Phlebologie 2022; 51(04): 177-182
DOI: 10.1055/a-1853-2048
Schwerpunktthema

Verständnis, Prävention und Behandlung von venösen und lymphatischen Erkrankungen basieren auf der Arbeit von Grundlagenforschern

Article in several languages: deutsch | English

Authors

  • José Antonio Diaz

    1   Division of Surgical Research, Light Surgical Research and Training Laboratory, Vanderbilt University Medical Center, Nashville, USA
 

Zusammenfassung

Zweck Die Rolle der Grundlagenforschung in allen Bereichen der Medizin war, ist und wird auch immer kritisch sein. Die Grundlagenforschung leistet einen Beitrag zu Wissen und Fortschritt. In der Phlebologie ist es nicht anders. Das Manuskript beschreibt die neuesten Errungenschaften der Grundlagenforschung zum Thema Phlebologie.

Methode Der vorliegende Beitrag beleuchtet Publikationen mit dem Thema Grundlagenforschung in der Phlebologie aufgrund einer PubMed-Suche. Die gefundenen Artikel sowie die verschiedenen Schritte, die für Grundlagenforschung angewendet werden, werden diskutiert. Die Relevanz dieser Arbeiten in Bezug auf die tägliche Arbeit in der Phlebologie wird beleuchtet, insbesondere in Bezug auf die Veränderungen der Venenklappen, der Venenwand und den darauffolgenden Störungen des Blutstroms.

Ergebnisse Veränderte Venenwände bei Varizen sind das Ergebnis eines Umbauprozesses aufgrund von Veränderungen der Venenwand auf Zellebene sowie im Interstitium. An diesem Prozess sind glatte Muskelzellen beteiligt. Ferner wurde eine Transformation vom kontraktilen zum sekretorischen Phänotyp beschrieben. In diesem Umbaustadium sind Matrix-Metalloproteinasen (MMP) aktiv beteiligt. Sie tragen zur beobachteten endgültigen Veränderung der Venenwand bei Varizen bei. Die Eigenschaften des Blutstroms und die Funktion der Venenklappen haben sich als zusammenhängendes System erwiesen.

Schlussfolgerungen Die wissenschaftliche Methode ist der Grundpfeiler der Grundlagenforschung. Varizen entstehen durch einen veränderten Blutstrom und einen Umbau der Venenwand.


Einleitung

„Aktuell haben die weltweiten Aktivitäten der Grundlagenforschung zu Venenerkrankungen zu neuen Erkenntnissen geführt, wie die aktuellen Fortschritte auf dem Gebiet der Phlebologie (z. B. Genkartierung, Ulkusheilung und Entstehung von Varizen) zeigen. Dennoch müssen wir feststellen, dass anscheinend eine Lücke zwischen unseren Forschungsanstrengungen und der klinischen Umsetzung der aktuellen Erkenntnisse zur Prävention oder Behandlung von Varizen klafft“ [1] .

Die Rolle der Grundlagenforschung war und ist entscheidend und wird es auch in Zukunft in allen medizinischen Bereichen sein. Laboruntersuchungen sind unerlässlich, um Mechanismen zu verstehen, die die normale Funktion von Zellen, Geweben und Organen sowie ihre Funktionsstörungen erklären, die zur Erkrankung führen. Grundlagenforscher haben beispielsweise die Gerinnungskaskade entdeckt, die ihnen die Behandlung von Gerinnungsstörungen ermöglicht hat. Die Kenntnis der normalen Funktionsweise trägt auch zum Verständnis der Entstehung einer Krankheit bei. Die Thrombophilie Faktor-V-Leiden birgt beispielsweise ein erhöhtes Risiko für eine tiefe Venenthrombose. Eine Gruppe Grundlagenforscher*innen hat den Samen für erste Erkenntnisse geliefert, während andere Grundlagenforscher*innen die Kenntnisse über die Erkrankung haben wachsen lassen, um eine derartige Verbindung zu diesem Patient*innenkollektiv herzustellen. Sämtliche Aktivitäten der Grundlagenforschung haben zu mehr Wissen auf unserem Gebiet der Phlebolymphologie geführt.


