PPH 2022; 28(03): 153
DOI: 10.1055/a-1773-8747
Rund um die Psychiatrie

Für Sie gelesen: Aktuelle Studien

Smits ML, Feenstra DJ, Bales DL et al. Day hospital versus intensive outpatient mentalization-based treatment: 3-year follow-up of patients treated for borderline personality disorder in a multicentre randomized clinical trial. Psychological Medicine 2022; 52: 485–495. doi:10.1017/S0033291720002123

Hintergrund: Bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung haben sich insbesondere zwei Arten der mentalisierungsbasierten Behandlung (MBT) als wirksam erwiesen: die Tagesklinik-MBT (MBT-DH) und die intensive ambulante MBT (MBT-IOP). Die Behandlungskomponenten und Funktionen der MBT-DH und der MBT-IOP sind sehr ähnlich, in beiden Programmen gibt es wöchentliche Einzelsitzungen. Deutliche Unterschiede bestehen jedoch in der Intensität der Gruppentherapie: Die MBT-IOP umfasst zwei Gruppentherapiesitzungen pro Woche, während die MBT-DH an fünf Tagen pro Woche stattfindet und insgesamt neun Gruppentherapiesitzungen umfasst. Diese Studie untersuchte die Wirkungsgrade beider Behandlungsarten 36 Monate nach Behandlungsbeginn.

Methode: An der Studie nahmen 114 Patienten aus einer vorherigen multizentrischen Forschung teil und wurden erneut 24, 30 und 36 Monaten nach Behandlungsbeginn untersucht. Der primäre Fokus lag darauf, ob sich die Symptomschwere der Erkrankung verändert hat, dies wurde mit dem Brief Symptom Inventory (BSI) gemessen. Weiterhin wurden Daten zur Borderline-Symptomatik, Persönlichkeit und zwischenmenschlichen Funktionsfähigkeit, Lebensqualität und zum selbstverletzenden Verhalten erhoben. Die Daten wurden mithilfe der Mehrebenenanalyse (Multilevel Modeling) und dem Intention-to-treat-Prinzip (Analyse von Daten, die in kontrollierten, randomisierten klinischen Studien erhoben werden) analysiert.

Ergebnis: Die Patienten konnten von beiden Behandlungsansätzen (MBT-DH und MBT-IOP) profitieren. Die Symptomschwere der Erkrankung konnte bei über 83 % der Patienten verringert werden. Im direkten Vergleich konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen MBT-DH und MBT-IOP 36 Monate nach Behandlungsbeginn festgestellt werden.

Ein Unterschied war, dass sich der Zustand der Patienten, die die MBT-DH-Behandlung erhielten, stärker während der intensiven Behandlungsphase verbesserte, und Patienten, die die MBT-IOP-Behandlung erhielten, mehr von der Nachsorge profitieren.

Fazit: Die beiden Behandlungsansätze zeigen viele Ähnlichkeiten auf, unterscheiden sich aber vor allem hinsichtlich der Intensität der Gruppentherapie. Trotz dieses Unterschieds wurde nachgewiesen, dass sich bei allen Patienten die Erkrankungssymptome in einem Zeitraum von 36 Monaten ähnlich verbesserten. Dieses Ergebnis kann sich hinsichtlich der Kosteneffizienz auf die Auswahl der Behandlungsansätze auswirken.

Dr. Jörg Kußmaul

Den Hartigh RJR, Hill Y. Conceptualizing and measuring psychological resilience: What can we learn from physics? New Ideas in Psychology 2022; 66, 100934 doi:10.1016/j.newideapsych.2022.100934

Hintergrund: Das Thema Resilienz ist hauptsächlich im Bereich der Psychologie untersucht worden, zum Beispiel in der Klinischen Psychologie, Entwicklungs-, Sport-, Sozial- und Organisationspsychologie. Es ist aber ist auch für andere wissenschaftliche Disziplinen von großem Interesse. Daher hat die Zahl von resilienzbasierten Konzepten in der Psychologie schnell zugenommen. Dies führte zu unterschiedlichen Interpretationen, was Resilienz eigentlich bedeutet, und folglich zu Unklarheiten bei angewandten Messungen, Analysen und praktischen Interventionen. Die gängigsten Konzeptualisierungen der psychologischen Resilienz nennen folgende Fähigkeiten: (1) negativen Auswirkungen von Stressoren zu widerstehen, (2) von Stressoren „zurückzuprallen“ und/oder (3) an Stressoren zu wachsen.

Die vorliegende qualitative Forschungsarbeit überprüfte diese drei Konzeptualisierungen und ihre unterschiedlichen Ansatzpunkte. Zudem wurde Wissen aus dem Physikingenieurwesen einbezogen, um Konzepte präzise, messbar und mathematisch zu untermauern.

Methode: Der Methodenansatz skizzierte verschiedene Resilienz-Konzeptualisierungen und deren implizite Messungen in der Psychologie. Anschließend wurden Definitionen und Maße der Resilienz und verwandter Konzepte in anderen Wissenschaftsbereichen beschrieben. Im nächsten Schritt wurden Folgen konzeptioneller Unklarheiten kritisch bewertet und diskutiert, wie eine eindeutige Konzeptualisierung von Resilienz in der Psychologie erreicht werden kann. Abschließend wurden spezifische Richtlinien für die Messung von Resilienz und verwandten Konzepten in der Psychologie vorgeschlagen und die wichtigsten theoretischen und praktischen Implikationen zusammengefasst.

Ergebnis: Die Ergebnisse verdeutlichten, dass eine eindeutige Definition der resilienzbasierten Konzepte nicht dadurch erreicht wird, indem die in der Psychologie bereits vorhandenen Begrifflichkeiten vereinheitlicht werden. Die Empfehlung ist daher, den Resilienz-Begriff nicht in verschiedene „Typen“ von Resilienz aufzuteilen.

Der Grad an Resilienz lässt sich nur dann aus psychologischen Prozessen ableiten, wenn der Unterschied zum Ausgangspunkt beziehungsweise zum vorherigen Zustand implizit und messbar ist. Resilienz-Theorien und -Konzepte sollten sich daher auf die messbaren Mechanismen konzentrieren, mit der sich Individuen von Stressoren erholen.

Fazit: Die Messung und Intervention von Resilienz in Theorie und Praxis kann nur dann zielgerichtet erfolgen, wenn die Konzeptualisierung eindeutig definiert ist. Hilfreich dabei ist, eine klare Beschreibung und Kommunikation des jeweiligen Resilienz-Konzepts und der zugrunde liegenden Prozesse zu etablieren.

Dr. Jörg Kußmaul



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Article published online:
20 May 2022

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