Die Wirbelsäule 2025; 09(02): 51-52
DOI: 10.1055/a-2480-4280
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Fragilitätsfraktur des Beckens: Wie häufig tritt eine Frakturprogression ein?

Moritz Lodde

Die vorliegende Metaanalyse untersucht die Prävalenz der Frakturprogression von Insuffizienzfrakturen des Beckens und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung für diese Problematik.

Die Frakturprogression wird als Zunahme der Frakturschwere und Instabilität definiert und ist bisher in der Literatur im Rahmen von retrospektiven monozentrischen Kohortenstudien diskutiert worden. Neben der 2013 veröffentlichten Klassifikation von Rommens et al. (FFP-Klassifikation [1]) findet die OF-Pelvis Klassifikation der Sektion Wirbelsäule der DGOU breite Anwendung.

Yamamoto et al. haben entsprechend der wissenschaftlichen Cochrane und PRISMA Kriterien ihre systematische Literaturanalyse und Meta-Analyse durchgeführt. Die Autoren formulieren klar definierte Fragestellungen zur Prävalenz und anatomischer Verteilung der Frakturprogression. Die Ein- und Ausschlusskriterien sind sinnvoll gewählt. Hervorzuheben ist, dass die Autoren mögliche Verzerrungen (Bias) der eingeschlossenen Studien umsichtig bewerten und eine hochwertige statistische Auswertung mit Berechnung der gepoolten Prävalenz durchführen.

Das Autorenteam weist darauf hin, dass die Hälfte der eingeschlossenen Studien (n=4) aus Japan stammen und beurteilt dies richtigerweise als Limitation, da bisher in Japan die konservative Therapie für Insuffizienzfrakturen stringent empfohlen wird [2]. In der weiteren Literatur besteht ansonsten Konsensus, dass nicht dislozierte Frakturen (FFP I und FFP II) nach Scheitern der konservativen Therapie und dislozierte Frakturen (FFP III und FFP IV) operativ versorgt werden sollten.

Die Heterogenität und die teilweise geringe Fallzahl sowie die moderate Studienqualität der inkludierten Studien können als übliche Limitationen von Meta-Analysen angesehen werden.

Die Studie von Yamamoto et al. liefert bedeutsame und neue Erkenntnisse. Die hohe Prävalenz (11%) verdeutlicht, dass die Frakturprogression im Rahmen der Behandlung von Insuffizienzfrakturen eine bedeutsame Komplikation ist. Die Autoren zeigen in der gepoolten Analyse, dass nach konservativer Therapie (16%) eine signifikant höhere Prävalenzen der Frakturprogression als nach operativer Therapie (2%) besteht. Diese Tatsache sollte in der kontrovers geführten Diskussion, ob die konservative oder die operative Therapie der Insuffizienzfrakturen überlegen ist, berücksichtigt werden [2] [3] [4].

Entsprechend der Ergebnisse der vorliegenden Studie sind also engmaschige klinische Verlaufskontrollen und die regelmäßige Durchführung von Schnittbildgebung bei konservativer Therapie indiziert, um das Auftreten einer Frakturprogression frühzeitig erkennen zu können. In ihrer Studie haben die Autoren festgestellt, dass das Risiko für die Frakturprogression am Sakrum und ipsilateral am höchsten war. Eine weiterführende Analyse wäre interessant gewesen, ob das operative Verfahren die Frakturprogression beeinflusst. Denn auch über die Art der operativen Versorgung bestehen verschiedene Empfehlungen in der Literatur.

Die Autoren gehen davon aus, dass die Prävalenz aufgrund der verwendeten Diagnostik (Röntgen und CT) insgesamt unterschätzt worden ist. Sie fordern die Durchführung einer prospektiven Studie mit MRT bei prolongierten klinischen Beschwerden am hinteren Beckenring, um die vermutete höhere Prävalenz exakter untersuchen zu können.

Basierend auf den Ergebnissen ihrer Studie schlussfolgern die Autoren, dass eine frühzeitige operative Stabilisierung mittels transsakraler Schraubenosteosynthese die Frakturprogression verhindern kann. Wie in einer kürzlich publizierten FE-Analyse gezeigt werden konnte, ist die bilaterale Stabilisierung bei unilateraler Insuffizienzfraktur biomechanisch vorteilhaft und reduziert die Belastung der nicht frakturierten Seite und somit das Risiko für die Frakturprogression [5].

In Zusammenschau mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie könnte also der Einsatz von transsakralen Schrauben bzw. bilateralen Schrauben bei unilateralen Insuffizienzfrakturen vorteilhaft sein. Prospektive Studien, die dies untersuchen, sind ausstehend. Ob die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zu einer frühzeitigeren operativen Therapie von Insuffizienzfrakturen führen, bleibt ebenso abzuwarten.

Die vorliegende Studie liefert die wichtige Erkenntnis, dass die Prävalenz der Frakturprogression bei konservativer Therapie hoch ist. Diese Tatsache sollte im klinischen Alltag bei der Therapie von Insuffizienzfrakturen berücksichtigt werden.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
07. April 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 Rommens PM, Hofmann A. Comprehensive classification of fragility fractures of the pelvic ring: Recommendations for surgical treatment. Injury 2013; 44: 1733-1744
  • 2 Kanazawa T, Ohmori T, Toda K. et al. Conservative treatment of fragility fracture of the pelvis: A retrospective study. Orthop Traumatol Surg Res 2024; 110
  • 3 Rommens PM, Arand C, Hofmann A. et al. When and How to Operate Fragility Fractures of the Pelvis?. Indian J Orthop 2019; 53: 128-137
  • 4 Sassara GM, Smakaj A, Mauro D de. et al. Evaluating Treatment Outcomes for Pelvic Insufficiency Fractures: A Systematic Review. J Clin Med 2024; 13
  • 5 Lodde MF, Klimek M, Herbst E. et al. Bilateral Iliosacral and Transsacral Screws Are Biomechanically Favorable and Reduce the Risk for Fracture Progression in Fragility Fractures of the Pelvis—A Finite Element Analysis. Bioengineering 2025; 12: 27