Open Access
CC BY 4.0 · Diabetologie und Stoffwechsel 2025; 20(05): 361-368
DOI: 10.1055/a-2680-1745
Originalarbeit

Digitale Gesundheitsanwendungen für die Versorgung von Menschen mit Diabetes: wissenschaftliche Bewertung durch die Deutsche Diabetes Gesellschaft.

Digital health applications in the care of people with diabetes: scientific evaluation by the German Diabetes Society.

Authors

  • Lena Roth

    1   Prävention und Versorgung von Typ-2-Diabetes, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Medizinische Fakultät III, Dresden, Germany
  • Marlo Verket

    2   Medizinische Klinik 1, Uniklinikum Aaachen, Aachen, Germany
    3   Kommission für Digitalisierung, Deutsche Diabetes Gesellschaft, Berlin, Germany (Ringgold ID: RIN535692)
  • Sabrina Vité

    3   Kommission für Digitalisierung, Deutsche Diabetes Gesellschaft, Berlin, Germany (Ringgold ID: RIN535692)
  • Dirk Müller-Wieland

    2   Medizinische Klinik 1, Uniklinikum Aaachen, Aachen, Germany
    4   Kommission Digitalisierung, Deutsche Diabetes Gesellschaft, Berlin, Germany (Ringgold ID: RIN535692)
  • Peter Schwarz

    1   Prävention und Versorgung von Typ-2-Diabetes, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Medizinische Fakultät III, Dresden, Germany
    4   Kommission Digitalisierung, Deutsche Diabetes Gesellschaft, Berlin, Germany (Ringgold ID: RIN535692)
 

Zusammenfassung

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) stellen eine vielversprechende Option in der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Diabetes dar. Im Rahmen eines von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) initiierten Projekts wurde ein evidenzbasierter und praxisnaher Kriterienkatalog entwickelt, um die Qualität von DiGAs wissenschaftlich zu bewerten. Ingesamt gibt es 82 Items in den folgenden 9 Kategorien: Evidenz, Ziel, Entwicklung, Nutzerfreundlichkeit, Integration in den Patientenpfad, Transparenz, Qualität, Funktionalität und Interaktivität.

Um den DDG-Kriterienkatalog zu evaluieren, wurden insgesamt 8 digitale Gesundheitsanwendungen von 8 Herstellern in die Evaluation eingeschlossen. Die Ergebnisse der Evaluation des Kriterienkatalogs zeigen, dass dieser geeignet ist, die Qualität digitaler Gesundheitsanwendungen mit Hilfe des DDG-Diabetes-DiGA-Scores als aggregierter Indikator abzubilden. Im Durchschnitt erreichten die untersuchten DiGAs 76 von 100 möglichen Punkten, was als Orientierung für die Festlegung eines Mindeststandards dienen kann. Gleichzeitig hat die Evaluation auch gezeigt, welche Aspekte des Kriterienkatalogs optimiert werden können, um eine finale Version des DDG-Kriterienkatalogs im Versorgungsalltag einzusetzten.


Abstract

Digital health applications (DiGAs) represent a promising option in the care of patients with diabetes. As part of a project initiated by the German Diabetes Association (DDG), an evidence-based and practical criteria catalog was developed to scientifically evaluate the quality of DiGAs. There are a total of 82 items in the following 9 categories: Evidence, Aim, Development, User-friendliness, Integration into the patient pathway, Transparency, Quality, Functionality and Interactivity.

In order to evaluate the DDG criteria catalog, a total of 8 digital health applications from 8 manufacturers were included in the evaluation. The results of the evaluation of the criteria catalog show that it is suitable for mapping the quality of digital health applications using the DDG-Diabetes-DiGA-Score as an aggregated indicator. On average, the DiGAs examined achieved 75 out of a possible 100 points, which can serve as a guide for setting a minimum standard. At the same time, the evaluation also showed which aspects of the criteria catalog can be optimized to use a final version of the DDG criteria catalog in everyday care.


Einleitung

Die Kommission Digitalisierung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der Verantwortung, eine patientenzentrierte Digitalisierung in der Diabetologie voranzutreiben und für die Bewertung digitaler Werkzeuge wissenschaftlich fundierte Standards zu entwickeln.

