CC BY-NC-ND 4.0 · Psychiatr Prax
DOI: 10.1055/a-2296-0327
Originalarbeit

Implementierung eines Konzepts der offenen Türen auf zwei psychiatrischen Akutstationen an zwei Kliniken

Implementation of an Open Door Policy on Two Acute Care Units
Lisa Katharina Schreiber
1   Psychiatrie und Psychotherapie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Medizinische Fakultät, Tubingen, Germany
,
Florian Sattler
2   Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg, Ulm University Medical Faculty, Ulm, Germany
,
Andreas Jochen Fallgatter
1   Psychiatrie und Psychotherapie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Medizinische Fakultät, Tubingen, Germany
,
3   Forschung und Lehre, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I der Universität Ulm (Weissenau), Ravensburg, Germany
4   Zentren für Psychiatrie Südwürttemberg, Weissenau, Germany
,
Florian Metzger
1   Psychiatrie und Psychotherapie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Medizinische Fakultät, Tubingen, Germany
› Author Affiliations
Fördermittel Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg
 

Zusammenfassung

Hintergrund Seit den Novellierungen der baden-württembergischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetze können richterlich untergebrachte psychiatrische Patienten auf offen geführten Stationen behandelt werden. Die vorliegende Arbeit evaluiert Haltungen von Patienten und Beschäftigten in Bezug auf die Implementierung eines Türöffnungskonzepts.

Methoden Zu Beginn und nach Abschluss der Interventionsphase wurden mit Patienten und Personal insgesamt 8 Fokusgruppen mit jeweils 6–11 Teilnehmern durchgeführt und qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse Das Konzept offener Türen wurde tendenziell positiv aufgenommen. Innerhalb des Personals bestanden Bedenken um Sicherheit und Kontrolle. Auf Patientenseite erwies sich der Türstatus als begrenzt relevant bezüglich des Erlebens von Autonomie und Stigmatisierung.

Diskussion Die Herausarbeitung von Konfliktthemen erlaubt eine weiterführende Ausarbeitung spezifischer Konzepte zur Umsetzung offener Türen auf psychiatrischen Akutstationen.


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Abstract

Background Since the amendments to the Baden-Württemberg Psychiatric Assistance Act, psychiatric patients who are treated involuntarily can be admitted to open wards. As a result, a comprehensive research project was carried out to implement an open-door policy. This work evaluates the attitudes of patients and therapeutic teams.

Methods Over the course of a year, 8 focus groups with 6 to 11 participants were conducted with patients and staff before and at the end of the intervention phase and analyzed qualitatively.

Results The concept of open doors was received positively. The staff raised safety concerns whereas on the patient side the door status seemed to be of limited relevance regarding the experience of autonomy or stigmatization.

Discussion The elaboration of conflict issues allows a further development of specific concepts towards the implementation of open doors on psychiatric acute wards.


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Einleitung

Offene Türen in der Psychiatrie sind Gegenstand laufender Diskussionen und Weiterentwicklungen, Umsetzungen wurden in verschiedentlich realisiert [1]. Möglichkeiten nicht-geschlossener Unterbringungen für unfreiwillig behandelte Patienten fanden bereits Eingang in die Psychisch-Kranken-Gesetze (PsychKG) einzelner Bundesländer. So formuliert das baden-württembergische PsychKG: „(…) Personen werden so untergebracht, behandelt und betreut, dass der Unterbringungszweck bei geringstem Eingriff in die persönliche Freiheit erreicht wird“ (§ 19). Das PsychKG Nordrhein-Westfalens nennt die offene Station als bevorzugte Variante: „Die Unterbringung soll so weitgehend wie möglich in offenen Formen durchgeführt werden“ [2]. Das Berliner Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten [3] formuliert: „Sobald es die Behandlung der untergebrachten Personen ohne Gefährdung des Unterbringungszwecks (…) zulässt, soll die Unterbringung (…) in offener und nicht freiheitsbeschränkender Form durchgeführt werden“. Und weiter: „(…), wenn (…) die untergebrachte Person die (…) Anforderungen erfüllt und nicht zu befürchten ist, dass sie die offene Form der Unterbringung missbrauchen wird“. Hintergrund sind die in höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen ausgeführten gesellschaftlichen Entwicklungen in Richtung einer auch auf Menschen mit psychischen Erkrankungen bezogenen Betonung individueller Autonomierechte. In einigen Bundesländern Österreichs etwa gilt es als rechtlich inakzeptabel, dass Menschen, die sich freiwillig in stationäre psychiatrische Behandlung begeben, auf geschlossenen Stationen behandelt werden [4].

Gleichzeitig wird erhofft, dass eine restriktionsarme Umgebung positive Auswirkungen auf Stationsklima und Selbstverständnis der Beschäftigten, die Behandlungsadhärenz und die Außenwirkung psychiatrischer Einrichtungen hat [5] [6]. Dem gegenüber steht die Unvermeidbarkeit der Anwendung restriktiver Maßnahmen angesichts akut drohender Gefahren für Patienten oder andere Personen. Hinsichtlich der Art und Dauer des Einsatzes bestehen erhebliche Unterschiede zwischen Kliniken [7] [8]. Zur Grundsatzfrage, ob die Mehrheit der freiwillig behandelten Patienten wegen einer kleinen Zahl unfreiwillig behandelter Patienten unter den Bedingungen einer geschlossenen Station behandelt werden müssen, empfiehlt die S3 Leitlinie zur Verhinderung von Zwang [9], dass „das Ziel offener Türen (…) nicht zu Lasten anderer wichtiger Aspekte von Autonomie und Sicherheit realisiert werden [soll]. Entscheidend ist eine Gesamtstrategie des möglichst weitgehenden Verzichts auf Restriktionen“. Ob dies ohne Zunahme anderer, schwerwiegenderer Maßnahmen umsetzbar ist, ist Gegenstand aktueller Untersuchungen [10] [11].

