, sollten nach ca. 6–12 Wochen klinisch und mittels EKG und Echokardiografie einschließlich laborchemischer Bestimmung von NT-pro-BNP und hochsensitivem Troponin nachuntersucht werden. Patienten mit persistierenden Symptomen wie z. B. Atemnot unter Belastung, Thoraxschmerzen, Abgeschlagenheit und belastungsinduzierten Tachykardien sollten sich neben der pneumologischen Abklärung zusätzlich zur Echokardiografie einem Belastungs-EKG unterziehen. Weitere bildgebende Diagnostikverfahren sollten im Einzelfall in Betracht gezogen werden. Derzeit kann keine generelle Empfehlung für die Durchführung eines kardialen MRT in der Post-COVID-19-Phase ausgesprochen werden. Dies ist jedoch zweifelsohne bei Nachweis eines pathologischen Befundes im Echokardiogramm (reduzierte linksventrikuläre Funktion, diastolische Funktionsstörung) indiziert. Hochleistungssportler mit kardiovaskulären Komplikationen während der COVID-19-Akutphase sollten vor Wiederaufnahme kompetitiver sportlicher Aktivitäten auf jeden Fall eine kardiale MRT-Untersuchung mit dem Nachweis der kompletten Auflösung inflammatorischer Prozesse im Myokard vorweisen.


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12.3 Therapieoptionen

Grundsätzlich wird eine symptomorientierte Therapie empfohlen, die sich an den aktuellen Leitlinien zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen orientiert. Hierzu gehören die Einleitung einer Leitlinien-gerechten pharmakologischen Therapie bei Nachweis einer reduzierten Pumpfunktion sowie die Leitlinien-gerechte Antikoagulationstherapie bei während der Akutphase durchgemachten thromboembolischen Komplikationen. Eine generelle Empfehlung zu einer venösen Thrombo-Embolieprophylaxe bei unkompliziertem Akutverlauf kann derzeit für die Post-COVID-19-Phase nicht gegeben werden. Allerdings sollte die Indikation hierzu bei Hochrisikopatienten im Einzelfall großzügig gestellt werden. Eine Einschätzung hinsichtlich therapeutischer bzw. prophylaktischer Dosierung sollte mit dem Patienten unter Abwägung von Risiko und Nutzen bis zum Vorliegen konkreterer Daten besprochen werden. Bei Patienten mit orthostatischer Tachykardie oder inadäquater Sinustachykardie unter körperlicher Belastung ist eine Therapie mit einem niedrig dosierten Beta-Blocker oder Ivabradin zu erwägen. Besondere Vorsicht ist geboten bei der Verwendung von Amiodaron zur chronischen Behandlung des Vorhofflimmerns bei Patienten, die im Rahmen der akuten COVID-19-Phase fibrotische Lungenveränderungen entwickelt haben. Für Patienten mit normaler linksventrikulärer Pumpfunktion und normalen NT-pro-BNP-Werten mit inadäquater Belastbarkeit und Tachykardie unter körperlicher Belastung ist ein sich langsam steigerndes kardiales Ausdauertraining zu empfehlen.


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12.4 Häufig gestellte praxisrelevante Fragen

  • Frage: Sollte jeder Post-COVID-19-Patient ein kardiales MRT erhalten?

Mehrere Studien zur Wertigkeit des kardialen MRT in der Post-COVID-19-Phase berichten über pathologische Befunde in bis zu 70 % aller untersuchten Patienten, allerdings unter Einschluss bereits vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankungen [103] [104]. Die häufigsten pathologischen MRT-Befunde beziehen sich auf den Nachweis inflammatorischer Veränderungen im Myokard, während in lediglich ca. 10 % eine messbare Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion nachweisbar ist. Derzeit ist unklar, inwieweit die gemessenen MRT-Parameter der myokardialen Entzündung sich im Langzeitverlauf in strukturelle Veränderungen des Herzens umwandeln. Dazu werden derzeit mehrere Studien durchgeführt mit dem Ziel, den Übergang einer chronischen Entzündungsreaktion im Myokard in einen fibrotischen Umbau potenziell zu erfassen. Hierfür gibt es derzeit jedoch keine Evidenz.

Empfehlung

Aus oben genannten Gründen kann derzeit keine Empfehlung für die routinemäßige Durchführung eines kardialen MRT in der Post-COVID-19-Phase gegeben werden. Dies sollte Patienten mit in der Akut-COVID-19-Phase durchgemachten kardiovaskulären Komplikationen vorbehalten bleiben sowie bei Patienten mit pathologischen Befunden in der Echokardiografie bei entsprechender klinischer Symptomatik durchgeführt werden.

Bei Patienten mit thorakalen Schmerzen und/oder Abgeschlagenheit oder Dyspnoe unter Belastung und pathologischen Befunden im Belastungs-EKG ist im Einzelfall eine Entscheidung für die Durchführung einer CT-Angiografie (pulmonal und koronar) im Sinne eines „Double-Rule-Out“ zu stellen.

  • Frage: Ist eine Therapie der autonomen Dysfunktion mit orthostatischer Tachykardie oder inadäquater Sinustachykardie unter Belastung möglich?

Erfahrungsgemäß nehmen sowohl orthostatische Tachykardien als auch inadäquate Sinustachykardien unter Belastung mit zunehmender Zeit nach der Akut-COVID-19-Phase ab. Bei Ausschluss einer strukturellen Herzerkrankung mittels Echokardiografie sowie normalen NT-pro-BNP-Werten als Ausdruck einer adäquaten Alltagsbelastbarkeit des Herzens ist in erster Linie ein langsam aufsteigendes körperliches Ausdauertraining zu empfehlen, soweit dies ohne Symptomverschechterung toleriert wird. Dies kann unterstützt werden durch eine niedrig dosierte Beta-Blocker-Therapie, um die Sympathikus-Aktivierung zu reduzieren, oder auch durch die transiente Einnahme von Ivabradin (off label) zur Reduktion des Pulsfrequenzanstiegs. Die Auswirkungen des körperlichen Ausdauertrainings sollten spätestens nach 4–6 Wochen mittels neuerlicher Belastungstests überprüft werden.

  • Frage: Gibt es einen Nutzen für die Prophylaxe venöser thrombembolischer Ereignisse in der Post-COVID-19-Phase?

Während sich bei mittel- bis schwergradigen Akut-Verläufen ohne Notwendigkeit für Intensivbehandlung eine prophylaktische Antikoagulation als wirksam zur Vermeidung schwerwiegender Ereignisse einschließlich Mortalität erwiesen hat, gibt es für die Langzeit-Prophylaxe in der Post-COVID-19-Phase keine gesicherte Evidenz. Alle Patienten, die im Rahmen der Akut-Phase ein thromboembolisches Ereignis erlitten haben, müssen leitliniengerecht antikoaguliert werden. Bei unkomplizierten Akut-Verläufen ist die Indikation zur Thromboseprophylaxe in der Post-COVID-19-Phase bei Hochrisikopatienten (Adipositas, bekannte Thrombophilie, Immobilisation etc.) großzügig zu stellen und für ca. 3 Monate zu erwägen. Letztendlich handelt es sich um eine individuelle Entscheidung.

Empfehlung

Bei Post-COVID-19-Patienten, die kein kardiovaskuläres Ereignis während der Akutphase der Erkrankung hatten und die nicht immobil sind, ist keine Thrombose-Prophylaxe zu empfehlen.

  • Frage: Kommt es in der Post-COVID-Phase vermehrt zur Ausbildung einer arteriellen Hypertonie??

Die Ausbildung einer arteriellen Hypertonie nach durchgemachter akuter COVID-19 [105] tritt geringfügig häufiger auf als nach durchgemachter Influenza-Pneumonie. Die Therapie sollte leitliniengerecht erfolgen und die Notwendigkeit einer Dauertherapie mit Antihypertensiva nach Wiederaufnahme der körperlichen Aktivität überprüft werden. I. d. R. normalisieren sich die Blutdruckwerte nach Wiederaufnahme eines regelmäßigen körperlichen Ausdauer-Trainingsprogrammes bei Patienten, die vor COVID-19 keine arterielle Hypertonie hatten.


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12.5 Offene kardiologische Fragen

  1. Muss eine Myokarditis-Therapie erfolgen?

  2. Gibt es kardiale Langzeitfolgeschäden nach SARS-CoV-2-Infektion im Sinne eines fibrotischen Umbaus des Myokards und Entwicklung einer diastolischen Dysfunktion?

  3. Wie kann man durch die Infektion selbst ausgelöste entzündliche Veränderungen an Myokard oder Gefäßen von Autoimmunprozessen unterscheiden?


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13 Neurologische Aspekte

13.1 Einleitung

Die häufigsten neurologischen Beschwerden nach durchgemachter COVID-19-Infektion sind Fatigue, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Kopf- und Muskelschmerzen sowie anhaltende Geruchs- und Geschmacksstörungen. Auch autonome Dysregulationen werden beschrieben.

In einer prospektiven multizentrischen Kohortenstudie in Innsbruck [106] wurden 135 Patienten (23 % Intensivstation, 53 % Normalstation, 24 % ambulant) 3 Monate nach akuter COVID-19-Erkrankung untersucht. Es zeigten sich neurologische Syndrome: eine Hyposmie oder Anosmie, eine Polyneuro- und -myopathie sowie kognitive Defizite.

Nach COVID-19 können Schlaganfälle, ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS), Hirnnervenausfälle, Myositiden und Plexopathien auftreten. Auch eine autoimmune Enzephalomyelitis wurde 3 Monate nach COVID-19 beobachtet [107].

Kognitive Defizite, die sowohl im subakuten Stadium als auch im weiteren Verlauf nach COVID-19 häufiger gefunden werden, betreffen planerisches Denken, Konzentration, Gedächtnis- und/oder Sprachleistungen; das trifft in etwa in ¾ der Fälle zu, die Rehabilitation in Anspruch nehmen, und zwar sowohl bei initial leichten als auch schweren COVID-19-Verläufen, subakut und später (Post-COVID) [108] [109].


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13.2 Diagnostikempfehlungen

Eine Hyposmie oder Anosmie sollte über eine Testung (z. B. mit dem SS-16-Item Sniffin-Sticks-Test) objektiviert werden. Ergänzend kann der Bulbus olfactorius MR-tomografisch untersucht werden [110].

Bei kognitiven Defiziten sollte eine neuropsychologische Untersuchung inklusive des Montreal Cognitive Assessment (MoCA)-Testes erfolgen. Klinisch sollten insbesondere Beschwerden bez. der Konzentrationsfähigkeit, des Gedächtnisses, Sprache/Wortfindung und des planerischen Denkens beachtet werden. Bei Auffälligkeiten im Screening erfolgt eine detaillierte neuropsychologische Diagnostik und Behandlung.

