Die systemische juvenile idiopathische Arthritis (sJIA) ist gekennzeichnet durch oft
schwerwiegende Verläufe einschließlich einem signifikanten Prozentsatz von Patienten,
die ein Makrophagen-Aktivierungssyndrom (MAS) entwickeln (sekundäre hämophagozytäre
Lymphohistiozytose – HLH). Durch den Einsatz von IL-1- und IL-6-blockierenden Therapeutika
ist die Prognose der Erkrankung entscheidend verbessert worden und auch die bis in
jüngere Zeit häufigen Komplikationen durch die Langzeitgabe von Glukokortikoiden haben
sich entscheidend verringert. Dennoch kommt es immer wieder zu behandlungsresistenten
Verläufen und in den letzten Jahren wurde zudem eine schwerwiegende sJIA-assoziierte
Lungenerkrankung, die Ähnlichkeiten mit der pulmonalen Alveolarproteinose (PAP) aufweist,
beschrieben [[1 ], [2 ]].
Anhand der Kasuistik einer Patientin mit sJIA, MAS und PAP werden molekularbiologische
diagnostische Verfahren diskutiert, die bei behandlungsresistenten Patienten ein Verständnis
des Krankheitsgeschehens ermöglichen und die Wahl von Therapeutika beeinflussen könnten.
Außerdem werden neue Behandlungsformen betrachtet und ethische Richtlinien diskutiert,
die bei schweren Krankheitsverläufen in der Betreuung der Patienten berücksichtigt
werden sollten.
Fallbericht
Beschrieben wird ein zuvor gesundes 3½-jähriges Mädchen, das Mitte Februar 2014 abendliche
und morgendliche Fieberschübe bis 40 °C entwickelte. Initial erfolgte eine erfolglose
Antibiotika-Behandlung durch niedergelassene Kollegen und nach 4 Wochen eine stationäre
Aufnahme zur Abklärung eines Fiebers unklarer Genese. Die Eigen- und Familienanamnese
war unauffällig. In der körperlichen Untersuchung fanden sich geschwollene zervikale
und inguinale Lymphknoten beidseits, eine Arthritis beider Kniegelenke und ein blässlich
rötlicher, makulärer Hautausschlag insbesondere im Bereich des Rückens und des Nackens.
Die Patientin klagte über diffuse Bauchschmerzen, hatte aber normalen Stuhlgang. Es
bestand keine Hepatosplenomegalie und die Abdomensonografie war unauffällig. Eine
umfassende infektiöse und onkologische Abklärung einschließlich einer Knochenmarkaspiration
war unauffällig. Im Labor fanden sich ANA mit einem Titer von 1:40, der Rheumafaktor
war negativ. Ansonsten waren die klinischen, bildgebenden und laborchemischen Untersuchungen
unauffällig. Die Patientin wurde mit einer sJIA gemäß ILAR-Kriterien diagnostiziert.
Die Gesamtleukozytenzahl war initial mit 24 000/μl deutlich erhöht (Neutrophilie,
Linksverschiebung), sank aber rasch auf ein Minimum von 3000/μl innerhalb von 4 Tagen.
Gleichzeitig erreichte das C-reaktive Protein einen Höhepunkt von 200 mg/dl, die Thrombozyten
fielen auf Werte unterhalb von 100 000/μl. Die Triglyzeride lagen bei 2,21 mmol/L.
Transaminasen sowie CD25 und CD163 waren ebenfalls erhöht. Die Ferritin-Werte stiegen
auf 10 760 μg/L. Angesichts dieser Laborkonstellation wurde gemäß den Klassifikationskriterien
von Ravelli et al. ein MAS/HLH diagnostiziert [[3 ]].
Die initiale Behandlung erfolgte mit Anakinra (Kineret) in einer Dosierung von 2 mg/kg/Tag.
