Diabetes aktuell 2022; 20(04): 153
DOI: 10.1055/a-1827-1940
Editorial

Diabetologie – hybrid

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations

Gerade ist die Frühjahrstagung der Deutschen Diabetesgesellschaft vorbei und die Tore des Kongresszentrums in Berlin schließen sich. Die letzten Gäste verlassen das Gebäude und die Mitarbeiter sind schon kräftig dabei, alles abzubauen. Es war eine spannende Tagung. Fast 10 000 Anmeldungen, aber der Kongress war doch überschaubar. Das hybride Format hat es möglich gemacht, dass viele Teilnehmer von zuhause den Kongress fast live beobachten konnten. Der Vorteil dabei war, dass es bei manchen Vorträgen die Möglichkeit gab, 10 oder auch 15 Fragen zu beantworten, die von den Kollegen online gestellt wurden. Das wäre mit der Präsenz im Saal kaum möglich gewesen. Anders herum war es ein tolles Gefühl, wieder einen klassischen Kongress zu besuchen und an jeder Ecke jemanden zu treffen, den man kennt – dieser Kontakt hat die letzten Jahre schon gefehlt. Es gab auch einige sehr spannende Sessions. Sehr ausgeprägt war diesmal das Stipendiatenprogramm, und es war sehr schön zu sehen, wie viele junge Kollegen sich für die Diabetologie interessieren.

Interessanterweise war ein Hauptthema auf diesem Kongress die Digitalisierung. Hier haben wir auch die kontroversesten Sessions erlebt. Am Freitagnachmittag gab es eine Session, in der tatsächlich ganz kontrovers pro und contra Digitalisierung diskutiert wurde. Manche Kollegen meldeten sich zu Wort und lehnen digitale Diabetologie und insbesondere DiGAs komplett ab. Andere Kollegen waren sehr offen und interessiert zu lernen, wie digitale Therapeutika eingesetzt werden können und welcher Patient damit erreicht werden kann und davon profitiert. In der Industrieausstellung waren alle DiGAs, die für Diabetespatienten eingesetzt werden können, vertreten. Man hat gesehen, dass sich an diesen Ständen mitunter Menschentrauben gebildet haben. Eine DiGA, die sicherlich hervorzuheben ist, ist „HelloBetter“. HelloBetter hat es geschafft, eine Versorgungslücke in der Diabetologie zu schließen. Wir alle wissen, dass viele unserer Diabetespatienten auch eine Depression haben. Wenn wir ehrlich sind, kümmern wir uns um dieses Thema so gut wie nicht. Wenn wir den Patienten aber zu einer Psychotherapie überweisen wollen, bekommt er diese nicht oder erst in einem Jahr. HelloBetter ist eine digitale Gesundheitsanwendung, die Diabetespatienten mit Depressionen hilft, aus der Depression herauszukommen. Diese Versorgungslücke zu kennen und dann mit digitalen Hilfsmitteln eine Lösung anzubieten, ist gut und ich denke, wir sollten das ausprobieren. Eine andere clevere Diabeteslösung digitaler Natur ist die DiGA „Vitadio“. Vitadio ist das ideale Tool für Patienten zwischen den Arztvisiten. Wir wissen, wie wichtig das Selbstmanagement der Patienten ist. Jeder Patient trifft 1800 Entscheidungen am Tag, 400 davon haben im weitesten Sinne mit Diabetes zu tun. Was Vitadio schafft ist es, aus der Hosentasche heraus den Patienten in seinem Selbstmanagement zu unterstützen. Vitadio motiviert, Vitadio setzt Impulse und Vitadio hilft, mit künstlicher Intelligenz das Ernährungsverhalten anzupassen. Auch eine Lösung, die ein Highlight auf diesem Kongress dargestellt hat. Die anderen digitalen Gesundheitsanwendungen sind „Esysta“, ein intelligentes Datenmanagementsystem für Diabetespatienten mit Ampelfunktionen, und die Adipositas-DiGAs „Zanadio“ und „Oviva Direkt“. Alles sind Alternativen für unsere Diabetespatienten und im Moment zumindest ist es so, dass sich alle diese DiGAs sinnvoll ergänzen. Die Quintessenz aus diesem Kongress ist es, sich einmal auf die DiGAs einzulassen. Nehmen Sie 3 Patienten und verschreiben Sie eine DiGA und sammeln Sie Erfahrung oder 10 Patienten und mischen Sie diese DiGAs. Nur wenn wir Erfahrung sammeln, können wir auch kritisch oder kritisch konstruktiv diskutieren.

Die entscheidende Quintessenz aber aus diesem Kongress ist es, dass die DiGAs, wenn sie Erfolg haben sollen, ein integraler Bestandteil des Diabetesmanagements sein sollen. Es sollte möglichst nicht autark und unabhängig vom Diabetesteam passieren oder sollte die absolute Ausnahme darstellen. Die digitalen Gesundheitsanwendungen oder digitalen Therapeutika sollen in unseren Händen einsetzbar sein und können dann sicherlich aus einem Samen, der im Moment im Keimen begriffen ist, ein fester solider Baum in einer innovativen Diabetologie werden. Viel Freude beim Lesen.



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Article published online:
21 June 2022

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