Aktuelle Urol 2022; 53(02): 125-126
DOI: 10.1055/a-1668-3999
Recht in der Praxis

Vorsicht bei der Vernichtung von Patientenunterlagen

Albrecht Wienke
1   Wienke & Becker – Köln, Köln, Deutschland
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Jeder Praxisinhaber kennt das Problem und versucht es, soweit es geht zu verdrängen: Im Archiv stapeln sich alte Patientenunterlagen, Röntgenaufnahmen und Arztbriefe. Wer seine Behandlungsdokumentation nicht nur elektronisch führt, muss sich zwangsläufig mit der Frage beschäftigen: wohin mit den alten Unterlagen? Irgendwann stellen sich automatisch mangels verfügbarem Platz die Alternativen: Anbauen oder Vernichten. Hat man sich dann für die zweite Alternative entschieden, insbesondere auch im Fall der vollständigen Aufgabe der beruflichen Tätigkeit, wirft das weitere Fragen auf: Muss man jede einzelne Patientendokumentation in die Hand nehmen und entscheiden, was behält man und was kommt in den Schredder oder folgt man dem Prinzip: Augen zu und durch! Auch wer sich für die erste Alternative (Anbauen) entscheidet, ist das Problem nicht wirklich los: Denn alle personenbezogenen Daten (Achtung: Datenschutz) müssen gelöscht werden, wenn die Aufbewahrungsfristen beendet sind und kein sachlicher Grund für die weitere Vorhaltung der Unterlagen (Daten) besteht. Es besteht daher nicht nur eine Berechtigung zur Vernichtung, sondern auch eine Verpflichtung!

Nachstehend geben wir wesentliche Hinweise zur rechtlichen und pragmatischen Handhabung:

1. In der Regel besteht aus medizinischen Gründen nach Ablauf von zehn Jahren nach Behandlungsabschluss keine Notwendigkeit mehr, Patientenunterlagen aufzubewahren. Diese Annahme ist in aller Regel gerechtfertigt, da nach dieser langen Zeit seit Abschluss der Behandlung grundsätzlich nicht davon auszugehen ist, dass diesen Unterlagen noch eine entscheidende Bedeutung zukommt. Nur bei Dauerpatienten kann der Fall einmal anders gelagert sein; dann muss man ohnehin eine fallbezogene Entscheidung über die Verwendung der analogen Dokumentation treffen oder eine Digitalisierung der Altakten vornehmen.

Der Bundesmantelvertrag für Ärzte (BMV-Ä) und die Musterberufsordnung (MBO-Ä) besagen, dass „ärztliche Aufzeichnungen für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren sind, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften eine längere Aufbewahrungspflicht besteht" (§ 57 Abs. 2 BMV-Ä oder § 10 Abs. 3 MBO-Ä).

2. Unter diese Sonderregelungen fallen Vorschriften, bei denen in erster Linie aus medizinischen Gründen nach Behandlungsabschluss längere Aufbewahrungszeiten zu beachten sind, insbesondere (keine abschließende Aufzählung):

  • 30 Jahre bei Behandlungsdokumentationen aus dem Röntgen- (§ 28 Abs. 3 RöV) und Strahlenschutzbereich (§ 42 Abs. 1 StrlSchV).

  • Bis zum 28. Lebensjahr des Patienten bei Röntgenbildern von Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten.

  • 15 bis 30 Jahre in der Transfusionsmedizin (vgl. § 14 Abs. 3 TFG).

  • 15 Jahre für Dokumentationen im Rahmen eines Durchgangsarztverfahrens.

  • 20 Jahre beim BG-Verletzungsartenverfahren.

  • 15 Jahre bei DMP.

  • 10 Jahre bei Röntgenbildern selbst.

  • 10 Jahre für Aufzeichnungen bei Kinder-Früherkennungsuntersuchungen.

  • 10 Jahre für Notfall-/Vertretungsscheine.