Im Rahmen einer Studie unserer Arbeitsgruppe [12] [13] konnten über ein Jahr hinweg an zwei Baden-Württembergischen Kliniken Interventions- und Kontrollstationen verglichen werden, um die Effekte einer Offenen-Tür-Konzeption zu untersuchen. Dabei sollten die Türen nur im akuten Bedarfsfall geschlossen werden. Während die Öffnungszeiten auf den Interventionsstationen bis zu 80+% erreichten und damit signifikant verlängert werden konnten, zeigte sich keine Veränderung der Häufigkeit aggressiver Übergriffe, von Suizidversuchen oder Zwangsmaßnahmen. Bis zu 90+% unfreiwillige Behandlungstage konnten bei offener Tür verbracht werden. Vereinzelt konnten die Türen auch dann über die Dauer gesamter Tage geöffnet bleiben, wenn bis zu 8 untergebrachte Patienten zeitgleich auf der entsprechenden Station behandelt wurden [13].

Über quantitative Untersuchungen hinaus stellt sich die Frage, wie Patienten und Personal einerseits grundsätzlich zu den offenen Türen stehen, andererseits, wie diese konkret umgesetzt werden können. Hierzu gibt es verschiedene prominente Modelle, wie z. B. die Kliniken in Herne und Heidenheim [14]. Neben den quantitativen Erhebungen unserer Arbeitsgruppe [13] wurden erstmals Patienten und Beschäftigte befragt, die sowohl das geschlossene, als auch das offene Konzept unter sonst gleichen Bedingungen kennengelernt haben. Hierzu wurden Fokusgruppen vor und nach der Implementierung offener Stationstüren durchgeführt. Ziel war es, Unterschiede hinsichtlich relevanter Themenbereiche wie Stigmatisierung, Sicherheitsempfinden, Stationsatmosphäre und Autonomie darzustellen. Insbesondere beim Personal, das die Türöffnung konkret umsetzt, sollten Einstellungsänderungen im Laufe der Intervention evaluiert und eine Entwicklung abgebildet werden. Die Rationale hierbei ist, dass sich Bedenken seitens des Personals und der Patienten nach Einführung einer offenen Stationstür verringern.


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Methoden Design

Die Psychiatrische Klinik Friedrichshafen und die Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen verfügen über je zwei baugleiche Akutstationen, so dass für jeden Standort eine Interventions- und eine Kontrollstation bestimmt werden konnte. Im Erhebungszeitraum zwischen Juni 2017 und September 2019 wurden Patienten (auch im Falle einer Wiederaufnahme) alternierend aufgenommen. Eine ausführliche Darstellung wurde veröffentlicht [12]. Es wurde ein semistrukturierter Interviewleitfaden entwickelt, der sich an den Skalen des „Stationsbeurteilungsbogen“ (SBB) [15] orientierte und darüber hinaus weitere für den Kontext des Türstatus bedeutsame Aspekte erfragte. Nach Einführungsfragen zu Informationsstand und persönlicher Relevanz wurden Aspekte zu Kommunikation, Akzeptanz, Stigmatisierung, Atmosphäre, Autonomie und Sicherheitsempfinden erfragt. Die Durchführbarkeit wurde am Standort Tübingen in zwei Pilot-Fokusgruppen mit Patienten und Personal mit je 6 Teilnehmenden erprobt.

Studienteilnehmende

Im Abstand von einem Jahr wurden vor und nach der Intervention auf den 4 Interventions- und Kontrollstationen durch die Autoren (LS, TS, FM, FS) jeweils getrennt Fokusgruppen mit Personal und Patienten durchgeführt. Die Interviewleiter waren den Teilnehmenden durch ihre Arbeit auf den Stationen bekannt. Insgesamt fanden pro Standort 4 Fokusgruppen mit Patienten und 4 mit Personal mit je 6–11 Personen statt. Bei den Patientengruppen war eine Pflegeperson anwesend. Die Gesamtzahl aller Teilnehmenden belief sich auf 110 Personen. Patienten wurden mit Hilfe von Aushängen und mündlicher Einladung rekrutiert, ergänzend wurden Informationsblätter ausgehändigt. Alle interessierten Patienten konnten teilnehmen, es erfolgte keine spezifische Auswahl. Unter den Teilnehmern fanden sich sowohl richterlich untergebrachte als auch freiwillig in Behandlung befindliche Patienten. Um den Zugang niedrigschwellig zu halten, wurden keine persönlichen Daten erfasst. Für die Fokusgruppen mit Personal wurden Termine vereinbart. Während Patienten einmal teilnahmen, konnten Mitarbeiter zu Beginn und am Ende des Projekts teilnehmen. Es nahmen sämtliche Berufsgruppen teil: Pflegepersonal, Ärzte und Psychologen. Die Durchführung dauerte 30–45 Minuten und wurde beendet, sobald das Gespräch nach Einschätzung der Durchführenden inhaltlich gesättigt war. Teilnehmende erhielten keinen Zugang zu den Transkripten, wurden aber über Ergebnisse informiert.

Teilnehmende Patienten der Friedrichshafener Stationen waren im Durchschnitt 42,2 Jahre alt (SD+=+11,9) und häufiger weiblichen Geschlechts (55,2+%), ebenso wie in Tübingen (58,9+%). Das Alter der teilnehmenden Tübinger Patienten lag bei 38,6 Jahren (SD+=+13,5). Das Alter der Teilnehmer der Personalgruppe lag in Friedrichshafen bei 39,9 Jahren (SD+=+11,7), in Tübingen bei 30,4 (SD+=+12,7). In Friedrichshafen waren 71,2+% weiblichen Geschlechts, in Tübingen 40+%. Im Mittel waren sie in Friedrichshafen seit 5,1 Jahren (SD+=+4,9) und in Tübingen seit 4,5 Jahren (SD+=+4,2) auf der jeweiligen Station beschäftigt.


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Ethik-Zustimmung und Zustimmung zur Teilnahme

Die Bewilligung der Ethikkommission der Universität Tübingen erfolgte am 06.06.2017 (Nr. 170/2017/BO1), die der Universität Ulm am 01.03.2017 (Nr. 313/16). Teilnehmende gaben ihr schriftliches Einverständnis und konnten dieses jederzeit zurückziehen. Daten über Alter und ggf. Dauer des Arbeitsverhältnisses wurden pseudonymisiert erhoben.