Wegen des signifikanten MAS wurde außerdem eine Hochdosis-Methylprednisolon-Therapie
(25 mg/kg/d) über 3 Tage mit folgender Prednison-Gabe in einer Dosierung von 2 mg/kg/Tag
und einer Einmalgabe von Immunglobulinen in einer Dosierung von 2 g/kg initiiert.
Der Plan war, die Prednison-Dosis rasch zu reduzieren, allerdings zeigte sich im weiteren
Verlauf eine deutliche Behandlungsresistenz und bei jeder Prednison-Reduktion kam
es zu einem Rezidiv des MAS mit rezidivierendem Fieber, Hepatosplenomegalie und Verschlechterung
der Laborparameter (Ferritin- und CRP-Anstieg sowie Abfall der Zelllinien). Nachdem
es trotz Erhöhung der Kineret-Dosis auf 5 mg/kg/Tag und einer zusätzlichen Gabe von
Cyclosporin A zu keiner dauerhaften Remission kam, wurde nach 6 Monaten Kineret durch
den IL-6-Antagonisten Tocilizumab ersetzt. Bereits bei der 3. und dann auch 4. Infusion
kam es zu schweren Infusionsreaktionen, die eine weitere Gabe unmöglich machten, und
die Patientin wurde daraufhin mit Canakinumab behandelt. Die Dosis musste allerdings
auch hier auf das Doppelte der normalen Dosis und zudem einem verkürzten Injektionsintervall
von 3 Wochen erhöht werden, um die Krankheitsaktivität zu kontrollieren.
Genetische Diagnostik
Angesichts der ungewöhnlichen Behandlungsresistenz wurde eine weiterführende Diagnostik
auf spezifische Mutationen in Genen, die für ein HLH/MAS verantwortlich sein könnten,
durchgeführt, neben den Standardgenen für die HLH schloss dies auch eine (für damalige
Verhältnisse) erweiterte Diagnostik mit Testung auf Mutationen im AP3B1, BLOC1S6,
ITK, LYST, MAGT1, PRF1, RAB27A, SH2D1A, SLC7A7, STX11, STXBP2, TNFRSF7, UNC13D (MUNC13-4)
und XIAP (BIRC4) Gen ein. Außerdem wurde eine funktionelle und genetische Diagnostik
auf Immundefekte durchgeführt. Es wurden in dieser erweiterten Diagnostik keine Auffälligkeiten
gefunden. Allerdings ist es wichtig zu bedenken, dass bei der gezielten Mutationstestung
trotz moderner Analyseverfahren langstreckige Deletionen und Duplikationen möglicherweise
nicht erkannt werden. Schließlich wurde eine Analyse des gesamten Exoms durchgeführt.
Diese Analysemethode findet zunehmend Anwendung, zumal die Kosten für die Analyse
eines gesamten Genoms, die im Jahr 2001 noch bei mehreren hundert Millionen Euro lagen,
mittlerweile unter 1000 Euro gefallen und damit teilweise geringer als die gezielte
Mutationsanalyse sind. Es ist jedoch wichtig zu klären, wer die Analyse der zu erwartenden
zahlreichen Polymorphismen, die auch Gesunde in sich tragen, vor dem Hintergrund der
spezifischen Erkrankung vornimmt. Dies ist umso schwieriger bei möglicherweise polygenen
Erkrankungen wie im Falle unserer Patientin. Auch die Tatsache, dass es sich um eine
einzelne Indexpatientin handelte und nicht um einen Familienstammbaum mit mehreren
betroffenen und nicht betroffenen Familienmitgliedern, erschwert die Analyse.
