CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(11): 1361-1370
DOI: 10.1055/a-2103-8143
GebFra Science
Original Article

Reduktion der Frühgeburtenrate durch frühzeitige Diagnostik und schwangerschaftsadaptierte Therapie der Schilddrüsenunterfunktion

Article in several languages: English | deutsch
Pompilio Torremante
1   Frauenarzt/Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin, Ochsenhausen, Germany
,
Nils Kristian Berge
2   Abteilung für Medizinische Statistik, Biomathematik und Informationsverarbeitung, Universitätsmedizin Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Medizinische Fakultät Mannheim, Mannheim, Germany (Ringgold ID: RIN99045)
,
Christel Weiss
2   Abteilung für Medizinische Statistik, Biomathematik und Informationsverarbeitung, Universitätsmedizin Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Medizinische Fakultät Mannheim, Mannheim, Germany (Ringgold ID: RIN99045)
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Einleitung

Ziel war es, herauszufinden, inwieweit regelmäßige Kontrollen des mütterlichen freien Thyroxinspiegels und eine schwangerschaftsadaptierte L-Thyroxin-Substitution vor und in der Schwangerschaft bei bestehender oder neu diagnostizierter latenter und manifester Hypothyreose sowie Hypothyroxinämie die Frühgeburtenrate beeinflussen können.

Material und Methoden

Retrospektive Kohortenstudie mit Auswertung von 1440 pseudonymisierten Erhebungsfragebögen zur Evaluation von Frühgeburtsrisiken mit 2 Studiengruppen aus einer Praxis und einer bundesweit rekrutierten Kontrollgruppe. Studiengruppe A (n = 360) hatte bereits präkonzeptionell L-Thyroxin eingenommen, Studiengruppe B (n = 580) nach Eintritt der Schwangerschaft. Beide Studiengruppen hatten ein maximales Gestationsalter von 12+0 SSW. TSH und freier Thyroxinspiegel wurden zur Dosisanpassung regelmäßig in den Studiengruppen bestimmt. Ziel war es, den freien Thyroxinspiegel schwangerschaftsadaptiert im euthyreoten hyperthyroxinämischen Bereich zu halten. Die Kontrollgruppe (n = 500) hatte während der Schwangerschaft L-Thyroxin eingenommen nach Kriterien, die nicht bekannt waren, da im Erhebungsfragebogen nicht danach gefragt wurde. Unter Berücksichtigung anderer Risikofaktoren wurde mittels logistischer Regressionsanalyse der Einfluss einer schwangerschaftsadaptierten L-Thyroxin-Substitution auf die Frühgeburtenrate ermittelt.

Ergebnisse

Im Vergleich zur Kontrollgruppe war die Frühgeburtenrate in der Studiengruppe A um 70% (p < 0,0001) und in der Studiengruppe B um 42% (p = 0,0086) niedriger, wobei die Odds Ratio mit 3,46 besonders in der Studiengruppe A hoch signifikant war. Bluthochdruck (Odds Ratio 5,21), BMI pro kg/m2 (Odds Ratio 0,91) und Z. n. Frühgeburt konnten als weitere unabhängige Risikofaktoren identifiziert werden.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse zeigen eine Assoziation von intensivierter Schilddrüsendiagnostik und schwangerschaftsadaptierter L-Thyroxin-Substitution mit einer Abnahme von Frühgeburten. Weitere Untersuchungen sollten die Ergebnisse bestätigen.


#

Einleitung

Die Ätiologie der Frühgeburt ist multifaktoriell. Frühgeburten betrachtet man heute als klinische Endstrecke unterschiedlicher pathophysiologischer Kaskaden, deren Komplexität eine kausale Therapie bis heute verhindert hat. Trotz intensivster nationaler und weltweiter Anstrengungen ist es nicht gelungen, die Frühgeburtenrate zu senken. Frühgeburtlichkeit bleibt eine medizinische Herausforderung [1].

Die bundesweite Prävalenz der Frühgeburt beträgt 8,6% [2] [3] [4] [5]. Sie ist innerhalb der Europäischen Union eine der höchsten [6]. 70% werden ätiologisch dem Formenkreis der spontanen Frühgeburten zugeordnet [5] [7] [8] [9], während 30% medizinische Ursachen haben und iatrogen induziert sind. Über die letzten Jahrzehnte zeigt die Frühgeburtenrate in Deutschland insgesamt eine stabile Prävalenz, wobei die Zahl der frühen Frühgeburten unter der 28. SSW um 65% gestiegen ist [4].

Schilddrüsenfunktionsstörungen während der Schwangerschaft, wie die manifeste Hypothyreose oder die manifeste Hyperthyreose, sind etablierte Risikofaktoren für das Auftreten einer Frühgeburt [10]. Epidemiologisch gehören Schilddrüsenerkrankungen zu den häufigsten Erkrankungen der Frau im Fertilitätsalter [11]. Wegen der hohen Prävalenz und der geringen Symptomatik sind insbesondere Schilddrüsenerkrankungen, die mit einer verminderten Hormonproduktion einhergehen, vor und während der Schwangerschaft von besonderer Relevanz. Neben der manifesten und latenten Hypothyreose gilt epidemiologisch die isolierte Hypothyroxinämie ebenfalls als Risikofaktor für eine Frühgeburt [10] [12]. Sie ist definiert als laborchemische Kombination von erniedrigtem freien Thyroxinspiegel und normwertiger TSH-Konzentration bei der werdenden Mutter [13] [14].

Bisher gibt es in den endokrinologischen Fachgesellschaften keinen Konsens darüber, ob eine latente Hypothyreose oder Hypothyroxinämie in der Schwangerschaft behandlungsbedürftig ist. Die amerikanische Endocrine Society überlässt die Entscheidung einer Behandlung mit L-Thyroxin weitestgehend den die Schwangerschaft betreuenden Frauenärztinnen und Frauenärzten [14], während sich die American Thyroid Association bei Abwesenheit von Schilddrüsenantikörpern und natürlicher Konzeption gegen eine Behandlung ausspricht [15].