Bei Hinweisen auf eine Enzephalopathie ist eine cMRT erforderlich. Gezielt kann die 18FDG-PET eingesetzt werden [111].

Die Untersuchung von Serum und ggf. auch Liquor auf ZNS-Autoantikörper gegen intrazelluläre und Oberflächenantigene ist bei persistierenden objektivierbaren neurologischen Symptomen nach COVID-19-Infektion sinnvoll. Laborchemisch sollten Entzündungsmarker, die Gerinnung (Thrombozyten!) und (Inflammations-)Zytokine untersucht werden. Die Ergebnisse müssen im klinischen Zusammenhang beurteilt werden.

Periphere neurologische Manifestationen machen die entsprechende neurophysiologische Diagnostik erforderlich.


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13.3 Therapieoptionen

  • Physio- und ergotherapeutische, neuropsychologische sowie sozialpädagogische Unterstützung (ambulante Heilmittel) sind erforderlich. Ggf. sollte eine ambulante oder stationäre Neurorehabilitation (auch bei kognitiven Störungen) initiiert werden.

  • Bei entsprechender Risikofaktorenkonstellation sollte eine Thromboseprophylaxe erfolgen.

  • Bei Hinweisen auf eine autoimmune neurologische Manifestation mit Autoantikörpernachweis sollte eine Gabe von intravenösen Immunglobulinen, Kortikoiden oder Plasmapherese erfolgen.


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13.4 Häufig gestellte praxisrelevante Fragen

  • Frage: Bei welchen neurokognitiven Symptomen ist eine Testung zweckmäßig?

    • Bei Störungen der Exekutivfunktionen, die planmäßiges Handeln und Affektkontrolle betreffen.

    • Bei Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, die mit Berufstätigkeit oder Alltag interferieren.


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13.5 Offene neurologische Fragen

  • Wie erklären sich die neurologischen Ausfälle?

  • Gibt es einen Patientenphänotyp, der bei Post-COVID bzw. bei Long-COVID ein neurologisches Cluster entwickelt?


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14 Schmerzen

Neu aufgetretene, primär chronische Schmerzen sind ein häufiges Symptom im Rahmen von Post-/Long-COVID, welches i. d. R. mit anderen Beschwerden in Kombination, v. a. Fatigue, auftritt. Aus diesem Grund wurden die damit verbundenen Fragen in einem interdisziplinären Kapitel abgehandelt. Eine Meta-Analyse von Kohorten-Studien berichtete eine Häufigkeit von 44 % anhaltenden Kopfschmerzen und 19 % Gliederschmerzen nach akuter COVID-19-Infektion [112]. Aufgrund der Datenlage zu Schmerzen in der Akutphase von COVID-19-Infektionen und den ersten Erfahrungen mit Patienten mit Long-COVID sind in der Krankenversorgung künftig unterschiedliche Formen neu aufgetretener chronischer Schmerzen zu erwarten [113] [114] [115]:

Kopfschmerzen

  • Primär vom Phänotyp der Migräne und/oder vom Spannungskopfschmerz, New daily persistent headache

  • Sekundär nach COVID-19-assoziierten zerebrovaskulären Erkrankungen

Muskel- und Gelenkschmerzen

  • Nicht-entzündlich und multilokulär (fibromyalgieform). Eine Überlappung mit dem CFS ist möglich.

  • Polyarthritis, ähnlich rheumatoide Arthritis

  • Polyarthralgien, ähnlich wie bei Kollagenosen

  • Critical Illness-Myopathie

Nervenschmerzen

  • Primäre Nervenschmerzen

  • Nervenschmerzen nach COVID-19-assoziierten neurologischen Komplikationen

14.1 Empfehlungen zur Diagnostik

Zur Einschätzung von Symptomatik einschließlich des Schweregrads von chronischen Schmerzen sollten einfach zu erhebende psychometrische Selbstauskunftsinstrumente wie die deutsche Version des Brief Pain Inventory verwendet werden. In Abhängigkeit von der Schmerzlokalisation und vom Schmerztyp können spezifische Fragebögen eingesetzt werden, z. B. bei multilokulären Muskel- und Gelenkschmerzen der Fibromyalgiesymptomfragebogen, bei Kopfschmerzen der Kieler Kopfschmerzfragebogen oder bei neuropathischen Schmerzen der DN2.

Die klinische Diagnostik beinhaltet eine ausführliche Anamnese einschließlich Screeningfragen auf Depression, Schlafstörungen und Angststörung, schmerzbezogenes Katastrophieren und eine eingehende klinische Untersuchung. Eine Labordiagnostik sollte in Abhängigkeit von den Leitsymptomen erfolgen. Bei Verdacht auf eine entzündlich rheumatische Erkrankung sollte eine rheumatologische Abklärung und bei Verdacht auf einen neuropathischen Schmerz eine neurologische Abklärung erfolgen. Bei Unsicherheiten bzgl. des Vorliegens eines FMS, einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung, einer Small fiber-Neuropathie oder der Einordnung der Kopfschmerzsymptomatik sollte eine schmerzmedizinische bzw. rheumatologische bzw. neurologische Abklärung erfolgen.


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14.2 Therapieoptionen

Bisher ist keine Prävention und kausale Therapie Long-COVID assoziierter Schmerzen bekannt. Komorbiditäten sollten im Therapiekonzept mitberücksichtigt werden.

Eine symptomatische Therapie abhängig von der Art der Schmerzen wird in Anlehnung an die jeweiligen AWMF-Leitlinien empfohlen.

Weitere Literaturlinks im Supplement


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14.3 Offene Fragen zum Schmerz

  • Was sind Prädiktoren und die pathophysiologischen Mechanismen der verschiedenen Schmerzsyndrome nach COVID-19?

  • Gibt es andere Behandlungsoptionen, die über die in den obigen Leitlinien dargestellten Therapieoptionen hinausgehen?


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15 Pädiatrische Aspekte

15.1 Einleitung

Zur Zeit liegen nur wenige systematische Daten zum „Post-/Long-COVID“ entsprechend der National Institute for Health and Care Excellence (NICE)-Definition für Kinder und Jugendliche (Menschen < 18. Lebensjahr) vor („Zeichen und Symptome, die sich während oder nach einer COVID-19-Erkrankung zeigen und für mehr als 12 Wochen bestehen und nicht durch eine alternative Diagnose erklärt werden“) [116] [117] [118]. Bekannt ist bisher, dass der Großteil SARS-CoV-2-infizierter Kinder wenig bis asymptomatisch ist. Ein kleiner Teil der akut infizierten Kinder hat jedoch schwere Verläufe oder entwickelt ein entzündliches Multisystem-Syndrom, eine postvirale Entzündungsreaktion auf COVID-19 (MIS-C, PIMS-TS, Kawasaki-like-Syndrom). Ein Teil der Berichte beruht mehr auf Erhebung von durch Eltern berichteten Symptomen, denn auf systematischen klinischen Untersuchungen [119]. Insbesondere bei Kindern sind daher sorgfältige Untersuchungen notwendig, um die Symptome des Kindes differenziert zu beschreiben und daraus Therapie- und Betreuungsoptionen zu entwickeln, die Kindern und Eltern gerecht werden. Schwierig bleibt bei Kindern auch die Abgrenzung zu nicht kausal durch SARS-CoV-2-Infektion verursachten seltenen schweren Erkrankungen und Störungen, die sich im gleichen Alter mit ähnlichen Symptomen manifestieren können (z. B. Zöliakie). Bei Schilderung von Symptomen und Zeichen (s. o.), die auf ein Post-/Long-COVID hinweisen können, sollte bei Kindern zunächst eine klinische Untersuchung und Basisdiagnostik durchgeführt werden (Labordiagnostik, Spirometrie mit Laufbelastung). Eine weiterführende Diagnostik sollte erst bei Persistenz der Symptome (> 4 Wochen) oder Hinweisen in der Basisdiagnostik durchgeführt werden.


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15.2 Diagnostikempfehlungen (entsprechend vorliegender Klinik)

Basisdiagnostik:

  • Blutbild und Differenzialblutbild, CRP, BSG, Ferritin

  • Spirometrie mit Laufbelastung ab 5. Lebensjahr inklusive Pulsoxymetrie (pSaO2)

Labordiagnostik bei entsprechender Befundlage:

  • venöse BGA inkl. Laktat, Glukose

  • Natrium, Kalium, Chlorid, Kalzium, Phosphat, Magnesium,

  • CK, Trop I/T, NT-proBNP, D- Dimere

  • GOT, GPT, GGT, Kreatinin, Harnstoff, Gesamteiweiß

  • IgG, IgA, IgM, IgE

  • TSH, fT4

  • ANA, dsDNA-AK

  • SARS-CoV-2-IgG

  • EBV-VCA-IgM, -IgG, EBNA-IgG

Erweiterte Labordiagnostik nach entsprechender Befundlage:

  • Serum:

    • ACTH, Cortisol basal

    • Vitamine B12, B6, B1, Folsäure, Zink, Vitamin D3

    • Transglutaminase oder Endomysium IgA-AK (vorherige Bestimmung von Gesamt IgA erforderlich)

  • C3/C4

  • Urinanalyse: pH, Glucose, Protein, Hb, Nitrat, spez. Gewicht

  • Stuhl: Calprotectin

Erweiterte Funktionsdiagnostik nach entsprechender Befundlage:

  • Lungenfunktionsuntersuchung: Bodyplethysmografie, CO-Diffusion und Laufbelastung (zur Abklärung einer obstruktiven/restriktiven Lungenerkrankung oder einer pulmonalen Schädigung infolge der Infektion als Ursache für die Belastungsintoleranz)

  • Kinderkardiologische Untersuchung: EKG, Echokardiografie, Spiroergometrie, Orthostase-Test zum Ausschluss einer kardiologischen Grunderkrankung oder Rhythmusstörung bei Belastungsintoleranz und Screening auf autonome Dysregulation

  • Ophthalmologisches Konsil: Visusprüfung, Ausschluss entzündlicher Fokus

  • HNO-Arzt: Ausschluss entzündlicher Fokus, Abklärung Schwindel, Anosmietestung

  • Psychologisches Konsil: Ausschluss: Depression, Angststörung etc.

  • Neuropädiatrisches Konsil: Untersuchung, EEG, Ausschluss Neuropathie (z. B. quantitativ sensorische Testung [QST])

Bildgebende Diagnostik nach entsprechender Befundlage:

  • Echokardiografie

  • Sonografie des Abdomens (zur Abklärung RF oder entzündlicher Fokus)

  • Röntgen-Thorax, ggf. Low-dose-CT-Thorax ohne KM (pulmonale Infiltrate)

  • MRT des Kopfes (ohne Kontrastmittel, mit Angiosequenz)


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15.3 Therapieoptionen

Für Kinder und Jugendliche liegen zurzeit keine evaluierten Therapieempfehlungen für ein Post-/Long-COVID vor. Die Therapie sollte beschwerdeorientiert eingeleitet und deren Wirksamkeit kurzfristig evaluiert werden.

Das PIMS als Folge der COVID-19-Erkrankung wird nach entsprechender Konsenusempfehlung behandelt [120].


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15.4 Häufig gestellte praxisrelevante Fragen

  • Frage: Welche Risikofaktoren und Inzidenz von „Post-COVID“ findet sich bei Kindern und Jugendlichen (Epidemiologie)?

Inzidenz und Prävalenz einer Post-COVID-Symptomatik sind im Kindes- und Jugendalter unklar. Prospektiv erhobene populationsbasierte Daten fehlen weitgehend. In einer amerikanischen Kohortenstudie wurde bei Kindern und Jugendlichen nach ambulant oder stationär behandelter SARS-CoV-2-Infektion im Vergleich zu einer gematchten Kohorte in einem Follow-up von bis zu 120 Tagen keine Häufung von Neudiagnosen festgestellt [121]. Daten aus Italien zeigen bis zu 40 % persistierende Beschwerden bis zu 3 Monate nach Infektion.

Darüber hinaus zeigen zwei Arbeiten aus Großbritannien eine Prävalenz von 4–5 % symptomatischer Kinder 28 Tage nach SARS-CoV-2-Infektion [122] [123], 1,8 % waren nach mehr als 56 Tagen noch symptomatisch [122].

Die Schwere der primären COVID-19-Erkrankung scheint nicht zwangsläufig ausschlaggebend für das Post-COVID-Risiko. Auch eine Geschlechterwendigkeit oder eine spezifische Altersgruppe wird nicht angegeben [117]. Die Schwere der primären COVID-19-Erkrankung ist nicht ausschlaggebend für das Post-COVID-Risiko.

  • Frage: Welche klinischen Manifestationen finden sich bei Kindern und Jugendlichen (im Vergleich zu Erwachsenen)?

Die Manifestationsformen bei Kindern und Erwachsenen sind ähnlich, eine Befragung vom 510 pädiatrischen Patienten ergab [124]:

Schwäche, Müdigkeit (88 %), Fatigue (80 %), Kopfschmerzen (80 %), Bauchschmerzen (76 %), Muskelschmerzen (68 %), verringerte Belastbarkeit (57 %), Hautausschlag (52 %). Eine systematische Erhebung fehlt hier. Die Symptomwichtung ist in verschiedenen Studien unterschiedlich.

Daten bez. einer persistierenden Lungenfunktionseinschränkung nach milder und moderater SARS-CoV-2-Infektion liegen bei Kindern und Jugendlichen nicht vor, wenige schwere Verläufe mit längerer Rekonvaleszenz bei pulmonal vorerkrankten Patienten sind beschrieben [125] [126].

  • Frage: Therapieoptionen im Kindes- und Jugendalter?

Ähnlich wie im Erwachsenenalter sollte sich die Therapie nach Abklärung wichtiger Differenzialdiagnosen an den individuellen Beschwerden der Patienten orientieren. Daten zu einer kausalen Therapie liegen noch nicht vor.


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16 Pneumologische Aspekte

16.1 Einleitung

Die klinischen Manifestationen von COVID-19 reichen von asymptomatischen/milden Symptomen bis hin zu schweren Erkrankungen mit Hospitalisierung und Todesfällen [127]. Die meisten Patienten erholen sich nach der Erkrankung unabhängig vom Schweregrad, 10–15 % der Patienten bleibt nach akuter Erkrankungsphase symptomatisch [128].


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16.2 Diagnostikempfehlungen

Basierend auf den Daten zu milden und schweren COVID-19-Verläufen sind die Symptomkonstellationen u. U. different. Pulmonale Beschwerden wie Husten oder Luftnot sind multifaktoriell und nicht zwingend assoziiert mit abnormaler Bildgebung oder Lungenfunktion [129] [130].

16.2.1 Dyspnoe/thorakale Beschwerden

Dyspnoe und unspezifische thorakale Beschwerden sind häufig aufgeführte Symptome 3–6 Monate nach Erkrankung und bedürfen der Abklärung mittels Funktionstests in Ruhe (insbesondere Diffusionskapazität, Blutgasanalyse) und unter Belastung (6-Minuten-Gehtest, Ergospirometrie) sowie ggf. einer weiteren z. B. kardialen Diagnostik (s. Kapitel „Kardiologie“). Unter Berücksichtigung möglicher Vorerkrankungen und in Abhängigkeit der Befunde schließt sich die entsprechende Bildgebung und ggf. auch Pleurasonografie an.


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16.2.2 Schlafmedizinische Störungen (Ein-, Durchschlaf-, Konzentrationsstörung)

Bei schweren COVID-19-Verläufen treten nicht erholsamer Schlaf mit Müdigkeit sowie Ängstlichkeit und depressive Beschwerden bei einem relevanten Anteil der Patienten auf [45]. Die Produktion von Zytokinen im zentralen Nervensystem („glymphatisches System“) [131] kann postvirale Symptome verursachen, da pro-inflammatorische Zytokine zu einer autonomen Beeinträchtigung führen, die u. a. zu hohem Fieber führt. Langfristige Folgen sind dysregulierter Schlaf-Wach-Zyklus, kognitive Beeinträchtigung, Anhedonie, Distress und Anergie [132]. In den bislang vorliegenden schlafmedizinischen Untersuchungen zeigen sich insbesondere Insomnien [133]. Des Weiteren gibt es Hinweise auf REM-Phasen-assoziierte Schlafstörungen [134] als Ausdruck der zerebralen infektassoziierten Pathologie [135], jedoch liegen noch keine systematischen Untersuchungen vor. Insomnien treten auch als Kollateralschaden der Pandemie in der nicht an COVID-19 erkrankten Bevölkerung gehäuft auf. Ursachen sind u. a. Reizüberflutung, Bildschirmarbeit, Unsicherheit und Angst [136].

Zur schlafmedizinischen Diagnostik ist je nach Ausprägung eine Screening-Polygrafie (PG) zu erwägen, und ggf. sollte eine (Video-)Polysomnografie angeschlossen werden.


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16.2.3 Husten

Husten findet sich post-akut häufig. Bei persistierendem Husten ist eine weiterführende Abklärung in der aktuellen deutschen Hustenleilinie aufgeführt [137]. Die Lungenfunktion mit Bronchospasmolyse und ggf. ein unspezifischer Provokationstest sind wichtige diagnostische Untersuchungen in der Abklärung.


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16.3 Therapieoptionen

Es wird eine symptomorientierte, sofern möglich leitlinienadaptierte Therapie empfohlen, die sich an aktuellen Evidenzen orientiert. Die unterstützende Atem- und Physiotherapie kann hilfreich sein.


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16.4 Häufig gestellte praxisrelevante Fragen

  • Frage: Welche Bildgebung benötigen wir für Post-/Long-COVID-Patienten?

SARS-CoV-2 kann eine Vielzahl verschiedener Lungenpathologien verursachen (u. a. z. B. diffuse alveolar damage (DAD), akute fibrinöse organisierende Pneumonie (AFOP), lymphozytische Pneumonitis und vielleicht auch andere Muster). Das häufigste bildgebende Korrelat sind Milchglastrübungen, während Retikulationen, Konsolidierungen sowie Traktionsbronchiektasen in der chronischen Phase selten zu sehen sind [36] [45] [138] [139].

Für einen Großteil der stationär versorgten Patienten, die schwer an COVID-19 litten und keine mechanische Beatmung benötigen, ist es unwahrscheinlich, dass pulmonale, kardiale bzw. thromboembolische Komplikationen nach Entlassung aus dem Krankenhaus fortbestehen [140]. Ob und inwiefern eine interstitielle Lungenerkrankung bei den initial schwer an COVID-19 Erkrankten entsteht, ist Gegenstand der Forschung.

Algorithmen empfehlen, dass sich Patienten mit pulmonalen Beschwerden und funktionellen Einschränkungen zunächst einer konventionellen Röntgenuntersuchung des Thorax unterziehen [141]. Werden dort bzw. in der Funktionsdiagnostik abnorme Befunde erhoben, sollten eine (Angio-)CT bzw. wenn verfügbar eine Dual Energy CT (DECT) durchgeführt werden [142]. Hierdurch ist ein großer Anteil denkbarer Veränderungen gut dargestellt. Sollten sich Hinweise auf eine periphere Thromboembolie bzw. unklare Befunde finden, sollte eine Ventilations-Perfusions-Szintigrafie ergänzt werden [143]. Selten findet sich eine postinfektiöse obliterative Bronchiolitis, hier wird eine CT in Exspiration (airtrapping) benötigt.

Bei Befunden, die für einen progressiven interstitiellen Prozess sprechen, sollte zur weiteren Abklärung eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) und ggf. Biopsie diskutiert werden, entsprechend den Empfehlungen zur Diagnostik von interstitiellen Lungenerkrankungen [144] [145].

  • Ist eine systemische Steroidtherapie notwendig bei radiologischen Lungenresiduen im Rahmen des Post-/Long-COVID-Syndroms?

Es konnte gezeigt werden, dass nach 60 bzw. 100 Tagen Follow-up bei Patienten nach COVID-19 die pathologischen Veränderungen abnehmen [146]. Das gilt vor allen Dingen für die Milchglasveränderung und die Retikulation, aber auch die bronchiale Dilatation. Das trifft für Patienten mit mildem bis kritischem Akutverlauf zu [146]. Ob und wie oft es zu einer progressiven Fibrosierung der Lunge kommt, ist unklar. Bisher liegen nur wenige kasuistische Daten vor, sodass über eine immunsuppressive Therapie im Einzelfall entschieden werden sollte, wenn nach entsprechender Abklärung ein progredienter interstitieller Lungenprozess vorliegt. Für eine antifibrotische Therapie gibt es aktuell keine Evidenz.

  • Frage: Gibt es einen Nutzen von Bronchodilatatoren und/oder Steroiden als Inhalationsmedikation bei post-viralem Husten?

