Drug Res (Stuttg) 2021; 71(S 01): S2
DOI: 10.1055/a-1606-6942
Einführungsvortrag

Arzneimitteltherapie in der Gastroenterologie – Stand und Perspektiven

Britta Siegmund
 

    Die Gastroenterologie umfasst wie kaum ein anderes Fach ein breites Spektrum an Erkrankungen von entzündlichen, infektiologischen, metabolischen bis hin zu malignen Krankheitsbildern und erlaubt damit nicht nur einige exemplarische Betrachtungen für die Arzneimitteltherapie im Jahr 2021, sondern ermöglicht vielmehr auch einen Ausblick für das kommende Jahrzehnt. Was sind die Besonderheiten, die die Gastroenterologie im Vergleich zu anderen Fächern hervorheben? Hierzu kann man zunächst den Gastrointestinaltrakt mit der größten Oberfläche des menschlichen Körpers und seiner inhärenten Mikrobiota als Ausgangspunkt betrachten. Diese Mikrobiota reflektiert dabei die Lebensumstände und Nahrungsgewohnheiten eines jeden Individuums und könnte auch als ein Spiegel unserer Umwelt bezeichnet werden. Diese Mikrobiota prägt unser Immunsystem und ist in ihrer Zusammensetzung und den daraus resultierenden Metaboliten für den Erhalt der intestinalen Barriere entscheidend. Damit kann an der intestinalen Mikrobiota bereits ein prototypisches Beispiel sowohl für den Gastrointestinaltrakt als auch für die Leber und das Pankreas aufgezeigt werden: Mikrobiota-getriebene Interaktionen zwischen Metabolismus und Immunsystem rücken im Verständnis der Erkrankungen und damit auch der Arzneimitteltherapie in den Mittelpunkt. Durch das damit eng assoziierte Detailverständnis von für einzelne Erkrankungen relevanten molekularen Signalwegen hat die Arzneimitteltherapie in den letzten Jahren eine zunehmende Präzisierung erfahren.

    Auf diese verschiedenen Aspekte möchten wir mit dem diesjährigen Programm eingehen, indem in der ersten Sitzung zunächst grundlegende Prinzipien und Möglichkeiten des Gastrointestinaltrakts in der Pharmakotherapie beleuchtet werden sollen, bei denen sowohl auf den Medikamententransport, die Metabolisierung und Reaktionen auf dieselben, aber auch auf Prädiktoren für ein Therapieansprechen eingegangen werden soll.

    Die zweite Sitzung legt den Fokus dann auf die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. In wohl kaum einem Bereich sind in den letzten zehn Jahren so viele neue Therapiestrategien hinzugekommen, und die kommenden Jahre werden weitere neue Zulassungen bringen. Dies ist nur möglich durch ein sehr viel besseres Verständnis der molekularen Grundlagen dieser Erkrankungen. Wie sich aus diesen molekularen Signalwegen neue Therapieentwicklungen ergeben haben und welche neuen Strategien und Klassen aktuell und in den nächsten Jahren relevant werden, wird einen Fokus dieser Sitzung bilden. Ein neuer Aspekt in dem Feld, der auch an die eingangs formulierten Überlegungen anknüpft, ist der Metabolismus und hier nicht nur der Metabolismus der Mikrobiota, sondern vielmehr der Metabolismus in Zellen, der eng mit der Regulation des Immunsystems verzahnt ist.

    In der dritten Sitzung steht die Leber im Fokus, die erneut exemplarisch die Breite des Fachs aufzeigt. Dies beginnt mit den Virushepatitiden, die aus Sicht der Klinik und auch der pharmakologischen Entwicklung in dem letzten Jahrzehnt einen Quantensprung durchlaufen haben. Parallel ist durch die Globalisierung und die Veränderungen unserer Lebensgewohnheiten eine andere Erkrankung in allen Altersbereichen in den Vordergrund getreten, für die nun Therapiestrategien gefragt sind: die sogenannte nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD). Alle diese chronischen Entzündungsprozesse der Leber vereint eine Langzeitkomplikation, das hepatozelluläre Karzinom, für das ebenfalls wesentliche neue Therapieansätze verfügbar sind.

    In der vierten Sitzung soll auf Visionen 2030 eingegangen werden. Hierzu gehören „Präzisionseingriffe“ in die Zellmigration als therapeutischer Ansatzpunkt, der bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen schon gut etabliert und mit neuen Substanzen aktuell weiterentwickelt wird. Aber auch die gastrointestinale Onkologie hat eine kritische Weiterentwicklung erfahren, die ebenfalls die eingangs eingeführten Besonderheiten des Gastrointestinaltrakts umfasst, und damit auch eine attraktive Perspektive für Patient*innen bietet. Betrachtet man die Entwicklung des Feldes, dann ist gleichermaßen interessant, wo die Forschungsschwerpunkte der Pharmaindustrie liegen.

    Das Symposium Arzneimitteltherapie in der Gastroenterologie – Stand und Perspektiven wird damit nicht nur die verschiedenen Bereiche der Gastroenterologie zusammenbringen, sondern vielmehr die enge Verknüpfung dieser durch die Interaktion von Umwelt, Mikrobiota, Immunsystem und Metabolismus aufzeigen. Das Symposium wird damit zu einem besseren Verständnis dieser Netzwerke beitragen und darlegen, wie sich die Arzneimitteltherapie in der Gastroenterologie in der nächsten Dekade weiter entwickeln wird.


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    Autorin

    Britta Siegmund

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    Medizinische Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie, Rheumatologie (einschl. Ernährungsmedizin), Campus Benjamin Franklin, Charité – Universitätsmedizin Berlin (CBF)

    Interessenkonflikt

    Prof. Dr. med. Britta Siegmund hatte Beratertätigkeit für AbbVie, Arena, BMS, Boehringer Ingelheim, Celgene, Falk, Galapagos, Janssen, Lilly, Pfizer, Prometheus und Takeda sowie Referentätigkeit für AbbVie, CED Service GmbH, Falk, Ferring, Janssen, Novartis, Pfizer, Takeda (bei allen Tätigkeiten hat sie als Repräsentant der Charité gewirkt).

    Korrespondenzadresse

    Prof. Dr. med. Britta Siegmund
    Medizinische Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie, Rheumatologie (einschl. Ernährungsmedizin), Campus Benjamin Franklin
    Charité – Universitätsmedizin Berlin (CBF)
    Hindenburgdamm 30
    12203 Berlin
    Deutschland   

    Publication History

    Article published online:
    17 November 2021

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    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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