NLRC4-Mutation
Im Falle unserer Patientin wurde in der Exomanalyse eine heterozygote Mutation im
NLRC4-Gen gefunden (p.His392del), die bis dato nicht beschrieben und deren pathologische
Relevanz unklar war. Das NLRC4-Genprodukt formt einen intrazellulären Inflammasom-Komplex,
der auf verschiedene bakterielle Bestandteile reagiert. Es kommt zu einer Aktivierung
der Caspase 1 und zur Produktion von IL-1 und IL-18. Außerdem wird die Pyroptose induziert,
eine hochinflammatorische Form des programmierten Zelltodes. Im Gegensatz zur Apoptose
kommt es hier zur Lyse der Zelle und einer gezielten Freisetzung von IL-1 und IL-18,
um einerseits intrazelluläre Nischen zur Bakterienreplikation zu eliminieren und gleichzeitig
eine Entzündungsreaktion zu induzieren. „Gain-of-function“-Mutationen im NLRC4-Gen
wurden erstmalig 2014 als Ursache für ein Krankheitsbild beschrieben, das mittlerweile
als AIFEC oder Autoinflammation mit infantiler Enterokolitis bezeichnet wird [[4 ]]. Dabei kommt es zu fortgesetzten entzündlichen Schüben mit Fieber, Ausschlägen,
Arthritis, MAS/HLH und Enterokolitis. Seit der Erstbeschreibung sind auch Mutationen
im NLRC4-Gen beschrieben worden, die ein anderes Krankheitsbild, FCAS4 oder Cold induced
episodic fever, Urticaria like rash and arthralgias auslösen. Varianten dieses letzteren
Krankheitsbildes wiederum können neben Mutationen im NLRC4-Gen/FCAS4 auch als FCAS
1–3 durch Mutationen im NLRP3-, NLRP12- und PLCG2-Gen ausgelöst werden.
Die klinischen Charakteristika unserer Patientin überlappen zumindest zum Teil mit
AIFEC. Um aber zu klären, ob diese neue Mutation im NLRC4-Gen tatsächlich pathologisch
ist und den ungewöhnlichen Krankheitsverlauf unserer Patientin erklären kann, ist
die Beantwortung folgender Fragen notwendig:
Ist die Mutation an der richtigen Stelle des Gens, um eine Hyperinflammation zu induzieren?
Wie hoch ist die Prävalenz dieser Mutation in gesunden Populationen?
Tragen andere Familienmitglieder dieselbe Mutation?
Zeigt die Patientin den erwarteten klinischen Phänotyp?
Da der klinische Phänotyp variabel sein kann: Gibt es andere Merkmale von AIFEC (typische
Laborparameter etc.), auf die wir testen können?
Im Falle unserer Patientin liegt die Mutation in Position 392 an der richtigen Stelle,
da pathologische Mutationen häufig im Bereich der Aminosäurepositionen 330–450 auftreten.
Die Mutation war in gesunden Kontrollpopulationen nicht beschrieben, aber die gesunde
Mutter der Patientin trägt sie andererseits ebenfalls. In der Endoskopie (die Patientin
hatte rezidivierende Bauchschmerzen) fand sich kein Anhalt für eine Enterokolitis
und das Calprotectin im Stuhl war normal. Bei AIFEC-Patienten finden sich regelhaft
stark erhöhte freie IL-18-Spiegel im Blut, und auch diese waren bei der Patientin
zum damaligen Zeitpunkt mit Werten von 500 pg/ml im oberen Normbereich, aber dennoch
normal. Theoretisch kann man an diesem Punkt auch in einem experimentellen Labor versuchen,
die funktionelle Wirkung der Mutation zu untersuchen, wenn eine solche Möglichkeit
besteht.
Unsere Schlussfolgerung war, dass diese Mutation bei der Patientin wahrscheinlich
nicht relevant war. Eine weiterführende genetische Diagnostik auf mögliche somatische
Mutationen oder eine Gesamt-Genomanalyse (Introns und Exons) wären ebenfalls denkbar
gewesen. Angesichts des Fehlens eines konkreten Verdachtes auf eine monogene Erkrankung
bei der Patientin und einem Krankheitsbild (sJIA mit MAS), das eher polygen erklärbar
ist, wurde auf eine weitergehende genetische Diagnostik verzichtet.