Anhaltender Husten ist ein häufiges Symptom bei COVID-19 in den ersten 6–12 Wochen nach der akuten Erkrankung, das sich im weiteren zeitlichen Verlauf verbessern kann. Bei stärkerer Symptomatik oder persistierenden Beschwerden kann in Analogie zu den Empfehlungen bei postinfektiösen Husten [137] ein Therapieversuch mit einem inhalativen Kortikosteroid und/oder Beta-2-Sympathikomimetikum durchgeführt werden, insbesondere, wenn Hinweise für eine bronchiale Hyperreagibilität bestehen. Ggf. sind auch muskarinerge Substanzen bei postinfektiösem Husten wirksam [137] [147].


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16.5 Offene pneumologische Fragen

  • Haben Patienten mit einer interstitiellen Lungenerkrankung (ILD) ein Risiko für eine Aktivierung ihrer Grunderkrankung durch SARS-CoV-2?

  • Gibt es eine Prädisposition oder Faktoren, die einen fibrotischen Verlauf begünstigen?

  • Kann eine frühzeitige systemische oder inhalative Kortikosteroidtherapie (ICS-Therapie) den Husten nachhaltig günstig beeinflussen?


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17 Psychische Aspekte

17.1 Einleitung

17.1.1 Pathogenetische Zusammenhänge psychischer Störungen und Post-/Long-COVID-19

Psychische Symptome werden aktuell überwiegend als Folge der Infektion mit COVID-19 und der damit assoziierten Belastungen und persistierenden Einschränkungen diskutiert. Es ist hinreichend belegt, dass psychische und psychosomatische Vorerkrankungen Vulnerabilitätsfaktoren für das Auftreten von psychischen Post-COVID-Symptomen darstellen. Zudem legen psychoneuroimmunologische Konzepte nahe, dass insbesondere Stress zur Verschlechterung und Chronifizierung von inflammatorischen Erkrankungen beitragen kann [148]. Hinsichtlich Depression wird zudem ein Beitrag von Zytokinsturm, Mikrogliaaktivierung und Makrophagenüberaktivierung zur Depressionsentstehung diskutiert [149] [150]. Zur Verhinderung einer wechselseitigen Chronifizierung ist daher zu empfehlen, frühzeitig diagnostisch und therapeutisch aktiv vorzugehen, da präventive Effekte einer psychosomatischen oder psychiatrischen Behandlung zu erwarten sind, auch wenn die Evidenz für dieses Vorgehen aktuell noch fehlt.


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17.1.2 Prävalenz von psychischen Symptomen und Erkrankungen bei Post-/Long-COVID

Bereits nach einer SARS-CoV-Infektionswelle in Singapur 2003 konnten erhöhte Stressindikatoren einschließlich einer veränderten endokrinen Stressreaktion und gehäuftem Auftreten von psychischen Erkrankungen festgestellt werden. Dabei zeigten Überlebende einer SARS-CoV-Infektion 3 Monate bis 4 Jahre nach der Erkrankung in zwischen 15 und 60 % der Fälle Hypocortisolämie, erhöhte Angst- und Depressionswerte, Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), einer somatoformen Schmerzstörung oder einer Zwangsstörung, meist gemessen mit validierten Fragenbögen bzw. Patient Reported Outcomes (PROMs) [151] [152] [153] [154] [155] [156]. Zahlreiche Studien zu COVID-19, meist an Patienten nach stationärer Behandlung, aber auch Studien an positiv-getesteten Erkrankten, bestätigen nun diesen Zusammenhang auch für die Erkrankung mit SARS-CoV-2 [157] [158], darunter eine Meta-Analyse von 82 Studien über psychosomatische und psychiatrische Komorbidiäten bei SARS-CoV-Infektionen und COVID-19, die Symptome von Depression, Angststörungen und Stress in je 23 %, Schlafstörung in 26 % und PTBS in 24 % bei Überlebenden einer Infektion ermittelten [159] sowie eine Meta-Analyse an 28 Studien mit Patientendaten 3 Monate nach stationärer Aufnahme oder 2 Monate nach Entlassung, die PTBS in 39 %, Depression in 33 % und Angststörungen in 30 % der Fälle errechnete [160].

Im vertiefenden Detail fand sich eine auf 6 % erhöhte Inzidenz von psychosomatischen und psychiatrischen ICD-10-Erstdiagnosen in einer retrospektiven Studie an über 44 000 Überlebenden einer SARS-Cov-2-Infektion im Zeitraum 14–90 Tage nach Infektion, darunter Angsterkrankungen, Depression, Schlafstörungen und Demenz, während in einer Kontrollkohorte nur 2,5–3,4 % detektiert werden konnten [161] [162]. In einer Studie an 402 Überlebenden einer SARS-CoV-2-Infektion wurde bei 56 % wenigstens eine psychische Erkrankung einen Monat nach Erkrankung ermittelt [163]. Der Einsatz von Instrumenten wie dem Patient Health Questionaire (PHQ), dem State and Trait Anxiety Index (STAI) oder der PTBS-Checkliste für Zivilpersonen (PCL-C) zeigte auf verschiedenen Kontinenten (Amerika, Europa, Asien) zwischen 3 Wochen und 3 Monaten nach Erkrankung substanzielle Prozentsätze an Überlebenden mit den folgenden Symptomen bis zu: 60 % Fatigue [164], 40 % Schlafstörung [163], 42 % Depressionen [163] [165] , 42 % Angststörungen [163] [165], 34 % PTBS [163] [165] [166] [167] [168], 20 % Stresssymptomen [164], 20 % Zwangsstörungen [163]. Virusinfektionen werden zudem in Zusammenhang mit der Entwicklung von Psychosen gebracht [169].

Bei klinischem Verdacht auf psychische Symptome im Sinne einer Fatigue (siehe hierzu Kapitel 5), Depression, Angststörung, PTBS, Zwangsstörung, Somatisierungsstörung, Anpassungsstörung, Psychose oder Suizidalität nach COVID-19 ist ein Screening auf das Vorliegen einer entsprechenden Diagnose mittels geeigneter Screeningfragen ([Tab. 1]) oder eines geeigneten validierten Screeninginstruments anzustreben (z. B. FSS, PHQ, GAD, HADS, GAF, WHODAS 2.0, SCL90, SOMS, IES, ICDL). Die Datenlage zu Laboruntersuchungen, insbesondere zur Erhärtung einer Stress-assoziierten Diagnose, ist derzeit noch zu uneinheitlich für eine Empfehlung. Die Diagnostik sollte entsprechend den Richtlinien für die jeweilige Verdachtsdiagnose erfolgen (https://www.awmf.org/leitlinien/).

Tab. 1

Screeningfragen zu psychosomatischen und psychiatrischen Erkrankungen. Auswahl Kernscreeningfragen in Anlehnung an Leitlinienempfehlungen, operationalisierte psychodynamische Diagnostik (OPD) [170] und Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV (SKID) [171].

Frage

Verdachtsdiagnose

  • Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?

  • Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Depression

  • Haben Sie schon einmal einen Angstanfall gehabt, bei dem Sie plötzlich von Angst, Beklommenheit und Unruhe überfallen wurden?

  • Haben Sie manchmal unbegründet Angst z. B. in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf öffentlichen Plätzen, vor besonderen Situationen, Gegenständen oder Tieren?

  • Haben Sie sich im letzten Monat oder länger ängstlich, angespannt oder voller ängstlicher Besorgnis gefühlt?

Angststörung

  • Haben Sie ein ungewöhnlich schreckliches oder lebensbedrohliches Ereignis erlebt, unter dessen Nachwirkungen Sie heute noch leiden?

PTBS

  • Leiden Sie unter Angst, wenn Sie bestimmte Dinge nicht tun können, wie z. B. die Hände waschen, und müssen Sie diese Handlungen extrem häufig durchführen?

  • Haben Sie jemals unter Gedanken gelitten, die unsinnig waren und immer wieder kamen, auch wenn Sie es gar nicht wollten?

Zwangsstörung

  • Leiden Sie unter häufigen und wechselnden Beschwerden (z. B. Kopf-, Brust-, Gelenk-, Muskel- oder Bauchschmerzen, Darmbeschwerden, Hautjucken, Herzrasen oder Luftnot), für die die Ärzte keine hinreichend erklärende Ursache finden?

Somatisierungsstörung

  • Fühlen Sie sich mit der Bewältigung eines einschneiden-den Ereignisses in Ihrem Leben so stark belastet, dass dadurch Ihr Befinden spürbar beeinträchtigt ist?

Anpassungsstörung


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17.2 Behandlungsoptionen

Psychische Symptome und Erkrankungen sind in der Planung und Durchführung einer Post-/Long-COVID-19-Behandlung und Rehabilitation zu berücksichtigen, inklusive der Behandlung von Fatigue (siehe hierzu Abschnitt 5) und Stresssymptomen. Die häufig berichteten Bedürfnisse nach Ruhe und Stressreduktion sowie Symptome von Reizüberflutung und Überforderung sollten ernst genommen und ausreichend Zeit zur Regeneration gewährt werden. Psychotherapeutische Behandlung ist angezeigt, wenn eine klinisch relevante Diagnose gesichert ist oder die subjektive Belastung so groß ist, dass Lebensqualität und Alltagsbelastung deutlich eingeschränkt sind. Aktuell laufen Studien zur Effizienz von verhaltenstherapeutischen Konzepten bei Patienten mit Psychopathologie nach COVID-19 [172]. Bei schweren Formen von Depressionen und Angststörungen sollte auch leitliniengerecht eine psychopharmakologische Mitbehandlung erwogen werden. Bei Persistenz oder Exazerbation der Symptomatik im ambulanten Setting ist die stationäre Akut-Behandlung bzw. Rehabilitation angezeigt. Zentral ist die multimodale Behandlung der Patienten [148]. Dies schließt auch die Einbindung von Selbsthilfe-Gruppen (z. B. Long-COVID Deutschland) und von sozialen Interventionen ein.

Empfehlung

Psychische Beeinträchtigungen sollten angehört, ernst genommen und diagnostisch abgeklärt werden. Bei Verdacht auf Einschränkungen der psychischen Gesundheit (anhaltende Erschöpfung, anhaltende Niedergeschlagenheit, unbegründete Ängste, Einschränkung der Lebensqualität usw.) sollte eine entsprechende Diagnostik und Therapie eingeleitet werden, um frühzeitig eine adäquate Behandlung in die Wege leiten zu können und Chronifizierung zu verhindern.