Die „European Thyroid Association“ fordert weitere Studien, um die Effekte des Schilddrüsenhormonmangels auf die Gesundheit des Ungeborenen präziser einschätzen zu können. Wegen potenzieller Gefährdung der fetalen Gehirnentwicklung wird eine Behandlung mit L-Thyroxin dennoch befürwortet, trotz fehlender Interventionsstudien [16].

In den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. vom Oktober 2022 zur Prävention und Therapie der Frühgeburt wird die Schilddrüsenunterfunktion als behandlungsbedürftiger Risikofaktor nicht erwähnt [5] [7] [8].

Ziel dieser Arbeit ist es zu klären, inwieweit regelmäßige Kontrollen des mütterlichen freien Thyroxinspiegels und eine schwangerschaftsadaptierte L-Thyroxin-Substitution vor und in der Schwangerschaft bei bestehender oder neu diagnostizierter latenter und manifester Hypothyreose sowie bei vorliegender Hypothyroxinämie die Frühgeburtenrate beeinflusst.


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Patienten und Methoden

Es handelt sich um eine retrospektive Kohortenstudie, in der insgesamt 1440 anonymisierte Erhebungsfragebogen von Frauen mit einer Schilddrüsenfunktionsstörung ausgewertet wurden. Die Rohdaten wurden von der Forschung Beratung Evaluation GmbH (FBE) in Berlin als Excel-Datei zur Verfügung gestellt. Sie basieren auf einem Erhebungsfragebogen, der eine Reihe bekannter Risikofaktoren für eine Frühgeburt sowie Perinataldaten abfragt. Neben biometrischen und demografischen Daten wie Body-Mass-Index, mütterliches Alter, Nationalität, Schulbildung und Parität werden sozioökonomische Daten, Familienanamnese und Eigenanamnese in den letzten 12 Monaten vor Eintritt der Schwangerschaft erhoben.

Der Erhebungsfragebogen wurde von den Schwangeren und ihren betreuenden Ärztinnen und Ärzten ausgefüllt und mit schriftlicher Einwilligung an die FBE zur Auswertung zurückgeschickt.

Studiengruppen und Kontrollgruppe

Insgesamt wurden 3489 Erhebungsfragebogen aus verschiedenen Praxen zur Verfügung gestellt. Davon hatten 500 Frauen vor und während der Schwangerschaft ärztlich dokumentiert L-Thyroxin eingenommen. Diese 500 Erhebungsfragebogen dienten als Kontrollgruppe. Die Kriterien, nach denen L-Thyroxin substituiert wurde, sind in der Kontrollgruppe nicht bekannt, da im Erhebungsfragebogen nicht danach gefragt wird.

Als Studiengruppe dienten 940 Frauen aus einer Einzelpraxis, die ebenfalls den Fragebogen der FBE ausgefüllt hatten. Diese Schwangeren hatten L-Thyroxin wegen latenter und manifester Hypothyreose oder Hypothyroxinämie eingenommen. Die Studiengruppe wurde unterteilt in Gruppe A, bestehend aus 360 Schwangeren, die bereits präkonzeptionell L-Thyroxin eingenommen hatten, und Gruppe B mit 580 Schwangeren, die erst nach Eintritt der Schwangerschaft L-Thyroxin einnahmen.


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Einschluss- und Ausschlusskriterien

Für die Untersuchung wurden nur Einlingsschwangerschaften einbezogen. Die Studiengruppen hatten ein maximales Gestationsalter von 12 + 0 SSW. In der Kontrollgruppe fehlen die Angaben zum Gestationsalter. Grunderkrankungen, wie z. B. Thrombophilie, Hypertonie, Diabetes mellitus u. a., waren kein Ausschlusskriterium.


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Laborbestimmungen

TSH und freier Thyroxinspiegel (fT4) wurden zur Dosisanpassung regelmäßig bei allen Frauen der Studiengruppen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge regelmäßig bestimmt. Ziel war es, den freien Thyroxinspiegel schwangerschaftsadaptiert im euthyreoten hyperthyroxinämischen Bereich (hoch normaler Bereich des Referenzwertes) zu halten. In der Kontrollgruppe fehlen hierzu die Daten.

Die Ethikkommission Baden-Württemberg sah ein Ethikvotum als nicht erforderlich an, da die Erhebungsfragebogen pseudonymisiert waren.


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Statistische Analysen

Die statistischen Analysen wurden mit der Statistiksoftware SAS, Release 9.4 (SAS Institute Inc., Cary, North Carolina, USA) durchgeführt. Für qualitative Faktoren wurden absolute und relative Häufigkeiten angegeben; quantitative Variablen wurden mit Mittelwert und Standardabweichung dargelegt. Die Altersangaben wurden in 6 Gruppen eingeteilt; diese Altersgruppen wurden als ordinal skaliertes Merkmal angesehen. Für die Vergleiche zwischen 2 Gruppen wurden folgende Tests verwendet: der Chi2-Test bei nominal skalierten Faktoren, der exakte Test nach Fisher (wenn die Voraussetzungen des Chi2-Tests nicht erfüllt waren), der Trendtest nach Cochran-Armitage bei ordinaler Skalierung, der t-Test zum Vergleich zweier Mittelwerte bei annähernd normalverteilten Daten und der U-Test nach Mann und Whitney bei quantitativen, schief verteilten Daten. Für die Vergleiche zwischen 3 Gruppen wurde der Chi2-Test (bei nominaler Skalierung) oder der Kruskal-Wallis-Test (bei quantitativen, nicht normalverteilten Daten) verwendet. Als statistisch signifikant wurde ein Testergebnis mit einem p-Wert < 0,05 erachtet; als schwach signifikant wurde ein Ergebnis mit einem p-Wert zwischen 0,05 und 0,10 gewertet. Alle Faktoren, bei denen in univariablen Tests eine statistische Assoziation mit der Zielgröße „Frühgeburt“ nachgewiesen wurde, wurden nach Beurteilung ihrer medizinischen Bedeutung und der vorhandenen Datenqualität und -vollständigkeit mittels einer multiplen logistischen Regressionsanalyse simultan ausgewertet. Dabei wurde die Methode „Backward Selection“ angewandt: Zunächst wurde die logistische Regression mit allen vorhandenen Parametern durchgeführt. Im zweiten Schritt wurde der Parameter mit dem größten p-Wert aus dem statistischen Modell eliminiert. Dieser Schritt wurde so lange wiederholt, bis nur noch statistisch signifikante Parameter im Modell verblieben waren. Für jeden Parameter wurde die Odds Ratio (OR) als Annäherung für das relative Risiko berechnet.


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Ergebnisse

Ein direkter Vergleich der Frühgeburtenraten der 3 Gruppen zeigt, dass die Frühgeburtenrate der Gruppe B mit 6,0% fast doppelt so hoch ist wie die der Gruppe A mit 3,1% (p = 0,0396); die Frühgeburtenraten beider Gruppen A und B sind signifikant niedriger als die Frühgeburtenrate der Kontrollgruppe mit 10,4% (p < 0,0001 bzw. p = 0,0086) ([Tab. 1]). Da die Merkmale Altersverteilung und der Paritätsstatus eng mit der Zielgröße „Frühgeburt“ assoziiert sind, wurden diese miteinander verglichen. Die Frauen der Gruppe B sind im Durchschnitt etwas jünger als die Frauen der Gruppe A und der Kontrollgruppe. Der Unterschied ist statistisch signifikant (Kruskal-Wallis-Test p < 0,0001) ([Tab. 1]).

Tab. 1 Vergleich der Studiengruppen mit der Kontrollgruppe.

Merkmale

Test

Gruppe A

(n = 360)

Gruppe B

(n = 580)

Kontrollgruppe

(n = 500)

p-Wert Gruppe A

p-Wert Gruppe B

∅ = Mittelwert; FA = Familienanamnese; Kompl. = Komplikationen; SD = Standardabweichung

Frühgeburten gesamt

3,06%

6,03%

10,40%

p < 0,0001

p = 0,0086

Frühgeburten bei Primiparae

3,47% (n = 144)

8,04% (n = 286)

10,30% (n = 398)

p = 0,0117

p = 0,3169

Frühgeburten bei Multiparae

2,78% (n = 216)

4,08% (n = 294)

10,78% (n = 102)

p = 0,0031

p = 0,0126

Alterskohorte (in Jahren)

U-Test

p = 0,1145

p < 0,0001

18–24

5,87%

0,17%

2,20%

25–29

26,82%

12,59%

23,20%

30–34

39,66%

30,00%

45,60%

35–39

21,79%

37,93%

26,40%

40–44

5,59%

15,52%

2,60%

≥ 45

0,28%

3,79%

0,00%

BMI

t-Test

∅ 25,13 (SD 4,84)

∅ 24,75 (SD 4,87)

∅ 24,34 (SD 5,10)

p = 0,0237

p = 0,1740

deutsche Staatsbürgerschaft

Chi2

85,75%

81,31%

96,77%

p < 0,0001

p < 0,0001

Schulbildung (in Jahren)

U-Test

∅ 10,4 (SD 1,6)

∅ 10,3 (SD 1,7)

∅ 11,2 (SD 1,0)

p < 0,0001

p < 0,0001

Raucherinnen

Chi2

19,44%

28,32%

16,60%

p = 0,2819

p < 0,0001

Sportlerinnen

Chi2

48,61%

49,91%

46,68%

p = 0,5763

p = 0,2900

Kinderwunschbehandlung/IVF

Chi2

8,06%

5,21%

36,90%

p < 0,0001

p < 0,0001

selbsteingeschätzte Gesundheit (gut – mäßig – schlecht)

Trendtest

94,44% – 4,44% –1,11%

95,34% – 4,14% –0,52%

71,94% – 25,05% – 3,01%

p < 0,0001

p < 0,0001

Hypertonie

Chi2

2,55%

1,92%

6,00%

p = 0,0175

p = 0,0005

Diabetes mellitus

Fisher

1,99%

0,17%

1,00%

p = 0,2497

p = 0,1027

Essstörung

Fisher

1,14%

1,05%

0,80%

p = 0,7239

p = 0,7568

Suchterkrankungen

Fisher

0,28%

0,70%

0,00%

p = 0,4131

p = 0,1277

Migräne

Chi2

12,22%

10,10%

19,00%

p = 0,0081

p < 0,0001

Vag-Infekt letzte 12 Monate (keine – eine – mehrere)

Trendtest

47,88% – 15,31% – 36,81%

43,18% – 22,52% – 34,30%

72,62% – 18,55% – 8,82%

p < 0,0001

p < 0,0001

Krankenhausbehandlung

Chi2

17,32%

11,09%

19,32%

p = 0,4578

p = 0,0002

familiärer Stress

Chi2

90,20%

88,33%

34,07%

p < 0,0001

p < 0,0001

Berufstätigkeit

Chi2

70,00%

71,68%

93,17%

p < 0,0001

p < 0,0001

Arbeitsbelastung

Chi2

35,71%

42,22%

25,00%

p = 0,0030

p < 0,0001

Z. n. Gyn-OP (keine – eine – mehrere)

Trendtest

54,24% – 32,77% – 12,99%

70,69% – 21,49% – 7,82%

64,16% – 22,75% – 13,09%

p = 0,0509

p = 0,0049

Frühgeburten in FA

Chi2

15,00%

14,17%

8,80%

p = 0,0061

p = 0,0081

Diabetes mellitus in FA

Chi2

20,99%

17,52%

35,80%

p < 0,0001

p < 0,0001

Anzahl der Kinder

U-Test

∅ 1,1 (SD 0,7)

∅ 1,3 (SD 1,1)

∅ 0,7 (SD 0,8)

p < 0,0001

p < 0,0001

Z. n. Interruptio (keine – eine – mehrere)

Trendtest

2,06% – 4,53% – 93,42%

2,69% – 9,58% – 87,72%

1,61% – 16,13% – 82,26%

p = 0,0049

p = 0,2641

Z. n. Abort (keiner – einer – mehrere)

Trendtest

13,20% – 32,80% – 54,00%

4,79% – 20,36% – 74,85%

14,97% – 38,50% – 46,52%

p = 0,1812

p < 0,0001

Z. n. Frühgeburt (keine – eine – mehrere)

Trendtest

0,82% – 6,15% – 93,03%

0,93% – 6,48% – 92,59%

3,92% – 21,57% – 74,51%

p < 0,0001

p < 0,0001

Kompl. letzte Schwangerschaft

Chi2

18,44%

14,20%

46,60%

p < 0,0001

p < 0,0001

Fertilitätsbehandlung

Chi2

15,00%

7,41%

55,49%

p < 0,0001

p < 0,0001

Sectio

Chi2

17,66%

18,40%

36,44%

p < 0,0001

p < 0,0001

Primiparae/Multiparae

Chi2

40,00%/60,00%

49,31%/50,69%

79,60%/20,40%

p < 0,0001

p < 0,0001

vorzeitige Wehen

Chi2

0,28%

2,24%

4,60%

p = 0,0001

p = 0,0313

Zervixinsuffizienz

Chi2

0,28%

0,69%

4,60%

p = 0,0001

p < 0,0001

vorzeitiger Blasensprung

Chi2

0,56%

1,55%

9,00%

p < 0,0001

p < 0,0001

Kind weiblich/männlich

Chi2

48,33%/51,67%

43,57%/56,43%

47,33%/52,67%

p = 0,7785

p = 0,2374

Die 3 Gruppen unterscheiden sich auch signifikant bezüglich des Paritätsstatus (p < 0,0001) ([Abb. 1]). Der Anteil der Primiparae ist in der Kontrollgruppe wesentlich höher als in den beiden Studiengruppen A und B (79,6% versus 40,0% bzw. 49,3%). Da Primiparität epidemiologisch mit einem höheren Frühgeburtsrisiko einhergeht [17], wurden die Frühgeburtsraten in den Gruppen A und B nach Parität aufgeschlüsselt und mit der entsprechenden Rate der Kontrollgruppe verglichen ([Tab. 1]).

Zoom Image
Abb. 1 Parität in den Studiengruppen und der Kontrollgruppe n = 1440.

Die Frühgeburtenraten der Primiparae (3,5%) und der Multiparae (2,8%) der Gruppe A sind jeweils signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe (10,3% bzw. 10,8% mit p = 0,0117 bzw. p = 0,0031). In Gruppe B findet man nur bei den Multiparae einen signifikanten Unterschied zur Kontrollgruppe (4,1% versus 10,8%; p = 0,0126), während bei den Primiparae kein signifikanter Unterschied nachweisbar ist (p = 0,3169). Zudem ist die Frühgeburtenrate der Primiparae in Gruppe A im Vergleich zu Gruppe B auffallend niedriger (p = 0,0669), während für Multiparae kein signifikanter Unterschied besteht (p = 0,4304).

Evaluierung von Risikofaktoren

Gruppe A unterscheidet sich von der Kontrollgruppe durch einen geringeren Anteil an Frauen nach Kinderwunschbehandlung/IVF (8,06% versus 36,90%; p < 0,0001), weniger Hypertonikerinnen (2,6% versus 6,0%; p = 0,0175), mehr Scheideninfektionen in den vergangenen 12 Monaten (52,1% versus 27,4%; p < 0,0001), mehr Multiparae (60% versus 20,4%; p < 0,0001), entsprechend weniger Primiparae (40,0% versus 79,6%; p < 0,0001) und ein geringerer Anteil an Fertilitätsbehandlungen (15,0% versus 55,5%; p < 0,0001 ([Tab. 1]).

Um die statistisch signifikanten Merkmale, die mit der Zielgröße „Frühgeburt“ assoziiert sind, zu evaluieren, wurden die Daten aus der Gruppe A und der Kontrollgruppe zusammengefasst, da beide Gruppen bereits vor der Schwangerschaft L-Thyroxin eingenommen hatten ([Tab. 2]).

Tab. 2 Assoziationen mit der Zielgröße Frühgeburt, n = 860 (Gruppe A und Kontrollgruppe).

Merkmal

Kategorie

Anteil Frühgeburten

Test

p-Wert

∅ = Mittelwert; FA = Familienanamnese; Kompl. = Komplikationen; SD = Standardabweichung

Alterskohorte (in Jahren)

U-Test

p = 0,8649

18–24

3,13%

25–29

6,13%

30–34

9,73%

35–39

5,71%

40–44

3,03%

≥ 45

0

BMI

∅ 23,15 (SD 4,35)

t-Test

p = 0,0131

Nationalität

deutsch – andere

7,62% – 4,48%

Fisher

p = 0,4677

Rauchen

ja – nein

6,54% – 7,50%

Chi2

p = 0,6793

Sport

ja – nein

7,37% – 7,33%

Chi2

p = 0,9832

Kinderwunschbehandlung/IVF

ja – nein

10,38% – 6,37%

Chi2

p = 0,0524

selbsteingeschätzte Gesundheit

gut – mäßig – schlecht

6,72% – 8,51% – 21,05%

Trendtest

p = 0,0493

Hypertonie

ja – nein

23,08% – 6,63%

Fisher

p = 0,0013

Diabetes mellitus

ja – nein

0% – 7,50%

Fisher

p = 1,0000

Essstörung

ja – nein

0% – 7,46%

Fisher

p = 1,0000

Suchterkrankungen

ja – nein

0% – 7,40%

Fisher

p = 1,0000

Migräne

ja – nein

8,70% – 7,14%

Chi2

p = 0,5234

Vag-Infekt letzte 12 Monate

keine – eine – mehrere

8,12% – 10,85% – 1,97%

Trendtest

p = 0,0404

Krankenhausaufenthalt in den letzten 12 Monaten

ja – nein

12,66% – 6,17%

Chi2

p = 0,0048

familiärer Stress

ja – nein

5,91% – 9,39%

Chi2

p = 0,0544

Berufstätigkeit

ja – nein

8,10% – 3,52%

Chi2

p = 0,0560

Arbeitsbelastung

ja – nein

8,00% – 8,23%

Chi2

p = 0,9191

Z. n. Gyn-OP

keine – eine – mehrere

7,54% – 7,21% – 6,54%

Trendttest

p = 0,7209

Frühgeburten in FA

ja – nein

7,61% – 7,55%

Chi2

p = 0,9853

Diabetes mellitus in FA

ja – nein

6,88% – 7,80%

Chi2

p = 0,6478

Z. n. Interruptio

keine – eine – mehrere

5,00% – 9,76% – 12,50%

Trendtest

p = 0,1305

Z. n. Abort

keiner – einer – mehrere

4,50% – 6,49% – 6,56%

Trendtest

p = 0,4042

Z. n. Frühgeburt

keine – eine – mehrere

1,65% – 29,73% – 16,67%

Trendtest

p < 0,0001

Kompl. letzte Schwangerschaft

ja – nein

5,38% – 4,72%

Fisher

p = 0,7829

Fertilitätsbehandlung

ja – nein

8,00% – 5,48%

Chi2

p = 0,2782

Entbindung per Sectio

ja – nein

13,85% – 4,70%

Chi2

p < 0,0001

Primiparae

ja – nein

8,49% – 5,35%

Chi2

p = 0,0879

vorzeitige Wehen

ja – nein

33,33% – 6,58%

Fisher

p = 0,0002

Zervixinsuffizienz

ja – nein

37,50% – 6,46%

Fisher

p < 0,0001

vorzeitiger Blasensprung

ja – nein

38,30% – 5,54%

Fisher

p < 0,0001

Geschlecht der Frühgeburt

weiblich – männlich

6,43% – 7,98%

Chi2

p = 0,3923

Statistisch signifikant sind BMI, schlechter selbsteingeschätzter Gesundheitszustand, Hypertonie, Gruppenzugehörigkeit (Gruppe A versus Kontrollgruppe), Scheideninfektionen in den letzten 12 Monaten, Krankenhausbehandlungen, Z. n. Frühgeburten, Entbindung per Sectio, vorzeitige Wehen, Zervixinsuffizienz und vorzeitiger Blasensprung. Schwach signifikante Merkmale sind Kinderwunschbehandlung/IVF, Berufstätigkeit, familiärer Stress in den letzten 12 Monaten und Primiparität.

Merkmale, die einer sehr subjektiven Einschätzung unterliegen und nur schwer quantifizierbar und operationalisierbar sind, wie familiärer Stress, Berufstätigkeit und selbsteingeschätzter Gesundheitszustand, wurden trotz Signifikanz bzw. schwacher Signifikanz in der univariablen Analyse nicht berücksichtigt. Zusätzlich wurden Merkmale, die untrennbar mit der Pathophysiologie der Frühgeburt verbunden sind wie Krankenhausaufenthalte, Geburtsmodus, vorzeitige Wehen, Zervixinsuffizienz und vorzeitiger Blasensprung ebenfalls nicht berücksichtigt.

Die Merkmale „Schwangerschaften nach einer Fertilitätsbehandlung“ und Z. n. Frühgeburt wurden wegen zahlreicher fehlender Werte nicht in die multiple Analyse aufgenommen und gesondert betrachtet. Da eine Kinderwunschbehandlung/IVF einen bedeutenden Risikofaktor darstellt [18], wurde dieses Merkmal in der multiplen Regressionsanalyse berücksichtigt.

Die multiple logistische Regressionsanalyse für Gruppe A wurde mit den Merkmalen Gruppenzugehörigkeit (Gruppe A versus Kontrollgruppe), BMI, Hypertonie, Scheideninfektionen der letzten 12 Monate und Kinderwunschbehandlung/IVF durchgeführt ([Tab. 3]).

Tab. 3 Multiple logistische Regressionsanalyse Gruppe A und Kontrollgruppe (n = 860).

Risikofaktor

p-Wert

Odds Ratio

Gruppenzugehörigkeit

p = 0,0005

OR = 0,29

Hypertonie

p = 0,0002

OR = 5,21

BMI in kg/m2

p = 0,0061

OR = 0,91

Scheideninfektionen letzte 12 Monate

p = 0,5504

Kinderwunschbehandlung/IVF

p = 0,4990

Ein höheres Frühgeburtsrisiko findet man bei den Merkmalen Gruppenzugehörigkeit (Gruppe A versus Kontrollgruppe; OR = 0,289; p = 0,0005), Hypertonie (OR = 5,214; p = 0,0002) und BMI in kg/m2 (OR = 0,91; p = 0,0061). Scheideninfektionen der letzten 12 Monate und stattgehabte Kinderwunschbehandlungen/IVF sind nicht signifikant.

Obwohl in Gruppe B die L-Thyroxin-Einnahme erst während der Schwangerschaft erfolgte, wurde die Analyse analog zur Gruppe A durchgeführt, da eine vergleichbare Kontrollgruppe nicht zur Verfügung stand. Statistisch signifikante Merkmale für die Zielgröße „Frühgeburt“ waren ein schlechter selbsteingeschätzter Gesundheitszustand, Hypertonie, Krankenhausaufenthalte, Berufstätigkeit, vorangegangene Aborte, Z. n. Frühgeburten, Entbindung per Kaiserschnitt, Primiparität, vorzeitige Wehen, Zervixinsuffizienz und vorzeitiger Blasensprung. Schwach signifikante Merkmale waren ein niedrigerer BMI, längere Schulbildung, Kinderwunschbehandlung/IVF und Interruptio in der Anamnese.

Berufstätigkeit, vorangegangene Interruptiones, Aborte, Z. n. Frühgeburten, Krankenhausaufenthalt, Geburtsmodus, vorzeitige Wehen, Zervixinsuffizienz, vorzeitiger Blasensprung und der selbsteingeschätzte Gesundheitszustand wurden aus den gleichen Gründen wie bei Gruppe A nicht berücksichtigt.

Die multiple logistische Regressionsanalyse für Gruppe B wurde mit den Merkmalen Gruppenzugehörigkeit (Gruppe B versus Kontrollgruppe), Hypertonie, Parität und BMI, trotz schwacher Signifikanz, durchgeführt, da der BMI ein anerkannter Risikofaktor ist ([Tab. 4]).

Tab. 4 Multiple logistische Regression Gruppe B und Kontrollgruppe (n = 1080).

Risikofaktor

p-Wert

Odds Ratio

Gruppenzugehörigkeit

p = 0,0437

OR = 0,62

Hypertonie

p = 0,0221

OR = 4,70

BMI in kg/m2

p = 0,0002

OR = 0,94

Parität

p = 0,1564

Ein höheres Frühgeburtsrisiko findet man bei den Merkmalen Gruppenzugehörigkeit (Gruppe B versus Kontrollgruppe; OR = 0,623; p = 0,0437), Hypertonie (OR = 4,699; p = 0,0002) und BMI (OR = 0,940; p = 0,0221). Die Parität war nicht signifikant.


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Ergänzende Analyse bei fehlenden Werten

Zu den Merkmalen Scheideninfektionen, Fertilitätsbehandlung und Z. n. Frühgeburt fehlten sehr viele Werte. Um zu analysieren, inwieweit diese fehlenden Werte sich auf das Ergebnis auswirken, wurde eine Simulationsberechnung durchgeführt.

Zunächst wurden alle fehlenden Werte zur Scheideninfektion mit einem „ja“ beantwortet und danach mit einem „nein“. Bei beiden Konstellationen ließ sich kein Einfluss auf die Frühgeburtenrate feststellen. Beim Merkmal „Fertilitätsbehandlung“ fehlen in der Kontrollgruppe 62% der Daten, während in Gruppe A die Daten vollständig sind. Da der Fragebogen in der Kontrollgruppe überwiegend von den Teilnehmerinnen selbst ausgefüllt wurde, kann man postulieren, dass die fehlenden Daten mit einem „nein“ zu ersetzen sind. Hierdurch wäre der Gruppenunterschied nicht mehr signifikant. Würde man die fehlenden Daten mit „ja“ beantworten, wäre der Unterschied signifikant. Dies ändert nichts am Ergebnis, da die Fertilitätsbehandlung statistisch nicht mit der Frühgeburtenrate assoziiert ist ([Tab. 2]).

Eine vorausgegangene Frühgeburt (Z. n. Frühgeburt) ist ein bedeutender Risikofaktor für eine weitere Frühgeburt [19]. Dieser Risikofaktor war besonders häufig mit den Risikofaktoren „selbsteingeschätzter Gesundheitszustand“, „Stress“ und „Bluthochdruck“ assoziiert. Basierend auf dieser Assoziation wurde mittels logistischer Regression die Wahrscheinlichkeit „Z. n. Frühgeburt“ geschätzt. Bei einer Wahrscheinlichkeit von über 50% wurde der Parameter mit „ja“ angenommen, ansonsten mit „nein“.

Auch nach der Einbeziehung dieses Merkmals in die multiple Regressionsanalyse für Gruppe A und Gruppe B ändert sich nichts am Ergebnis. Wiederum ist die Gruppenzugehörigkeit (Gruppe A oder Gruppe B versus Kontrollgruppe) ein bedeutender Risikofaktor mit einer OR = 0,30 (p = 0,0007) in Gruppe A und einer OR = 0,629 (p = 0,0496) in Gruppe B. Als weitere Risikofaktoren verbleiben die Hypertonie (OR = 3,479, p = 0,0090), der BMI pro Einheit (OR = 0,897, p = 0,0032) und zusätzlich das Merkmal Z. n. Frühgeburt (OR = 3,555, p = 0,0006) ([Tab. 5], [Tab. 6]).

Tab. 5 Erweiterte multiple logistische Regression Gruppe A und Kontrollgruppe (n = 860).

Risikofaktor

p-Wert

Odds Ratio

Gruppenzugehörigkeit

p = 0,0007

OR = 0,30

Hypertonie

p = 0,0090

OR = 3,48

BMI in kg/m2

p = 0,0032

OR = 0,90

Z. n. Frühgeburt

p = 0,0006

OR = 3,56

Tab. 6 Erweiterte multiple logistische Regression Gruppe B und Kontrollgruppe (n = 1080).