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Auswertung

Die Gespräche wurden aufgezeichnet, extern transkribiert, anonymisiert und im Anschluss ausgewertet. Die Analyse des Textmaterials erfolgte anhand der zusammenfassend strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring [16]. Die Hauptkategorien wurden deduktiv aus den für die Thematik des Türstatus relevanten Skalen des SBB abgeleitet. Weitere Hauptkategorien sowie die Subkategorien wurden induktiv anhand des Datenmaterials gebildet. Als Grundlage für die Kategorienentwicklung wurden zentrale Aspekte des Datenmaterials paraphrasiert, generalisiert und Subkategorien abgeleitet. Das finalisierte Kategoriensystem wurde auf das verbleibende Datenmaterial angewendet. Die Transkripte wurden von zwei voneinander unabhängigen wissenschaftlichen Mitarbeitern (LKS, FS) analysiert und verglichen. Bei fehlender Übereinstimmung (ca. 5+%) wurde die Codierung mit einem der Studienleiter (FGM) diskutiert und konsentiert. Die Auswertung erfolgte computergestützt (MAXQDA 2020; VERBI GmbH, Berlin), es wurden 379 Codings extrahiert. Aussagen werden folgendermaßen gekennzeichnet: P (Patient), 1 (laufende Nummer), FN oder TU (Standort), C (Kontrollstation) oder I (Interventionsstation) bzw. P (Personal), A (alphabetisch laufender Buchstabe), FN oder TU, C oder I.


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Ergebnisse

Es wurden 4 Kategorieebenen gebildet. Die Aussagen der Teilnehmenden entsprachen den vorgegebenen Kategorien; darüber hinaus wurden in der Patientengruppe die Kategorien Autonomie und Vertrauen, beim Personal die Kategorien Arbeitsablauf und -organisation und Sicherheit gebildet.

Vor Intervention

Patienten Für Patienten spielte die Frage der Sicherheit eine große Rolle. Es wurde die Sorge vor unerlaubtem Entweichen geäußert: „Wenn die Türen auf wären, würden die ganzen Patienten doch stiften gehen und müssten gesucht werden“ (P1FNI). „Ich wäre letzte Woche wahrscheinlich zweimal abgehauen“ (P1TUI). Es war aber auch wichtig, keinen ungewollten Kontakt zu ihrem Umfeld haben zu müssen: „Sicherheit muss sein– für die Patienten und die Außenwelt“ (P4FNI). „Das gibt mir Sicherheit, dass von außen niemand reinkommt, zum Beispiel Besuch, den ich nicht möchte“ (P5FNI). Manche empfinden Schutz z. B. vor Selbstverletzungen: „Sie beschützt einen (…) vor einem selber“ (P1FNC). Andere machten keinen Unterschied aus: „Wenn ich mir etwas antun will, dann mache ich es sowieso, ob die Türe geschlossen ist oder nicht“ (P2TUI).

Personal Das Personal äußerte ähnliche Bedenken. „Das ist für mich ein Sicherheitsaspekt (…), es kommt niemand raus, wir haben die Kontrolle“ (PATUI). „Die geschlossene Türe schützt uns vor unerwünschten Angehörigen oder entlassenen Patienten, die bedrohlich sind.“ (PBFNC). Es wurde befürchtet, dass eine größere Verantwortung auf dem Personal lasten würde: „Ich würde mich schuldig fühlen, wenn dem Patienten draußen etwas passiert.“ (PAFNC). Es bestanden Zweifel, ob man einem von der Außenwelt gestellten Sicherheitsanspruch gerecht werden könnte: „Wir müssten uns dann vor Angehörigen oder Polizei rechtfertigen, warum die Patienten weg sind.“ (PDFNC). Gleichzeitig verärgert es, wenn ein Verwahrungsauftrag vermittelt wird: „Wir sind quasi schuld, wenn ein Patient trotzdem rausgeht“ (PBTUI). Patienten, die nicht bleiben wollten, fänden ihre Wege: „Wenn der Essenswagen kommt, wenn der Putzwagen kommt, (…) irgendwann guckt tatsächlich niemand. Und dann ist er weg. Auch bei geschlossener Tür“ (PBTUI).


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Nach Intervention

Patienten Befürchtungen in Bezug auf Entweichen oder Eindringen von außen bestanden auf den Interventionsstationen nicht mehr. Geschlossene Türen seien nicht das geeignete Mittel, dies zu verhindern. „Die Station gibt mir trotzdem einen geschützten Rahmen, vor allem durch das Personal (…)“ (P9FNI). „Ich habe es nicht erlebt, dass jemand abgehauen ist, wenn die Türen offen waren. Ich verspüre sogar einen größeren Drang abzuhauen, wenn die Türen zu sind“ (P10FNI). „Ich habe keine Sorgen, dass jemand anderes hereinkommt, wenn die Tür auf ist“ (P11FNI). Patienten der Kontrollstation äußerten sich unverändert: „Patienten von anderen Stationen können bei offenen Türen einfach reinkommen, das ist für mich unangenehm“ (P6FNC). „Ich finde es angenehm, dass die Türe zu ist, damit das Personal weiß, wo ich bin (…). Außerdem ist das hier eine Akutstation mit Patienten mit Fluchtgefahr“ (P7FNC).

Personal Für Beschäftigte der Interventionsstation war der Schutz vor ungehindertem Zutritt unverändert Thema: „Ehemalige Patienten kommen einfach rein und nehmen die Station als Aufenthaltsraum“ (PEFNC). „Es gibt Panik bei wahnhaften Patienten, die sich verfolgt fühlen“ (PFFNI). Überlegungen zum Vorgehen bei unerlaubtem Entweichen wurden auf der Tübinger Kontrollstation geäußert: „Die Konsequenz kann nicht sein, dass wir die Tür offen lassen, die Patienten abhauen und wir sie dann fangen lassen. (…) Riskiere ich, dass der Patient sich oder andere gefährdet oder mache ich einfach die Tür zu. Was ist einfacher und weniger riskant?“ (PETUC). Gleichzeitig stellte sich ein Gefühl von Vertrauen ein, dass die Situation auch bei offener Tür zu überblicken sei: „Ich habe (…) ein sicheres Gefühl, da man eine Rückmeldung über das Gehen und Kommen bekommt“ (PGFNC).