Eine relevante Entwicklung für den Bereich der digitalen Diabetestherapie war die Verabschiedung des Digitalen-Versorgung-Gesetzes (DVG, Dezember 2019) [1] und der Digitalen Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DIGAV, April 2020) [2]. Diese gesetzlichen Regelungen schaffen die Grundlage dafür, dass zertifizierte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) als sogenannte „Apps auf Rezept“ in die Regelversorgung aufgenommen werden können. Für Patientinnen und Patienten eröffnet sich dadurch die Chance, digitale Medizinprodukte als Bestandteil ihrer Therapie zu nutzen. Die Kosten für diese Anwendungen werden dabei von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Damit stellen DiGAs eine zusätzliche Säule der Gesundheitsversorgung dar und erweitern das Spektrum an verfügbaren Therapiemöglichkeiten [3].

Unter der Leitung von Prof. Müller-Wieland (ehemaliger Vorsitzender der Kommission Digitalisierung der DDG) und Prof. Schwarz (Mitglied der Kommission Digitalisierung der DDG) wurde 2020 ein Projekt initiiert, um digitale Anwendungen im Bereich der Diabetologie mithilfe eines validierten und evidenzbasierten Kriterienkatalog wissenschaftlich zu bewerten. Hierbei wurde vor allem das Ziel verfolgt, Verschreibenden und Patientinnen sowie Patienten eine wissenschaftlich basierte Orientierungshilfe bei der Auswahl einer DiGA zu ermöglichen. Zudem bietet ein solch transparenter Kriterienkatalog der wissenschaftlichen Fachgesellschaft eine Grundlage für die Berücksichtigung von DiGAs in z.B. Leitlinien und Praxisempfehlungen der DDG. Die Entwicklung des Kriterienkatalogs wurde im Sommer 2024 abgeschlossen und der zugrunde liegende Prozess sowie der entstandene Kriterienkatalog wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht [4].

Die vorläufigen Ergebnisse der anschließenden Evaluation wurde auf der DDG-Herbsttagung im November 2024 in Hannover vorgestellt. Im Folgenden werden die Methodik sowie die Ergebnisse des Evaluationsprozesses präsentiert.


Material und Methodik

Um den Kriterien-Katalog der DDG zur Bewertung der DiGAs für die Diabetologie erstmals in der Praxis anzuwenden und dessen Eignung zu evaluieren, wurde im Oktober 2024 Kontakt zu DiGA-Herstellern aufgenommen. Insgesamt wurden 9 angefragte Unternehmen eingeladen, den Kriterienkatalog für die DiGAs im Bereich Diabetes und Adipositas zu bearbeiten. Alle angefragten Hersteller erklärten ihre Bereitschaft. Die Items des Kriterienkatalogs wurden in Form binärer Ja-/Nein-Fragen übermittelt. Im Falle einer positiven Antwort wurde zusätzlich eine Erklärung, z.B. als Quelle, Referenz oder Freitext erfragt, um die Angaben zu validieren. Insgesamt meldeten sich 8 von den 9 angefragten DiGA-Herstellern zurück, wobei ein Hersteller nachträglich um den Ausschluss einer der Gesundheitsanwendungen aus der Evaluation bat. Final konnten 8 DiGAs in die Evaluation eingeschlossen werden.

Die Fragen des Kriterienkatalogs stellen durch die binäre Antwortform grundsätzlich eine objektive Bewertung sicher. Bei der Begründung der Antworten hat sich jedoch gezeigt, dass die Fragen durch die Hersteller teils unterschiedlich ausgelegt wurden. Entsprechend erfolgte eine Validierung der offenen Begründungen der Antworten durch LR in enger Zusammenarbeit mit den Herstellern, um sicherzustellen, dass die Fragen des Katalogs korrekt interpretiert und entsprechend beantwortet werden konnten. Dieser iterative Austausch war erforderlich, um eine objektive, einheitliche und vergleichbare Bewertung der DiGAs zu gewährleisten. In Fällen von Unklarheiten oder Interpretationsschwierigkeiten wurde PS zur Überprüfung und weiteren Validierung der Antworten hinzugezogen. Diese zusätzliche Kontrollinstanz diente dazu, mögliche Missverständnisse bei der Beantwortung der Fragen auszuräumen und die Konsistenz der Daten sicherzustellen. Sollten darüber hinaus Unstimmigkeiten zwischen LR und PS bestehen, wurde eine unabhängige dritte Person in den Validierungsprozess eingebunden. Diese Instanz hatte die Aufgabe, durch eine objektive Einschätzung und Entscheidung zur Klärung beizutragen und somit die Neutralität und wissenschaftliche Integrität des Prozesses zu bewahren. Dieses mehrstufige Vorgehen soll sicherstellen, dass die Validierung fundiert und auch den Herstellern gegenüber transparent durchgeführt wurde.