Risikofaktor

p-Wert

Odds Ratio

Gruppenzugehörigkeit

p = 0,0496

OR = 0,63

Hypertonie

p = 0,0080

OR = 3,30

BMI in kg/m2

p = 0,0196

OR = 0,99

Z. n. Frühgeburt

p = 0,0021

OR = 3,04


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Diskussion

Unter Berücksichtigung der Hypertonie, des BMI und in der Simulationsberechnung Z. n. Frühgeburt scheint ein präkonzeptionell niedriger mütterlicher freier Thyroxinspiegel ein weiterer Risikofaktor für eine Frühgeburt zu sein. Eine präkonzeptionelle L-Thyroxin-Substitution, die den mütterlichen freien Thyroxinspiegel in den hochnormalen Bereich erhöht, sodass bereits mit Eintritt der Schwangerschaft eine euthyreote Hyperthyroxinämie besteht, scheint die Frühgeburtenrate effektiv zu senken. Dies zeigt sich sehr deutlich in Gruppe A, die im Vergleich zur Kontrollgruppe fast 70% weniger Frühgeburten hat. In Gruppe B, die erst mit Eintritt der Schwangerschaft mit L-Thyroxin substituiert wurde, ist der Effekt nicht ganz so stark ausgeprägt, aber mit 40% weniger Frühgeburten im Vergleich zur Kontrollgruppe immer noch deutlich sichtbar.

Trotz vieler epidemiologischer Untersuchungen zum Zusammenhang von mütterlichem Thyroxinmangel und Frühgeburtsrisiko besteht kein Konsens darüber, ob ein systematisches Screening vor und während der Schwangerschaft und, falls erforderlich, anschließender L-Thyroxin-Substitution bei latenten Formen der Hypothyreosen sinnvoll ist. In einer Cochrane-Untersuchung aus dem Jahr 2013 wurden 4 randomisiert kontrollierte Studien mit moderatem Bias-Risiko analysiert. Insgesamt wurden 362 Schwangerschaftsverläufe ausgewertet. Hierbei zeigte sich, dass eine präkonzeptionelle L-Thyroxin-Substitution bei euthyreoten Frauen, entsprechend der Gruppe A, zu einer Reduzierung der Frühgeburtenrate um 72% führte. Dennoch wurde die Datenlage als unzureichend betrachtet, sodass keine generelle Empfehlung ausgesprochen wurde [20]. In einer weiteren Cochrane-Untersuchung aus dem Jahr 2015 konnte dieser Effekt nicht bestätigt werden. L-Thyroxin hatte weder Vorteile noch Nachteile für das Outcome von Mutter und Kind [21].

Eine jüngst publizierte Untersuchung, die Schwangere mit insuffizienter Schilddrüsenfunktion vor der 9. SSW mit L-Thyroxin substituierte, entsprechend der Gruppe B, konnte eine Reduzierung der Frühgeburtenrate vor der 32. SSW zwischen 14% und 29% nachweisen. Die Substitution mit L-Thyroxin wurde klinisch als sicher eingeschätzt, und eine Verbesserung des Schwangerschaftsverlaufs wurde dokumentiert [22].

Die Arbeitsgemeinschaft Geburtshilfe, Sektion maternale Erkrankungen (AGG) empfiehlt, bei jeder Schwangeren mit anamnestischen Risikofaktoren ein Screening mittels TSH-Bestimmung durchzuführen. Nach einem festgelegten Algorithmus kann eine L-Thyroxin-Substitution bei TSH-Konzentrationen von 2,5 bis 4,0 mU/l und positiven TPO-Antikörper (TPO-AK) erwogen werden. Ab einem TSH-Wert über 4,0 mU/l und positiven TPO-AK soll eine L-Thyroxin-Substitution erfolgen [23]. Die AGG-Empfehlungen greifen erst postkonzeptionell, entsprechend der Gruppe B, und berücksichtigen nicht den mütterlichen freien Thyroxinspiegel, der unabhängig von TSH-Wert und TPO-AK die Sekretionsleistung der Schilddrüse widerspiegelt. Das plazentagängige freie Thyroxin gilt als Maß für die fetale Versorgung, während der nicht plazentagängige TSH-Wert den mütterlichen Stoffwechsel anzeigt [24]. Eine mütterliche Euthyreose schließt eine Hypothyroxinämie, und somit eine fetale Mangelversorgung, nicht aus.

Pathophysiologisch ist ein möglicher Zusammenhang von Thyroxinmangel und Frühgeburtsrisiko wenig erforscht. Als sicher gilt, dass die mütterliche Schilddrüse schwangerschaftsbedingt erheblich mehr belastet wird. Während der Schwangerschaft steigt der Schilddrüsenhormonbedarf um ca. 25%–50% an. Schilddrüsenhormone sind zu über 99% im Serum an Transportproteine gebunden und dadurch nicht stoffwechselaktiv. Das dominierende Bindungsprotein ist das Thyroxin-bindende Globulin (TBG), dessen Konzentration östrogenabhängig bis zur 12.–14. SSW auf das 2- bis 3-fache der Ausgangswerte ansteigt. Dieses zusätzlich entstandene TBG senkt die Konzentration der freien Schilddrüsenhormone um durchschnittlich 10–15% ab, sodass diese dem Stoffwechsel entzogen werden. Um eine mütterliche Euthyreose aufrecht zu erhalten, wird die Synthese und Sekretion der Schilddrüsenhormone um ca. 30–100% gesteigert.

Die TBG-Synthese wird durch plazentares Östrogen in der mütterlichen und fetalen Leber bis zur Entbindung fortlaufend stimuliert. Da während der Schwangerschaft der Östrogenspiegel kontinuierlich ansteigt, führt dies zur maximalen Dauerstimulation der mütterlichen und der fetalen Schilddrüse. Bei einer gesunden und mit Jod aufgefüllten Schilddrüse wird vorwiegend Thyroxin synthetisiert und sezerniert. Es entwickelt sich eine physiologische euthyreote maternale Hyperthyroxinämie, die erst 14 Tage nach der Entbindung abklingt [25] [26]. Frauen leiden im Vergleich zu Männern 5-mal häufiger an latenten und manifesten Hypothyreosen, dennoch wird die mütterliche Schilddrüsenfunktion zur Prävention der Frühgeburt bisher wenig beachtet [5] [7] [8].