  • 16 Quartale für Sicherungskopien der Quartalsabrechnungen.

  • 3 Jahre für Betäubungsmittelrezepte.

  • 1 Jahr für AU-Bescheinigungen.

Für alle anderen Behandlungsdokumentationen, einschließlich Laborbuch, EEG, EKG, sonographische Untersuchungen, Arztbriefe (eigene, fremde), Befunddokumentationsblätter etc. gelten als Faustformel die berufsrechtlichen Vorgaben von 10 Jahren.

3. Damit wäre eigentlich schon alles gesagt, wenn es nicht die Verjährungsfristen im deutschen Zivilrecht (BGB) gäbe. Denn bei der Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit — also regelmäßig auch bei nachgewiesenen fehlerhaften oder ohne Einwilligung durchgeführten ärztlichen Eingriffen – können Schadensersatzansprüche auch noch nach einer Zeit von bis zu 30 Jahren gegenüber dem behandelnden Arzt oder dem jeweiligen Krankenhaus geltend gemacht und durchgesetzt werden. Stellt sich z.B. erst 29 Jahren nach einer wegen Schwindelbeschwerden durchgeführten Manipulationsbehandlung an der Halswirbelsäule heraus, dass die HWS-Schmerzen auf diese fehlerhafte oder ohne Aufklärung durchgeführte Behandlung zurückzuführen sind, kann der Patient auch noch 29 Jahre nach der Behandlung Schmerzensgeld und Schadensersatz beim behandelnden Arzt einfordern. Solche „Spätschäden“ sind im Hinblick auf die generelle Aufbewahrungsfrist von 10 Jahren durchaus praxisrelevant.

Dies bedeutet, dass der Arzt sich auch nach Ablauf von 10 Jahren Schadensersatzansprüchen und gerichtlichen Verfahren ausgesetzt sehen kann. Um hier dann nicht den Kürzeren zu ziehen, würde es sich auf dem ersten Blick anbieten, die gesamten Behandlungsdokumente nicht nur 10, sondern gleich 30 Jahre aufzubewahren.

Wichtig ist dabei allerdings zu beachten, dass in den meisten dieser Fälle die Patienten vortragen werden, dass damals nicht fachgerecht und daher behandlungsfehlerhaft vorgegangen worden sei. Das Vorliegen eines solchen Behandlungsfehlers hat aber in der Regel der Patient vor Gericht zu beweisen. Dazu dienen ihm ganz entscheidend die Behandlungsunterlagen über die seinerzeitige Behandlung. Hat der Arzt die Unterlagen aber nach Ablauf von 10 Jahren — den berufs- und datenschutzrechtlichen Anforderungen entsprechend — bereits erlaubterweise vernichtet, wird es dem Patienten nahezu unmöglich sein, einen Behandlungsfehler nachzuweisen.

Was passiert aber, wenn der Arzt die Behandlungsunterlagen noch vorrätig hat, diese aber unvollständig oder mangelhaft sind? Könnte dieser Umstand dem Arzt auch nach dieser langen Zeit noch zur Last fallen?

Genau an diesen Punkt setzt das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 09.05.2017 – 26 U 91/16 – an, welches so auch von anderen Obergerichten und vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt worden ist. Das OLG führt in seiner Entscheidung aus, dass nach Ablauf der 10-jährigen Mindestaufbewahrungspflicht dem behandelnden Arzt oder dem Krankenhaus aus dem Fehlen, der Unvollständigkeit oder der Mangelhaftigkeit der Behandlungsdokumente kein juristischer Nachteil erwachsen darf. Dies bedeutet, dass die Unterlagen ohne weiteres vernichtet werden können. Diese stünden dann dem Arzt und insbesondere dem Patienten nicht mehr zur Verfügung, um im Nachhinein vermeintliche Behandlungsfehler nachweisen zu können. Bei allerdings noch vorhandenen Krankenunterlagen dürfen dann aber Dokumentationsversäumnisse auch nicht zu Lasten des Arztes berücksichtigt werden. Denn hätte der Arzt die Unterlagen wie erlaubt vernichtet, hätten sie auch nicht mehr für den Nachweis eines Dokumentationsversäumnisses zur Verfügung gestanden.

