Diabetes aktuell 2021; 19(08): 333
DOI: 10.1055/a-1658-5520
Editorial

Wer hätte das gedacht?

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations

Wer hätte das gedacht, dass wir eine solche vierte Welle noch einmal erleben? Wer hätte gedacht, dass nach all den Erfahrungen der Pandemie und vor allem der hohen Rate multimorbider Patienten, die an einer SARS-CoV-2-Infektion versterben, wir noch einmal eine solche Situation erleben. Eigentlich würde vermutlich jeder sagen, dass man sich nicht vorstellen kann, dass sich die Menschen mehrfach auf sowas einlassen.

50 % der Verstorbenen sind Diabetiker. Analysen aus Israel zeigen, dass bei Impfdurchbrüchen 80 % der Verstorbenen Diabetiker sind. Ist damit die Epidemie der Morbidität bei SARS-CoV-2 eigentlich eine Diabetes-Epidemie? Vieles deutet darauf hin, dass die Risikofaktoren für einen Typ-2-Diabetes, wie viszerale Adipositas, vermehrtes Leberfett, Insulinresistenz und ein erhöhter Level an inflammatorischem Grundrauschen letztendlich der Morbiditätstrigger bei einer SARS-CoV-2-Infektion sind. Die Covid-Infektion scheint einen Teufelskreis in Gang zu setzen, der gegebenenfalls den multimorbiden Typ-2-Diabetiker versterben lässt, aber den Prä-Diabetiker zum Diabetes konvertieren lässt. Mit diesem Gedanken ist die derzeitige pandemische Notlage eigentlich eine diabetesassoziierte Notlage.

Wer hätte das gedacht? Natürlich hätte das Gesamtrisiko durch eine Impfung deutlich reduziert werden können. Allerdings hätte auch eine gute Diabetes-Einstellung und vor allem die Kontrolle der Risikofaktoren für einen Typ-2-Diabetes, die Mortalität der Patienten deutlich reduziert. Weniger Leberfett, weniger viszerale Adipositas, weniger Insulinresistenz und subklinische Inflammationen hätten wahrscheinlich sehr vielen Typ-2-Diabetikern trotz SARS-CoV-2-Infektion das Leben gerettet. Vielleicht ist Covid der Schuss vor den Bug für die Behandlungskonzepte von Menschen mit chronischen Erkrankungen und insbesondere metabolischem Syndrom. Wir sollten – wir müssen – hier umdenken und nicht nur Diagnosen medikamentös behandeln, sondern uns als Ärzteschaft viel stärker engagieren, auch Risikofaktoren für Erkrankungen in unser ärztliches Handeln einzubeziehen. Vielleicht sollte in Zukunft ein neu diagnostizierter Typ-2-Diabetiker erst einmal 2 Wochen fasten, ehe wir über Therapiemaßnahmen nachdenken. Vielleicht sollten Diabetiker als Teil ihrer Therapie ein abrechenbares Bewegungspensum absolvieren, als Teil ihres Diabetesmanagements. Und vielleicht sollte die Adhärenz zu bestimmten Therapiemaßnahmen ausschlaggebend für weitere Maßnahmen sein.

Wir erleben einen sehr deutlichen Eingriff in die persönliche Freiheit und eine sehr deutliche Rollenverschiebung im Gesundheitswesen. Es wäre fatal, wenn wir daraus nicht für die Zukunft lernen würden und diesen Veränderungen auch positive Aspekte abgewinnen können, die uns helfen, unsere Diabetes-Patienten auf die nächste Pandemie besser vorzubereiten.

Wer hätte das gedacht?

Wir danken Ihnen für Ihre treue Leserschaft von Diabetes aktuell in diesem Jahr und wünschen Ihnen besinnliche Weihnachtstage und ein gesundes coronafreies Neues Jahr 2022.

Ihre Antje Bergmann und Peter Schwarz



Publication History

Article published online:
21 December 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany