Open Access
CC BY-NC-ND 4.0 · Dtsch Med Wochenschr 2025; 150(18): e42-e49
DOI: 10.1055/a-2601-8080
Originalarbeit

Evaluation von Erstbefunden zur Differentialdiagnose der systemischen Amyloidosen in einem tertiären Zentrum

Retrospective analysis of a patient cohort with suspicion of systemic amyloidosis, finally not confirmed

Authors

  • Philine Ritter

    1   Universitätsklinikum Heidelberg Amyloidose-Zentrum Medizinische Klinik V. (Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie),
  • Stefan Schönland

    1   Universitätsklinikum Heidelberg Amyloidose-Zentrum Medizinische Klinik V. (Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie),
  • Markus Weiler

    2   Universitätsklinikum Heidelberg Klinik für Neurologie,
  • Jörg Beimler

    3   Universitätsklinikum Heidelberg Medizinische Klinik X. (Nephrologie),
  • Fabian aus dem Siepen

    4   Universitätsklinikum Heidelberg Medizinische Klinik III. (Kardiologie, Angiologie und Pneumologie),
  • Carsten Müller-Tidow

    5   Universitätsklinikum Heidelberg Medizinische Klinik V. (Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie),
  • Ute Hegenbart

    6   Universitätsklinikum Heidelberg Amyloidose-Zentrum Medizinische Klinik V. (Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie),
 

Zusammenfassung

Einleitung

Die Diagnosestellung der Amyloidose kann aufgrund ihrer unspezifischen Symptome und des breitenen Spektrums an möglichen Differenzialdiagnosen schwierig sein. In der vorliegenden Studie wurde ein größeres Patientenkollektiv analysiert, welches mit Verdacht auf eine Amyloidose in das Amyloidose-Zentrum Heidelberg überwiesen worden war, bei dem sich dieser Verdacht jedoch nicht bestätigte. Der Nutzen diagnostischer Suchmaschinen in der Diagnostik der Amyloidosen ist unklar.

Methoden

In die retrospektive Studie wurden Patientinnen und Patienten eingeschlossen, die zwischen 2014 und 2020 in das Amyloidose-Zentrum Heidelberg überwiesen wurden und bei denen eine Amyloidose ausgeschlossen wurde. Für die Testung einer Suchmaschine wurden 90 Patientinnen und Patienten aus der Nicht-Amyloidose-Kohorte herangezogen und mit 30 zufälligen Fällen mit gesicherter Amyloidose verglichen.

Ergebnisse

Von den 2829 in das Amyloidose-Zentrum überwiesenen Patientinnen und Patienten wurde bei 351/2829 (12,4%) eine Amyloidose ausgeschlossen. Unter den am häufigsten gestellten finalen Diagnosen waren Polyneuropathien (n=129/351, 36,7%) und Kardiomyopathien (n=76/351, 21,7%) vertreten. Die Diagnose einer mit Plasmazelldyskrasie assoziierten Erkrankung wurde nur in 17/351 (4,8%) der Fälle gestellt. Die Ursache der Erkrankung blieb bei 160/186 (86,0%) Patientinnen und Patienten mit verfügbarem Follow-up im Mittel von 34,5 Monaten unklar.

Die Suchmaschine listete Amyloidose als mögliche Differenzialdiagnose in der Nicht-Amyloidose-Kohorte in 25/90 (27,8%) Fällen bei den ersten 10 Differenzialdiagnosen auf. Dahingegen wurde die Amyloidose in der Kohorte mit gesicherter Amyloidose in 28/30 (93,3%) Fällen bei den ersten 10 Differenzialdiagnosen genannt.

Diskussion

Anlaufstelle für Menschen mit unklaren Diagnosen oder seltenen Erkrankungen sind in Deutschland die Zentren für seltene Erkrankungen.

Suchmaschinen könnten helfen, Amyloidosen als mögliche Differenzialdiagnose zu erwägen.

Kernaussagen

  • Es ist schwierig, bei Patientinnen und Patienten mit unspezifischen Symptomen eine seltene Erkrankung zu diagnostizieren oder auszuschließen.

  • Bei Patientinnen und Patienten mit einer monoklonalen Gammopathie sollten seltene assoziierte Erkrankungen ausgeschlossen werden („Monoklonale Gammopathie klinischer Signifikanz“).

  • In der Zukunft könnten diagnostische Suchmaschinen oder die Anwendung Künstlicher Intelligenz bei Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen zu einer schnelleren Diagnosefindung beitragen.


Abstract

Background

Systemic amyloidoses present with non-specific symptoms which lead to a wide spectrum of possible differential diagnoses. In this retrospective study we analyzed a patient cohort that was referred to the amyloidosis center Heidelberg under the suspicion of amyloidosis but ultimately did not receive the diagnosis of amyloidosis after diagnostic work-up. The usefulness of differential diagnosis (DDX) generators in the diagnostic process of amyloidosis is unclear.

Methods

Included in this retrospective analysis were the data of patients who were referred to the amyloidosis center between 2014 and 2020 and who did not receive the diagnosis of amyloidosis.

In order to test the usefulness of the DDX-Generator, 90 patients without amyloidosis were selected from this cohort and compared to another cohort of 30 random patients with confirmed amyloidosis.

Results

The diagnosis of amyloidosis was ruled out in 351/2829 (12,4%) patients. The most frequent diagnoses were polyneuropathies (n=129/351, 36,7%) and cardiomyopathies (n=76/351, 21,7%). Plasma cell dyscrasia associated diseases were only present in 17/351 (4,8%) of patients. The cause of the disease remained unknown in 160/186 (86,0%) patients with a mean follow-up time of 34,5 months.

In the non-amyloidosis cohort, the DDX generator listed amyloidosis as a possible differential diagnosis in the top 10 differential diagnoses in 25/90 (27,8%) cases.

In the amyloidosis-cohort, amyloidosis was significantly more often present in the top 10 differential diagnoses (n=28/30, 93,3%,).

Discussion

Point of contact for patients with unknown or rare diseases are the centers for rare diseases. DDX-Generators could aid physicians to consider amyloidosis as a possible differential diagnosis.


Einleitung

Amyloidosen sind eine Gruppe von seltenen Erkrankungen, die entweder lokal oder systemisch auftreten können und durch die extrazelluläre Ablagerung von fehlgefalteten Proteinen in einem oder mehreren Organen entstehen. Die Symptome sind unspezifisch und vielgestaltig, weshalb zahlreiche Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen einhergehen können, sodass das Spektrum an Differenzialdiagnosen sehr breit ist. Die Inzidenzen der Amyloidosen unterscheiden sich je nach Form: Die Inzidenz der Leichtketten-Amyloidosen (AL) liegt schätzungsweise zwischen 2–12 Erkrankten pro Million pro Jahr [1] [2] [3], die der Wild-Typ-Transthyretin-Amyloidosen (ATTRwt) bei 8,7 Fällen pro Million pro Jahr, die der Amyloid-A-Amyloidosen (AA) bei 2 Fällen pro Million pro Jahr und die der hereditären Formen bei 0,6 Erkrankten pro Million pro Jahr [3]. Die Diagnose der Amyloidosen wird oft erst spät gestellt: So erhalten nur 37% der Betroffenen mit AL-Amyloidose 6 Monate nach Beginn der Symptome die Diagnose [4].

Diagnostische Suchmaschinen könnten helfen, die Diagnose der Amyloidose früher zu stellen. Die Ärztin oder der Arzt gibt in eine Suchmaschine Symptome und/oder Befunde von Patientinnen oder Patienten ein und erhält eine Liste mit möglichen Differenzialdiagnosen. Eine dieser Suchmaschinen ist das kostenpflichtige Diagnosetool Isabel DDx Companion (Isabel Healthcare Ltd., Meadowbrook, Bunch Lande, Haslemere, Surrey, United Kingdom). Diese Suchmaschine listet passend zu den eingegebenen Personendaten und Symptomen eine unterschiedliche Anzahl an möglichen Differenzialdiagnosen auf. Gelistet wird hierarchisch nach der Übereinstimmung der Diagnose zu den eingegebenen Symptomen und nicht nach der Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins der Diagnose [5].

Fragestellung

In das Amyloidose-Zentrum des Universitätsklinikums Heidelberg wird überregional eine große Anzahl an Patientinnen und Patienten mit gesicherter Diagnose oder Verdacht auf Amyloidose zur Abklärung und Festlegung der Therapie überwiesen. In der vorliegenden Arbeit wurden die klinischen Daten der Patientinnen und Patienten ausgewertet, die sich unter dem Verdacht einer möglichen Amyloidose vorstellten, bei denen jedoch der Verdacht nicht bestätigt wurde. Es wurde der Frage nachgegangen, welche Symptome zu der Überweisung führten und welche Diagnosen sich anstelle einer Amyloidose ergaben.

Des Weiteren wurde an diesem Patientenkollektiv, wie auch an Patientinnen und Patienten mit gesicherter Amyloidose, eine diagnostische Suchmaschine hinsichtlich ihrer Nützlichkeit zur Diagnosestellung der Amyloidosen getestet.



Methoden

Patientenkollektiv

Es wurde ein 6-jähriger Untersuchungszeitraum festgelegt (2014–2020), in dem insgesamt 2829 Patientinnen und Patienten in das Amyloidose-Zentrum überwiesen wurden. Davon wurden 399/2829 (14,1%) Patientinnen und Patienten identifiziert, bei denen der Amyloidose-Verdacht nicht bestätigt werden konnte, und diese wurden in die Studie eingeschlossen.


Datenerfassung

Zur Datenerfassung dieses Patientenkollektivs wurden die Arztbriefe des Amyloidose-Zentrums sowie die dort erhobenen Daten aus dem elektronischen Archiv der Universitätsklinik Heidelberg herangezogen. Des Weiteren wurden, falls vorhanden, Arztbriefe aus anderen Fachabteilungen der Universitätsklinik Heidelberg sowie Vorbefunde aus anderen Kliniken gesichtet. Um weitere Informationen über den Krankheitsverlauf und mögliche Enddiagnosen zu erhalten, wurde ein kurzer teilstandardisierter Fragebogen konzipiert. Dieser wurde an 233/351 (66,4%) Patientinnen und Patienten versandt, bei denen der weitere Verlauf der Erkrankung bzw. die finale Diagnose nicht eindeutig geklärt werden konnte.


Auswertung der diagnostischen Suchmaschine

Zur Auswertung der diagnostischen Suchmaschine wurde ein Teil der untersuchten Patientinnen und Patienten ohne Amyloidose herangezogen. Dafür wurden 3 Kategorien (s.u.) gebildet, denen die Patientinnen und Patienten ohne Amyloidose zugeordnet wurden. Aus jeder dieser 3 Kategorien wurden jeweils 30 Patientinnen und Patienten zufällig ausgewählt (Schichten-Stichprobe):

  • vorwiegend neurologische Symptome (n=30)

  • vorwiegend kardiologische Symptome (n=30)

  • unspezifischer Symptomkomplex (n=30)

Es wurden somit insgesamt 90 Patientenfälle aus dem Kollektiv ohne Amyloidose in die Auswertung der Suchmaschine einbezogen.

Diese 90 Fälle wurden mit 30 Patientinnen und Patienten mit nachgewiesener Amyloidose verglichen, welche alle aus dem Patientenkollektiv mit bestätigter Amyloidose des Amyloidose-Zentrums stammten. Hier handelt es sich um eine Zufallsstichprobe aus dem Kollektiv der gesicherten Amyloidose-Fälle zwischen 2014 und 2020. Pro Fall wurden mindestens 2–5 Symptome aus den jeweiligen Arztbriefen herausgearbeitet, welche die Hauptbeschwerden darstellten und zur Vorstellung im Amyloidose-Zentrum führten. Zu den Symptomen wurde auch eine möglicherweise vorhandene monoklonale Gammopathie gezählt.

Des Weiteren wurde die Suchmaschine daraufhin getestet, inwiefern Amyloidose als Differenzialdiagnose in den Top 10 der genannten Diagnosen aufgelistet wird, wenn amyloidosetypische Symptome und Befunde in die Suchmaschine eingegeben werden. Dafür wurden 18 amyloidosetypische Symptome oder Befunde herausgearbeitet. Diese waren: dyspnea on exertion, dyspnea, diarrhea, chronic diarrhea, unexplained weight loss, reduced physical capacity, reduced exercise tolerance, elevated brain natriuretic peptide, elevated alkaline phosphatase, elevated troponin, polyneuropathy, paresthesia, fatigue, cardiomyopathy, macroglossia, periorbital purpura, shoulder pad sign, carpal tunnel syndrome. Die Symptome oder Befunde wurden entweder alleine oder in Kombination mit monoclonal gammopathy, MGUS (monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz), smoldering myeloma oder multiple myeloma in das freie Feld der Suchmaschine eingegeben.


Statistische Auswertung

Die deskriptive Statistik (tabellarische Datenanalyse und grafische Darstellung) erfolgte mit Excel (Version 16.16.27). Hierbei wurden die Mittelwerte und die Standardabweichungen berechnet. Zur Evaluation der Ergebnisse der Suchmaschine wurden diagnostische Kennzahlen (Sensitivität, Spezifität, positiver und negativer prädiktiver Wert) berechnet – bezogen auf die Top 10 der genannten Differenzialdiagnosen.


Ethikkommission

Das Ethikvotum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät Heidelberg mit dem Zeichen S-123/2006 liegt vor. Patientinnen und Patienten, die in dieser Arbeit untersucht wurden, haben ihr schriftliches Einverständnis für die Studie gegeben. Es sind in der vorliegenden Arbeit keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich.



Ergebnisse

Charakterisierung des Patientenkollektivs

Retrospektiv wurden von den 399 Patientinnen und Patienten ohne Amyloidose insgesamt 48 ausgeschlossen und somit 351 in die Auswertung eingeschlossen. Ausschlussgründe waren eine Vorstellung aufgrund einer genetischen Testung ohne Symptome sowie eine zu gering erachtete Datenlage.

Die ausgewerteten 351 Patientinnen (n=150) und Patienten (n=201) stellten sich zwischen 2014 und 2020 im Amyloidose-Zentrum Heidelberg vor ([Abb. 1]). Das Durchschnittsalter betrug 59,6 ± 12,81 Jahre, der älteste Patient war 85 Jahre und die jüngste Patientin war 29 Jahre alt. Die mittlere Follow-up-Zeit betrug 34,5 Monate ± 24,2 Monate.

Zoom
Abb. 1 Auswahl des untersuchten Patientenkollektivs und Arbeitsprozess. Grün: Gesamtes Patientenkollektiv. Gelb: Tatsächlich analysiertes Patientenkollektiv.

Auswärts durchgeführte Diagnostik

Bei 222/351 (63,2%) Patientinnen und Patienten war vor der Vorstellung im Amyloidose-Zentrum bereits eine Diagnostik hinsichtlich einer Amyloidose durchgeführt worden ([Tab. 1]).

Tab. 1 Ergebnisse der auswärts durchgeführten Untersuchungen (Mehrfachnennung möglich).

Untersuchung

Biopsie

Echokardiografie

Kardio-MRT

Skelettszintigrafie

TTR-Gentest

Anzahl negativer Befunde n (%)

106

(71,6)

5

(20,8)

9

(27,3)

10

(100,0)

7

(100,0)

Anzahl positiver Befunde n (%)

42

(28,4)

19

(79,2)

24

(72,7)

0

(0,0)

0

(0,0)

Die positiven Biopsie-Befunde in [Tab. 1] konnten durch Referenzpathologien und Nachfärbungen im Amyloidose-Zentrum Heidelberg nicht bestätigt werden.

Auch die in 329/351 (93,7%) Fällen durchgeführten Fettaspirationen im Amyloidose-Zentrum waren alle in der Kongorot-Färbung negativ hinsichtlich einer Amyloidose.


Auswertung der Fragebögen

Von 233 versendeten Fragebögen wurden 88 beantwortet (37,8%). Diese ergaben folgende Informationen hinsichtlich des weiteren Krankheitsverlaufs und weiteren Arztkonsultationen (Mehrfachnennungen möglich):

Durch weitere Diagnostik ergab sich eine finale Diagnose bei 13/88 (14,8%) Patientinnen und Patienten. Bei 24/88 (27,3%) Patientinnen und Patienten kamen neue Beschwerden hinzu, bei 47/88 (53,4%) haben sich die Symptome im Verlauf verschlechtert und bei 11/88 (12,5%) spontan oder durch eine Behandlung verbessert.