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Stigma

Vor Intervention

Patienten Die Auswirkungen des negativen Stigmas wurden mehrfach benannt: „Ich war auf der Geschlossenen. Und plötzlich denkt jeder: oh Gott, wie schlimm. (…) Und man muss da ansetzen, das zu verändern. Und ich glaube, so eine Tür kann (…) der erste Anstoß dazu sein“ (P1TUC). „Geschlossene Psychiatrie hört sich an wie `Einer flog übers Kuckucksnest´, wie eine sadistische Oberschwester und Elektroschocktherapie“ (P3TUI). Insbesondere die Wirkung des Stigmas auf Angehörige beschäftigte Patienten: „Meine Angehörigen fragen mich, ob ich überhaupt spazieren dürfe. Offene Türen würden von (…) der Außenwelt besser angenommen werden“ (P12FNC). „Die Angehörigen fragen sich, ob die Patienten gefährlich sind“ (P1FNC). Von anderen Patienten wurde der Einfluss des Stigmas als irrelevant betrachtet: „Die (…) wissen ja auch, dass wir nicht grundlos hier sind. (…) Da ist das überhaupt keine Frage, ob jetzt die Tür offen oder zu ist“ (P4TUI).

Personal Das Personal machte eher positive Aspekte der eigenen Arbeit auf einer beschützenden Station aus: „Es ist ein taffer Job, auf einer geschlossenen Station zu arbeiten. Das Personal ist hier belastungsfähiger“ (PHFNC). „In der Geschlossenen geht es ordentlich zur Sache. Für meine Bekannten spiegelt das die Schwere und Verantwortung der Arbeit wider (…)“ (PIFNI). „Ich glaube (…), es hört sich schöner an, wenn man sagt „beschützt“, aber die Psychiatrie (…) bleibt Psychiatrie. (…) Ob das so viel ändert, wenn man sagt: Die Tür ist auf (…)?“ (PJTUI). Es wurde aber auch von negativen Erfahrungen berichtet: „Das Umfeld wendet sich von einem ab, wenn man sagt, dass man auf einer Geschlossenen arbeitet. Niemand will hören, wie mein Arbeitsumfeld ausschaut.“ (PKFNI).


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Nach Intervention

Patienten Nach der Intervention spielte das Stigma einer geschlossenen Türe keine große Rolle. „Für meine Angehörigen ist das nicht wichtig.“ (P4FNC). Auf der Tübinger Kontrollstation wurde ein anderer Eindruck wiedergegeben: „Das Bild ist besser, wenn die Station offen geführt wird.“ (P2TUC). Es wurde aber auch gesagt: „Die Frage, ob ich auf einer geschlossenen oder offenen Station bin, kam eigentlich nie.“ (P4TUC).

Personal Auf den Interventionsstationen wurde von Wertschätzung berichtet: „Die Angehörigen nehmen die offene Tür positiv wahr. Sie sehen eine moderne und patientenorientierte Psychiatrie“ (PMFNI). „Das stärkt das Selbstwertgefühl, wenn ich sagen kann, dass ich in der Lage bin, mit schwerstgestörten Menschen so zu verhandeln, dass man die Tür auflassen kann“ (PNFNI). Im Sinne einer Entstigmatisierung scheint die Türöffnung jedoch keine entscheidende Rolle zu spielen: „Die [Pat.] sehen: Die Psychiatrie ist nicht so, wie sie es sich gedacht hätten. Das hat mit der geschlossenen Tür (…) nichts zu tun“ (POTUC). Die positive Selbstwahrnehmung durch die Arbeit auf einer geschlossenen Station bestand auf der Kontrollstation fort: „Es spielt im Gespräch mit Bekannten eine große Rolle, dass ich auf einer geschlossenen Station arbeite. Die Arbeit wird sehr anerkannt.“ (PLFNC).


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Gerechtigkeit

Vor Intervention

Patienten Die Einschränkung der Freiheit aller Patienten durch wenige, die unfreiwillig in Behandlung sind, wurde kritisiert: „Geschlossen ist nur wegen einer Minderheit. Die anderen müssen darunter leiden.“ (P13FNC). Zugleich wurde angemerkt, dass die Einschränkung der Freiheit einzelner Patienten mit dem Ziel der Stationsöffnung keine adäquate Lösung wäre: „Eine Fixierung ist keine Alternative zur geschlossenen Station. Das wäre eine sehr egoistische Haltung.“ (P14FNI).

Personal Auch seitens des Personals wurde dieser Konflikt angesprochen: „Es ist bedauerlich, teilweise nur wegen einem Patienten die Station schließen zu müssen.“ (PMFNC). Jedoch wurde auch hier in restriktiveren Maßnahmen für Einzelne keine Alternative gesehen. „Es ist gegen mein Berufsethos, Patienten zu isolieren, nur damit die Türe offen ist“ (POFNI). Dass Patienten ähnlicher Ansicht waren, wurde auch vom Personal wahrgenommen: „Die Patienten haben Verständnis für die geschlossene Tür, da sie ihre schwierigen Mitpatienten ja sehen“ (PPFNI).


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Nach Intervention

Patienten In Tübingen wurde weiterhin Verständnis geäußert: „Es geht momentan nicht, weil wir einen dementen Herrn hier haben, der abhauen könnte und dann herumirren würde. Mich beruhigt, dass die Tür geschlossen ist“ (P5TUC). Auf der Friedrichshafener Station wurden seitens der Patienten keine Aussagen getroffen, die dieser Kategorie zuzuordnen wären.

Personal Nach der Intervention spielte für das Personal die Frage nach Gerechtigkeit keine Rolle, so dass keine entsprechenden Aussagen getroffen wurden.


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Atmosphäre

Vor Intervention

Patienten Friedrichshafener Patienten äußerten positive Aspekte auf die Stationsatmosphäre: „Es ist angenehmer, wenn die Türe offen ist.“ (14FNC). „Offene Türen sind schöner, auch, wenn man von außen wieder zurückkommt.“ (P15FNI). In Tübingen hingegen gingen die Äußerungen in Richtung einer Gleichwertigkeit: „Ich kann auch nicht raus und für mich macht es auch keinen Unterschied, ob die Tür offen oder zu ist“ (P6TUC).