Grundlagenforschung und die wissenschaftliche Methode

Die Grundlagenforschung generiert und vermittelt Informationen, die dem Verständnis von Mechanismen dienen sollen, die an der Veränderung von natürlichen Prozessen beteiligt sind. Mit anderen Worten: Grundlagenforschung erklärt das „Was, Warum und Wie“. Grundlagenforscher*innen verfolgen die wissenschaftliche Methode ([Abb. 1]). Der erste Schritt ist die Beobachtung, die zur wissenschaftlichen Fragestellung und Literaturrecherche führt, um die Hypothese zu formulieren. Daher sind die weitaus meisten Projekte der Grundlagenforschung durch Hypothesen bestimmt. Nach Aufstellung der Hypothese besteht der nächste Schritt in der Formulierung einer Methode, die sich am besten zur Testung der Hypothese eignet. Dieser Schritt umfasst die Planung von Experimenten und kann auch die Durchführung von Pilotstudien beinhalten. Ich halte diese Phase für eine der komplexesten und wichtigsten Phasen der wissenschaftlichen Methode. Sie ist sehr zeit- und arbeitsaufwendig. Eine falsche Experimentplanung kann zu falschen Schlussfolgerungen führen. Nach Abschluss der Experimentplanung wird mit den Laborversuchen begonnen, deren Ergebnisse bestimmen, ob die Hypothese bestätigt oder verworfen wird. Es dreht sich also um die Bestätigung oder das Verwerfen einer Hypothese. Es gibt keine guten oder schlechten Ergebnisse, sondern nur Ergebnisse.

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Abb. 1 Die wissenschaftliche Methode - wie wir sie anwenden. [Abb. 1] veranschaulicht die wissenschaftliche Methode mit zusätzlichen Schritten, die von Grundlagenforschern häufig praktiziert und nie erwähnt werden. Literaturrecherche und Pilotstudien sind kritische Schritte während des wissenschaftlichen Methodenprozesses, insbesondere zur Festlegung eines genauen Versuchsplans.

Anwendung der wissenschaftlichen Methode

Forscher*innen, Kliniker*innen und klinische Studienmitarbeiter*innen stellen täglich Wissenslücken fest. Diese Feststellungen lösen die wissenschaftliche Methode aus, die zu einem besseren Verständnis eines Krankheitsprozesses führt und die Diagnosestellung und Behandlung für Patient*innen direkt beeinflussen kann. Beispielhaft sei hier die Anwendung der wissenschaftlichen Methode in der Kardiologie und Phlebologie, die Begründung des Einsatzes von Statinen zur Prävention, genannt: Hier kann die 2009 veröffentlichte Interventionsstudie zur Evaluierung von Rosuvastatin (JUPITER-Studie) genannt werden [2]. In die JUPITER-Studie wurden über 17000 Patient*innen mit einem erhöhten C-reaktiven Protein und normalen Lipidspiegeln eingeschlossen. Es handelte sich um eine prospektive, interventionelle Studie mit einer Randomisierung in 2 Gruppen. Eine Gruppe erhielt 20mg Statin täglich (Rosuvastatin), eine Kontrollgruppe Placebo. Die Nachbeobachtungszeit betrug 5 Jahre (durchschnittlich 1,9 Jahre). Die Studie hat ergeben, dass von über 17000 Patient*innen bei 94 eine tiefe Venenthrombose (TVT) oder Lungenembolie (LE) aufgetreten ist. Hiervon traten 34 in der Statin-Gruppe und 60 in der Placebo-Gruppe auf (Hazard Ratio mit einem Statin: 0,57; 95%-Konfidenzintervall 0,37–0,86; p=0,007) [2]. Die Autor*innen haben daraus gefolgert, dass Statine einer TVT vorbeugen, haben jedoch am Ende des vorletzten Absatzes Folgendes festgestellt: „Insgesamt ist es wichtig, dass unsere Ergebnisse validiert und die möglichen Mechanismen weiter geklärt werden, um unsere Ergebnisse zu bestätigen“ [2]. Grundlagenforscher*innen haben diese Lücke (Beobachtung) ins Labor gebracht und ein Projekt der Grundlagenforschung entwickelt. Das erste Manuskript, das durch die Autor*innen der JUPITER-Studie die fehlende (und erforderliche) mechanistische Komponente ans Licht brachte, wurde 2013 veröffentlicht [3]. Die Autor*innen haben die entzündungshemmenden und Fibrinolyse-fördernden Eigenschaften der Statine in vivo nachgewiesen [3]. Ferner wurden kürzlich mehrere Manuskripte veröffentlicht, welche die publizierten Ergebnisse aus 2013 bestätigen und unseren Kenntnisstand über Venenthrombosen erweitert haben [3]. Heute sind die Wirkungen der Statine und ihr Potenzial in Anwendungsbereichen, die über die Lipidsenkung hinausgehen, allgemein bekannt, worauf wir noch zurückkommen werden.


Grundlagenforschung und Phlebologie – Varikose

Um eine Krankheit vollständig erklären zu können, bedarf es einer koordinierten Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforscher*innen und Klinikpersonal verschiedener Fachrichtungen. „Relative Bedeutung und Zeitpunkt von Veränderungen der Venenwandbiologie im Vergleich zu einer veränderten Hämodynamik. Ein veränderter Blutstrom kann tatsächlich die Anforderungen an die Venenwand beeinflussen und biologische Veränderungen einleiten“ [4]. Andererseits können Veränderungen der Venenwand zu einem veränderten Strömungsverhalten führen [4].

Bei Patient*innen, die unter Varizenproblemen leiden, werden geschlängelte und nicht geschlängelte Venensegmente beobachtet. Heute wissen wir, dass hämodynamische Veränderungen des Blutstroms und Veränderungen der Venenwand für die Gefäßschlängelungen und insuffizienten Klappen verantwortlich sind. Die Frage nach dem, was zuerst vorhanden war, A) die hämodynamischen Veränderungen des Blutstroms in den Venen, die zu adaptiven Wandveränderungen führen, oder B) Veränderungen der Venenwand, die zu hämodynamischen Veränderungen führen, bleibt unbeantwortet. In diesem Manuskript beabsichtigen wir nicht, dieses Rätsel aufzuklären. Hier präsentieren wir nur die aktuelle Evidenz.


Die Venenwand

Grundlagenforscher*innen haben nachgewiesen, dass diese morphologischen Veränderungen der Venenwand mit einem Phänomen einhergingen, das als Gewebeumbau bezeichnet wird. Ein Gewebeumbau umfasst eine Reihe stark regulierter biologischer Mechanismen. Die Venenwand besteht wie jedes andere Gewebe u.a. aus der extrazellulären Matrix (EZM) und Zellen. Beim Gewebeumbau unterliegen beide Komponenten Veränderungen.

Extrazelluläre Matrix der Venenwand

Ein wesentlicher Bestandteil der EZM ist Fibrillin-1. Es besitzt elastische Eigenschaften. Wissenschaftler*innen haben in Varizen einen erhöhten Gehalt an Fibrillin-1 festgestellt [5]. Interessanterweise haben die Wissenschaftler*innen auch die Haut dieser Patient*innen untersucht und haben auch hier im Vergleich zu Kontrollpersonen einen erhöhten Gehalt an Fibrillin-1 festgestellt. Diese Art Information spricht für einen genetischen Einfluss auf die Prädisposition für die Entstehung von Varizen [5]. Darüber hinaus haben andere Forscher*innen, die mit Fibrillin-1 gearbeitet haben, festgestellt, dass das Alter der Patient*innen aufgrund des gleichen Effekts den Umbau von Varizen beeinflussen kann [6].

Kollagen ist ein wesentlicher Bestandteil von Venen. Dieses Protein ist für physikalische Eigenschaften wie Gerüst, Beständigkeit und Compliance verantwortlich. Die Venenwände enthalten die beiden Kollagentypen I und III. In normalen Venen überwiegt Typ I. Forscher*innen haben bei Varizen eine Verschiebung bei diesen Kollagentypen nachgewiesen und festgestellt, dass Kollagentyp III in den Venenwänden von Varizen vorherrscht [7] [8]. Sie gehen davon aus, dass Typ I Venenwände elastischer macht und zur normalen Wandaktivität beiträgt. Im Gegensatz hierzu trägt ein Überfluss von Kollagen vom Typ III zur Venendeformierung und reduzierten Elastizität bei. Diese beiden Eigenschaften sind das Ergebnis der Anpassung an das Krankheitsstadium.