Weiterer Krankheitsverlauf – erste Zeichen der Lungenerkrankung
Im Jahr 2016 war die Patientin in klinischer Remission unter der kombinierten Behandlung
mit Canakinumab, Cyclosporin A sowie niedrig dosiertem Prednison. Eine Behandlung
mit Zoledronsäure erfolgte wegen milden Wirbelkörperfrakturen im Bereich T5–T7, die
sich darunter wieder erholten. In der körperlichen Untersuchung traten jedoch unvermittelt
Trommelschlegelfinger auf ([
Abb. 1
]). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Patientin keine pulmonalen Symptome. Eine Lungenfunktionsanalyse
war wegen mangelnder Kooperation der Patientin wenig aussagekräftig, die Echokardiografie
war unauffällig und im Lungen-CT zeigten sich lediglich diskrete subpleurale Zysten
([
Abb. 2
]). Der Befund von Trommelschlegelfingern ohne pulmonale Symptome und mit weitgehend
normaler Bildgebung ist sehr ungewöhnlich, zum damaligen Zeitpunkt ergaben sich angesichts
der minimalen Befunde im Lungen-CT keine Indikationen zu einer invasiven Diagnostik
mit Biopsie oder Therapieänderung.
Abb. 1 Trommelschlegelfinger in pulmonal asymptomatischem Zustand.
Abb. 2 Kleine subepitheliale Zysten als erste Manifestation der Lungenerkrankung (Pfeile).
Im Juli 2017 war die Patientin nur noch mit Canakinumab und einer Minimaldosis an
Cyclosporin A behandelt, die Laborparameter einschließlich eines S100A12-Wertes von
15 ng/ml (Norm < 75 ng/ml) waren normal. Unglücklicherweise kam es dann zu einer Osteomyelitis
mit begleitender Weichteilinfektion im Bereich der rechten Maxilla/Wange und eine
mehrmonatige Behandlung mit Clindamycin wurde eingeleitet. Im Oktober 2017 kam es
zu einer Reaktivierung ihres MAS und nun auch deutlich erhöhten IL-18-Werten von bis
zu 430 000 pg/ml. Während die Echokardiografie im Oktober noch unauffällig war, zeigte
sich in der Folgeuntersuchung im Dezember 2017 eine Rechtsherzbelastung und in der
CT-Untersuchung der Lunge ein deutliches Fortschreiten der Lungenbeteiligung mit diffusen
interstitiellen Infiltraten und peribronchialen Wandverdickungen ([
Abb. 3
]). Eine Lungenbiopsie wurde daraufhin durchgeführt.
Abb. 3 Fortschreiten der Lungenerkrankung zum Zeitpunkt der Biopsie.
Pulmonale Alveolarproteinose
Die Lungenhistologie zeigte eine Akkumulation von proteinreichem Material in den Alveolen,
das mit Cholesterol, schaumigen Makrophagen und Zelldebris gemischt war. Viele Bronchiolen
waren ebenfalls betroffen, aber ansonsten unauffällig. In einzelnen Bereichen fand
sich eine Hyperplasie von Typ-II-Pneumozyten und ein mildes lymphoplasmazytäres Infiltrat
mit einzelnen Eosinophilen. Keine interstitielle Fibrose. Keine vaskulären Auffälligkeiten.
Keine Anzeichen für bakterielle, mykobakterielle, virale oder Pilzinfektionen. Damit
bestand histologisch die Diagnose einer pulmonalen alveolären Proteinose (PAP).
Die Sekretion von Surfactant durch Typ-II-Pneumozyten und Clearance durch alveoläre
Makrophagen ist ein wichtiger Mechanismus der Surfactant-Homöostase. Die Makrophagenaktivität
wird durch GM-CSF reguliert. Bei einer Dysfunktion der alveolären Makrophagen kommt
es zu einer Akkumulation von proteinreichem Sufactant und einem erschwerten Gasaustausch
in den Alveolen. Die resultierende PAP kann bei einer GM-CSF-Rezeptordefizienz, Antikörpern
gegen GM-CSF, Mangel an Sufractantproteinen und Defiziten des Lipidtransports in den
Pneumozyten entstehen [[5 ]]. Im Falle unserer Patientin waren die Testung auf genetische Mutationen des GM-CSF-Rezeptors
und GM-CSF-Antikörper ebenso wie eine erweiterte Infektionsdiagnostik unauffällig.