Personal Der Einfluss auf die Stationsatmosphäre wurde vom Personal unterschiedlich wahrgenommen. Einerseits wurde eine geschlossene Tür positiv bewertet: „Ich bin entspannter, wenn die Türe zu ist“ (PNFNC). „Offene Türen bedeuten Stress für mich. Die Arbeitsatmosphäre wird dadurch angespannter“ (PQFNI). Andererseits wurden negative Auswirkungen auf die Patientengruppe registriert: „Die Patienten fühlen sich nicht wohl, wenn die Tür zu ist“ (PRFNI). „Der Patient stört sich furchtbar an der Tür“ (PSFNI).


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Nach Intervention

Patienten Auch nach der Intervention wurde der Türstatus als wichtiger Faktor für eine gute Atmosphäre angesehen: „Die offene Türe ist ein Luxus im Gegensatz zu früher, als [sie] zu war“ (P17FNI). „Es ist deutlich schöner“ (P15FNI). Daneben sei es aber vor allem Zeit, die das Personal mit den Patienten verbringen kann, die zu einer guten Atmosphäre beitrage: „Wichtigster Wohlfühlfaktor (…) ist, dass das Personal Zeit hat“ (P18FNI). „Wenn die Tür offen ist, hat das Personal noch weniger Zeit, weil es sehr schwer ist, die Tür im Blick zu haben. Wenn ich am Computer jetzt all die Daten eingeben müsste, (…) und dauernd gleichzeitig zur Tür schauen, ob Patient XY, dement, nicht gerade wieder nach außen drängt, dann wird (…) die Zeit für die Patienten noch geringer“ (P6TUI).

Personal Es wurden positive Auswirkungen beschrieben: „Es bringt für alle Beteiligten eine entspannte Atmosphäre, wenn die Tür auf ist“ (PUFNI). „Es ist ruhiger und leichter auf der Station, wenn die Patienten nicht den Eindruck haben, eingesperrt zu sein“ (PVFNI). „Ich glaube, das zeigt schon, dass wir [den Patienten] vertrauen.“ (PPTUC). Einzelne äußerten aber auch ein höheres Maß an Anspannung: „Ich bin angespannter, (…) wenn die Tür auf ist, weil ich einfach fixer vorne sein oder gucken muss.“ (PQTUC). Die Haltung zur offenen Station kann auch als Gemeinschaftswerk verstanden werden: „Wenn es wirklich gelebt wird, macht es einen Unterschied. Ich kenne das auch noch von vor 35 Jahren (…). Da sind alle dazu gestanden. (…) Und die Patienten haben sich ganz anders verhalten, (…) ganz anders aufeinander aufgepasst und gesagt: Du gehst nicht raus, sonst wird die Tür zugemacht“ (PSTUC).


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Autonomie

Vor Intervention

Patienten Sich die Tür aufschließen lassen zu müssen, wurde überwiegend als negativ empfunden: „Man fühlt sich (…) eingeengt und eingeschlossen“ (P16FNC). „Ich freue mich, wenn die Tür offen ist, dass ich nicht bitten und betteln muss, dass endlich jemand aufschließt“ (P19FNI). „Für mich bedeutet die geschlossene Tür purer Stress.“ (P18FNC). Für Patienten, die sich freiwillig auf der Station befanden, bestünde keine Einschränkung der Autonomie: „Jeder, der raus will, darf auch raus trotz geschlossener Tür. Ich fühle mich (…) nicht fremdbestimmt oder ausgeliefert“ (P19FNC). In Tübingen dominierte der Aspekt des Freiheitsentzugs auf Basis der Unterbringung gegenüber der geschlossenen Tür: „(…) wenn ich keinen Ausgang habe, kann ich nicht raus, egal, ob die Tür grün ist oder rot“ (P9TUI). „Irgendjemand anders bestimmt über meine Freiheit (…). Das ist Freiheitsberaubung“ (P10TUI).


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Nach Intervention

Patienten Bei den Patienten der Interventionsstation wurden keine negativen Auswirkungen auf die Autonomie beschrieben. Eine offene Station habe weniger Einfluss, als der eigene Unterbringungsstatus: „Als Zwangseingewiesener fühlt man sich immer eingesperrt.“ (P20FNI). Es wird jedoch auch Enttäuschung zum Ausdruck gebracht: „Von wegen (…) offene Station. Das ist alles andere (…).“ (P11TUI). Die Patienten der Kontrollstationen beschrieben unverändert Belastungen: „Man muss ewig warten, bis jemand die Tür aufmacht. Das ist nervig“ (P20FNC). „Man fühlt sich eingesperrt.“ (P21FNC). Doch auch hier gab es die Haltung, dass eine geschlossene Tür keine Einschränkung bedeuten muss: „Es ist kein Problem, zu fragen, ob man aufmachen kann“ (P22FNC).


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Vertrauen

Vor Intervention

Patienten Vor der Intervention wurde die Hoffnung geäußert, dass sich das Verhältnis zwischen Patienten und Personal bessern würde: „Wenn die Tür offen wäre, hätte ich das Gefühl, man vertraut mir“ (P21FNI). „Für mich wäre es sehr gut, dass ich Kontakt mit dem Pflegepersonal habe. Ich darf raus, wenn ich will, aber sie sollen wissen, dass ich weggehe“ (P12TUI). Manche befanden auch: „Macht keinen Unterschied“ (P8TUC).


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Nach Intervention

Patienten Sowohl auf der Kontroll-, als auch auf der Interventionsstation spielte der Türstatus in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zwischen Personal und Patienten keine große Rolle: „Wichtiger (…) ist, dass man sich angenommen fühlt und das Personal auf einen eingeht“ (P24FNC). „Die offene Tür ist nicht egal, aber nur einer von vielen Faktoren, die das Vertrauen beeinflussen“ (P21FNI).