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17.3 Häufig gestellte praxisrelevante Fragen

  1. Welche psychosomatisch/psychiatrischen Angebote können in der Allgemeinarztpraxis gemacht werden?

    Angebote im Sinne der psychosomatischen Grundversorgung. Eingangs offene Fragen stellen: nach allgemeinem und seelischem Befinden, nach einem verständigen und unterstützenden Umfeld, nach logistischen und finanziellen Sorgen. Patienten mit Ergebnis-offener und Wertungs-freier Haltung ihre Situation in eigenen Worten darstellen lassen. Bei spezifischen Sorgen und Themen: Aufklärung über Stand des Wissens zu Häufigkeiten der Entwicklung entsprechender psychischer Störungen nach einer durchgemachten COVID-19-Erkrankung (s. o.), gemeinsame Erarbeitung positiver Entwicklungsschritte und Einflussfaktoren im Sinne einer Ressourcen aktivierenden Gesprächsführung. Eine antidepressive Medikation kann entsprechend der AWMF-Leitlinie Depression bei leichter bis mittelgradig depressiver Symptomatik, wie sie meist im allgemeinärztlichen Kontext gesehen wird, nicht empfohlen werden.

  2. Wie kann eine psychische Belastung oder Erkrankung, die eine spezialisierte Behandlung erforderlich macht, effizient ermittelt werden?

    Im Verdachtsfall die oben gelisteten Screening-Fragen ([Tab. 1]) stellen, bei Bejahung einer Frage entsprechende Verdachtsdiagnose benennen und wenn möglich zunächst im Sinne der psychosomatischen Grundversorgung Gespräch anbieten. Ggf. oben genannte Screening-Fragebögen ausfüllen lassen. Zur weiterführenden Diagnostik und Einleitung einer geeigneten Therapie fachspezifische Überweisung in die Psychosomatik oder Psychiatrie anbieten.

  3. Wo kann fachspezifische Betreuung gefunden werden?

    Spezialisierte Psychosomatik- oder Psychiatrie-Sprechstunden werden z. B. im Rahmen von Institutsambulanzen (PsIA und PIA) an den meisten Universitäts- und größeren Regionalkrankenhäusern angeboten bzw. über COVID-19-Sprechstunden vermittelt. Die ärztliche (Facharzt für Psychosomatik, Facharzt für Psychiatrie) und psychologische Psychotherapeutensuche kann über die Suchseiten der Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgen.


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17.4 Offene psychiatrische Fragen

  • Gibt es einen Phänotyp für psychiatrische Symptome?


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18 Rehabilitation

Es gibt erste Hinweise, dass Rehabilitation für eine unterstützende Genesung bei Post-/Long-COVID sorgen kann [173] [174].

18.1 Häufig gestellte praxisrelevante Fragen I

  • Frage: Welcher Kostenträger ist zuständig und wie kann eine Rehabilitationsmaßnahme eingeleitet werden?

Rehabilitative Behandlung umfasst ein weites Spektrum von rehabilitativen Therapieoptionen für COVID-19-Betroffene. Sie umfasst ambulante Heilmittel einerseits und reicht bei initial schwerem Verlauf von der sehr frühen Rehabilitation noch auf einer Intensivstation über die Frührehabilitation im Akutkrankenhaus, die Anschluss-Rehabilitation bzw. die rehabilitativen Heilverfahren in speziellen Rehabilitationseinrichtungen bis hin zur Rehabilitations-Nachsorge und Langzeit-Rehabilitation (siehe [175]).

Die Zuweisung zur und Aufnahme in der Frührehabilitation und Rehabilitation sind dabei unterschiedlich geregelt, wie auch je nach individuell spezifischer Konstellation verschiedene Leistungsträger zuständig sein können: die gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung bzw. auch die gesetzlichen Unfallversicherungen (Berufsgenossenschaften), aber auch andere Leistungsträger wie die private Krankenversicherung und die Beihilfe. Ggf. besteht auch eine subsidiäre Zuständigkeit der Sozialhilfe und bzw. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Während für die Frührehabilitation in einem anderen spezialisierten Krankenhaus die Direktverlegung (i. d. R. ohne Vorabbewilligung der Krankenversicherung) erfolgt, bedarf es für die medizinische Rehabilitation eines Antrages beim zuständigen Kostenträger. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ist als Rehabilitationsleistungsträger zuständig für Erwerbstätige, Bezieher einer Rente wegen Erwerbsminderung oder Arbeitssuchende. Hier zählt auch bei Post-/Long-COVID der Grundsatz: „Reha vor Rente“. Die DRV erbringt mit der Finanzierung von Reha-Maßnahmen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie mit der Finanzierung von Weiterbildungen und Umschulungen bspw. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie unterhaltssichernde Leistungen (Übergangsgeld). Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat die Aufgabe, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit bei Post-/Long-COVID abzuwenden, zu mindern, zu beseitigen oder auszugleichen. Dabei ist sie v. a. für nicht berufstätige Erwachsene und Rentner der zuständige Kostenträger. Auch die GKV erbringt Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, einschließlich unterhaltssichernde Leistungen (Krankengeld) und andere ergänzende Leistungen (u. a. Rehabilitationssport). Hier zählt der Grundsatz: „Reha vor Pflege“. Für Kinder und Jugendliche sind DRV und GKV gleichermaßen zuständig. Für Leistungen aufgrund einer vorliegenden Berufskrankheit ist die Gesetzliche Unfallversicherung zuständig.

Im stationären Bereich werden der ärztliche Dienst und Betroffene in diesen Fragestellungen durch den Sozialdienst unterstützt. Im ambulanten Bereich ist oftmals der behandelnde Arzt der primäre Ansprechpartner. Auch die gemeinsamen Servicestellen der Rehabilitationsträger sind im ambulanten Bereich für Beratung und Unterstützung Ansprechpartner und sollen dazu beitragen, dass Fragen der Zuständigkeit und des Rehabilitationsbedarfs rasch geklärt und Entscheidungen beschleunigt werden. Die gemeinsamen Servicestellen unterstützen Betroffene von der Antragstellung bis zum Abschluss des Verfahrens (Infos u. a. unter http://www.reha-servicestellen.de/).

  • Frage: Wann sollen ambulante Heilmittel bzw. teilstationäre oder stationäre medizinische Rehabilitation verordnet werden?

Bei erst später im Verlauf festgestellten Post-/Long-COVID-Symptomen sollen nach der ärztlich diagnostischen Abklärung primär ambulante Heilmittel verordnet werden, um die eingeschränkten Körperfunktionen, Aktivitäten und Teilhabe wiederherzustellen, reichen diese nicht aus, bedarf es der multimodalen (teil-)stationären Rehabilitation [175].

Im Zusammenhang dieser Leitlinie soll daher auf die Möglichkeiten der Anschluss-Heilbehandlung (AHB) und Anschluss-Rehabilitation (AR) bzw. der Medizinischen Rehabilitation auf Antrag (MRA) (auch als Heilverfahren [HV] bezeichnet) näher eingegangen werden, die auch ohne primäre Krankenhausbehandlung indiziert sein können.

Empfehlung

Zur Behandlung von Post-/Long-COVID-bedingten Einschränkungen sollen nach der ärztlich diagnostischen Abklärung primär Heilmittel verordnet werden, um im Rahmen der ambulanten Versorgung die eingeschränkten Körperfunktionen wiederherzustellen und Aktivitätslimitierungen und resultierende Partizipationsrestriktion entgegen zu wirken. Hierzu zählen insbesondere die ambulante Physiotherapie, Ergotherapie, Neuropsychologie, Psychotherapie und/oder Logopädie.

Eine teilstationäre (ganztägig ambulante) oder stationäre medizinische Rehabilitation sollte immer dann verordnet werden, wenn nach COVID-19 krankheitsbedingt nicht nur vorübergehende Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft bestehen oder drohen, die der multimodalen ärztlichen und therapeutischen Behandlung bedürfen, wenn also ambulante Heilmittel für die Behandlung nicht ausreichen.

  • Frage: Welche Nachsorgeempfehlungen gibt es nach einer teilstationären oder stationären medizinischen Rehabilitation bei Post-/Long-COVID?

Eine (teil-)stationäre Rehabilitation ist immer eine Phase der (intensiveren) rehabilitativen Behandlung, die häufig der ambulanten Fortsetzung bedarf. Bei Personen mit Post-/Long-COVID ist zumindest mittelfristig der rehabilitative Bedarf inkl. Maßnahmen zur Förderung der Teilhabe am sozialen und Arbeitsleben über eine längere Zeit regelmäßig zu evaluieren, darauf macht die diesbezügliche Leitlinie aufmerksam [175]. Dazu gehört auch die sog. stufenweise Wiedereingliederung nach Krankheit (auch „Hamburger Modell“). An eine Wiedereingliederung wird dann gedacht, wenn arbeitsunfähige Mitarbeiter*innen ihre bisherige Tätigkeit nach ärztlicher Feststellung teilweise wieder ausüben können. Diese eingeschränkte Arbeitsfähigkeit soll genutzt werden, um stufenweise Belastbarkeit zu steigern und wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern.

Empfehlung

Nach Entlassung der Patienten aus der Frührehabilitation/Rehabilitation sollte symptomorientiert ambulant die funktionsorientierte Therapie fortgesetzt werden.

Kontrollen des Rehabilitationsfortschrittes und des weiteren Rehabilitations-, Therapie- oder psychosozialen Unterstützungsbedarfs sollten zunächst im ersten Jahr nach der Akuterkrankung mindestens einmal im Quartal erfolgen.


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18.2 Indikationsspezifische Aspekte der medizinischen Rehabilitation

Im Weiteren werden indikationsspezifische Aspekte der medizinischen Rehabilitation für von Post-/Long-COVID-Betroffene thematisiert. Sind z. B. die pulmonalen, neurologischen oder kardiologischen Schädigungen („Impairment“) für die Rehabilitationsbedürftigkeit führend, soll entsprechend eine indikationsspezifische pneumologische, neurologische oder kardiologische Rehabilitation erfolgen [175]. Je nach individueller Symptomatik sind dabei begleitend oder grundständig psychosomatische, psychiatrische und/oder psychologisch-psychotherapeutische Behandlungsangebote indiziert, wobei auch die physische Stabilisierung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation wesentlich zur Reduktion der emotionalen Belastung beitragen kann [176]. Eine individuelle Betrachtung mit Fokus auf die Belastbarkeit ist auch für das multidimensionale Chronische Fatigue-Syndrom (G93.3) entsprechend Abschnitt 5 erforderlich.


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18.3 Häufig gestellte praxisrelevante Fragen II

  • Frage: Wann ist (teil-)stationäre pneumologische Rehabilitation indiziert?

Über längere Zeit persistierende Krankheitsfolgen im Sinne eines Post-/Long-COVID mit der Symptomkonstellation Dyspnoe und körperlicher Minderbelastbarkeit/Fatigue können sowohl bei Patienten nach einem kritischem, aber auch nach einem milden Akutverlauf bestehen.

