Laryngorhinootologie 2024; 103(01): 12-13
DOI: 10.1055/a-2117-5954
Referiert und Diskutiert

Kommentar zu „Fazialisparese: wirksame Behandlung bei unvollständiger Regeneration“

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*** Während in Europa die Dekompression des Nervus facialis zur Behandlung der idiopathischen Fazialisparese lange als obsolet gilt, gibt es insbesondere in den USA und in Asien Arbeitsgruppen, die hartnäckig an dem Verfahren festhalten, obwohl es keine besseren Ergebnisse als die medikamentöse Therapie mit Glukokortikoiden liefert, aber eine deutlich höhere Morbidität aufweist. In der vorliegenden monozentrischen retrospektiven Arbeit aus Boston stehen nun 9 (!) Patienten im Mittelpunkt im Behandlungszeitraum von 20 Jahren (0,45 Patienten pro Jahr), die wegen einer rezidivierenden Fazialisparese eine Dekompression des Nervus facialis über die mittlere Schädelgrube erhielten (middle fossa approach). Die Ätiologie bei den 9 Patienten blieb unklar, und es ist gemeinhin nicht geklärt, ob und wie sich diese Patienten von anderen Patienten mit idiopathischer Fazialisparese unterscheiden. Bereits in der Einleitung der Arbeit wird behauptet, dass Patienten mit einer rezidivierenden Fazialisparese eine schlechtere Prognose haben als solche mit einmaliger idiopathischer Fazialisparese. Bereits diese Behauptung kann wissenschaftlich nicht belegt werden. Dann wird behauptet, dass die Ischämie an der engsten Stelle des Fazialiskanals, im labyrinthären Segment, für die Erkrankung wesentlich sei. Auch hierfür gibt es wie für die idiopathische Fazialisparese keinen Beleg. Aber das methodische Vorgehen wird dann leider nicht besser. 248 Patienten aus der Datenbank der Klinik hatten eine rezidivierende Fazialisparese. 132 erfüllten die Einschlusskriterien. Warum 116 Patienten (also fast die Hälfte!) ausgeschlossen wurde, bleibt unbenannt, was einen erheblichen Selektionsbias darstellen kann. Von den 132 wurden 123 nicht operiert und eben 9 Patienten operiert. Über ein Viertel der konservativ behandelten Patienten wurden nicht nachuntersucht, weil sie nicht wiederkamen, was für eine gute Erholung bei diesen Patienten spricht, und eine Negativselektion der verbliebenen Patienten. Es wird aber nicht besser: Die beiden Gruppen wurden nicht miteinander verglichen, sondern nur jeweils in beiden Gruppen getrennt die präoperative mit der postoperative Fazialisfunktion. In beiden Gruppen wurde der mittlere eFACE-Wert um 1–4 Punkte und der House-Brackmann-Score um 0,5–1 Grad besser. Ob dies funktionell relevant ist, kann schon bezweifelt werden. Aber vor allem kann der Leser über die Wertigkeit der Chirurgie nur ablesen, dass die Chirurgie die Fazialisfunktion der Patienten nicht schlechter gemacht hat. Mehr nicht. Bessere Resultate, soweit man überhaupt einen Vergleich anstellen kann, wurden nicht erzielt. Daher kann selbst der sehr weich formulierten Schlussfolgerung der Arbeit, dass die Dekompression über die mittlere Schädelgruppe vielleicht („may be“) effektiv ist, NICHT zugestimmt werden. Meine Schlussfolgerung: Finger weg vom Skalpell bei idiopathischer Fazialisparese und auch bei rezidivierender Parese unklarer Ätiologie.



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Article published online:
05 January 2024

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