Überweisungsgründe und finale Hauptdiagnose

Die [Tab. 2] stellt einen Überblick über die Überweisungsgründe und finalen Diagnosen der 351 Patientinnen und Patienten dar. Die finalen Hauptdiagnosen wurden entweder im Amyloidose-Zentrum gestellt oder ergaben sich in der Nachbeobachtung.

Tab. 2 Überblick über die häufigsten Überweisungsgründe und finale Diagnosen, gestellt im Amyloidose-Zentrum Heidelberg und im Follow-up (Einfachnennung).

Überweisungsgründe

N

%

Finale Diagnosen

N

%

*Diagnose AL-Amyloidose wurde im Follow-up nach 30 Monaten gestellt.

**Monoklonale Gammopathie renaler Signifikanz.

Überwiesene Patientinnen und Patienten gesamt*

351

351

Plasmazelldyskrasie

129

36,8

Plasmazelldyskrasie-assoziierte Erkrankungen:

17

4,8

  • nur Plasmazelldyskrasie

7

  • IgM-assoziierte Polyneuropathie

7

2,0

  • mit neurologischen Symptomen

74

  • Morbus Waldenström

5

1,4

  • mit kardiologischen Symptomen

17

  • POEMS-Syndrom

1

0,3

  • mit renalen Befunden

14

  • AL-Amyloidose*

1

0,3

  • mit anderen Symptomen

17

  • MGRS**

1

0,3

  • CAST-Nephropathie

1

0,3

  • Morbus Schnitzler

1

0,3

Andere Erkrankungen nicht assoziiert mit einer Plasmazelldyskrasie (Polyneuropathie, Kardiomyopathie …)

104

29,6

Plasmazelldyskrasie ausgeschlossen

8

2,3

Neurologische Symptome (ohne Plasmazelldyskrasie)

82

23,4

Polyneuropathien:

71

20,2

  • Polyneuropathie unbekannter Genese

63

18,0

  • Andere Polyneuropathien

8

2,3

Andere neurologische Erkrankungen

8

2,3

Andere nicht-neurologische Erkrankungen

3

0,9

Kardiovaskuläre Erkrankungen (ohne Plasmazelldyskrasie)

82

23,4

Kardiomyopathien:

64

18,2

  • Hypertrophe Kardiomyopathie

27

7,7

  • Andere Kardiomyopathien

37

10,5

Andere kardiologische Erkrankungen

12

3,4

Chronisch-entzündliche Erkrankungen

3

0,9

Andere Erkrankungen

3

0,9

Renale Erkrankungen (ohne Plasmazelldyskrasie)

10

2,8

Chronische Nierenerkrankung unbekannter Genese

5

1,4

Andere renale Erkrankungen

5

1,4

Andere Symptome und Befunde (ohne Plasmazelldyskrasie)

48

13,7

Verschiedene andere Erkrankungen

48

13,7

Die häufigsten Diagnosen in dieser untersuchten Patientenkohorte waren mit 129/351 (36,8%) Patientinnen und Patienten Polyneuropathien (PNPs), deren Genese in 110/129 Fällen (85,3%) unklar verblieb. Die zweithäufigsten Diagnosen waren mit 76/351 Fällen (21,7%) Kardiomyopathien (CMs). Auch die Ätiologie der CMs blieb in 71/76 Fällen (93,4%) unklar.

Zwanzig von 351 (5,7%) Patientinnen und Patienten wurden aufgrund eines diffusen Symptomkomplexes überwiesen. Psychosomatische Erkrankungen waren in 15/351 Fällen (4,3%) als Hauptdiagnose und bei 36/351 (10,3%) als Nebendiagnose angeben.

Insgesamt blieb bei 305/351 (86,9%) der überwiesenen Patientinnen und Patienten (n=305) die Genese der Erkrankung unklar.


Auswertung der diagnostischen Suchmaschine

Amyloidose wurde bei dem Patientenkollektiv mit gesicherter Amyloidose häufiger als mögliche Differenzialdiagnose genannt als bei dem Patientenkollektiv ohne Amyloidose ([Tab. 3]). Amyloidose wurde als Differenzialdiagnose bei Patientinnen und Patienten mit Amyloidose demnach insgesamt in 28/30 (93,3%) Fällen unter den Top 10 der Diagnosen genannt. Bei Patientinnen und Patienten ohne Amyloidose war dies bei 25/90 (27,8%) der Fall ([Tab. 3]).

Tab. 3 Ergebnisse der Auswertung hinsichtlich der Nennung von Amyloidose als Differenzialdiagnose nach Eingabe von 2–5 Symptomen (Hauptbeschwerden aus den jeweiligen Arztbriefen) in die Suchmaschine.

Amyloidose

n=30

Keine Amyloidose n=90

Neurologische Symptome n=30

Kardiologische Symptome n=30

Unspezifische Symptome n=30

Amyloidose in Top 3

19 (63,4%)

3 (10,0%)

2 (6,7%)

4 (13,4%)

Amyloidose in Top 5

25 (83,4%)

4 (13,4%)

4 (13,4%)

5 (16,7%)

Amyloidose in Top 10

28 (93,3%)

11 (36,7%)

7 (23,3%)

7 (23,3%)

25 (27,8%)

Die Sensitivität der untersuchten Suchmaschine für das Erscheinen der Differenzialdiagnose Amyloidose in den Top 10 der Differenzialdiagnosen betrug 93% (28/(28+2)=0,93). Die Spezifität lag bei 72% (65/(25+65)=0,72). Es ergibt sich ein positiver prädiktiver Wert von 0,53 (28/(28+25)=0,53) und ein negativer prädiktiver Wert von 0,97 (65/(2+65)=0,97).

Die Testung der Suchmaschine mit amyloidosetypischen Symptomen zeigte, dass lediglich bei Eingabe der Symptome in Kombination mit dem Begriff multiple myeloma in allen Fällen die Amyloidose als Differenzialdiagnose unter den Top 10 erscheint ([Tab. 4]).

Tab. 4 Ergebnisse der Auswertung hinsichtlich der Nennung der Amyloidose als Differenzialdiagnose nach Eingabe von 18 amyloidosetypischen Symptomen und Befunden in Kombination mit einer Plasmazelldyskrasie in die Suchmaschine.

Symptome n=18 (+ Plasmazelldyskrasie)

Nennung der Amyloidose in den Top 10 Differenzialdiagnosen

Symptome

6/18

33,3%

Symptome + monoclonal gammopathy

15/18

83,4%

Symptome + MGUS

7/18

38,9%

Symptome + smoldering myeloma

7/18

38,9%

Symptome + multiple myeloma

18/18

100,0%



Diskussion

Es existieren bislang keine Studien, die eine vergleichbare Patientenkohorte systematisch untersucht haben.

Bei 305/351 (86,9%) Patientinnen und Patienten des Patientenkollektivs konnte keine definitive Diagnose gestellt werden. Zudem waren bei vielen der nachverfolgten Patientinnen und Patienten die Symptome progressiv. Gerade bei den PNPs und CMs blieb die Genese häufig unklar: Bei 110/129 (85,3%) Patientinnen und Patienten wurden die diagnostizierten PNPs als idiopathisch eingestuft. Eine idiopathische Polyneuropathie (PNP) machte in einer niederländischen Studie mit 26% einen relativ hohen Anteil an der Gesamtpopulation von PNPs aus [6]. In einer prospektiven Studie wurde in einer Kohorte von über 50-Jährigen mit progressiver idiopathischer PNP in 2,7% der Fälle eine hereditäre ATTR-Amyloidose als Ursache der idiopathischen PNP diagnostiziert [7]. Eine generelle Testung auf amyloidogene Varianten im Transthyretin-Gen wird bei Patientinnen und Patienten mit idiopathischer PNP daher nicht empfohlen [8]. Treten jedoch zusätzliche Symptome wie bspw. eine autonome Dysfunktion, bilaterale Karpaltunnel-Syndrome oder eine positive Familien-Anamnese auf, sollte an eine Amyloidose gedacht werden [8]. Eine ausführliche Anamnese ist daher unabdingbar.

Auch bei den CMs verblieb die Genese in 71/76 (93,4%) Fällen meist nicht abschließend geklärt. Die European Society of Cardiology (ESC) nannte 2007 in einem Update zu den Klassifikationen der CMs die kardiale Amyloidose als mögliche Differenzialdiagnose bzw. Ursache – sowohl bei der hypertrophen Kardiomyopathie (HCM) als auch bei der restriktiven Kardiomyopathie [9]. Bei der kardialen Amyloidose kommt es meist zu einer Myokardhypertrophie und echokardiografisch kann sie dem Bild einer HCM ähneln [10]. Dieser Umstand zeigt sich auch in den auswärts vor Aufsuchen des Amyloidose-Zentrums durchgeführten Echokardiografie- und Kardio-MRT-Befunden, die häufig positiv hinsichtlich einer möglichen kardialen Amyloidose ausfielen. In keinem der Fälle bestätigte sich allerdings der Befund einer Amyloidose, sodass für beide bildgebenden Verfahren die Spezifität nicht ausreichend hoch zu sein scheint.

Nur 17/121 (14,0%) der Patientinnen und Patienten mit Plasmazelldyskrasie erhielten die Diagnose einer mit Plasmazelldyskrasie assoziierten Erkrankung. Neuerdings spricht man neben einer monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz auch von einer monoklonalen Gammopathie mit klinischer Signifikanz (MGCS), wenn die monoklonale Gammopathie als Ursache der Symptome oder Erkrankung gilt [11]. Zu diesen definierten Systemerkrankungen gehören neben der monoklonalen Gammopathie renaler Signifikanz (MGRS) und der IgM-assoziierten PNP beispielsweise das Schnitzler-Syndrom, POEMS-Syndrom und die Kryoglobulinämie vom Typ 1 und 2 [12] [13]. Die Schwierigkeit des Managements von Patientinnen und Patienten mit einer monoklonalen Gammopathie und weiteren Beschwerden zeigt sich auch in der vorliegenden Arbeit. Patientinnen und Patienten mit einer monoklonalen Gammopathie sollten regelmäßig auf das Vorliegen einer MGCS gescreent werden. Weitere Studien sind notwendig, um die Pathologie hinter der MGCS besser zu verstehen und die Versorgung und Behandlung dieses Patientenkollektivs zu verbessern.

Der Leidensdruck von Menschen mit seltenen Erkrankungen oder unklaren Diagnosen ist hoch; oft werden die Diagnosen, wenn überhaupt, erst spät gestellt – und häufig stehen nur supportive Therapien zur Verfügung [14]. Anlaufstelle für dieses Patientenkollektiv bieten in Deutschland die ca. 37 Zentren für seltene Erkrankungen (ZSEs), die zum Teil europaweit vernetzt sind. Durch die Interdisziplinarität dieser Zentren können die Symptome in der Gänze betrachtet und somit mögliche Zusammenhänge besser erkannt werden. Gleichzeitig ist die Expertise bezüglich seltener Erkrankungen in diesen Zentren höher. Die Kosten einer Vorstellung in einem Zentrum für seltene Erkrankungen (ZSE) werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Unspezifische Beschwerden und psychosomatische Erkrankungen stellen häufig einen Vorstellungsgrund in ZSEs dar und können sowohl eine wichtige Differenzialdiagnose als auch eine Komorbidität seltenener Erkrankungen darstellen [15]. Diese Beobachtung lässt sich auch in der vorliegenden Patientenkohorte wiederfinden. Psychosomatische Erkrankungen, wie eine chronische Fatigue, können mitunter ein Symptom einer Amyloidose sein [16]. Schmerzen können sich bei Amyloidosen als neuropathische oder abdominelle Schmerzen mit gastrointestinaler Beteiligung zeigen [17] [18]. Jedoch sind Ganzkörper-Schmerzen oder eine chronische Fatigue als führende und alleinige Symptome nicht typisch. Ohne weitere Symptome oder Befunde, die für das Vorliegen einer systemischen Amyloidose sprechen (PNP, CM, Proteinurie), ist das Vorliegen einer Amyloidose eher unwahrscheinlich.