Aktuell liegen erste Studien vor, welche die Machbarkeit, Sicherheit und Effektivität einer (Früh-)Rehabilitation bei COVID-19-Patienten nach einem schweren Akutverlauf mit Krankenhauseinweisung zeigen [173] [176] [177]. Pneumologische Rehabilitation konnte dazu beitragen, die körperliche Funktionsfähigkeit sowie lungenfunktionelle Einschränkungen zu verbessern.

In kürzlich veröffentlichten deutschen Studien wurden die Effekte nicht nur von Patienten nach schwerer COVID-19, sondern auch nach ambulant behandelter COVID-19 untersucht [177] [178]. Trotz eines milden bis moderaten Krankheitsverlaufs wiesen diese Patienten persistierende Krankheitsfolgen (wie z. B. vermehrte Dyspnoe und Fatigue) auch noch Monate nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion auf und wurden in eine pneumologische Rehabilitation überwiesen. Nach einer i. d. R. 3-wöchigen Rehabilitationsmaßnahme verbesserten sich sowohl körperliche Leistungsfähigkeit klinisch relevant (6-Minuten Gehtest: mittelschwer Betroffene +48 m [95 %-Konfidenzintervall, KI 35–113 m], schwer Betroffene +124 m [75] [76] [77] [78] [79] [80] [81] [82] [83] [84] [85] [86] [87] [88] [89] [90] [91] [92] [93] [94] [95] [96] [97] [98] [99] [100] [101] [102] [103] [104] [105] [106] [107] [108] [109] [110] [111] [112] [113] [114] [115] [116] [117] [118] [119] [120] [121] [122] [123] [124] [125] [126] [127] [128] [129] [130] [131] [132] [133] [134] [135] [136] [137] [138] [139] [140] [141] [142] [143] [144] [145], [177]; um im Mittel ca. 100 m, [178]) sowie auch psychische Parameter bezogen auf Angst, Traumatisierung und Depression [178].

Empfehlung

Besteht nach COVID-19 eine alltags- und/oder berufsrelevante Beeinträchtigung durch Dyspnoe und körperliche Minderbelastbarkeit/Fatigue, soll sowohl bei Krankenhausentlassung als auch bei Post-/Long-COVID zu einem späteren Zeitpunkt bei Nichtausreichen ambulanter Heilmittel die Verordnung einer (teil-)stationären pneumologischen Rehabilitation erfolgen.

  • Frage: Wann ist (teil-)stationäre neurologische Rehabilitation indiziert?

Zu unterschieden sind 2 Subgruppen von Post-/Long-COVID-Patienten, die wegen alltags- und/oder berufsrelevanter Körperfunktionsstörungen der neurologischen rehabilitativen Behandlung bedürfen:

Gruppe A. Patienten mit neurologischen Körperfunktionsstörungen, die – häufiger nach schweren bis kritischen Verläufen – seit der Akutphase bestehen und

Gruppe B. Patienten, die nach primär milden und moderaten Verläufen ggf. auch erst zu einem späteren Zeitpunkt unter neurologischen Körperfunktionsstörungen leiden, die die Teilhabe am gesellschaftlichen und Arbeitsleben relevant einschränken.


Gruppe A

Das „Post-Intensive-Care“-Syndrom (PICS) stellt eine häufige und ernste Komplikation einer intensivmedizinischen Behandlung dar und kann später zu deutlichen Einbußen in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und Teilhabe führen [179] [180]. Das Syndrom zeichnet sich durch Lähmungen, kognitive und emotionale Störungen aus. Diese Komponenten können entweder einzeln oder kombiniert auftreten. Periphere Lähmungen beim PICS sind meist durch eine motorisch und axonal betonte CIP („critical illness polyneuropathy“) und eine CIM („critical illness myopathy“) bedingt, die häufig als Mischbild vorliegen [181]. Kognitive Störungen beim PICS und so auch für COVID-19-Betroffene gezeigt [182] betreffen gehäuft Aufmerksamkeits- und Gedächtnis- sowie Exekutivfunktionen, emotionale Störungen sowohl Angststörungen als auch depressive Störungen. Bei schweren und kritischen Verläufen einer SARS-CoV-2-Infektion bestehen individuell unterschiedliche Kombinationen aus Lähmungen, kognitiven und emotionalen Störungen teilweise über lange Zeit fort und bedürfen der medizinischen Rehabilitation, sowohl post-akut [183] [184] als auch ggf. (erneut) im weiteren Verlauf.

Zudem können in Zusammenhang mit COVID-19 verschiedene weitere spezifische Erkrankungen wie Schlaganfälle, Enzephalomyelitiden, ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS), ein Miller Fisher-Syndrom, Hirnnerven-Neuritiden, Myositiden, eine Myasthenia gravis und Plexopathien auftreten (siehe neurologischer Abschnitt der Leitlinie), die alle mit spezifischem Rehabilitationsbedarf einhergehen (können).


Gruppe B

In prospektiven Beobachtungsstudien fanden sich 3 bzw. 6 Monate nach Infektion gehäuft als neurologische Funktionsstörungen neben einer Hyposmie oder Anosmie eine geminderte psychophysische Belastbarkeit, periphere Lähmungen (CIP/CIM), kognitive Defizite und/oder Kopfschmerzen bzw. Muskelschmerzen [106] [185]. Auch in einem Post-COVID-Rehabilitationskollektiv wurden häufig neurologische Beeinträchtigungen, u. a. Koordinationsstörungen, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit berichtet [178]. Nicht selten schränken die neurologischen Symptome die Teilhabe am gesellschaftlichen und Arbeitsleben relevant ein.

Empfehlung

Alle (Post-)COVID-19-Betroffenen mit sensorischen, sensomotorischen und/oder kognitiven Veränderungen sollen einer neurologischen Evaluation und neurorehabilitativen Versorgung zugeführt werden.

Besteht nach COVID-19 eine alltags- und/oder berufsrelevante Beeinträchtigung durch sensomotorische und/oder kognitive Funktionsstörungen, soll sowohl bei Krankenhausentlassung als auch bei Post-/Long-COVID zu einem späteren Zeitpunkt bei Nichtausreichen ambulanter Heilmittel die Verordnung einer (teil-)stationären neurologischen Rehabilitation erfolgen.

Schwerstbetroffene bedürfen zunächst der neurologischen Frührehabilitation.

  • Frage: Wann ist (teil-)stationäre kardiologische Rehabilitation indiziert?

Bei COVID-19 dominieren zwar respiratorische Symptome das klinische Erscheinungsbild, aber SARS-CoV-2-Infektionen können auch mit schwerwiegenden kardiovaskulären Erkrankungen wie einer Lungenarterienthrombose, Myokarditis oder einem akuten Koronarsyndrom (ACS) einhergehen [186].

In diesen Fällen bedarf es in Abhängigkeit von den individuellen Befundkonstellationen sowie der psychosozialen Situation der (teil-)stationären kardiologischen Rehabilitation. Die Inhalte der kardiologischen Rehabilitation richten sich nach den Hauptindikationen wie ACS, Myokarditis oder LAE [187], sollten aber durch erkrankungsspezifische Angebote wie die Erfassung einer potenziell vorliegenden Fatigue-Symptomatik mittels Fragebogen, COVID-19-Gesprächsgruppen, u. ä. erweitert werden. Die Unterstützung der Krankheitsverarbeitung ist ebenso wichtig wie die Vorbereitung der beruflichen Wiedereingliederung.

Empfehlung

Bei persistierenden Krankheitsfolgen im Rahmen einer COVID-19-assoziierten schwerwiegenden kardiovaskulären Erkrankung wie einer Lungenarterienembolie (LAE), Myokarditis oder einem akuten Koronarsyndrom (ACS) soll die Verordnung einer kardiologischen Rehabilitation erfolgen.

  • Frage: Wann ist (teil-)stationäre Rehabilitation zur Behandlung psychischer Erkrankungen bei Post-/Long-COVID-19 indiziert?

Psychotherapeutische Behandlung ist angezeigt bei klinisch relevanten psychischen Störungen im Rahmen der Post-/Long-COVID-Erkrankung wie einer Anpassungsstörung, Depression, Angststörung, Somatisierungsstörung, Zwangsstörung, Psychose oder PTSD (siehe hierzu Abschnitt 12 der Leitlinie). Wenn ambulante Behandlungsmaßnahmen nicht ausreichen, ist (teil-)stationäre Behandlung indiziert, die auch indikationsspezifische (teil-)stationäre Rehabilitation umfassen kann.

Empfehlung

Bei persistierenden psychischen Krankheitsfolgen einer COVID-19 kann bei anhaltenden oder exazerbierenden Symptomen unter ambulanter Behandlung neben der akutstationären Behandlung die Verordnung einer psychosomatischen (teil-)stationären Rehabilitation erwogen werden.


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18.4 Beantragung einer medizinischen Rehabilitation bei von Post-/Long-COVID-Betroffenen

Persistierende Krankheitsfolgen mit Gefährdung der Erwerbsfähig- oder Selbstversorgungsfähigkeit bzw. Einschränkungen der Teilhabe sind entscheidende Kriterien für einen Rehabilitationsbedarf, sodass die Kostenträger Reha-Maßnahmen bewilligen können, wenngleich „Post-/Long-COVID“ in den offiziellen Indikationskatalogen für die medizinische Rehabilitation nicht explizit aufgeführt ist. Eine Post-/Long-COVID-Rehabilitation ist inzwischen häufig umgesetzte klinische Praxis, wenn sie medizinisch indiziert ist.

Rehabilitationsleistungen sind Aufgabe der Sozialversicherungsträger, d. h. v. a. der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung.

Droht eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit, fällt die Maßnahme in die Zuständigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung, sollte COVID-19 als anerkannte Berufskrankheit vorliegen, in die Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung, ansonsten ist die gesetzliche Krankenversicherung bei gesetzlich Versicherten zuständig.