In der Regel können Ärzte und Krankenhäuser daher davon ausgehen, dass sie nach Ablauf von 10 Jahren seit Beendigung der Behandlung vor Schadensersatzansprüchen des Patienten auf Grund eines möglichen Behandlungsfehlers sicher sein können. Anders verhält es sich nach Ansicht des OLG nur dann, wenn die noch vorhandenen Behandlungsunterlagen konkrete Fehler des behandelnden Arztes positiv belegen. In dieser Situation kann sich der Arzt nicht darauf berufen, dass er die Unterlagen auch hätte vernichten können. Bei positiv feststellbaren Fehlern dürfen die alten Behandlungsdokumente demnach zu Lasten des behandelnden Arztes verwendet werden.

Zusammenfassend erscheint es aus Ärztesicht daher am sinnvollsten, sämtliche Behandlungsunterlagen nach Ablauf der Mindestaufbewahrungsfrist zu entsorgen, um sich nicht überflüssiger Weise der Gefahr auszusetzen, dass die Unterlagen möglicherweise doch noch Fehler des jeweiligen Arztes belegen. (Man könnte auch sagen: Lieber die vermeintlichen Leichen im Keller entsorgen!).

4. Bezüglich der Aufklärungsdokumentation, wo andere Beweislastregeln gelten, ist jedoch deutlich zu differenzieren; die Situation ist hier ganz anders zu beurteilen, was auch das OLG in der o.g. Entscheidung hervorhebt.

Bekanntermaßen sind der behandelnde Arzt oder das Krankenhaus für eine ordnungsgemäß erbrachte Aufklärung und die darauf beruhende Einwilligung der Patienten darlegungs- und beweispflichtig. Dies muss durch Zeugen und insbesondere anhand der Vorlage des (vom Patienten) unterschriebenen Aufklärungsbogens nachweisen werden, insbesondere, dass die Aufklärung über den Eingriff tatsächlich erfolgte und dies auch in angemessenem Umfang. An dieser Beweislastverteilung ändert auch der Ablauf der 10-jährigen Mindestaufbewahrungspflicht von Behandlungsunterlagen, zu denen die Aufklärungsbögen zählen, nichts.

Wäre der Arzt also z.B. 15 Jahren nach Abschluss der Behandlung einer Klage eines Patienten ausgesetzt, in der dieser vorträgt, er sei nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden, könnte der Arzt ohne den Aufklärungsbogen den Prozess im Regelfall nicht gewinnen. Zeugen werden sich nach so langer Zeit regelmäßig nicht mehr an den konkreten Einzelfall erinnern können. Und auch der Beweis, dass man bei bestimmten Indikationen immer so aufkläre, ist nach so langer Zeit nicht wirklich durchschlagskräftig. Eine frühzeitige Vernichtung der Aufklärungsdokumentation nach Ablauf von 10 Jahren kann also dem jeweiligen Arzt im Prozess um eine ordnungsgemäße ärztliche Aufklärung „um die Ohren fliegen“.

Wer also auf Nummer sicher gehen will, sollte einerseits die Behandlungsdokumentation nach Ablauf der berufsrechtlichen und gesetzlichen Fristen (s.o.) vernichten, andererseits aber die Aufklärungsdokumentation über den Zeitraum von 10 Jahren hinaus, bestenfalls 30 Jahre nach Abschluss der Behandlung, aufbewahren.

Der Beitrag ist im August 2019 im medizinischjuristischen Newsletter der Thieme Compliance GmbH erschienen.



Publication History

Article published online:
28 March 2022

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