Es handelt sich hierbei um eine spezielle Form der PAP, die im Rahmen der JIA/MAS
auftritt und in jüngeren Fallserien beschrieben wurde [[1 ]]. Die Patienten zeigen ein akutes Auftreten von Trommelschlegelfingern, oft einen
für die sJIA eher untypischen juckenden Hautausschlag, eine Eosinophilie im peripheren
Blut und ein gehäuftes Auftreten von anaphylaktoiden Reaktionen auf Tocilizumab sowie
diffuse Bauchschmerzen. Die 5-Jahresüberlebensrate ist mit 42 % gering. Bezüglich
der Genese scheint diese Form der PAP vor allem bei sJIA-Patienten, die einen frühen
Krankeitsbeginn hatten und mit IL-1- oder IL-6-Blockern behandelt werden, aufzutreten.
Andererseits zeigt die überwiegende Mehrheit der so behandelten sJIA-Patienten keine
PAP. Auch das Ausmaß der Krankheitsaktivität scheint zwischen sJIA-PAP-Patienten und
sJIA-Kontrollgruppen nicht signifikant unterschiedlich zu sein. Eine mögliche Erklärung
liegt in der Tatsache, dass z. B. IL-1 die GM-CSF-Spiegel und Makrophagenfunktion
in der Lunge reguliert und bis zum Alter von 4 Jahren auch eine Rolle in der Lungenreifung
spielt. Unter einer medikamentösen Blockade von IL-1 kommt es dann bei manchen Patienten
möglicherweise im Rahmen eines weiteren Triggers wie einer Infektion zu einer persistierenden
Makrophagendysfunktion und einer sekundären PAP.
Zytokin-Diagnostik
Angesichts der möglichen Rolle von IL-1- und IL-6-blockierenden Medikamenten bei der
Entstehung der PAP wird die Notwendigkeit diskutiert, diese Medikamente beim Auftreten
der PAP zu stoppen. Allerdings schien dies bei unserer Patientin angesichts der schwer
zu kontrollierenden Krankheitsaktivität unmöglich. Stattdessen wurde der Fokus auf
eine erweiterte Zytokindiagnostik gerichtet, um mögliche weitere hochregulierte Signalwege
zu identifizieren, die dann spezifisch blockiert werden könnten. Bei der Patientin
zeigten sich neben den deutlich erhöhten IL-18-Spiegeln auch deutlich erhöhte Interferon-gamma-Werte
(Interferon-II-Signalweg) sowie ein erhöhter Interferon-Score und damit eine Aktivierung
von Interferon-I-Signalwegen. Diese Kombination von stark erhöhten Interleukin-Spiegeln
mit einer Aktivierung von Interferon-I- und -II-Signalwegen, MAS und PAP ist unter
Einschluss unserer Patientin als mögliche neuartige autoinflammatorische Erkrankung
IL-18/PAP/MAS-Syndrom publiziert [[6 ]]. Ohne den Nachweis einer spezifischen genetischen Mutation bei den bisher beschriebenen
Patienten ist es allerdings fraglich, ob es sich wirklich um eine eigenständige autoinflammatorische
Erkrankung handelt, und die weitere Behandlung erfolgte weiterhin unter der Diagnose
einer sJIA mit MAS und PAP.