Abschließend wurden die positiven Antworten der Hersteller mit den zuvor definierten Gewichtungen der einzelnen Items addiert, um einen Gesamtscore für jede DiGA zu berechnen [4]. Der Gesamtscore bewegt sich auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten. Darüber hinaus erfolgte eine separate Auswertung der Kategorien des Kriterienkatalogs, um differenzierte Einblicke zu gewinnen.


Ergebnisse

Insgesamt erreichten DiGAs Gesamtscores zwischen 65,10 und 86,23 Punkten. Es ergab sich ein Mittelwert von 76,11 (± 10,2) ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Gesamtergebnisse der Bewertung der digitalen Gesundheitsanwendung.

Evidenz und Ziel

Unterschiede im Gesamtscore zwischen den DiGAs ergaben sich insbesondere durch die Items der Kategorien Evidenz und Ziel, da diese aufgrund ihrer zweifachen Gewichtung besonders stark in die Gesamtbewertung einfließen (insgesamt 25,29 bzw. 18,33 von 100 Punkten). Dies führt gewollt dazu, dass die konkrete Zielsetzung und die präsentierte Evidenz für einen dadurch erreichbaren positiven Versorgungseffekt einen besonders großen Einfluss auf das Ergebnis haben. Im Durchschnitt erreichen DiGAs 15,42 (± 3,1) Punkte in der Kategorie Evidenz und 13,73 (± 2,5) in der Kategorie Ziel ([Abb. 2] A) und B)).

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Abb. 2 Ergebnisse der Bewertung der digitalen Gesundheitsanwendung pro Kategorie.

DiGAs, die bereits eine umfassende Evidenzbasis durch mehrere abgeschlossene Studien nachweisen konnten, erzielten in der Bewertung erwartungsgemäß höhere Scores in der Kategorie Evidenz wie z.B. mebix oder Oviva direkt ([Abb. 2] A)). Im Gegensatz dazu erhielten Anwendungen, die entweder nur wenige abgeschlossene Studien vorweisen konnten, niedrigere Scores, da in diesen Fällen die Evidenz für das Erreichen der therapeutischen Ziele durch die DiGA gering war. Zusätzlich führte das Vorhandensein vom Nachweis der Wirksamkeit in Subgruppen, durch Langzeitdaten oder Meta-Analysen zu höheren Punktzahlen.

Anwendungen, deren Evidenzaufweis sich nicht an klassischen diabetesbezogenen Parameter wie die Senkung von HbA1c-Werten oder die Verbesserung des Selbstmanagements als therapeutische Endpunkte orientierten, erhielten als Scores in der Kategorie Ziel geringe Punktzahlen ([Abb. 2] B)). Hierzu zählen z.B. die Stress- und Burnout-App HelloBetter und die Adipositas-Apps Oviva direkt sowie zanadio.


Transparenz

In der Kategorie Transparenz erhielten alle bewerteten DiGAs die maximale Punktzahl von 7,51 Punkten, weil durch die DiGAV die in der Kategorie formulierten transparenten Angaben z.B. zu Kontakdetails, Impressum oder Cloud-basierten Speichern verpflichtend sind.


Qualität

Auch die Kategorie Qualität enthält primär Items, die durch die DiGAV verpflichtend sind. Beispielsweise die Umsetzung von Qualitätsmanagements bei DiGA-Herstellern sowie das Vorliegen des CE-Kennzeichens. In der Evaluation des Kriterienkatalogs konnte mit der Kategorie Qualität zwischen dauerhaft zugelassenen DiGAs (höchste Qualität, 5,44 von 5,44 Punkten) und vorläufig zugelassenen DiGAs sowie Anwendungen differenziert werden, die noch nicht vorläufig bzw. dauerhaft im DiGA-Verzeichnis aufgenommen sind (4,4 von 5,44 Punkten) ([Abb. 2] F)).


Entwicklung

In der Kategorie Entwicklung erhielten alle DiGA-Hersteller Punkte für Items, die sowohl die primäre Entwicklung im Entwicklungsprozess als auch die kontinuierlichen und strukturierten Nutzerbefragungen betreffen. Im Durchschnitt wurden 11,11 (± 1,4) von 13,23 Punkten in der Kategorie erreicht ([Abb. 2] C)). Die Unterschiede zwischen den DiGAs zeigten sich vor allem darin, wie aktiv Anwender und Anwenderinnen während der Nutzung (innerhalb der App) dazu motiviert werden, Feedback zu geben, und ob zusätzlich auch Feedback von verschreibenden Fachkräften ermöglicht wird. So ehielten Apps wie mebix oder Esysta geringere Punktzahlen, da entsprechende Feedback-Möglichkeiten aktuell nicht umgesetzt werden. Nur vereinzelt lagen Daten zur Cost-Effectiveness der DiGAs vor.


Nutzerfreundlichkeit

Von 11,51 möglichen Punkten in der Kategorie Nutzerfreundlichkeit erreichten die DiGAs im Durchschnitt 8,39 (± 0,9) Punkte ([Abb. 2] D)). Unterschiedliche Punkzahlen im Bereich der Nutzerfreundlichkeit ergaben sich vor allem durch das Vorhandensein von audiovisuellen Inhalten und den Einsatz künstlicher Intelligenz als Teil des therapeutisch wirksamen Mechanismus der DiGA. DiGAs, wie z.B. glucura, Oviva direkt und Vitadio, die diverse audiovisuelle Inhalte sowie KI nutzen, um das Nutzenerlebnis zu optimieren, erhielten entsprechend mehr Punkte. DiGAs, die keine KI, weniger audiovisuelle Inhalte oder Gamification nutzen, erhielten weniger Punkte. Zudem gibt es in der Kategorie Nutzerfreundlichkeit ebenfalls Items, die durch den gesetzlichen Rahmen geregelt werden, wodurch keine DiGA die maximale Punktzahl erreichte. Denn aktuell ist es nicht möglich, das Diabetesteam oder soziale Netzwerke in die DiGA zu integrieren, um z.B. die Adhärenz und Motivation zu steigern.


Integration in den Patientenpfad

Viele der Items aus der Kategorie Integration in den Patientenpfad sind durch gesetzliche Vorgaben für DiGAs einheitlich zu bewerten. Andere Aspekte, die unabhängig von gesetzlichen Vorgaben einheitlich in den DiGAs verfügbar sind, sind z.B. Behandlungs- und Therapieberichte inkl. Vergleiche mit den empfohlenen Therapiezielen, die dazu beitragen qualifizierte Arztbriefe zu verfassen. Die durchschnittlich erreichte Punktzahl betrug 6,17 (± 0,7) von 9,67 möglichen Punkten ([Abb. 2] E)). Unterschiede in der Bewertung ergaben sich z.B. daraus, ob die Übertragung der Daten in das PVS-System möglich ist, und ob die DiGAs sich positiv auf Struktur- und Prozessqualität auswirken bzw. Funktionen vorhanden sind, die das Arzt-Patienten-Management verbessern. In dieser Kategorie schnitt Esysta am besten ab, da es ein Online-Portal gibt, über das auch Behandelnde direkt auf die Blutglukose-Daten der Nutzenden zugreifen und selbst klinische Daten wie HbA1c-Werte hinterlegen können.


Interaktivität

Auch in der Kategorie Interaktivität gibt es das Item, das im gegenwärtigen gesetzlichen Rahmen eine direkte Kommunikation über die DiGA mit dem Diabetesteam nicht möglich macht. Während alle DiGAs Feedback zu dokumentierten Daten geben, unterscheiden sie sich hinsichtlich der Nutzung von KI, um die digital gestützte Behandlung und die Vermittlung therapierelevanter Inhalte patientenindividuell anzupassen. Entsprechend schnitten DiGAs unterschiedlich in der Kategorie Interaktivität ab und erreichen im Durschnitt 1,72 (± 0,7) von 3,9 möglichen Punkten ([Abb. 2] H)).


Funktionalität

Alle DiGAs wiesen eine hohe Funktionalität auf und erreichten von 5,11 möglichen Punkten im Durchschnitt 4,15 (± 0,0) ([Abb. 2] G)). Unterschiede ergaben sich aus der Interoperabilitiät mit anderen Apps im Diabetes-Sektor und der Möglichkeit, einen Schellzugang zum Programm zu erhalten. HelloBetter ist aktuell die einzige DiGA, die es emöglicht, die erste Lektion direkt als Testlektion freizuschalten, sobald eine Verschreibung vorliegt. Allerdings auch die einzige, in der die Interoperabilität mit anderen Apps im Diabetes-Sektor nicht gegeben ist.