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Arbeitsablauf

Vor Intervention

Personal Für den Arbeitsablauf wurden geschlossene Türen eher als günstig angesehen. Die Konzentration sei besser, wenn man nicht darauf achten müsse, ob ein Patient unerlaubt die Station verlasse. „Ich kann mich lockerer auf meine Arbeit konzentrieren, wenn die Station geschlossen ist“ (POFNC). Es könnten aber auch Aufgaben unerledigt bleiben: „Es ist für die Pflege nicht machbar, zu schauen wer rein und raus geht. Dann wäre mehr Personal für Gruppentherapien oder 1:1-Betreuung nötig“ (PTTUI). „Es ist mehr Aufwand, die Tür zu überwachen und außerdem wird es mehr Diskussionen mit der Polizei bei Abgängern geben“ (PPFNC). Es wurde auch befürchtet, es könnten sich weniger Gelegenheiten für Gespräche ergeben: „Kurzkontakte mit Patienten gehen verloren, da sie nicht mehr fragen müssen, ob sie raus dürfen“ (PTFNI).


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Nach Intervention

Personal Auf der Interventionsstation beschrieb das Personal die Arbeitsabläufe durch den Wegfall des Klingelns und des Türschließens als ruhiger. „Es ist viel stressfreier. Vor allem wegen der wegfallenden Klingel. Das ständige Hin- und Herrennen hat ein Ende“ (PUFNI). „Das permanente Stören durch die Türklingel war ungeheuer (…) zermürbend“ (PQFNC). Die Befürchtung verringerter Patientenkontakte wurde nicht bestätigt. Vielmehr wurde berichtet, dass es durch die Präsenz eines Mitarbeiters in Türnähe zu mehr Gesprächen kam: „Der Thekendienst bringt positive Effekte, da die Patienten immer einen Ansprechpartner haben“ (PVFNI). Negative Auswirkungen auf Arbeitsabläufe wurden nur noch seitens des Personals der Kontrollstation befürchtet: „Das bedeutet mehr Aufwand und Arbeit, wenn die Tür offen ist“ (PRFNC).


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Diskussion

Ziel dieser qualitativen Erhebung war es, die von Patienten und Personal dargelegte Bandbreite an Eindrücken sowie deren Veränderung bezüglich der Implementierung einer offenen Stationsführung im Prä- Postvergleich darzustellen.

Während Patienten in Hinblick auf das Sicherheitsempfinden befürchteten, offene Türen könnten mit weniger Schutz einhergehen, wurde nach der Intervention angemerkt, dass ein Entweichen ohnehin möglich sei und Sicherheit eher durch das Personal vermittelt werde. Seitens des Personals wurde Besorgnis geäußert, Erwartungen Angehöriger, der Polizei oder der Gesellschaft nicht gerecht zu werden, falls es zu Entweichungen käme. Es wurde befürchtet, Patienten, die durch die Polizei wieder zurückgebracht werden müssten, würden zum Selbstläufer. De facto kam es im Rahmen unserer Untersuchung nicht häufiger zu Entweichungen; ein quantitativer Befund, der retrospektiven Auswertungen anderer Arbeitsgruppen entspricht [13] [17].

Insbesondere das Pflegepersonal empfand geschlossene Türen auch als entlastend. Dies entspricht Vorbefunden aus qualitativen Studien, in denen das befragte Pflegepersonal Gefühle von Beschämung, Schuld und Angst vor Verantwortlichmachung im Falle von Entweichungen äußerte [18]. Tatsächlich kam es im Kontakt zur Polizei wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten, wie stark Patienten im Ausgang zu beschränken seien, wenn sie aufgrund ihres Unterbringungsstatus gefahndet werden müssten, ohne eine Gefahr darzustellen. In einer Verlaufsstudie zeigte sich, dass Personal während der Pilotphase zur Türöffnung ein geringeres Sicherheitsempfinden berichtete, dieses aber im Verlauf anstieg und nach zwei Jahren schließlich das Ausgangsniveau übertraf [10].

Bei der Frage nach Stigmatisierung spielte die Tür keine herausragende Rolle innerhalb der Patientengruppe. Ein eher unerwarteter Befund angesichts einer Studie, in der 17+% der befragten Patienten Stigmatisierung als Grund für unerlaubtes Entweichen angaben [19]. Während Einzelne medial überzogene Vorstellungen von Psychiatrie erwähnten, fanden andere, durch die eigene Erkrankung hätte auch ihr Umfeld zu einem realistischeren Bild gefunden. Seitens des Personals wurde davon ausgegangen, dass das Stigma weniger mit dem Türstatus in Verbindung steht, sondern mit der Akutstation an sich. Hier wurden Aspekte wie Stolz und Wertschätzung für die besondere Arbeit benannt, aber auch Schwierigkeiten, die eigene Tätigkeit nach außen zu vermitteln. Insgesamt wurde der Zusammenhang zwischen Türstatus und Stigmatisierung als begrenzt eingeschätzt. Auch in der Literatur werden offene Türen als Teil eines Gesamtkonzepts angesehen, das überdies u. a. intensivierte Beziehungsarbeit und Stärkung der Patientenautonomie beinhalten kann [20] [21] [22].

Patienten und Mitarbeiter waren sich einig, dass Einzelne nicht zugunsten der Türöffnung fixiert oder isoliert werden sollten. Unter ethischen Gesichtspunkten ist ein solches Vorgehen nicht zu rechtfertigen und wird so nicht umgesetzt [23]. Bezüglich der Atmosphäre empfanden Patienten offene Türen als zuträglich, gegenüber der Verfügbarkeit des Personals jedoch als nachrangig- ein Gedanke, der sich auch in Aussagen des Personals widerspiegelte. Hinsichtlich des eigenen Befindens teilten sich jedoch die Meinungen; einige fühlen sich entspannter mit offenen Türen, andere angespannter, weil eine Möglichkeit der (subjektiven) Kontrolle entfiel. Eine offene Tür allein stellt demnach keine feste Einflussgröße dar, leistet aber einen Beitrag zum Bemühen, die Beziehung zu den Patienten aufrechtzuerhalten. Daraus resultierende Haltungen und Interaktionen haben ihrerseits einen positiven Einfluss auf die Stationsatmosphäre [24] [25].

