Gastroenterologie up2date 2025; 21(03): 269-289
DOI: 10.1055/a-2408-5812
Spezielle Themen

Palliativmedizin in der Gastroenterologie - Schwerpunkt Schmerzen und Ernährung

Authors

  • Lena Bartke

  • Nicole Selbach

  • Ali Canbay

Preview

Gerade in der Gastroenterologie sind palliative Situationen oft mit einer hohen Symptomlast verbunden. Häufig ist die Umsetzung einer suffizienten medikamentösen Therapie zur Symptomlinderung durch krankheitsbedingte körperliche Veränderungen erschwert. Fragen zur Ernährung spielen gerade im fortgeschrittenem Krankheitsverlauf eine große Rolle. Diese Fortbildung soll Behandlungsoptionen in der Palliativsituation mit dem Schwerpunkt auf Schmerzen und Ernährung vermitteln und Möglichkeiten einer differenzierten Symptomkontrolle aufzeigen.

Kernaussagen
  • An die Einbindung palliativmedizinischer Aspekte sollte rechtzeitig gedacht werden („timely integration“), dabei ändert sich der Fokus von einer krankheits- auf eine symptombezogene Behandlung und eine bestmögliche Lebensqualität. Probleme können entsprechend dem „Total Pain“-Konzept im physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Bereich liegen.

  • Nicht-maligne lebenslimitierende Erkrankungen wie z. B. die Leberzirrhose haben variablere Krankheitsverläufe, damit ist die Prognose oft schwieriger. Zur Indikationsstellung einer Palliativversorgung können Tools wie die „Surprise Question“ oder SPICT-DE helfen.

  • Die Symptomlast bei gastroenterologischen Erkrankungen ist oft erheblich: Hierunter fallen beispielsweise Nausea und Emesis, Hämatemesis, Miserere, therapierefraktärer Aszites, Infektkomplikationen, Peritonealkarzinose, maligne intestinale Obstruktion, postoperative Komplikationen (z. B. Anastomoseninsuffizienz oder „Platzbauch“), hepatische Enzephalopathie und Delir.

  • Grundlage einer differenzierten Schmerztherapie ist die Schmerzanamnese. Ursache, Charakter und Intensität sollten erfasst und unter Behandlung reevaluiert werden. An besondere Schmerzformen wie den Leberkapselschmerz sollte gedacht werden.

  • In der Schmerztherapie sollten bevorzugt retardierte Präparate zu festen Einnahmezeiten eingesetzt und die Nierenfunktion bei der Auswahl hochpotenter Opioide berücksichtigt werden. Eine individuelle Dosistitration und die Anwendung von Koanalgetika, z. B. Kortikosteroide bei Leberkapselschmerz, sollte beachtet werden. Eine Bedarfsmedikation (⅙ – ¹⁄₁₀ der Tagesdosis) für Durchbruchschmerzen und eine dauerhafte stuhlregulierende Begleitmedikation sollte verordnet werden.

  • Bei Beeinträchtigung der Magen-Darm-Passage, z. B. bei inkompletter oder kompletter maligner intestinaler Obstruktion (MIO) sollte parenteral eine suffiziente Analgesie eingeleitet werden. Hierfür können Portsysteme oder u. U. die Subkutangabe genutzt werden. Auch ambulant ist eine Versorgung mittels Schmerzpumpe (Patient-controlled Analgesia, PCA) z. B. über Dienstleister und/oder SAPV notwendig.

  • In der Palliativsituation sollte „Essen“ und „Ernährung“ gedanklich differenziert betrachtet werden. Essen ist biografisch geprägt und bedeutet für viele Menschen Lebensqualität und soziales Miteinander. Häufig gibt es gerade bei Tumorpatienten Erfahrungen mit medizinischer Ernährungstherapie. Eine Deeskalation erfordert gute Kommunikationsfähigkeiten, um Ängsten („Verhungern“) zu begegnen.

  • Durstgefühl kann sehr belastend sein, Mundbefeuchtung oder das Anreichen geringer Flüssigkeitsmengen bei erhaltener Schluckfähigkeit sollte regelmäßig erfolgen. Mundpflege ist essenziell in der Sterbebegleitung und häufig in Patientenverfügungen erwähnt, Angehörige können angeleitet und persönliche Vorlieben (z. B. Cola oder auch Sekt) beachtet werden.

  • Das Anorexie-Kachexie-Syndrom wird auf paraneoplastische systemische Inflammationsprozesse im Rahmen der Tumorerkrankung und eine katabole Stoffwechsellage zurückgeführt. Führend sind eine progrediente Gewichtsreduktion (> 5 %/6 Monaten), BMI ≤ 20 und reduzierte Nahrungsaufnahme durch Appetitverlust, wodurch die Schwere der Erkrankungssituation für alle Beteiligten oft schmerzhaft deutlich und sichtbar wird.

  • Bei maligner intestinaler Obstruktion (MIO) sollte eine parenterale Ernährung entsprechend dem Hungergefühl erfolgen. Durch Anlage einer Ablaufsonde können mit der angepassten peroralen Trink- und Nahrungsaufnahme eine gewisse Normalität und das Geschmackserlebnis erhalten bleiben sowie Durstgefühle gelindert werden.



Publication History

Article published online:
29 September 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany