Dtsch Med Wochenschr 2024; 149(08): 418-419
DOI: 10.1055/a-2183-4240
Aktuell publiziert

Kommentar zu „Leberzirrhose: Risikoabschätzung mit dem ‚LiverRisk-Score‘“

Contributor(s):
Christoph Neumann-Haefelin

Etwa 2% der jährlichen Todesfälle in Deutschland sind durch eine Leberzirrhose mit ihren Komplikationen bedingt, inklusive dem hepatozellulären Karzinom (HCC) [1]. In der Regel dauert es von Beginn der zugrundeliegenden Lebererkrankung bis zur Ausbildung einer Zirrhose viele Jahre bzw. Jahrzehnte. Bei rechtzeitiger Diagnosestellung und adäquater Therapie der Lebererkrankung lässt sich das Voranschreiten zur Zirrhose verhindern. Seit 2021 gehört die einmalige Untersuchung auf eine Hepatitis B oder C zur Gesundheitsvorsorge ab dem 35. Lebensjahr, die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Dies ist ein wichtiger Fortschritt, da eine medikamentöse Therapie der Hepatitis B eine Progression zur Zirrhose sicher verhindert und die Hepatitis C durch eine nebenwirkungsarme, 8–12 Wochen dauernde Therapie geheilt werden kann. Somit wird die Zahl der Hepatitis B- oder C-assoziierten Zirrhosen weiter sinken. Allerdings sind Hepatitis B und C nur für knapp 30% der zirrhosebedingten Todesfälle in Deutschland verantwortlich [1]. Einen größeren Anteil hieran haben Zirrhosefälle aufgrund einer alkoholischen Lebererkrankung sowie aufgrund einer nichtalkoholischen Steatohepatitis (NASH), welche seit neuestem als Metabolische Dysfunktion-assoziierte Steatohepatitis (MASH) bezeichnet wird [2]. Da die Risikofaktoren Alkoholkonsum sowie metabolisches Syndrom einen Großteil der Allgemeinbevölkerung betreffen, ist eine Identifizierung von Personen mit besonders hohem Risiko für die Entwicklung einer Zirrhose essenziell, um diese Personen einer spezialisierten Diagnostik und Therapie, wie z.B. Alkoholentwöhnung und Lebensstilmodifikation, zuführen zu können. Bisherige Risiko-Scores zur Erkennung von Personen mit relevanter Leberfibrose und somit hohem Risiko für die Entwicklung einer Zirrhose wurden nicht für die Allgemeinbevölkerung entwickelt, sondern für spezielle Personengruppen wie z.B. Hepatitis-C-Infizierte. Daher ist ihre prädiktive Genauigkeit in der Allgemeinbevölkerung eingeschränkt [3]. Beim Einsatz dieser Risiko-Scores zum Screening der Allgemeinbevölkerung würden also viele falsch-positive Resultate zu einer Vielzahl an nicht notwendigen Folgeuntersuchungen führen. Der in dieser Studie etablierte LiverRisk-Score wurde hingegen in großen Kohorten von Personen ohne bekannte Lebererkrankung etabliert und validiert. Seine prädikative Genauigkeit ist somit deutlich höher als die bisheriger Scores. Überzeugend ist vor allem, dass der LiverRisk-Score in der Validierungskohorte die leberassoziierte Mortalität über die nächsten 12 Jahre sehr gut vorhersagen konnte. Dementsprechend sollten alle Personen mit einem hohen Risiko-Score (geschätzte Lebersteifigkeit ≥15 kPa; in der Studie 0,1% aller Personen; 12,9% davon starben in der 12-jährigen Nachbeobachtungszeit aufgrund der Lebererkrankung) sowie einem mittleren Risiko-Score (geschätzte Lebersteifigkeit 10 bis <15 kPa; 0,8% aller Personen; 4,1% davon starben in der 12-jährigen Nachbeobachtungszeit aufgrund der Lebererkrankung) einer spezialisierten Diagnostik und Therapie zugeführt werden. Personen mit einem minimalen Risiko-Score (geschätzte Lebersteifigkeit <6 kPa; 86,4% aller Personen; praktisch keine Todesfälle aufgrund einer Lebererkrankung) benötigen hingegen keine weitere Diagnostik oder Therapie. Der Personengruppe mit einem niedrigen Risiko-Score (geschätzte Lebersteifigkeit 6 bis <10 kPa; 12,7% aller Personen; kaum Todesfälle aufgrund einer Lebererkrankung) könnte ggf. eine fokussierte Diagnostik [4] oder eine erneute Bestimmung des Risiko-Scores nach 10 Jahren angeboten werden.



Publication History

Article published online:
02 April 2024

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