Über die geteilten Kategorien hinaus war für Patienten das Autonomieempfinden bedeutsam. Viele fühlten sich bei geschlossenen Türen eingesperrt und belastet durch die Abhängigkeit vom Personal. Auf den Interventionsstationen war das Thema weniger präsent, es wurde aber auch Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, dass der Türstatus nicht über die Möglichkeit des Ausgangs entschied. Auch in einer „offenen“ Psychiatrie können Patienten nicht zu jedem Zeitpunkt ohne Einschränkung der persönlichen Freiheit behandelt werden. Pollmächer und Nyhuis [26] schlugen den Begriff der autonomiefokussierten Psychiatrie vor, die mehrere Aspekte umfasst: einen möglichst geringen Eingriff in die persönliche Freiheit des Patienten, die Stärkung individueller Autonomie, aber auch die Dritter, die es zu schützen gilt. Patienten betonten darüber hinaus die Wichtigkeit einer vertrauensvollen Beziehung zum Pflegepersonal und hofften, die Türöffnung hätte hier einen positiven Effekt. Damit handelt es sich bei der Türöffnung um einen Aspekt einer patientenorientierten Behandlung; der aber signalisiert, dass Patienten auf eine empathische Beziehungsaufnahme hoffen dürfen [27].

Beim Personal bestanden Bedenken, es würden Kapazitäten von anderen Aufgaben abgezogen. Konträr zur Hoffnung der Patienten wurde befürchtet, es ginge ein Mittel der Kontaktpflege verloren, wenn diese nicht mehr um Türöffnung bitten müssten. Die Kontaktangebote im Türbereich wurden jedoch sehr gut angenommen und der Wegfall des Klingelns als Erleichterung erlebt. Wie Veränderungen der Arbeitsabläufe eingeordnet wurden, scheint auch auf grundlegenden Haltungen bezüglich einer liberaleren Psychiatrie zu beruhen [18].

Grenzen der Studie

Es zeigte sich, dass die Haltungen heterogen ausfielen und je nach Gruppe unterschiedliche Schwerpunkte relevant wurden. Der ethische Diskurs schien bei den Betroffenen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Die Teilnahme an den Fokusgruppen war nur Patienten möglich, die sich imstande sahen, einer Diskussion zu folgen und sich einzubringen, so dass die Stichprobe diesbezüglich selektiv ist. Die Redeanteile einzelner Teilnehmer unterschieden sich daher entsprechend der Schwere ihrer Erkrankung zum Teil deutlich. Diagnosen und Unterbringungsstatus wurden nicht erhoben, könnten aber in einer Nachfolgeuntersuchung eine sinnvolle Ergänzung zur Stichprobenbeschreibung darstellen. Der Fokus der Patienten lag eher auf individuellen Erfahrungen angesichts gegenwärtiger oder vergangener Behandlungssituationen, darüber hinausgehende Diskussionen kamen entgegen unserer Erwartung kaum zustande. Für künftige, insbesondere multizentrische, Untersuchungen könnte ein strukturierterer Leitfaden eingesetzt werden, um Themen klarer vorgeben und Antworten besser vergleichen zu können. Auch könnten Einzelinterviews das geeignetere Instrument darstellen, um Haltungen eines jeden Teilnehmers, ggf. diagnosespezifisch, vollumfänglich erfassen zu können. Es könnten konkrete Empfehlungen für die Umsetzung offener Stationen erfragt werden, sowie die Befragung auf weitere Gruppen wie Politik und Polizei ausgeweitet werden, um das Spannungsfeld der Thematik abzubilden.

Ziel der vorliegenden Arbeit war die Begleitung der Umsetzung einer offenen Stationsführung. Sie zeigt, -bei aller Heterogenität- dass sich die Einstellungen im Verlauf der Umsetzung verändern, insbesondere seitens des Personals. Damit trägt diese Arbeit zur notwendigen Entwicklung bei, eine liberale und autonomiefokussierte Psychiatrie umzusetzen.


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Konsequenzen für Klinik und Praxis

Fokusgruppen mit Patienten und Personal vor und nach der Stationsöffnung zeigen: Offene Türen stellen einen Teilaspekt einer patientenorientierten Psychiatrie dar, der einerseits zu Konflikten um Verantwortlichkeiten führen kann, andererseits aber auch die Hoffnung auf eine positivere Außenwirkung beinhaltet. Die Bedeutung der Beziehung zwischen Personal und Patienten sind explizit hervorzuheben: offene Türen verlangen und bedingen Vertrauen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Wir bedanken uns beim Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Tübingen für die Unterstützung bei der Ausformulierung der Methodik.

