Schmerz.Therapie 2022; 5(03): 148
DOI: 10.1055/a-1840-0502
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Erfahrungsbericht – Medizinische Versorgung in griechischen Flüchtlingslagern – ein Erfahrungsbericht

Johannes Brönneke-Born

Vor dem schlichten Container mit Vordach, der sonst als Schulraum dient, warten zehn Familien mit ihren kleinen Kindern aus vielen verschiedenen Ländern. Auch im Gebäude geht es lebhaft zu: 20 bis 30 Kinder sollen in dieser Vormittagssprechstunde geimpft werden – den meisten fehlt jede Grundimmunisierung oder sie sind noch nicht vollständig geimpft.

Heute sind wir Ärzte von der Organisation German Doctors mit unserem Übersetzer für Farsi und Dari, Daniel – selbst Flüchtling aus dem Iran –, für zwei Tage in Joannina und arbeiten im nahegelegenen Containercamp, das für rund 1000 Flüchtlinge Platz bietet. Joannina liegt in bergiger Landschaft im Südwesten Griechenlands drei Stunden von Thessaloniki entfernt, dem Standort unserer griechischen Partnerorganisation Arsis, wo auch wir wohnen.

Neben der Impfaktion findet heute die monatliche allgemeinmedizinische Sprechstunde in diesem Lager statt. Sprachlich ist das eine Herausforderung, kommen die Flüchtlinge doch von Pakistan bis zur Elfenbeinküste aus ca. 20 bis 25 verschiedenen Ländern. Es ist geradezu ein babylonisches Sprachgewirr, in dem man sich durch verschiedenste Übersetzer – meist Flüchtlinge aus den Lagern, die ein wenig griechisch oder englisch sprechen – mit wenigen Brocken Englisch oder Französisch und mit Gestik und Übersetzungs-App verständlich macht. Medizinisch ist man auf die klinische Erfahrung und viel Intuition angewiesen, apparativ stehen nur Stethoskop, Blutdruckmessgeräte, Fieberthermometer und Otoskop zu Verfügung.

Die Behandlungsgründe sind neben akuten Infektionen und vielen Hauterkrankungen, Depressionen und psychosomatische Erkrankungen, häufig muskuloskelettale Beschwerden bei teils erheblichen degenerativen Veränderungen mit akuten und oft chronischen Rücken- oder Gelenkschmerzen. Oft findet sich auch ein sogenannter „All-body-pain“, wobei die Ursache meistens sowohl körperliche als auch psychische Befunde einschließt und als chronische Schmerzen zu einem großen Leidensdruck führen. Unsere Behandlung umfasst gelegentlich weitere diagnostische Maßnahmen mit der Fragestellung eventueller operativer Behandlungen, was als Akutbehandlung im griechischen Gesundheitssystem möglich ist. Auf Termine bei einem Facharzt und diagnostische Maßnahmen wie Röntgen und MRT warten die Menschen oft wochenlang. Hinzu kommt, dass immer ein im griechischen Gesundheitssystem registrierter Arzt seine Zustimmung dafür geben muss. Glücklicherweise hat Arsis eine griechische Ärztin angestellt, die dazu berechtigt ist.

In der Regel können wir Analgetika oder entzündungshemmende-antirheumatische Medikamente aus eigenen Beständen mitgeben und die Patient*innen über sinnvolle leichte physiotherapeutische Maßnahmen aufklären und solche demonstrieren. Die im deutschen Gesundheitswesen selbstverständlich zur Verfügung stehende Physiotherapie steht den Flüchtlingen in der Regel nicht zur Verfügung, da sie entweder privat bezahlt werden muss oder über einen Orthopäden im Ausnahmefall verordnet wird.

In einem der aktuell fünf von uns betreuten Camps gibt es neben dem Lager eine griechische NGO mit vielen Freiwilligen aus verschiedenen Ländern, in der besonders Frauen und Kinder betreut werden (Nähkurse, Sprachkurse, Spielgruppen). Hier steht auch zweimal wöchentlich ein freiwilliger Physiotherapeut aus der Schweiz zur Verfügung, dem wir Patient*innen aus diesem Lager Variohori schicken können.

Neben Impfaktionen und Sprechstunden in den Camps betreut Arsis auch einige Shelter (Heime) für unbegleitete Jugendliche rund um Thessaloniki, die wir aufsuchen und in denen wir insbesondere Impfaktionen durchführen. Zudem gibt es einmal pro Woche eine Sprechstunde im Büro von Arsis für Bewohner oder Flüchtlinge, die auf der Straße leben.

Jeweils zwei deutsche Ärzte arbeiten ehrenamtlich für sechs Wochen in dem Projekt von German Doctors, wobei ein Wechsel jeweils nach drei Wochen stattfindet – dadurch ist Kontinuität durch gute Einarbeitung und Übergabe gewährleistet.



Publication History

Article published online:
12 July 2022

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