Interessanterweise ordnen sich Kollagenfasern in der 3-dimensionalen Struktur der durch den Umbau veränderten Venenwand an. Diese Studie wurde jedoch durchgeführt, um Brückenvenen (BV) zu untersuchen, die das Blut aus der Hirnrinde in die Sinus der Dura-Mater ableiten, und hat die Bedeutung der Anordnung von Kollagenfasern dieser Venen nach einem Gewebeumbau aufgezeigt [9]. In Varizen kommt es bei den Kollagenfasern durch die veränderte räumliche Anordnung zu einer Lücke mit einem möglichen Zusammenhang mit Risikofaktoren. Insgesamt verändert sich die extrazelluläre Matrix bei der Transformation von der normalen Vene zur Varize erheblich. Diese Veränderungen kennzeichnen einen aktiven Gewebeumbau während der Krankheitsprogression.

Matrix-Metalloproteinasen (MMP) sind eine Gruppe von Enzymen, die Kollagen und Elastin in der extrazellulären Matrix abbauen und dadurch die Venenwand schwächen. Sie kommen in der extrazellulären Matrix vor. Die Bezeichnung „Metallo“ stammt daher, weil sie nur in Gegenwart von Zink oder Kalzium ordnungsgemäß funktionieren. In Varizen wurden MMP-1, -2, -3, -7, -9 und -13 untersucht. In Varizen wurde eine Überexpression von MMP-9 im Zusammenhang mit einem erhöhten Gehalt an vaskulärem endothelialem Wachstumsfaktor (VEGF) festgestellt [10]. VEGF ist ein Molekül (Wachstumsfaktor), das von verschiedenen Zellen produziert wird (Thrombozyten, Makrophagen, Mesangiumzellen der Niere usw.), die den Umbau regeln. Da es für seine Beteiligung an der Gefäßbildung (Angiogenese) bekannt ist, wurde es umfassend im Zusammenhang mit Krebs untersucht.


Zelluläre Komponente der Venenwand

In Xu et al. haben die Autor*innen den Phänotyp und die Funktion von glatten Muskelzellen (GMZ) bei insuffizienten Venae saphenae magnae (VSM) mit normalen VSM (für Bypässe entnommen) verglichen [11]. Sie haben anhand der quantitativen Polymerase-Kettenreaktion und Immunoblotting die Expression von Messenger-RNA und den Proteingehalt von Bas, Bcl2, Caspase 3, Matrix-Metalloproteinasen 2 und 9 und Gewebe-Inhibitoren der Metalloproteinase 1 und 2 in kultivierten GMZ aus normalen VSM im Vergleich zu insuffizienten VSM untersucht. Sie haben festgestellt, dass GMZ von insuffizienten VSM gegenüber normalen VSM eine gesteigerte Proliferations- und Syntheseaktivität aufwiesen [11]. Ferner nahmen sie an, dass die Pathogenese mit phänotypischen und funktionellen Unterschieden der GMZ aus insuffizienten VSM zu tun haben könnte. Die Autor*innen legen Daten vor, die dafür sprechen, dass bei der Entstehung von Varizen bei dieser Patient*innengruppe Ereignisse der Venenwand eine Rolle spielen. Diese Studie hat gezeigt, dass insuffiziente Saphenastämme (VSM) phänotypische und funktionelle Unterschiede bei GMZ aufwiesen. Ob dies die Ursache für die Veneninsuffizienz oder Strömungsveränderungen war, bleibt fraglich. Auf der Grundlage dieser Arbeit kann uns eine biophysikalische Untersuchung der Pathogenese von Varizen einer klinischen Lösung näher bringen. Auf diese Weise kommt die Grundlagenforschung den Patient*innen als Nutznießer der Arbeit unserer Wissenschaftler*innen zugute.

Glatte Muskelzellen (GMZ) kommen in Venenwänden in geringerer Zahl vor als in Arterien. Dennoch spielen sie eine entscheidende Rolle für die Venenwand und ihre Umgebung. Kürzlich wurde festgestellt, dass eine Transformation der GMZ-Plastizität vom kontraktilen zum sekretorischen Phänotyp stattfindet. Biologisch bedeutet die Transformation des Phänotyps, dass die Zelle als kontraktiler Phänotyp vorliegen kann und der Venenwand elastische Eigenschaften verleiht. Diese Zellen können aber auch in Zellen transformiert werden, die als Anpassungsmechanismus auf die neuen Venenbedingungen Kollagen absondern. Die Transformation des Phänotyps bedeutet nicht nur ein Verlust der GMZ-Population, sondern, wie bereits erwähnt, auch eine Steigerung der Kollagensynthese. Die Änderung des Phänotyps und der Kollagensynthese gehört bei der Entstehung von Varizen zum selben Prozess. Die Apoptose ist eine weitere Ursache für den Verlust von kontraktilen GMZ. Insgesamt gilt heute die Abnahme der GMZ-Population in der Venenwand als Schlüsselereignis für die Entstehung von Varizen. Die Änderung des Phänotyps oder die Abnahme der Zellpopulation werden auch als Gewebeumbau bezeichnet. Schließlich können GMZ auch durch Sekretion von VEGF auf eine Hypoxie reagieren.