Zusätzliches Material

  • Literatur

  • 1 Steinert T, Schreiber LK, Metzger FG. et al. Offene Türen in psychiatrischen Kliniken: Eine Übersicht über empirische Befunde. Nervenarzt 2019; 90: 680-689
  • 2 Steinert T, Hirsch S. (eds). Freiheitsbeschränkende und freiheitsentziehende Maßnahmen. S3-Leitlinie Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen. Berlin, Heidelberg: Springer; 2019: 152-171
  • 3 Lehmann P. Psychiatrische Zwangsbehandlung, Menschenrechte und UN-Behindertenrechtskonvention Fragen und Antworten anlässlich der Neufassung des Berliner „Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten“ (PsychKG). Recht & Psychiatr 2015; 33: 20-33
  • 4 Steinert T, Scharfetter J. Wie können psychiatrische Kliniken in Österreich vollständig offen geführt werden?. Psychiat Prax 2018; 45: 321-326
  • 5 Adorjan K, Steinert T, Flammer E. et al. Zwangsmaßnahmen in deutschen Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie. Nervenarzt 2017; 88: 802-810
  • 6 Pollmächer T. Autonomiefokussierung als Leitgedanke einer minimal-restriktiven Psychiatrie. Nervenarzt 2019; 90: 669-674
  • 7 Steinert T, Flammer E. Frequency of coercive measures as a quality indicator for psychiatric hospitals?. Nervenarzt 2019; 90: 35-39
  • 8 Ketelsen R, Schulz M, Driessen M. Zwangsmaßnahmen im Vergleich an sechs psychiatrischen Abteilungen. Gesundheitswesen 2011; 73: 105-111
  • 9 Steinert T, Hirsch S, Gerlinger G. Verhinderung von Zwang: Praxisversion der S3-Leitlinie. Berlin, Heidelberg: Springer; 2019
  • 10 Gouzoulis-Mayfrank E, Gairing SK, Krämer T. et al. Öffnung einer psychiatrischen Akutstation als komplexe Intervention. Nervenarzt 2019; 90: 709-714
  • 11 Mann K, Gröschel S, Singer S. et al. Evaluation of coercive measures in different psychiatric hospitals: the impact of institutional characteristics. BMC Psychiatry 2021; 21: 419
  • 12 Schreiber LK, Metzger FG, Duncker TA. et al. Open doors by fair means: Study protocol for a 3-year prospective controlled study with a quasi-experimental design towards an open Ward policy in acute care units. BMC Psychiatry 2019; 19: 1-8
  • 13 Schreiber LK, Metzger FG, Flammer E. et al. Open Doors by Fair Means: a quasi-experimental controlled study on the effects of an open-door policy on acute psychiatric wards. BMC Health Serv Res 2022; 22: 1-9
  • 14 Steinert T. Die Doppelfunktion der Psychiatrie. Recht & Psychiatr 2021; 39: 28-34
  • 15 Engel RR, von Doblhoff-Thun C, Knab B. Stationsbeurteilungsbogen: SBB; Manual. Weinheim: Beltz; 1983
  • 16 Mayring P, Fenzl T. Qualitative Inhaltsanalyse. Wiesbaden: Springer Fachmedien; 2019: 633-648
  • 17 Cibis ML, Wackerhagen C, Müller S. et al. Vergleichende Betrachtung von Aggressivität, Zwangsmedikation und Entweichungsraten zwischen offener und geschlossener Türpolitik auf einer Akutstation. Psychiatr Prax 2017; 44: 141-147
  • 18 Muir-Cochrane E, Van der Merwe M, Nijman H. et al. Investigation into the acceptability of door locking to staff, patients, and visitors on acute psychiatric wards. Int J Mental Health Nursing 2012; 21: 41-49
  • 19 Falkowski J, Watts V, Falkowski W. et al. Patients leaving hospital without the knowledge or permission of staff–absconding. Br J Psychiatry 1990; 156: 488-490
  • 20 Zinkler M, Nyhuis PW. Offene Türen in der Allgemeinpsychiatrie: Modelle und Standards. Recht & Psychiatr 2017; 35: 63-67
  • 21 Lang U. Innovative Psychiatrie mit offenen Türen: Deeskalation und Partizipation in der Akutpsychiatrie. Berlin, Heidelberg: Springer; 2012
  • 22 Gather J, Nyhuis PW, Juckel G. Wie kann eine „offene Psychiatrie“ gelingen? Konzeptionelle Überlegungen zur Türöffnung in der Akutpsychiatrie. Recht & Psychiatr 2017; 35: 80-85
  • 23 Gather J, Scholten M, Henking T. et al. Wodurch wird die geschlossene Tür ersetzt?: Konzeptionelle und ethische Überlegungen zu offenen Unterbringungsformen, formellem Zwang und psychologischem Druck. Nervenarzt 2019; 90: 690-694
  • 24 Beine KH. Öffnen wir die Türen. Psychiatr Prax 2016; 43: 69-70
  • 25 Lo SB, Gaupp R, Huber C. et al. Einfluss einer „Offenen-Tür-Politik “auf die Stationsatmosphäre: Auswirkungen auf die Behandlungsqualität. Psychiat Prax 2018; 45: 133-139
  • 26 Pollmächer T, Nyhuis PW. Autonomie-fokussierte Psychiatrie. Psychiat Prax 2018; 45: 233-235
  • 27 Sollberger D, Lang UE. Psychiatrie mit offenen Türen: Teil 1: Rational für Türöffnungen in der Akutpsychiatrie. Nervenarzt 2014; 85: 312-318

Korrespondenzadresse

Lisa Katharina Schreiber
Eberhard-Karls-Universität Tübingen Medizinische Fakultät
Psychiatrie und Psychotherapie
Calwer Str. 14
72076 Tubingen
Germany   
Phone: 015756554279   

Publication History

Received: 17 March 2023

Accepted: 18 January 2024

Article published online:
26 April 2024

© 2024. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Steinert T, Schreiber LK, Metzger FG. et al. Offene Türen in psychiatrischen Kliniken: Eine Übersicht über empirische Befunde. Nervenarzt 2019; 90: 680-689
  • 2 Steinert T, Hirsch S. (eds). Freiheitsbeschränkende und freiheitsentziehende Maßnahmen. S3-Leitlinie Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen. Berlin, Heidelberg: Springer; 2019: 152-171
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  • 12 Schreiber LK, Metzger FG, Duncker TA. et al. Open doors by fair means: Study protocol for a 3-year prospective controlled study with a quasi-experimental design towards an open Ward policy in acute care units. BMC Psychiatry 2019; 19: 1-8
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  • 16 Mayring P, Fenzl T. Qualitative Inhaltsanalyse. Wiesbaden: Springer Fachmedien; 2019: 633-648
  • 17 Cibis ML, Wackerhagen C, Müller S. et al. Vergleichende Betrachtung von Aggressivität, Zwangsmedikation und Entweichungsraten zwischen offener und geschlossener Türpolitik auf einer Akutstation. Psychiatr Prax 2017; 44: 141-147
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  • 19 Falkowski J, Watts V, Falkowski W. et al. Patients leaving hospital without the knowledge or permission of staff–absconding. Br J Psychiatry 1990; 156: 488-490
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  • 21 Lang U. Innovative Psychiatrie mit offenen Türen: Deeskalation und Partizipation in der Akutpsychiatrie. Berlin, Heidelberg: Springer; 2012
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  • 25 Lo SB, Gaupp R, Huber C. et al. Einfluss einer „Offenen-Tür-Politik “auf die Stationsatmosphäre: Auswirkungen auf die Behandlungsqualität. Psychiat Prax 2018; 45: 133-139
  • 26 Pollmächer T, Nyhuis PW. Autonomie-fokussierte Psychiatrie. Psychiat Prax 2018; 45: 233-235
  • 27 Sollberger D, Lang UE. Psychiatrie mit offenen Türen: Teil 1: Rational für Türöffnungen in der Akutpsychiatrie. Nervenarzt 2014; 85: 312-318