Experimentelle Behandlungsansätze
IL-18-Blockade
Angesichts der deutlich erhöhten IL-18-Werte wurde die Patientin in eine Studie mit
einem IL-18-Bindungsprotein, Tadekinig alfa, eingeschlossen, das diesen Signalweg
blockiert. Leider zeigte sie in der initialen doppelblinden Studienphase ein deutliches
Aufflammen der Krankheitsaktivität und konnte wegen eines Protokollverstoßes nicht
in die Verum-Behandlungsphase überführt werden. Aus statistischen Gründen war keine
Entblindung möglich und es ist nicht klar, ob sie jemals mit dem Verum behandelt wurde.
Eine Behandlung mit Tadekinig alfa im Rahmen eines Heilversuches hat der Hersteller
trotz wiederholter Anträge abgelehnt.
JAK-Inhibition
Angesichts verschiedener aktivierter Zytokinsignalwege einschließlich Interferon I
und II wurde als nächster Behandlungsansatz die zusätzliche Gabe eines JAK-Inhibitors
in Erwägung gezogen. Diese Medikamentenklasse ist durch die pleiotrope Wirkung auf
verschiedene Zytokine einschließlich der Interferone gekennzeichnet [[7 ]]. Es liegen mittlerweile mehrere Fallberichte zur erfolgreichen Behandlung von MAS/HLH
vor und auch die erfolgreiche Regression einer PAP im Rahmen einer sJIA unter Ruxolitinib
ist beschrieben [[8 ]]. Es ist bisher nicht geklärt, ob bestimmte JAK-Inhibitoren in diesem therapeutischen
Setting bevorzugt werden sollten. In unserem Fall wurde Tofacitinib zusätzlich zu
Canakinumab eingesetzt. Die Dosierung wurde im Verlauf verdoppelt auf 0,4 mg/kg/Tag
und trotzdem zeigte die Patientin kein Ansprechen mit weiterhin erhöhten Ferritin-Werten,
Zytopenien und einem Fortschreiten der Lungenerkrankung mit Sauerstoffbedürftigkeit
tags und nachts.
Interferon-gamma-Blockade
Als letzter therapeutischer Versuch wurde daraufhin eine direkte Interferon-gamma-Blockade
mit dem monoklonalen Interferon-gamma-Antikörper Emapalumab versucht. Das Medikament
wurde von der Firma im Rahmen eines Heilversuches kostenlos zur Verfügung gestellt,
ist aber z. B. in den USA von der FDA zur Behandlung der HLH zugelassen. Es ist mit
sehr hohen Kosten verbunden und wird typischerweise 1- bis 2-mal pro Woche intravenös
verabreicht. Dabei ist die Behandlungsdauer normalerweise recht begrenzt und es wird
entweder eingesetzt, um eine temporäre starke Makrophagenaktivierung z. B. nach einer
Infektion zu beruhigen oder aber um die Situation bis zu einer Stammzelltransplantation
zu stabilisieren. In unserem Fall gelang es initial, die Krankheitsaktivität deutlich
zu beruhigen, was sich auch in deutlich normalisierten Interferon-gamma Spiegeln zeigte.
Allerdings kam es immer wieder zu Durchbrüchen der Erkrankungsaktivität und erhöhten
Interferon-gamma-Spiegeln trotz wiederholter Dosisanpassung von Emapalumab bis zu
10 mg/kg/Dosis einmal wöchentlich ([
Abb. 4
]). Die Progredienz der Lungenerkrankung war verlangsamt, in der subjektiven Analyse
war das Fortschreiten in den CT-Kontrollen langsamer, der O2 -Bedarf, die Ergebnisse im „6-Minuten-Gehtest“ und die FEV1 stabil, aber es kam andererseits zu keiner Verbesserung und wie erwähnt auch nicht
zu einer Remission der Erkrankung an sich.
Abb. 4 Zytokinlevel unter der Behandlung mit Emapalumab.