Guo Z et al. haben festgestellt, dass eine hohe Expression von c-FOS mit einer Phänotyp-Transformation von glatten menschlichen Gefäßmuskelzellen in Varizen einhergeht [12]. c-FOS ist ein Gen, das an der Regulierung der Zelltransformation beteiligt ist. In Varizen finden sich mehr mRNA und eine verstärkte Proteinexpression von c-FOS [12]. Xiao Y et al. haben in einer In-vitro-Studie ebenfalls nachgewiesen, dass GMZ den Phänotyp geändert haben [13]. Somit haben die Autor*innen nachgewiesen, dass das veränderte biologische Verhalten von GMZ aus Varizen in Kultur weiterhin vorhanden war und zur Entstehung von Varizen beiträgt [13].

Die Zelltransformation ist nicht der einzige Mechanismus, der zur Reduktion der Zellzahl in der Venenwand führt. Eine beschleunigte Apoptose trägt ebenfalls zur Abnahme der GMZ-Population bei. Forscher*innen haben herausgefunden, dass die Abnahme der GMZ-Population mit einer Zunahme der Expression von p21 in den proximalen Segmenten der Vena saphena einhergeht und darauf hindeutet, dass die Störungen des Zellzyklus zur „Schwächung“ der proximalen VSM-Wand führen könnten [14]. Das Protein p21 ist ein Inhibitor einer Cyclin-abhängigen Kinase, ein Enzym, das entscheidende Stoffwechselvorgänge wie beispielsweise die Apoptose reguliert.

Schließlich haben Ortega M et al. noch nachgewiesen, dass GMZ sich an eine Hypoxie anpassen und VEGF abgeben, wobei es sich um ein Kernmolekül des Gewebeumbaus handelt [15]. Sie haben Hypoxie-Marker wie VEGF untersucht und zunächst die Hypothese aufgestellt, dass die venöse Insuffizienz zur Dilatation der Vene führt, die wiederum kompensatorische Mechanismen infolge der lokalen Hypoxie der Venenwand auslöst. GMZ von normalen Venen produzieren bei einer Hypoxie erhebliche Mengen an VEGF. Interessanterweise geben aus Varizen gewonnene GMZ bei Normoxie große Mengen an VEGF ab. Kenntnisse über den Stoffwechsel der Venenwandzellen unter Normoxie und Hypoxie können dazu beitragen, Therapieansätze wie beispielsweise VEGF zu finden.

Gewebeumbauten auf zellulärer und extrazellulärer Ebene sind Anpassungsphänomene auf Veränderungen der Bedingungen von normalen Venen zu Varizen. Alle hier vorgestellten Ergebnisse der Grundlagenforschung tragen zum Verständnis der biologischen Vorgänge bei Varizen bei und könnten zur Entwicklung neuer Therapieansätze führen. Eschrich J et al. von der Universität Heidelberg haben beispielsweise die Wirkungen von Statinen zur Prävention von Varizen untersucht. Die Untersuchungen haben ergeben, dass Statine die Entstehung von Varizen hemmen, indem sie Aktivität des Aktivator-Proteins-1 im Zusammenhang mit Wandstress in venösen glatten Muskelzellen beeinflussen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie frühere Kenntnisse diese Gruppe auf diesem Gebiet vorangebracht haben. Statine sind ein bewährtes Arzneimittel für andere Erkrankungen. Diese Arbeit hat den Patient*innen bei der Vermeidung von rezidivierenden Varizen die Grundlagenforschung sehr nahe gebracht [16]. Mit anderen Worten: Diese Studie ist eine translationale Studie, sodass lediglich noch klinische Studien zum Nachweis der Wirksamkeit der Statine an einer großen Population erfolgen müssen.