Folgende Sachverhalte sind bei Indikationsstellung einer medizinischen Rehabilitation zur Behandlung von PACS zu dokumentieren:

  • Rehabilitationsbegründende und weitere Diagnosen: Hier geben Ärzte alle relevanten Diagnosen verschlüsselt nach ICD-10-GM an. Sinnvoll ist es hier neben PACS (U09.-! Post-COVID-19-Zustand) und ggf. weiteren spezifischen Organdiagnosen ICD-basiert bereits die Krankheitsfolgen (Schädigungen/„Impairment“) aufzuführen, die den Rehabilitationsbedarf mitbegründen. Beispiele sind

    • G93.3 Chronisches Müdigkeitssyndrom (Chronisches Fatigue Syndrom),

    • R06.0 Dyspnoe

    • F06.7 Kognitive Störung

    • F32 Depressive Störung, F41. Angststörung, F43 Anpassungsstörung

    • R43 Störungen des Geruchs- und Geschmackssinnes

    • R51 Kopfschmerz

    • G62.80 Critical-illness-Polyneuropathie

    • R26 Störungen des Ganges und der Mobilität

    • R42 Schwindel

    • R00.2 Palpitationen

    • U50 Motorische Funktionseinschränkung

    • U51 Kognitive Funktionseinschränkung

  • Rehabilitationsbedürftigkeit und Verlauf der Krankenbehandlung: Hier schildern Ärzte kurz die Krankengeschichte und listen Schädigungen (Körperfunktionsstörungen) und Befunde auf, die für die Rehabilitation relevant sind. Rehabilitationsbegründende Körperfunktionsstörungen, die bei Post-/Long-COVID häufiger festgestellt werden, sind: Minderbelastbarkeit/Fatigue, Belastungsdyspnoe, Husten, thorakales Druck-/Engegefühl, Lähmungen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Schwindel, Sensibilitätsstörungen, kognitive Störungen (in den Bereichen Aufmerksamkeit/konzentrative Belastbarkeit, Gedächtnis/Wortfindung, planerisches Denken), Kopfschmerzen, Depressivität, Angstsymptome. Zudem können negativ und/oder positiv wirkende Faktoren notiert werden (z. B. in einer Familie lebend oder soziale Isolation). Auch Risikofaktoren und Gefährdungen können angegeben werden (z. B. Übergewicht).

  • Rehabilitationsfähigkeit: Hier geben Ärzte an, ob ihr Patient in der Verfassung ist, eine Reha zu absolvieren (z. B. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit liegt nicht vor; Patient ist bei den basalen Verrichtungen des täglichen Lebens selbständig).

  • Rehabilitationsziele: Hier ist anzugeben, welche Ziele mit der Rehabilitationsleistung erreicht werden sollen (z. B. Verbesserung der körperlichen und psychophysischen Belastbarkeit, Verbesserung kognitiver Leistungen, psychische Stabilisierung).

  • Rehabilitationsprognose: Hier geben Ärzte an, ob die formulierten Ziele durch die empfohlene Leistung und im vorgesehenen Zeitraum voll oder gegebenenfalls nur eingeschränkt erreicht werden können.

  • Zuweisungsempfehlungen: Hier geht es bspw. darum, ob und welche Anforderungen die Reha-Einrichtung erfüllen soll (z. B. Indikation Pneumologie [Dyspnoe, körperliche Minderbelastbarkeit], Neurologie [kognitive Störungen, Lähmungen, Koordinationsstörungen], Kardiologie [Herzmuskelaffektion], Rheumatologie [muskuloskelettale Affektion, Autoimmunprozesse]).

  • Sonstige Angaben: Hier geht es um Angaben bspw. zur Reisefähigkeit oder zum Bestehen einer Schwangerschaft. Für Patienten mit Post-COVID-CFS sind besonders flexible, der individuellen Belastbarkeit angepasste Konzepte erforderlich. Zudem müssen altersadaptierte Programme (z. B. für Kinder und Jugendliche sowie ggf. ihre Familien) gewählt werden.

18.4.1 Wiederaufnahme des Sports

Die Wiederaufnahme des Sports wurde bei Athleten untersucht, hier gibt es Leitlinien aus dem Jahr 2019 der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft, die nach Infektion

  • 12 Kanal-EKG

  • Echokardiografie

  • Bestimmung des Blutbildes, CRP, Troponin und NT-proBNP [188]

empfehlen. Wenn diese negativ sind, dann ist das Risiko eines kardiovaskulären Events in der Zukunft sehr gering. In speziellen Fällen (Myokarditissymptome, Auffälligkeiten im Echo) sollte ein MRT des Herzens angeschlossen werden [189] [190]. Von pneumologischer Seite wäre eine symptomorientierte Untersuchung (siehe Abschnitt 11.2) ausreichend, wobei hier die Evidenz bei Long-COVID fehlt.


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18.4.2 Wiederaufnahme von Alltagsaktivitäten/Beruf

Die Beratung hinsichtlich eines Selbstmanagements und die Planung des „Weges zurück“ in Alltag, Sport und Arbeit erstreckt sich auf folgende zentrale Aspekte:

Festlegung realistischer Ziele

  • Klare Vereinbarungen über Belastungsgrenzen/vorzeitige Kontrollen,

  • Strukturierte hausärztliche Betreuung und Behandlungsplanung gemeinsam mit der Patient*in und/oder deren Angehörigen bzw. Betreuungspersonen.

  • Es bedarf Ruhe und Zeit, ein überhastetes „Zuviel wollen“ bringt keinen Benefit.

  • Alle Patient*innen nach COVID-19 mit initial mildem und moderatem Verlauf sollten darüber aufgeklärt sein, dass persistierende Symptome auch nach mildem und moderatem Verlauf möglich sind, dass diese sich aber in den allermeisten Fällen im Verlauf von einigen Wochen, längstens Monaten, vollständig zurückbilden und meist keine bleibenden Schäden hinterlassen.

  • Einschränkungen der Leistungsfähigkeit sollten besprochen bzw. je nach Ausmaß abgeklärt werden. Dies liegt in der Verantwortung der Primärversorgung.

  • Die Kernpunkte (nach Ausschluss relevanter struktureller Folgeschäden) sind:

    • Ist die Bewältigung der täglichen Aktivitäten und einer Gehstrecke von 500 m in der Ebene symptomfrei möglich?

    • Gemeinsame Abschätzung der Alltagsbelastung (Ausmaß der körperlich erforderlichen Fitness? Störungen der Kognition relevant für Freizeitbeschäftigungen/Bedienen von Maschinen oder Transportmitteln?)

Als Technik zur Wiedererlangung von Alltagsfähigkeiten ist das „Pacing“ beschrieben:

  • Belastungsbeginn (s. Wiederaufnahme des Sports): Spazieren (langsame Steigerung von Spazierdauer und Tempo etc.), langsame Steigerung der alltäglichen Belastung (vom Kochen zum Einkaufen, vom Zusammenräumen zum Putzen).

  • Bei Verschlechterung der Symptome: Pause und Rückkehr zum absolvierbaren Niveau nach Abklingen der akuten Beschwerdesymptomatik.

  • Evaluation einer Rehabilitationsmöglichkeit bzw. -Notwendigkeit

    • ambulante Rehabilitation? Physiotherapie?

    • Ergo-, Psychotherapie

Die 4-P-Regel kann hilfreich sein (Pacing, Planen, Priorisieren, Positionieren).

Für körperlich stark beanspruchende Tätigkeiten gelten sinngemäß die Empfehlungen wie für die Wiederaufnahme des Sports. Nicht zu vergessen: Auch für die Modalität des Arbeitsweges (Gehen, Fahrrad fahren u. ä.) gelten die gleichen Kriterien wie für den Beginn der sportlichen Belastung.

Belastungsgrenzen und Berufseignung bei anhaltenden starken Einschränkungen sollten während einer Rehabilitation erhoben werden und je nach Situation vor Arbeitsantritt mit den zuständigen Präventivkräften im Betrieb (Sicherheitsfachkraft, Betriebsärzt*in) und den zuständigen Institutionen (Arbeitsinspektion) besprochen werden.

In vielen Fällen können (vorübergehende) Anpassung von Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen den Wiedereintritt ins Berufsleben erleichtern bzw. vorverlegen. Auch hier sind die Präventivkräfte gefragt, idealerweise in Kooperation mit den Primärversorgern.

Eine Krankschreibung erfolgt nach den bekannten Grundsätzen, das Kriterium ist die tatsächliche, anforderungsbezogene Leistungsfähigkeit der Betroffenen. Die Diagnose sollte sich auf das jeweilige dominierende Symptom beziehen, da „Post-/Long-COVIDd“ derzeit noch als Komplex äußerst unterschiedlicher Symptome zu sehen ist und als klare Diagnose nicht ausreichend definiert ist.

Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollte die Beschulung bzw. Ausbildung an Symptomspektrum und Belastbarkeit individuell angepasst bzw. durch Nachteilsausgleich und Sonderregeln optimal unterstützt werden.


Anmerkung: Eine Schwierigkeit, die sich aufgrund der derzeitigen Beanspruchung der Rehabilitationsstrukturen ergibt, ist eine mögliche Überbrückung der Zeitspanne bis zum Antritt der Rehabilitation. Eine Arbeitsaufnahme in dieser Zeit wird für körperlich arbeitende Personen meist nicht immer problemfrei möglich sein, woraus sich Schwierigkeiten ergeben können. Die Begutachtung durch und gemeinsame Entscheidung mit Fachärzten je nach Gegebenheiten ist dringend empfohlen. Auch die Kontaktaufnahme mit Arbeitnehmerschutzeinrichtungen (Gewerkschaft) sollten den Betroffenen angeraten werden. Case Manager der Krankenkassen können bei der Organisation der Wiedereingliederung unterstützen, soweit solche verfügbar sind.

Spekulative Annahmen über eine tatsächliche Arbeitsrückkehr sollten gegenüber den Arbeitgebenden aufgrund der unklaren Krankheitsdauer bei Long-COVID vermieden werden (daher max. „voraussichtliche Rückkehr“), es sollte eher möglichst konstruktiv über eine gestufte Rückkehr in den Arbeitsprozess mit dem Arbeitgebenden gesprochen werden.


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19 Begutachtung

Die Folgen der Post-/Long-COVID-Erkrankung werfen versicherungsrechtliche Fragen auf. Zum einen geht es bei anhaltender Einschränkung der Leistungsfähigkeit um die Frage der Erwerbsminderung. Zum anderen spielen bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege die Frage der Anerkennung als Berufskrankheit (BK Nr. 3101) bzw. in anderen Branchen/Arbeitsbereichen die Anerkennung als Arbeitsunfall einschl. der jeweiligen Krankheitsfolgen und der Einstufung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) eine wichtige Rolle.

Hierzu sind Begutachtungen notwendig.

Diese sollten bei den Betroffenen bei entsprechenden Organmanifestationen in den jeweiligen Fachgebieten durchgeführt werden, d. h. bei pulmonaler oder kardialer Manifestation vom Internisten mit entsprechender Qualifikation, bei zerebraler Manifestation vom Neurologen.

