Diabetes aktuell 2022; 20(06): 249
DOI: 10.1055/a-1875-2242
Editorial

Diabetes im Alter: Was nutzt, was schadet?

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations

Vor nunmehr 21 Jahren wurden 3 Präventionsstudien initiiert. Betrachtet man die Größte (US Diabetes Prevention Program), ist dies relativ eindrücklich: Nach 21 Jahren waren inzwischen 453 der 3432 Probanden vom Studienstart verstorben. Bösartige Tumoren (170 Fälle) und kardiovaskuläre Ereignisse waren die häufigsten Todesursachen. Ernüchternd: Metformin und auch die ursprüngliche Lebensstilintervention beeinflussten die Gesamtsterblichkeit nicht – auch nicht die Krebs- oder kardiovaskuläre Sterblichkeit (angelehnt an [1]). Welche Effekte haben Lebensstilinterventionen wirklich? Überschätzen wir diese immens? Die Look AHEAD-Studie begleitete übergewichtige Patienten, die die Diagnose Diabetes bekamen, über 9 Jahre (die Studie war länger angelegt) und auch hier wurde deutlich, selbst eine intensive Ernährungs- und Bewegungsberatung (Intervention) hatte keinen Einfluss auf die Endpunkte (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und Hospitalisation wegen Angina pectoris).

Man könnte die Schlussfolgerung ziehen, eine Aktivierung, ein Überzeugen, mehr Sport zu treiben, sich mehr zu bewegen und einem strengen Ernährungsplan zu folgen, ist zumindest nach aktueller Studienlage für alle Patienten nicht der einzige Weg. Den BMI „in Schach zu halten“ hat aber noch andere Auswirkungen: Gelenke werden bewegt, Beweglichkeit und Selbstständigkeit erhalten, Demenz vorgebeugt (da existieren tatsächlich Studien) und so die Lebensqualität erhöht und möglicherweise auch Komplikationen chronischer Erkrankungen (COPD, KHK, Polyarthrose etc.) zumindest reduziert.

Das Alter der Patienten hat zudem eine entscheidende Rolle, sowohl bei der Indikation zur medikamentösen Therapie als auch bei der Wahl der Antidiabetika. Hinzu kommen andere Zielgrößen: der HbA1c bei normaler Nierenfunktion (eGFR >60 mg/min) bei den über 70-Jährigen darf bis 8,5 % sein. Die NVL gibt hier vor, dass dies möglich ist, wenn keine Diabetes-Symptome vorhanden sind. Dies ermöglicht ein individuelleres und doch auch entspannteres Umgehen mit den Älteren und Hochbetagten. Gerade Hypoglykämien können gefährlich werden und Stürze auslösen.

Alles in allem ist die Diabetestherapie gerade bei unseren Älteren individuell und sollte angepasst sein an die Lebensumstände und den Patientenwillen. Ziel sollten Lebensqualität und das Vermeiden von Komplikationen sein. Ein „Zuviel“ kann auch schaden… Dessen sollten wir uns bewusst sein.

Ihr P. Schwarz und Ihre A. Bergmann



Publication History

Article published online:
14 October 2022

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  • Literatur

  • 1 Egidi G.. DEGAM BEnefits: Lee C, Heckman-Stoddard B, Dabelea D et al. Effect of metformin and lifestyle interventions on mortality in the Diabetes Prevention Program and Diabetes Prevention Program Outcomes Study. Diab Care 2021; 44: 2775-2782 (ab 01.12.2022 frei verfügbar)