Venöser Blutstrom

Venenklappen und Venenfluss

Unter normalen Bedingungen des Venensystems (der Lungenkreislauf bildet bei Erwachsenen eine Ausnahme) soll Blut mit einem geringen Sauerstoffgehalt aus der Peripherie zum rechten Herzen transportiert werden. Mechanismen, die einen derartigen Strom entgegen der Schwerkraft ermöglichen, sind der Unterdruck des Thoraxraums, der geringe oder fehlende Druck im rechten Vorhof und die Muskelpumpe der Waden (negativ, Null). Obgleich diese physikalischen Eigenschaften des menschlichen Körpers in letzter Zeit infrage gestellt wurden, gibt es sie. Unserer Meinung nach tragen sie zum venösen Blutstrom entgegen der Schwerkraft bei.

Diesbezüglich tragen gut funktionierende Venenklappen zur Aufrechterhaltung der ansteigenden Fließrichtung entgegen der Schwerkraft bei. Fehlende oder nicht funktionierende Venenklappen führen zur Blutansammlung in den Venen und sogar zu einem Reflux. Die Klappen besitzen 2 Segel in einer bestimmten rechtwinkligen Anordnung. Tien WH et al. haben die Beeinflussung des Flusses durch die bikuspiden Klappen unter kontrollierten Bedingungen in vitro nachgestellt [17]. Diese Untersuchungen haben ergeben, dass der Fluss zwischen den Klappen durch die Anordnung der bikuspiden Klappen im rechten Winkel gesteuert wird und ihr Abstand die hämodynamische Wirksamkeit der beiden Ventile beeinflusst, indem das Rückflussvolumen reduziert wird [17].

Klappen begünstigen die helikoidale Strömung in den Beinvenen und sind paarweise angeordnet. Chen HY et al. haben durch eine Computersimulation zum Verständnis des Blutstroms beigetragen [18]. Diese Studie hat einen Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion ergeben, die unter physiologischen Bedingungen einen optimalen Fluss erzeugt, der bei einer Klappenerkrankung beeinträchtigt sein kann [18].


Venenklappen, Reflux und Bewegung

Durch Ultraschall oder auch mit einer Phlebografie kann bei einem Valsava-Manöver der Reflux des Blutstroms in die Gegenrichtung auch durch Klappen dargestellt werden. Ein geringer Rückfluss kann als normal gelten, solange die Klappen einen rückwärts gerichteten Fluss verhindern. Ein kontinuierlicher Rückfluss und das Volumen in einem bestimmten Zeitintervall sind bei Varizen gut bekannt. Man nimmt an, dass eine Klappeninsuffizienz bei bestimmten histologischen Veränderungen wie beispielsweise eine Klappenagenesie, ein Klappenabbau oder nicht schließende Klappen bei geschlängelten Gefäßen vorkommt. Jeder dieser Zustände führt zu einer Funktionsstörung der Klappe, die wiederum zu einer gestörten Blutzirkulation und Stauung führt. Auch wenn es richtig ist, dass eine Klappeninsuffizienz zu einem Klappenreflux führt, wurde ein Reflux auch bei korrekter Klappenfunktion beschrieben [19]. Allerdings sprengt dieses Thema den Rahmen dieses Manuskripts.

Schließlich haben Tauraginskii RA et al. noch den Effekt der Wadenpumpe auf die mit Ultraschall bestimmten venösen Refluxparameter bestimmt. In dieser multizentrischen, prospektiven Experimentalstudie berichteten die Autor*innen, dass das Refluxvolumen (RV) nach körperlicher Aktivität signifikant abnahm. Die Hypothese lautete, dass körperliche Aktivitäten den physiologischen Status der Wadenpumpe verändern und dadurch die venösen Refluxparameter im Ultraschall beeinflussen. Es wurden Patient*innen mit primärer Insuffizienz der Vena saphena magna (VSM) eingeschlossen. Mittels Duplex-Sonografie wurden vor und nach körperlicher Aktivität von 30 Zehenspitzenständen Parameter wie der VSM-Durchmesser, die Querschnittsfläche, die Durchschnittsgeschwindigkeit und die Refluxdauer bestimmt. Die Autor*innen vermuteten, dass das rückläufige Refluxvolumen durch die aktivitätsbedingte Hyperämie bedingt war. Unter der Annahme, dass es sich bei dem venösen Rückfluss in der Vena saphena magna um einen retrograden Fluss handelt, der über variköse Seitenäste und Perforantes in das venöse Reservoir der Wade zurückströmt, haben die Autor*innen angenommen, dass die periphere Muskelpumpe (Wadenmuskelaktivität) eine Hyperämie erzeugt, die das Venenreservoir füllt und verhindert, dass es gleichzeitig durch den VSM-Reflux bedient wird. Somit beeinflusst die aktivitätsbedingte arterielle Hyperämie die tiefen Venen der Wade und reduziert unmittelbar nach den Zehenspitzenübungen den VSM-Reflux. Die Autor*innen haben daraus gefolgert, dass ein durch Aktivität erhöhtes venöses Reservoirvolumen den venösen Rückfluss reduziert hat. Sie hoben die Bedeutung von körperlicher Aktivität (Wadenaktivierung) für den venösen Blutstrom und die indirekte Reduktion des Rückflusses hervor [20].