Ethische Erwägungen
Angesichts wiederholter experimenteller Therapieversuche bei unserer Patientin ist
es wichtig, ethische Grundsätze zu betrachten, die bei solchen Entscheidungen zur
Anwendung kommen sollten. Es gilt zu vermeiden, dass Therapien eingesetzt werden,
die keine realistische Chance auf eine Verbesserung der Situation des Patienten mehr
haben. Patient*innen werden dann sinnlos belastenden Therapiemodalitäten ausgesetzt,
ihnen und ihren Familien werden falsche Hoffnungen gemacht, das Behandlungsteam gerät
angesichts der Aussichtslosigkeit der Bemühungen unter emotionalen Stress und auch
das Gesundheitswesen wird unnötig mit erheblichen Kosten belastet. Weiss et al. haben
diese Situation in einer Publikation mit dem Titel „From Longshot to Fantasy“ beschrieben
[[9 ]]. Dabei werden verschiedene Stadien der Behandlung eines Patienten in einem spezialisierten
Zentrum beschrieben. In Phase 1 werden Therapieformen erwogen, die bei einer komplizierten
Erkrankung eine gewisse Chance auf Heilung bieten, aber keine Garantie. Ebenso könnte
in dieser Phase bereits ein palliativer Therapieansatz diskutiert werden. In Phase
2 wird diese Therapie dann angewandt und der Ausgang kann Heilung, Tod oder ein Fortbestehen
der Erkrankung sein. In Phase 3 werden dann weitere Optionen diskutiert, deren Chance
auf Heilung geringer als in Phase 2 aber dennoch möglich ist. Wenn diese dann auch
scheitern und keine Heilung erzielt wird, Patient/Patientin aber überlebt, besteht
die Gefahr, in Phase 4 zu geraten. In dieser Phase werden weiter therapeutische Anstrengungen
unternommen, obwohl keinerlei Chance auf Heilung mehr besteht (Fantasy). Damit ist
das Stadium erreicht, in der die Familie vielleicht noch an Heilung glaubt, aber
das Behandlungsteam innerlich aufgegeben hat.
Die Autoren lehnen experimentelle Therapieverfahren nicht grundsätzlich ab. Einige
sehr kranke Kinder werden geheilt, was solche Ansätze medizinisch und ethisch rechtfertigt,
trotz der potenziellen Kosten. Manchmal geben solche Optionen auch etwas mehr Zeit,
um sich auf den Tod vorzubereiten. Es kann psychologisch Vorteile bieten, wenn man
das Gefühl hat, alles versucht zu haben. Andererseits besteht die Gefahr, schmerzhafte,
invasive Verfahren ohne Nutzen für die Patient*innen anzuwenden, die diese auch nicht
immer verstehen können (Alter des Kindes, Komplexität). Unrealistische Erwartungen
und Hoffnungen können die Vorbereitung auf den Tod des Kindes behindern und erzeugen
ein moralisches Dilemma für das Behandlungsteam.
Um also zu vermeiden, in das Phantasiestadium zu geraten, schlagen die Autoren folgende
Maßnahmen in den verschiedenen Stadien vor:
Phase 1: Eine ehrliche Kommunikation zu Beginn, dass es sich um einen Heilversuch
handelt
Definition von klinischen Zielen, die eine Beurteilung des Behandlungserfolges erlauben
Mögliche palliative Ansätze sollten gleichzeitig mit kurativen Optionen diskutiert
werden
Phase 2: Regelmäßige Treffen mit der Familie zur Überprüfung der Behandlungsziele
Phase 3: Kommunikation mit der Familie, wenn die Wahrscheinlichkeit der Heilung gering
wird
Phase 4: Sofortige Information der Familie, wenn die Ziele nicht mehr erreichbar erscheinen
Im Falle unserer Patientin erfolgten Gespräche mit der Familie zusammen mit dem Palliativteam
und der Bioethikerin der Klinik bei jedem der experimentelleren Behandlungsschritte
und die Option der Palliativbehandlung wurde diskutiert. Die Familie hat sich allerdings
jeweils entschlossen, die weiteren Therapieschritte zu gehen, und dies schloss auch
den letzten Therapieschritt, die allogene Stammzelltransplantion, mit ein. Die Entscheidung
hierzu erfolgte angesichts der Unmöglichkeit, mit den bisherigen therapeutischen Ansätzen
eine Remission der Erkrankung zu erreichen. Die Patientin war durch die andauernde
Erkrankungsaktivität und die klinischen Manifestationen einschließlich Rezidiven der
Arthritis stark belastet. Die körperliche Leistungsfähigkeit war durch die fortgeschrittene
Lungenerkrankung und den Sauerstoffbedarf stark eingeschränkt. Ein weiteres Fortschreiten
der Lungenerkrankung war zu erwarten, was dann neben den klinischen Folgen auch eine
Transplantation endgültig unmöglich gemacht hätte.