Auswertung der diagnostischen Suchmaschine

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde erstmalig eine diagnostische Suchmaschine mit der Differenzialdiagnose Amyloidose getestet. Die ausgewertete Suchmaschine hatte in der vorliegenden Untersuchung in Bezug auf Amyloidosen eine hohe Sensitivität von 93%. Der Zweck einer solchen Suchmaschine ist es, bei der Diagnosestellung schwieriger Fälle eine Unterstützung zu bieten. Daher ist hier vor allem eine hohe Sensitivität von Vorteil, wobei dabei eine niedrigere Spezifität von 73% und ein niedriger positiver prädiktiver Wert von 0,53 in Kauf genommen werden müssen. Inwieweit der relativ hohe negative prädiktive Wert verlässlich ist, müssen weitere Studien zeigen. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit einer Studie, in der Diagnose-Tools hinsichtlich ihres Nutzens und ihrer Treffsicherheit getestet wurden: Graber und Mathew konnten zeigen, dass bei 50 getesteten klinischen Fällen die Suchmaschine Isabel DDx Companion in 96% der Fälle die korrekte Diagnose unter den 30 aufgelisteten Differenzialdiagnosen stellte [5]. In der vorliegenden Auswertung zeigte sich allerdings, dass verschiedene Begriffe für einen ähnlichen Sachverhalt einen Unterschied in den angebotenen Differenzialdiagnosen gemacht haben. Trotzdem könnten Suchmaschinen dazu beitragen, dass Amyloidosen früher diagnostiziert werden.


Limitation der Studie

Insgesamt konnten in der vorliegenden Studie 186/351 (53,0%) der Patientinnen und Patienten nachverfolgt werden. Dementsprechend ist die Studie durch die relativ kleine Nachverfolgungsrate limitiert, was bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen ist. Es wurde in dieser Studie eine Patientenkohorte aus nur einem Amyloidose-Zentrum ausgewertet. Die Auswahl der Patientinnen und Patienten ist zudem bei der Vorstellung in einer Spezial-Ambulanz vorselektioniert.

Die Testung der medizinischen Suchmaschine wird dadurch limitiert, dass die Diagnosen im Voraus bekannt waren und die Patientenzahl relativ gering ist. Auch das Auswahlverfahren der Patientinnen und Patienten mittels Zufallsstichprobe lässt einen Bias hinsichtlich der Ergebnisse nicht komplett ausschließen. Hier wäre eine Testung diagnostischer Suchmaschinen in einer größeren Patientenpopulation und ohne das Wissen um die finale Diagnose wünschenswert.


Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Im Follow-up ergab sich nur bei einem Patienten die Diagnose einer AL-Amyloidose. Bei allen anderen nachverfolgten Patientinnen und Patienten blieb eine Amyloidose weiterhin ausgeschlossen. Die vorliegende Patientenkohorte verdeutlicht die Problematik, mit der viele Patientinnen und Patienten mit unklaren Diagnosen konfrontiert sind. Die Ursache der Erkrankung blieb auch nach weiterführender Diagnostik unklar. Anlaufstellen für Menschen mit unklaren Diagnosen sind ZSEs, die Sprechstunden für Patientinnen und Patienten ohne Diagnose anbieten. Qualitativ hochwertige diagnostische Suchmaschinen und andere KI-Instrumente haben das Potenzial, Amyloidose als mögliche Diagnose in die Differenzialdiagnosen einzubeziehen.




Interessenkonflikt

Interessenskonflikte von Prof. Dr. med. Ute Hegenbart: Honorare für wissenschaftliche Vorträge: Janssen, Pfizer, Alnylam, Akcea, Prothena Finanzielle Unterstützung von Kongressteilnahmen: Janssen, Prothena, Pfizer Advisory Boards: Pfizer, Prothena, Janssen, Alnylam, Neurimmune Finanzielles Sponsoring des Amyloidose-Register: Janssen Interessenskonflikte von Prof. Dr. med. Stefan Schönland: Berater für: Janssen, Prothena, Telix Advisory Board: Neurimmune Honorare: Janssen, Prothena, Pfizer, Takeda Reisekostenzuschüsse: Janssen, Prothena, Binding Site, Celgene, Jazz Forschungsmittel: Sanofi, Janssen, Prothena Die weiteren Autorinnen und Autoren geben keine Interessenskonflikte an.


Korrespondenzadresse

Philine Ritter
Universitätsklinikum Heidelberg Amyloidose-Zentrum Medizinische Klinik V. (Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie)
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg
Deutschland   

Publication History

Article published online:
04 August 2025

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Abb. 1 Auswahl des untersuchten Patientenkollektivs und Arbeitsprozess. Grün: Gesamtes Patientenkollektiv. Gelb: Tatsächlich analysiertes Patientenkollektiv.