Psychiatr Prax 2023; 50(08): 431-435
DOI: 10.1055/a-2093-3122
Originalarbeit

Psychopathologie ehemaliger DDR-Leistungssportler*innen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung

Psychopathology of Former GDR Competitive Athletes in Comparison to The General Population
Simon-Friedrich Buhrmann
1   Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Greifswald
,
Thomas Klauer
2   Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Helios Hanseklinikum Stralsund
,
Jochen-Friedrich Buhrmann
3   Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, HELIOS Kliniken Schwerin
,
Hans Jörgen Grabe
1   Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Greifswald
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Ziel der Studie  Das Wissen über die Folgen des Staatsdopings in der DDR ist gering. Es wird die Hypothese untersucht, dass die damaligen prekären Trainingsbedingungen sich bis heute negativ auf die psychische Gesundheit der ehemaligen Leistungssportler*innen auswirken.

Methodik  Mittels Fragebögen zur psychischen Symptomatik sowie möglichen Risiko- bzw. Schutzfaktoren wurde zwischen ehemaligen DDR-Leistungssportler*innen und einer unselektierten Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung (SHIP-LEGENDE) eine Fall-Kontroll-Studie durchgeführt.

Ergebnisse  Auf allen untersuchten Skalen konnten signifikante Unterschiede festgestellt werden. Der Großteil der betroffenen Sportler*innen wies eine klinisch relevante psychische Belastung auf. Exemplarisch hierfür ist eine ausgeprägte depressive Symptomatik (BDI-II) bei 65,19% der Betroffenen.

Schlussfolgerungen  Vermutlich führten Leistungsdruck, Doping und Missbrauch im Leistungssport zu einer bis heute messbaren Steigerung der Symptombelastung und der Vulnerabilität.


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Abstract

Objective  The knowledge about the consequences of state doping in the GDR is limited. It is assumed that the precarious training conditions had a great influence on the mental health of the former competitive athletes. The aim of this study was to assess the psychological symptoms of former GDR competitive athletes.

Method  A case-control study was conducted using questionnaires on psychological symptoms and possible risk or protective factors.

Results  Significant differences were found on scales. The major part of the affected athletes showed a clinically relevant psychological stress. Exemplary for this is a pronounced depressive symptomatology in 65,19% of the probands.

Conclusion  Presumably, the negative experiences in competitive sports led to an increase in psychological symptoms and vulnerability.


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Einleitung

Der Leistungssport hatte einen hohen politischen Stellenwert in der DDR, was sich sowohl in den formulierten Zielen für internationale Wettkämpfe als auch in seiner staatlichen Organisation zeigt. Zwischen Staatsgründung und den siebziger Jahren entstanden diverse staatliche Strukturen, die unter großem Einfluss der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und dem Ministerium für Staatsicherheit agierten und eine Entwicklung des Leistungssport zum Ziel hatten [1]. Das Ordnungsprinzip entsprach der sogenannten dreistufigen Kaderpyramide an dessen Spitze 3300 Athlet*innen der Sportclubs standen. Aus 25 Kinder- und Jugendsportschulen sowie Sportclubs in denen ca. 9000 Kinder und Jugendliche trainierten, ergab sich die zweite Stufe. Die Basis bildete die Sichtung aller Kinder eines Jahrgangs von denen 26 000 die erste Förderstufe erlangten [2].

Ab Ende der sechziger Jahre belegen Quellen einen Beginn der staatlichen Erforschung und des Einsatzes leistungssteigernder Substanzen, welche unter dem Begriff „Unterstützende Mittel“ geführt wurden. Dabei handelte es sich neben anabolen androgenen Steroiden auch um hormonelle Kontrazeptiva, Somatotropin und Analgetika. Der Leistungssport der DDR zeichnete sich seit der Einführung des „Staatsplans 14,25“ im Jahr 1974 durch die großflächige Vergabe von Dopingpräparaten und Arzneimitteln an Sportlerinnen und Sportler aus. Der Sporthistoriker Spitzer schätzt die Zahl der gedopten Leistungssportler*innen auf 8,000–10,000, unter diesen befanden sich viele minderjährige Athlet*innen [1]. Eine Aufklärung über die Art der Präparate hat nicht stattgefunden, obwohl sich die Verantwortlichen der massiven Risiken bewusst gewesen sind [3]. Bei einer Befragung gaben 90% der ehemaligen Leistungssportler*innen an nicht von Dopingpräparaten gewusst zu haben [4].

Die Liste der beschriebenen körperlichen Folgeschäden ist lang. Auf ihr finden sich beispielsweise Virilisierungen, Unfruchtbarkeit, benigne wie maligne Tumore, diverse Erkrankungen des Herzkreislaufsystems sowie degenerative Gelenkerkrankungen [5].

Die Trainingsbedingungen werden von vielen ehemaligen Leistungssportler*innen als prekär beschrieben. Neben massiven körperlichen Belastungen, welche selbst das hohe Maß des Leistungssports überschritten, berichten Betroffene von physischer und sexueller Gewalt durch Trainer*innen, Trainingspartner*innen und medizinisches Personal. 90% der Befragten gaben bei einer Untersuchung an, während des Trainings psychischer Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein [4].

Studien mit dopenden Sportler*innen aus dem Breitensportbereich zeigen erhöhte Prävalenzen für Depressionen, somatoforme Störungen, Essstörungen und Depressionen [6]. Eine systematische Übersichtsarbeit, welche 60 Studienergebnisse verglich und zusammenfasste, kam zu dem Ergebnis, dass Leistungssportler*innen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung häufiger Angst- und depressive Symptome aufweisen [7]. Vertommen et al. befragten 4,000 Erwachsene über ihre Erfahrungen im Sport während des Kindes- und Jugendalters. Mit dem Ergebnis, dass durchschnittlich 14% sexueller Gewalt ausgesetzt waren [8]. Leistungssport stellte hierbei einen Risikofaktor dar.

Auf Grund der massiven Trainingsbelastungen, des Leistungsdrucks, des Dopings, der mangelnden Fürsorge bis hin zur psychischen, physischen und sexuellen Gewalt, der die Betroffenen ausgesetzt waren, und den Ergebnissen anderer Untersuchungen in Sportmilieus, ist von einer erhöhten Prävalenz von Depressionen, im Vergleich zu einer unselektierten Allgemeinbevölkerungsstichprobe auszugehen (vergleiche [9]). Diese Hypothese sollte in der vorliegenden Untersuchung durch den Vergleich der psychischen Symptombelastung ehemaliger DDR-Leistungssportler*innen mit der Allgemeinbevölkerung überprüft werden.


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Methoden

Die Untersuchung ist ein Projekt der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Greifswald und der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Helios-Klinikums Schwerin. Ergebnisse des Projekts wurden ebenfalls in der Dissertation des Erstautors veröffentlicht. Nach erfolgtem positivem Votum der Ethikkommission (Registrier-Nummer BB032/16) fand in den Jahren 2017 und 2018 die Untersuchung ehemaliger DDR-Leistungssportler*innen statt. Für diesen Zweck wurde ein Fragebogenpaket zusammengestellt und in Zusammenarbeit mit dem Doping-Opfer-Hilfe e.V. (DOH) an etwa 1300 Klient*innen des Selbsthilfevereins versandt. Die Rücksendungen wurden von dem Doping-Opfer-Hilfe e.V. getrennt, die Einverständniserklärung mit den Klarnamen wurde von dem Verein archiviert, die ausgefüllten Fragebögen mit einer ID-Nummer pseudonymisiert und an die auswertenden Kliniken versandt. 285 Proband*innen von 1300 angeschriebenen aus der DOH-Stichprobe sendeten das Paket ausgefüllt zurück. Die Anzahl der gültigen Fälle beträgt 259, da auf Grund fehlender Werte Fälle ausgeschlossen werden mussten. Dies geschah, wenn über 20% der Fragen pro Skala nicht beantwortet wurden. Bei unter 20% wurden die fehlenden Werte durch Itemmittelwerte ersetzt.

Die SHIP-LEGENDE Stichprobe umfasste 2400 Fälle, aus denen 270 für eine fallweise Parallelisierung nach Geburtsjahr und Geschlecht zufällig ausgewählt wurden. Geprüft wurden Unterschiede zwischen der Doping-Stichprobe und den unselektierten Kontrollen mittels einer multivariaten 2×2-Kovarianzanalyse, in der der Fall-Kontroll-Vergleich auf einem Meßwiederholungsfaktor und die beiden Kontrollvariablen Geschlecht und Alter als zweiter unabhängiger Faktor bzw. als Kovariate implementiert wurden. Für die beiden Kontrollvariablen wurden dabei Haupteffekte und Interaktionen Ordnung mit dem Meßwiederholungsfaktor getestet.

Die verwendeten Fragebogeninstrumente sind auch Teil der repräsentativen, epidemiologischen Studie „Study of Health in Pomerania – Life-Events and Gene-Environment Interaction in Depression“ (SHiP-LEGENDE), so dass mögliche Unterschiede auf identischen Fragebogenskalen geprüft werden konnten [10].

Der SF-12 widmet sich der Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Die zwölf Items beziehen sich auf die Ausübbarkeit alltäglicher Tätigkeiten, auf die mögliche Beeinträchtigung und die psychische Situation der vergangenen vier Wochen. Die vorliegende Kurzform wurde in einer multinationalen Studie überprüft und validiert [11]. Die acht Dimensionen der Lebensqualität werden in der SF-12 Version durch 1–2 Unterpunkte erfasst. Zu der körperlichen Summenskala gehören: Funktionsfähigkeit, körperliche Rollenfunktion, körperliche Schmerzen, allgemeine Gesundheitswahrnehmung. Die psychische Gesundheitsskala umfasst: Psychisches Wohlbefinden, emotionale Rollenfunktion, sowie soziale Funktionsfähigkeit und Vitalität [12]. Zur Auswertung werden Skalenwerte zwischen 0 und 100 berechnet, wobei ein höherer Wert Ausdruck von besserer Gesundheit ist [13].

Die deutsche, 21-Item umfassende Version des Beck-Depression-Inventar liegt seit 2001 vor und erfasst die depressive Symptomatik [14]. Die Werte der Items werden aufsummiert und und als klinische relevant sollten Werte über 18 angesehen werden [15]. Die psychometrische Untersuchung der deutschen Version ergab gute Werte für die innere Konsistenz und einen hohen Zusammenhang zu ähnlichen Skalen [16].

Mit dem „Trierer Inventar zum chronischen Stress“, welches in der genutzten Kurzversion zwölf Items umfasst, werden diverse Stressmerkmale erfasst. Mit Hilfe einer Likertskala soll beantwortet werden wie häufig die jeweilige Aussage in den letzten drei Monaten erlebt wurde. Die Antworten reichen von 1=nie bis 5=sehr häufig. Der ursprüngliche Fragebogen bestand aus 39 Items. Der Fragebogen wurde psychometrisch untersucht und erzielte gute Ergebnisse [17]. Gleiches gilt mit insgesamt befriedigenden psychometrischen Kennwerten auch für die Kurzform [18]. In der Auswertung wurde ein Gesamtwert des erlebten chronischen Stress berechnet.


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Ergebnisse

Eine Gegenüberstellung der deskriptiven Kennwerte der Fall- und Kontrollgruppe ist [Tab. 1] zu entnehmen. Das Durchschnittsalter der Untersuchungsstichprobe beträgt im Mittelwert 51,75 Jahre (SD 7,39). In der parallelisierten Kontrollgruppe betrug es 51,81 Jahre (SD 7,43).

Tab. 1 Deskriptive Kennwerte von Fall- und Kontrollgruppe.

DDR-Leistungssport (N=259)

Allgemeinbevölkerung (N=259)

Mittelwert

Standardabweichung

Mittelwert

Standardabweichung

Depression

24,19

13,07

6,37

7,87

Körperliche Lebensqualität

34,26

9,24

47,29

9,13

Psychische Lebensqualität

35,27

10,57

51,02

9,08

Chronischer Stress

37,33

10,10

26,58

8,20

Die Geschlechterverteilung ist auf Grund der Parallelisierung in Untersuchungsstichprobe und Kontrollgruppe gleich. 42,6% der Proband*innen gaben ein männliches Geschlecht an, 57,4% ein weibliches Geschlecht.

Die Befunde der multivariaten Varianzanalyse sind in [Tab. 2] dargestellt. Signifikante Unterschiede zwischen Fall- und Kontrollgruppe zeigten sich multivariat sowie univariat auf allen untersuchten Skalen. So wiesen die dopingunterstützten Sportler*innen höhere Werte auf den Skalen Depression und Chronischer Stress und niedrigere auf den Skalen Körperliche Lebensqualität und Psychische Lebensqualität auf.

Tab. 2 Ergebnisse der multivariaten Kovarianzanalyse.

Faktoren und Kovariate

Kriterien und Kennwerte

Multivariat

Depression

Chronischer Stress

Körperliche Lebensqualität

Psychische Lebensqualität

(1) Geschlecht

1,15

0,00

1,89

0,00

0,11

(2) Alter

8,64*** 

0,83

8,19**

13,30*** 

2,53

(3) Doping

3,99**

12,75*** 

4,34*

5,65*

5,75*

(4) (1) X (3)

1,35

5,12*

1,29

0,17

1,67

(5) (2) X (3)

0,27

0,78

0,07

0,06

0,01

***p<0,001, **p<0,01, *p<0,05

Der Haupteffekt der Gruppenzugehörigkeit auf Depression wurde geringfügig durch eine Interaktion mit dem Geschlechtsfaktor modifiziert: Während in der unselektierten Vergleichsstichprobe weibliche gegenüber männlichen Proband*innen höhere Depressionswerte aufwiesen, zeigte sich in der Gruppe der dopingerfahrenen Sportler*innen dieser Geschlechtsunterschied in umgekehrter Richtung (vgl. [Abb. 1]).

Zoom Image
Abb. 1 Wechselwirkung von Geschlecht und Dopingerfahrung auf Depression.

Weitere Geschlechtseffekte wurden nicht beobachtet. Mit steigendem Alter der Proband*innen wurde in beiden Stichproben erwartungsgemäß zunehmend geringere Werte auf der Skala Körperliche Gesundheit (Dopingopfer=− 0,142, p<0,05; Allgemeinbevölkerung: r=0,− 160, p<0,05), aber auch geringere Werte auf der Skala Chronischer Stress (r=− 0,141 bzw. r=− 0,136, jeweils p <0,05) registriert.

Aufgrund der großen Unterschiede in der Belastung durch depressive Symptome wurde weiterhin eine Aussage über die klinische Relevanz der depressiven Symptomatik getroffen. Eine klinisch relevante depressive Symptomatik ist bei 65,19% der ehemaligen DDR-Leistungssportler*innen (176 Personen) anzunehmen, in der parallelisierten Kontrollgruppe bei 5,19% (14 Personen).

Die kategorial ausgewerteten BDI-II Daten wurden mittel Chi-Quadrat-Test auf Unterschiede getestet (213,11, p<0,00001).


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Diskussion

Ziel dieser Untersuchung war es, die psychische Belastung ehemaliger DDR-Leistungssportler*innen abzubilden und erstmals einen quantitativen Vergleich mit der Symptombelastung der Allgemeinbevölkerung vorzunehmen. Die Stichprobe der DDR-Leistungssportler*innen stellte sich als deutlich belastetere Population dar.

Die ehemaligen Sportler*innen weisen, wie politisch Inhaftierte der DDR und Betroffene nicht strafrechtlicher Repressionen in der DDR, eine verringerte psychische wie körperliche Lebensqualität im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung auf. Allerdings war bei den Verfolgten und Inhaftierten die psychische Lebensqualität stärker erniedrigt als die körperliche [19] [20]. Ursächlich muss hier eine wechselseitige Beeinflussung angenommen werden, da bestehende körperliche Dopingschäden eine bestehende psychische Symptomatik verstärken oder diese auslösen können. Ebenfalls könnten Proband*innen mit einer somatoformen Störung durch ihre psychische Erkrankung eine herabgesetzte körperliche Gesundheit angeben haben. Diese These deckt sich mit der Auswertung von 57 Gutachten ehemaliger DDR-Leistungssportler*innen im Rahmen des Zweiten Doping-Opfer-Hilfe-Gesetzes. Hierbei betrug die Prävalenz der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung 20% [3].

Am stärksten stach ein klinisch relevantes Maß an depressiver Symptomatik bei etwa zwei Dritteln der Proband*innen hervor. In der Kontrollgruppe waren es lediglich 5,19%, welches der Punktprävalenz der deutschen Allgemeinbevölkerungen in anderen Untersuchungen entspricht [21]. Damit stellten sich die von uns untersuchten ehemaligen Leistungssportler*innen belasteter dar als politische Strafgefangene der DDR, unter denen 43% an einer klinisch relevanten depressiven Symptomatik litten [19].

Höhere Prävalenzen fanden sich in einer Auswertung von ärztlichen Gutachten ehemaliger DDR-Leistungssportler*innen im Rahmen des 2. Dopingopfer-Hilfe-Gesetzes. Die Prävalenz der depressiven Erkrankungen lag hier bei 80% [4]. Im Vergleich zu anderen Leistungssportler*innen stellten sich die Probandinnen und Probanden ebenfalls als stark belastet dar. In einem Review-Artikel, welcher in Zusammenschau von 60 Untersuchungen die psychische Gesundheit von Leistungssportler*innen beurteilt, wiesen diese Vergleiche Depressionsprävalenzen zur Allgemeinbevölkerung auf. Allerdings scheint es populationsspezifische Risikofaktoren wie das Karriereende oder sportliche Misserfolge zu geben [7].

Durch die geschilderten prekären Trainingsbedingungen ist davon auszugehen, dass ein Großteil dieser negativen Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Leistungssport steht.

Methodenkritisch muss diskutiert werden, dass durch die Betrachtung von Proband*innen, welche alle mit einem Selbsthilfeverein in Kontakt standen, ein Selektionseffekt potentieller stärker belasteter Personen vorliegen kann. Weiterhin können insbesondere belastete Personen die Fragebögen ausgefüllt und zurückgeschickt haben (19%), da sich ein potenziell gesünderer Großteil sich nicht angesprochen gefühlt haben könnte. Allerdings spielen vermutlich ebenfalls umgekehrte Effekte eine Rolle. Exemplarisch sind hier eine Vermeidung mit der Konfrontation traumatischer Erlebnisse sowie ein mangelnder Antrieb durch depressiv Erkrankte zu nennen [22]. Insgesamt sind somit keine wirklich repräsentativen Prävalenzschätzungen über psychische Belastungen bei ehemaligen DDR Leistungssportler*innen auf Grundlage unserer Daten möglich. Darüberhinaus soll erwähnt werden, dass eine Erhebung mittels Selbstbeurteilungsinstrumenten naturgemäß die Validität der Befunde einschränkt.

Auf Grund des Querschnittdesigns werden folgende potenziell kausale Zusammenhänge mit Vorsicht diskutiert.

Bezüglich der Ätiologie der festgestellten Symptomatik sollten zwei Prozesse unterschieden werden. Zum einen scheint es sich um direkte Traumafolgestörungen zu handeln. Eine erhöhte Punktprävalenz Posttraumatischer Belastungsstörungen bei ehemaligen DDR-Leistungssportler*innen konnte bereits beschrieben werden [22]. Zum anderen scheint eine veränderte Entwicklung der Betroffenen eine erhöhte Vulnerabilität verursacht zu haben. Beide Prozesse könnten zu dem beschriebenen erhöhten Stressniveau geführt haben.

Die pharmakologische Leistungssteigerung in Form des Dopings, welches inzwischen medial hinreichend präsentiert wurde, wirkte sich negativ auf die psychische und psychische Entwicklung aus und ist als Mosaikstein eines pathogenen Systems zu verstehen, welches sich aus ständigem Leistungsdruck, unphysiologisch hoher Belastung und propagandistischer Indoktrination zusammensetzt und in dem wahrscheinlich vermehrt Missbrauch und Vernachlässigung auftraten. Eine selbstbestimmte Entwicklung sowie das Erlernen eines gesunden Umgangs mit körperlichen Grenzen und Belastungen wurde massiv gestört.

Aufgrund der oben geschilderten traumatischen Ereignisse sowie Risikofaktoren für Traumafolgesstörungen sollte in folgenden Untersuchungen eine intensive Betrachtung Posttraumatischer Belastungsstörungen und der Art der traumatischen Erfahrungen erfolgen.

Konsequenz für Klinik und Praxis

  • Ehemalige DDR-Leistungssportler*innen leiden signifikant häufiger unter einer klinisch relevanten psychischen Symptombelastung im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Besonders eine ausgeprägte depressive Symptomatik ist auffällig.

  • Für eine adäquate Versorgung sollte Wissen über die historischen Hintergründe vermittelt werden, welches potentielle somatische sowie psychische Folgen beinhalten sollte, um einer Unterversorgung vorzubeugen.

  • Daher muss eine historische Aufarbeitung stattfinden, welche die Rekonstruktion der MfS-Akten beinhaltet.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Simon-Friedrich Buhrmann
Universität Greifswald
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ellernholzstraße 1–2
17487 Greifswald
Deutschland   

Publication History

Received: 25 December 2022

Accepted: 11 May 2023

Article published online:
24 July 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

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Abb. 1 Wechselwirkung von Geschlecht und Dopingerfahrung auf Depression.