Allogene Stammzelltransplantation
Im September 2020 wurde bei der Patientin eine allogene Stammzelltransplantation durchgeführt.
Die Interleukin-1-Blockade wurde zu Beginn der Konditionierung abgesetzt, die Interferon-Blockade
mit Emapalumab allerdings in die Transplantationsphase hinein fortgesetzt. Es kam
zu keinen nennenswerten Infektionen trotz der massiv vorgeschädigten Lunge, allerdings
zu einer verzögerten Erholung der Zelllinien und einer deutlichen GvHD mit pulmonalen
Symptomen, aber auch deutlichen Hauterscheinungen. Die GvHD kam unter der Behandlung
mit dem JAK-Inhibitor Ruxolitinib zur Ruhe und die Patientin ist jetzt, 1 Jahr nach
der Transplantation, weiter mit Ruxolitinib behandelt, aber klinisch in Remission.
Die Erholung der Lunge ist dramatisch ([
Abb. 5
]), dennoch hat die Patientin weiterhin geringfügigen Sauerstoffbedarf, vor allem
nachts. Ob sich hier eine weitere Erholung einstellt, ist insbesondere von der Frage
abhängig, inwieweit die noch bestehenden Lungenveränderungen reversibel sein werden,
oder ob es sich hier um chronisch fibrotische Veränderungen handelt.
Abb. 5
CT Lunge zu Beginn der Stammzelltransplantation (links) und ein Jahr danach (rechts).
Diskussion/Schlussfolgerungen
Die Betreuung komplexer Patient*innen bedarf eines starken interdisziplinären Teams
und idealerweise der Einbindung von Psycholog*innen, dem Palliativteam und, wenn vorhanden,
auch klinisch tätiger Bioethiker*innen. Wichtig sind gemeinsame Entscheidungsprozesse
mit der Familie und den Patient*innen. Die Aufnahme in Fallserien/Register ist unbedingt
zu erwägen. Dies kann den Patient*innen, aber auch dem allgemeinen Verständnis bzgl.
der Erkrankung helfen.
Eine Patient*innenklassifizierung basierend auf molekularer Charakterisierung wird
zunehmen und kann die Behandlungsauswahl beeinflussen, ist aber möglicherweise nicht
immer erfolgreich. Die Versuche molekularer Charakterisierung stehen im klinischen
Alltag noch am Anfang. Mögliche genetische/molekulare Veränderungen auf Gewebeebene
werden mit den gegenwärtigen Methoden nicht immer erfasst. Im Rahmen der Diskussion
um die mögliche Rolle von IL-1- und IL-6-Blockern bei der Entstehung der PAP im Rahmen
der sJIA wird deutlich, dass therapeutische Eingriffe in Zytokinwege zu unerwünschten
Veränderungen auf Gewebeebene (Makrophagendysfunktion) führen könnten und möglicherweise
bei einigen Patient*innen Komplikationen verursachen. Abschließend geklärt ist dies
jedoch nicht. Bei der großen Mehrheit der Patient*innen treten keine Komplikationen
auf und diese Medikamente stellen weiterhin einen wichtigen Baustein in der Therapie
von sJIA und MAS/HLH dar.