Fachübergreifendes Team

Die Grundlagenforschung hat eine entscheidende Bedeutung. Es gibt keinen Fortschritt ohne Grundlagenforschung, die Wissenslücken bei der Physiopathologie, Diagnosestellung und Behandlung füllt. Die Arbeit der Grundlagenforschung ist jedoch nichts wert, wenn keine Verbindung mit der Klinik hergestellt wird. Diese Zusammenhänge zwischen Grundlagenforschung und klinischer Forschung werden als translationale Forschung bezeichnet. Wir müssen daher realisieren, dass heutzutage alle Forschungsprogramme das Patient*innenproblem erfassen müssen. Hierzu ist eine Zusammenarbeit unerlässlich. Ein fachübergreifendes Forschungsteam ist eine conditio sine qua non, um die Arbeit der Grundlagenforschung auf die tägliche Arbeit der Klinikärzt*innen zu übertragen [21]. Diese fachübergreifenden Teams müssen dann einen Konsens und wissenschaftliche Aussagen über Venen- und Lympherkrankungen erarbeiten, um Forschungsprioritäten zu setzen [22]. Diese Art Arbeit kann richtungsweisend sein und der Forschungsgemeinschaft helfen, ihre Arbeit zu fokussieren.


Schlussfolgerungen und Anmerkungen

„Als eine Untergruppe von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vereinen Venen- und Lympherkrankungen die organische Chemie, Zell- und Gewebebiologie und Flussphysik, die sich sowohl im gesunden als auch im erkrankten Zustand in einer komplexen und engen Beziehung gegenseitig beeinflussen. Eine Analyse der Bedeutung jeder einzelnen dieser Komponenten in jeder Situation ist entscheidend für das Verständnis des Krankheitsmechanismus. Wir müssen jedoch unbedingt die biophysikalischen Wechselwirkungen berücksichtigen und unsere Anstrengungen auf die Erforschung des gesamten klinischen Szenariums konzentrieren, um so die klinische Umsetzung unserer Ergebnisse zu ermöglichen“ [4].

Zusatzinfo

Diese Übersetzung ins Deutsche wurde ermöglicht dank der freundlichen Unterstützung durch:

  • Bauerfeind AG

  • Biolitec AG

  • Chemische Fabrik Kreussler & Co. GmbH

  • Julius Zorn GmbH

  • medi GmbH & Co. KG

  • Ofa Bamberg GmbH

  • Villa Sana GmbH & Co. medizinische Produkte KG



Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. José Antonio Diaz
Vanderbilt University Medical Center, Division of Surgical Research, Light Surgical Research and Training Laboratory
21st Ave. S. 1161
37232 Nashville
USA   

Publication History

Article published online:
10 August 2022

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Abb. 1 Die wissenschaftliche Methode - wie wir sie anwenden. [Abb. 1] veranschaulicht die wissenschaftliche Methode mit zusätzlichen Schritten, die von Grundlagenforschern häufig praktiziert und nie erwähnt werden. Literaturrecherche und Pilotstudien sind kritische Schritte während des wissenschaftlichen Methodenprozesses, insbesondere zur Festlegung eines genauen Versuchsplans.
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Fig. 1 The Scientific Method - How we do it. [Fig. 1] illustrates the scientific method with additional steps that basic scientists frequently practice and never mention. Literature search and pilot studies are critical steps during the scientific method process, particularly to define an accurate experimental design.