Weitere Risikofaktoren sind der BMI und die Hypertonie. Dies deckt sich mit einer ganzen Reihe epidemiologischer Untersuchungen [27] [28] [29] [30] [31]. Deutliches Über- oder Untergewicht erhöhen das Risiko für eine Frühgeburt im Vergleich zu Normal- und leichtem Übergewicht. Überträgt man den BMI und das Frühgeburtsrisiko auf ein Diagramm, stellt sich eine „U“-förmige Kurve dar, die für Untergewicht und extremes Übergewicht das höchste Frühgeburtsrisiko ausweist. In der vorliegenden Arbeit war das Frühgeburtsrisiko für untergewichtige Frauen höher als für Übergewichtige bzw. leicht Adipöse. Als geeigneterer Prädiktor der Frühgeburt hat sich allerdings eine zu geringe Gewichtszunahme während der Schwangerschaft herausgestellt, wobei das Risiko besonders bei präkonzeptionell niedrigem BMI weiter ansteigt.

Wegen fehlender Daten musste der anerkannte Risikofaktor Z. n. Frühgeburt statistisch geschätzt werden. Das Ergebnis bestätigt eine jüngst erhobene epidemiologische Untersuchung, die Z. n. Frühgeburt als bedeutenden Risikofaktor nachweisen konnte [19]. Das gleiche gilt für die Hypertonie, die schon lange als Risikofaktor bekannt ist [31].

Als Limitation der vorliegenden Studie ist das Studiendesign anzusehen. Theoretisch wäre es sinnvoll, eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie durchzuführen. Dadurch wären sowohl Strukturgleichheit als auch Beobachtungsgleichheit weitgehend gewährleistet. Aus ethischen Gründen ist ein solches Design jedoch nicht vertretbar.

Weiterhin sind in Gruppe A 3 unterschiedliche Ausprägungsgrade des Thyroxinmangels (Hypothyroxinämie, latente Hypothyreose und manifeste Hypothyreose) zu einer Gruppe zusammengefasst worden. Man kann postulieren, dass diejenigen mit manifester Hypothyreose den höchsten Benefit hatten. Inwieweit Frauen mit einer Hypothyroxinämie oder latenter Hypothyreose profitieren, müsste in einer separaten Untersuchung geklärt werden. Von der Kontrollgruppe ist nur bekannt, dass sie eine Hypothyreose hatte und deshalb mit L-Thyroxin behandelt wurde. Es ist davon auszugehen, dass in der Kontrollgruppe deutlich mehr manifeste Hypothyreosen waren und somit ein stärkerer Thyroxinmangel bestand, zumal die Hypothyroxinämie, als die leichteste Variante eines Thyroxinmangels, bisher weder internistisch noch geburtshilflich Beachtung findet. Selbst wenn man aus der vorliegenden Untersuchung nicht genau abschätzen kann, welche Form der Schilddrüseninsuffizienz das höchste Frühgeburtenrisiko hat, scheint es dennoch klar zu sein, dass man sich um Frauen mit Hypothyreose präkonzeptionell deutlich stärker kümmern muss. Diese Limitation gilt auch für die Gruppe B.

Weitere Merkmale, die zu einer Strukturungleichheit der Gruppen beigetragen haben, wurden bei der Analyse berücksichtigt. Insofern besteht Grund zur Annahme, dass die in dieser Studie erhaltenen Ergebnisse verallgemeinerbar sind. Es wäre wünschenswert, eine prospektive Beobachtungsstudie mit einer hinreichend hohen Fallzahl anzuschließen, um die Validität der Ergebnisse zu verifizieren.


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Schlussfolgerung

Eine unzureichend therapierte Schilddrüsenunterfunktion erhöht das Risiko für eine Frühgeburt. Die präkonzeptionelle Intervention und Dosisanpassung von L-Thyroxin scheint die Frühgeburtenrate am effektivsten zu senken. Im Vergleich zur Kontrollgruppe war die Frühgeburtenrate in der Studiengruppe A um 70% (p < 0,0001) und in der Studiengruppe B um 42% (p = 0,0086) niedriger. In den multiplen logistischen Regressionsanalysen und in der Simulationsberechnung konnten, neben der Gruppenzugehörigkeit (A oder B versus Kontrollgruppe), die Hypertonie, der BMI und eine vorausgegangene Frühgeburt als weitere unabhängige Risikofaktoren identifiziert werden. Eine unzureichend therapierte manifeste Hypothyreose ist ein zu beachtender Risikofaktor für eine Frühgeburt. Ob Hypothyroxinämie und latente Hypothyreose ebenfalls Risikofaktoren darstellen, sollte durch weitere Untersuchungen geklärt werden.


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Contributorsʼ Statement

The authors declare to have made an equivalent contribution to this publication./Die Autoren erklären, dass sie einen gleichwertigen Beitrag zu dieser Publikation geleistet haben.

Conflict of Interest

The authors declare that they have no conflict of interest.

Danksagung

Wir bedanken uns bei der Forschung Beratung Evaluation GmbH (FBE) in Berlin für die Bereitstellung der Rohdaten.


Correspondence

Dr. med. Pompilio Torremante
Frauenarzt/Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin
Marktplatz 29
88416 Ochsenhausen
Germany   
Prof. Christel Weiss
Abteilung für Medizinische Statistik, Biomathematik und Informationsverarbeitung, Universitätsmedizin Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Medizinische Fakultät Mannheim
Theodor-Kutzer-Ufer 1–3
68167 Mannheim
Germany   

Publication History

Received: 11 July 2022

Accepted after revision: 31 May 2023

Article published online:
05 October 2023

© 2023. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Fig. 1 Parity status in the study groups and the control group n = 1440.
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Abb. 1 Parität in den Studiengruppen und der Kontrollgruppe n = 1440.