Bei den häufig komplexen Spätfolgen sollte die Begutachtung möglicherweise interdisziplinär erfolgen ([Abb. 6]). Insbesondere bei beklagten Beschwerden ohne nachweisbares organisches Korrelat wie Fatigue und/oder CFS und/oder neurokognitiven Defiziten und/oder Schmerzen und/oder affektiven Störungen ist eine dem jeweiligen Beschwerdebild angepasste Begutachtung auf neurologisch-neuropsychologischem, psychiatrischem bzw. psychosomatischem Gebiet nach den Standards der Diagnostik, Funktionsbeurteilung und Beschwerdevalidierung notwendig, wie sie in den entsprechenden AWMF-Leitlinien zur Begutachtung beschrieben sind.


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20 Schlussbemerkungen

Bei Fertigstellung der S1-Leitlinie zu Post-/Long-COVID überblicken wir den Zeitraum von Anfang 2020 bis zum jetzigen Erscheinungsszeitpunkt der Leitlinie.

Die Krankheitslast durch Post-COVID-Syndrome, ebenso wie die Kosten, die hier durch direkte Diagnostik, aber auch Berufsunfähigkeit entstanden sind und entstehen werden, lassen sich zum aktuellen Zeitpunkt nur annähernd bemessen. Bisherige Zahlen legen den Schluss nahe, dass die bisherigen finanziellen Belastungen nach aktuellen Hochrechnungen (Handelsblatt März 2021) 1,32 Billionen Euro betragen. Das Problem der Arbeits- und Ausbildungsunfähigkeit stellt eine weitere große Herausforderung dar, nicht nur im Bereich der Gesundheitspflege und Krankenversorgung. Das in mehreren Abschnitten genannte Fehlen von therapeutischen evidenzbasierten Ansätzen wird möglicherweise teils durch laufende Studien beantwortet werden. Die Autoren wollen in den geplanten Leitlinienaktualisierungen die zunehmende Evidenz einarbeiten.


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21 Supplement

21.1 Primärärztliche Versorgung/Allgemeinmedizinischer Leitfaden

Empfehlungen für die Basisdiagnostik (unter Berücksichtigung bekannter Komorbiditäten)
  • Blutdruck, Herzfrequenz, Temperatur, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung

  • Labor: BB, CRP, Kreatinin, Harnstoff, Transaminasen, TSH, Urin-Stix (fakultativ: CK, Troponin, Ferritin, D-Dimere, NT-proBNP, ggf. Autoantikörper – s. auch spezifische Kapitel

  • Screening-Fragen zu Fatigue, anhaltender körperlicher Erschöpfung, Belastungsintoleranz/PEM (einem der häufigsten Symptome in den meisten Post-/Long-COVID-Studien), Schmerzen, kognitiven Störungen, depressiven Verstimmungen und Angststörung (siehe Abschnitt Fatigue und Psychosomatik) [38]).


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21.2 Empfehlungen zu häufigen Symptomen (Allgemeinmedizin)

21.2.1 Fatigue

Es sollte erfasst werden, ob körperliche Aktivität die Fatigue bessert oder (im Sinne von PEM) zu einer Zunahme dieser und weiterer Beschwerden führt. Bei Besserung kann eine vorsichtige körperliche Aktivierung empfohlen werden. In der klinischen Untersuchung ist besonders auf auffällige Lymphknoten, abdominellen Tastbefund und Veränderungen in Muskelkraft, -trophik, -tonus und Eigenreflexe sowie kognitive Leistungsminderung bzw. psychische Symptome (Depressivität, Ängste) zu achten (siehe Kapitel 9). Es sollte gefragt werden, ob die Fatigue zu relevanten Einschränkungen im Alltag und Berufsleben führt und ob weitere Symptome wie Schlafstörung, Depression, Angst, Belastungsintoleranz, kognitive Störungen, orthostatische Inoleranz und Schmerzen vorliegen. Bei V. a. CFS sollte eine Überweisung zum Neurologen erfolgen.


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21.2.2 Dyspnoe, (Ruhe-/Belastungs-)Husten [40] [137]

Bei den Patienten stark beeinträchtigenden Symptomen (insb. nach einem schweren Verlauf) sollte unter Zuhilfenahme der Vorbefunde die Basisdiagnostik erweitert werden mit Labor, Lugenfunktionsanalyse, SpO2, D-Dimeren, EKG, evtl. Röntgenthorax. Wenn es hier keine Warnhinweise gibt und alles unauffällig ist, dann abwartendes Offenhalten und Wiedervorstellung. Bei akuter Verschlechterung der Symptomatik, niedriger O2-Sättigung, pathologischem Auskultationsbefund oder Hinweisen für thromboembolische Ereignisse sollte weiterführende Diagnostik erwogen werden (siehe Kapitel 16).


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21.2.3 Kopfschmerzen

Hohe Spontanheilungsrate nach COVID-19. Klinisch-neurologische Verlaufskontrollen. Bei fehlenden Warnhinweisen sollte eine Reevaluation nach spätestens 4 Wochen vorgenommen werden. Bei sehr starken Symptomen oder neurologischen Auffälligkeiten sollte spezialisierte Diagnostik vorgenommen werden (siehe Kapitel 13).


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21.2.4 Riech- und Schmeckstörungen

Geruchs- und Geschmacksstörungen sind häufige Phänomene bei COVID-19. So leiden mehr als 40 % aller Erkrankten an Geruchs- oder Geschmacksveränderungen oder -verlust. Die mittlere Dauer dieser Störung in Post-COVID-Einrichtungen beträgt 2,5 Monate [191]. Nach 6 Monaten sind über 90 % von dieser Störung geheilt [192]. Sollten die Symptome länger als 4 Wochen andauern und sich zusätzlich noch neurologische oder andere spezifische Begleitsymptome einstellen, ist eine spezialisierte Diagnostik in Erwägung zu ziehen (siehe Kapitel 13).


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21.2.5 Schlafstörungen

Empfehlenswert ist ein Schlaftagebuch [38] zur Erfassung der spezifischen Problematik. Es sollten die Regeln der Schlafhygiene und Stimuluskontrolle mit den Betroffenen besprochen werden, siehe Anwenderversion für den hausärztlichen Bereich der Leitlinie „Insomnie“ [193] (siehe Kapitel 16.2.2).


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21.2.6 Allgemeine Schmerzen

Schmerzen (insbesondere im Thoraxbereich, aber auch allgemein Muskelschmerzen) sind ein häufiges Syndrom nach COVID-19. Die meisten dieser Symptome verringern sich innerhalb von 2–6 Monaten. Eine primärärztliche multimodale und symptomorientierte Diagnostik unter Berücksichtigung abwendbar gefährlicher Verläufe sollte erfolgen. Bei der medikamentösen Therapie sollte darauf geachtet werden, das WHO-Stufenschema einzuhalten, wobei die Leitlinie zu Opioiden bei nicht-tumorbedingten Schmerzen beachtet werden sollte [194] und potenziell abhängig machende Substanzen vermieden werden sollten. Neben der medikamentösen Therapie sollten aber auch die physikalische Medizin und die psychosomatische Behandlung der Schmerzen im Vordergrund stehen [44].


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21.2.7 Psychische Beschwerden

Die Abgrenzung psychischer von somatischen Ursachen bei Post-COVID kann diagnostisch herausfordern, da zahlreiche Symptome nicht eindeutig sind und mitunter nur graduell der einen oder anderen Kategorie zugeordnet werden können. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit der wechselseitigen Verstärkung somatischer Symptome und psychosozialer Faktoren.

Patienten können sich zudem im Spannungsfeld der somatischen und psychischen Diagnosen aber auch der Unter-, Über- und Fehlversorgung wiederfinden.

Therapeutische Gespräche gemäß den üblichen Kriterien der haus- bzw. kinder- und jugend-ärztlichen Behandlung sind regelhaft anzubieten, und es ist auf eine gemeinsame Entscheidungsfindung bei diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen zu achten.

Bei ausgeprägter Symptomatik, ausbleibender Besserung über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder erheblichen ungünstigen psychosozialen Einflussfaktoren sollte eine spezialisierte psychosomatische oder psychiatrische Mitbehandlung und/oder Maßnahmen wie Ergo- oder Entspannungstherapie angeboten werden oder auch eine psychosomatische Rehabilitation, entsprechend den Ausführungen im Kapitel „Psychosomatik“ (Kapitel 17).


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21.2.8 Weitere Literatur Neurologie

Migräne: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-057l_S1_Migraene-Therapie_2020-12.pdf https://www.dmkg.de/files/dmkg.de/Empfehlungen/Leitlinie_Entspannungsverfahren%20und%20verhaltenstherapeutische_Intervention.pdf

Spannungskopfschmerz: https://dgn.org/leitlinien/ll-56-ll-therapie-des-episodischen-und-chronischen-kopfschmerzes-vom-spannungstyp/

Rheumatoide Arthritis: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/060-004.html

Fibromyalgiesyndrom: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-004.html

Neuropathischer Schmerz: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-114.html


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Interessenkonflikt

Eine Übersicht der Interessenkonflikte findet sich im Internet unter http://awmf.org; AWMF-Registriernummer 020-027.

* Die fachspezifischen Kapitel sind federführend von den Fachgesellschaften erstellt worden und spiegeln zum Teil die fachspezifische Sicht auf die Datenlage wider.



Korrespondenzadresse

Prof. A. Rembert Koczulla
Fachzentrum für Pneumologie
Schön Klinik Berchtesgadener Land
Malterhöh 1
83471 Schönau am Königsee
Deutschland   

Publication History

Article published online:
02 September 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Pragmatische Einteilung der Symptomhäufigkeit nach aktueller Literatur ohne Anspruch auf Vollständigkeit nach [3] [45] [195] [196] [197] [198]. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 2 Überblick über COVID-19 Nomenklatur (in Anlehnung an NICE 2020 [199]). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 3 Überblick über das Problem der Heterogenität unterschiedlicher Post-/Long-COVID-Studienpopulationen (übersetzte Grafik nach [200]). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020–027.html [rerif]
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Abb. 4 Hausärztliche Betreuung. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 5 Vorschlag eines Modells praxisorientierter Versorgungswege. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 6 Die Post-/Long-COVID-Nachsorge hat häufig einen interdisziplinären Charakter. Die Anordnung und Erwähnung der Fachdisziplinen hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Wertigkeit. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 7 Flussdiagramm für den Selbstbericht von Patienten auf der Post-COVID-19-Skala des funktionellen Status. Diese Skala ist nur für erwachsene COVID-19-Patienten validiert. Eine analoge altersadaptierte Evaluation der Alltagsfunktion ist jedoch auch für Minderjährige angezeigt (nach [22]). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]
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Abb. 8 Mögliche Endorganschäden durch mögliche multifaktorielle Ursachen des Post-/Long-COVID-Syndroms. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html [rerif]