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DOI: 10.1055/a-2568-3863
Ein „jüdischer“ Patient in der Psychiatrie des Nationalsozialismus
Ein vielschichtiges FallbeispielBeing a ”Jewish” patient in National Socialist psychiatry – a multi-layered case report
Zusammenfassung
Jüdische Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie des Nationalsozialismus waren doppelt stigmatisiert; sie waren psychisch krank und jüdisch. Im Verlauf der Vernichtung der deutschen Judenheit wurden auch separate Sammeleinrichtungen für die Genannten etabliert. Der vorliegende Beitrag zeigt jedoch, dass diese Menschen, jenseits dieser, auch in der zentralen „Euthanasie“ getötet wurden, und dass sie vor Verfolgung und Tod auch dann nicht sicher waren, wenn sie zum Teil christliche Eltern hatten oder Ehen mit Christen geschlossen hatten. An einem ungewöhnlichen Fallbeispiel aus Württemberg wird darüber hinaus die besondere antisemitische Stigmatisierung deutlich, denen jüdische Patientinnen und Patienten ausgesetzt waren, wie auch die Nichtbeachtung vermeintlich bindender NS-Richtlinien.
Abstract
Jewish patients in National Socialist psychiatry were doubly stigmatized; they were mentally ill and Jewish. In the course of the extermination of German Jewry, separate collection facilities were also established for these patients. However, this article shows that these people were also killed in the central “euthanasia” programme and that they were not safe from persecution and death even if some of them had Christian parents or had married Christians. An unusual case study from Wuerttemberg also highlights the particular anti-Semitic stigmatization to which Jewish patients were subjected, as well as the non-obedience of supposedly binding Nazi guidelines.
Keywords
T4 patient killings - Nazi extermination programme - Euthanasia - Holocaust - National SocialismPublikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
16. Juli 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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