Balint Journal 2022; 23(03): 65
DOI: 10.1055/a-1923-2187
Editorial

Balint Journal Editorial

Hans-Peter Edlhaimb

Gewalt ist die Waffe des Schwachen;

Gewaltlosigkeit die des Starken.

Mahatma Gandhi

Der Russisch-Ukrainische Krieg erschüttert die Sicherheit des Lebens in Europa. Die Atmosphäre dieser Bedrohung drängt sich in die Gedanken, Emotionen und Körper der Menschen. Leibliches Unbehagen, Ängste und Furcht befallen uns selbst, den Einzelnen, befallen Familien, Gemeinschaften und Teams, befallen unsere Patienten und uns Menschenbehandler.

Dieses unfassbare Unbehagen zeigt sich in mannigfaltigen psychosomatischen Phänomenen in den ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlungsbereichen. Ebenso werden in den Balintgruppen zunehmend Betroffenheit und Ratlosigkeit wahrgenommen wie auch medizinisch-ethische Dilemmata zum persönlichen Thema gemacht.

Die Beziehungsmedizin im Sinne Michael Balints verweist auf die Chance der gewaltlosen, friedensstiftenden Kulturarbeit. Dahingehend erlebe ich die Balintbewegung als Institution, getragen von Humanität und Mitmenschlichkeit. Bei den Internationalen Balint-Kongressen treffen einander Kollegen und Kolleginnen aus sechsundzwanzig Nationen der Welt, um die heilende Kraft der menschlichen Zuwendung zu reflektieren, die Arzt-Patienten-Beziehung sowie die Therapeut-Klienten-Beziehung zu kultivieren und zu beforschen. In diesem Rahmen wird auch die Evaluation der Aus- und Weiterbildung zu professioneller Behandlung angeregt.

In dieser Ausgabe des Balint-Journals analysiert Philipp Herzog die historischen und politischen Faktoren der Etablierung der Balint-Gruppenarbeit in Deutschland seit dem Jahre 1970. Der Autor bringt in seinem Beitrag „Geduld und Politik – die Verankerung der Balint-Arbeit in der ärztlichen Weiterbildung in Deutschland“ eine historische Betrachtung der engen Verbindung zwischen Balint-Gruppenarbeit und Psychosomatischer Medizin.

Barbara Hasiba widmet sich in dem Beitrag „Die ärztliche Haltung bei Suizidalität – von der Suizidprävention zum assistierten Suizid“ einem kontrovers diskutierten Thema. Der Hippokratische Eid aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert und die Genfer Deklaration des Weltärztebundes 2017 geben Ärztinnen und Ärzten ethisch-moralisch die Erhaltung des Lebens vor. Die Autorin führt in das Spannungsfeld zwischen diesen Vorgaben und der Selbstbestimmung des Menschen, der sich in Österreich gesetzlich geregelt für einen assistierten Suizid entscheiden kann.

Dem experimentierfreudigen Forscher Michael Balint folgend, präsentiert Norbert Wißgott mit seinem Beitrag eine Studie „Zur Wirkung der Diplomweiterbildung ‚Psychosoziale Medizin‘ (Psy1)“ und ermutigt zu weiterführenden Untersuchungen. Diese Studie dokumentiert die Evaluation des Weiterbildungslehrganges Psychosoziale Medizin (Psy1) der Österreichischen Ärztekammer. In diesem Weiterbildungslehrgang nimmt die Balint-Gruppenarbeit einen erheblichen Anteil ein.

Psychosoziales, psychosomatisches und psychotherapeutisches Denken ist nicht einem Spezialfach vorbehalten. Psychosoziales, psychosomatisches und psychotherapeutisches Denken steht vielmehr für eine Haltung, welche alle Disziplinen der Medizin durchdringen sollte. Kulturarbeit fördert die Gestaltung gesellschaftlicher und ästhetischer Prozesse. Die kulturelle Praxis der patientenzentrierten und bio-psycho-sozio-ökologischen Medizin kann einen friedensstiftenden Beitrag in unsere Lebenswelt bringen.

Mit der Hoffnung, die Stärke einer helfenden Haltung für die Balintbewegung zu bewahren,

Ihr

Hans-Peter Edlhaimb



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Article published online:
29 September 2022

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