Z Geburtshilfe Neonatol 2024; 228(04): 392-393
DOI: 10.1055/a-2253-7079
Leserbrief

Perinatale Asphyxie und hypoxisch-ischämische Enzephalopathie – Etablierung eines nationalen Registers

Till Dresbach
1   Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Eltern-Kind-Zentrum, Universitätsklinikum Bonn, Deutschland
,
Andreas Müller
1   Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Eltern-Kind-Zentrum, Universitätsklinikum Bonn, Deutschland
,
Hemmen Sabir
1   Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Eltern-Kind-Zentrum, Universitätsklinikum Bonn, Deutschland
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Die perinatale Asphyxie gehört zu den häufigsten Todesursachen in der Neonatalzeit [1]. Trotz aller Verbesserungen in der Pränatalmedizin und Geburtshilfe mit verbesserter Schwangerschaftsüberwachung bleibt die Asphyxie ein meist unvorhersehbares Ereignis. Die Standardtherapie zur Behandlung der moderaten bis schweren neonatalen Enzephalopathie nach perinataler Asphyxie in den Industrieländern ist die therapeutische Hypothermie. Obwohl die therapeutische Hypothermie das Outcome der Patienten signifikant verbessert (Risikoreduktion von Tod und schwerer Behinderung 15–20%), ist die Therapie nur bei 35–40% der betroffenen Neugeborenen effektiv [2]. Gründe hierfür sind z. B. Komorbiditäten, wie eine perinatale Infektion/Inflammation, oder zugrundeliegende genetische Erkrankungen [3]. Daher sind weiterhin intensive Bemühungen notwendig, um das Überleben und die Lebensqualität der Kinder weiter zu verbessern.

Präklinisch hoffnungsvolle additive Therapien zeigten zuletzt keine Wirksamkeit in der klinischen Anwendung, so dass weder durch z. B. Erythropoetin [4], noch durch Xenon [5] klinisch ein zusätzlicher positiver Effekt gesehen werden konnte. Außerdem ist die Therapie nicht in den Entwicklungsländern verfügbar, obwohl gerade in diesen Ländern der Bedarf nach einer effektiven Behandlung am höchsten ist [3].

Die Inzidenz der perinatalen Asphyxie in den Industrieländern wird im Allgemeinen mit 2–4 pro 1000 Lebendgeburten angegeben [2]. Länderspezifische Daten sind jedoch oftmals nicht verfügbar. So bleibt auch in Deutschland die genaue Zahl der betroffenen Neugeborenen unklar, welche mittels therapeutischer Hypothermie behandelt werden. Eine von uns durchgeführte Abfrage von Diagnosedaten der Krankenhauspatientinnen und -patienten der Jahre 2006–2021 ergab, dass die Inzidenz in Deutschland in den letzten Jahren nicht abgenommen hat und höher zu sein scheint als angenommen (6–8/1000 Lebendgeburten).

Aktuelle internationale Daten legen nah, dass die Inzidenz der moderaten bis schweren neonatalen Enzephalopathie nach perinataler Asphyxie zurückgeht und es sich um eine zunehmend seltenere Erkrankung handelt. Daher nimmt auch die Tendenz zu, Neugeborene mit milder Enzephalopathie zu kühlen. Ob diese Kinder von einer Kühlungstherapie profitieren, bleibt abzuwarten. Eine Herausforderung ist die Selektion der Neugeborenen mit milder HIE, welche tatsächlich von der Therapie profitieren könnten, da die Einschlußkriterien in die aktuellen klinischen Studien nicht einheitlich sind.

Die adäquate Behandlung und Erfassung der Patienten ist relevant, um langfristig bestmögliche Therapien anzubieten und die hohe Mortalität und Morbidität der überlebenden Neugeborenen zu reduzieren. Auch ist es wichtig, weiter an der Prävention der perinatalen Asphyxie zu arbeiten. Hierzu gehört die Vermeidung von Geburten von Risikoschwangerschaften in Kliniken ohne Neonatalversorgung, sowie die genaue Aufklärung von erhöhtem Risiko der perinatalen Asphyxie bei Hausgeburten.

Da die Behandlung der therapeutischen Hypothermie nicht zentralisiert ist und in vielen Kliniken durchgeführt wird, sollte die praktische Anwendung der therapeutischen Hypothermie nach einem Standardtherapieprotokoll erfolgen. Hierzu sind international verschiedene Therapieprotokolle verfügbar. In Deutschland gibt es aktuell weder eine gültige nationale Leitlinie zur Behandlung von Neugeborenen mit perinataler Asphyxie, noch eine zentrale Erfassung der Kinder. Eine von uns 2020 durchgeführte Umfrage ergab, dass die Durchführung der therapeutischen Hypothermie bei asphyktischen Neugeborenen in Deutschland sehr heterogen ist [6]. Es zeigte sich, dass im Mittel nicht mehr als 5 Neugeborene pro Klinik im Jahr mittels therapeutischer Hypothermie versorgt werden.

Außerdem besteht eine große Heterogenität in der Anwendung supportiver Medikamente, sowie der Prognoseeinschätzung des Therapieerfolgs. Daher ist es unumgänglich, die Situation zu optimieren und neben der besseren Versorgung der Schwangeren, ein nationales Register der behandelten Kinder zu etablieren. Dieses sollte die Anwendung eines standardisierten Therapieprotokolls zum Ziel haben, aber auch zur Standardisierung von Untersuchungsmethoden, wie aEEG, Magnetresonanztomographie und neurologische Standarduntersuchungen zur Therapiesteuerung und Prognoseeinschätzung führen, um Patienten aus verschiedenen Kliniken vergleichbar zu machen. Damit kann die Basis für weitere wissenschaftliche Studien in Deutschland geschaffen werden.

Ein solches Register (Deutsches Hypothermieregister) wurde kürzlich von uns eingerichtet und die Teilnahme ist offen für jede Klinik – www.hypothermieregister.de. Auf der Website sind alle Informationen frei zugänglich, inklusive eines Standardtherapieprotokolls, welches im Konsens der beteiligten Kliniken erarbeitet wurde sowie Empfehlungen für weitere Untersuchungen. Außerdem besteht die Möglichkeit der Beratungsfunktion, sowie des interaktiven Austauschs. Das Ziel ist, die Therapie dieser seltenen Erkrankung in Deutschland zu standardisieren und langfristig Informationen zu gewinnen, wie wir das Outcome der Patienten weiter optimieren können.



Publication History

Article published online:
05 August 2024

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