Diskussion

Die Evaluation des DDG-Kriterienkataloges zur Bewertung von DiGAs in der Diabetologie hat gezeigt, dass dieser geeignet ist, um die Qualität von DiGAs in der Diabetologie mithilfe des multi-dimensionalen Indikators, mit dem DDG-Diabetes-DiGA-Score, abzubilden. Im Durchschnitt erreichten die untersuchten DiGAs 76 Punkte auf einer Gesamtskala von 100 möglichen Punkten, was angesichts des Zulassungsverfahrens durch das BfArM nicht überrascht. Dieser Schwellenwert kann daher als ein grundlegendes Qualitätsniveau verstanden werden. Gleichzeitig sollte der Score nicht nur als Nachweis bestehender Qualität, sondern auch als Anreiz zur Weiterentwicklung verstanden werden: Die Skala reicht bis 100 Punkte und bietet damit Potenzial zur kontinuierlichen Optimierung digitaler Gesundheitsanwendungen.

Angesichts der Tatsache, dass DiGAs ein noch relativ neues Versorgungsinstrument sind, ist es nicht überraschend, dass bisher noch keine höheren Punktzahlen erreicht wurden. Dies liegt unter anderem daran, dass Items der Kategorien Ziel und Evidenz stärker gewichtet werden, die Durchführung von wissenschaftlichen Studien jedoch sowohl zeit- als auch ressourcenintensiv ist. Allerdings verfolgt die DDG mit dem Kriterienkatalog auch bewusst das Ziel, Hersteller zur kontinuierlichen Optimierung und Verbesserung ihrer DiGAs sowie zur Stärkung der zugrunde liegenden Evidenzbasis anzuregen. Denn die eher geringe und heterogene Evidenzgrundlage ist bisher einer der zentralen Kritikpunkte, der im Zusammenhang mit digitalen Gesundheitsanwendungen von den Kostenträgern, aber auch von Seiten der Verschreibenden genannt wird.

Differenzierung der Evidenzbewertung

Bevor der DDG-Kriterienkatalog im klinischen Alltag als leicht zugängliches Hilfsmittel zur Bewertung der Effektivität von DiGAs eingesetzt werden kann, bedarf es einer weiteren Überarbeitung und Ausdifferenzierung der Bewertung. Einerseits müssen Items verschiedener Kategorien eindeutiger voneinander abgegrenzt werden, um Doppelungen zu vermeiden. Andererseits müssen auch manche Items selbst differenzierter betrachtet werden.

Im Verlauf der Bewertung hat sich, sowohl im Austausch mit den Herstellern, als auch im Nachgang der Präsentation auf dem DDG-Kongress, gezeigt, dass sich vor allem im Bereich der Kategorien Evidenz und Ziel Diskussionen ergeben, die in der Weiterentwicklung des Kriterienkatalogs berücksichtig werden sollten.

Die wissenschaftliche Bewertung der Evidenzgrundlage sollte hierbei erweitert und differenziert werden. Items, die sich auf mehrere positive Effekte sekundärer Endpunkte oder auf mehrere Studien einer bestimmten Art (z.B. RCTs) beziehen, sollten sich quantitativ und qualitativ in der Bewertung widerspiegeln. Hierzu zählt auch die die Konsistenz bzw. Reliabilität der Ergebnisse in unterschiedlichen Studien sowie die Stärke der Verbesserung primärerer und sekundärer Endpunkte – ausgedrückt z.B. durch den Grad der klinischen Relevanz oder die Größe der beobachteten Effekte. Dies zu integrieren, kann die Gewichtung der Ergebnisse im Gesamtkontext präzisieren.

Um die Studienqualität weiter auszudifferenzieren, muss berücksichtig und unterschieden werden, ob die zugrunde liegenden Daten aus selbstberichteten Angaben der Studienteilnehmenden oder aus objektiven Erhebungen durch das Studienpersonal stammen oder wie groß die untersuchte Stichprobe ist. Letzteres könnte insbesondere im Bereich der Real-World-Evidenz von Bedeutung sein. Ebenso muss die zugrunde liegene Analyse systematisch bewertet werden, d.h. ob die Datenanalysen nach dem ITT-(Intention-to-Treat) oder dem PP-(Per-Protocol) Prinzip erfolgt ist und inwiefern die Kombination beider Analysetypen auf robuste Ergebnisse schließen lässt. Zuletzt sollte genauer definiert werden, ab welchem Beobachtungszeitraum Daten als Langzeitdaten gelten und sich langfristige Effekte aussagekräftig zeigen können.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass eine Ausdifferenzierung der Items dem Ziel einer wissenschaftlichen Bewertung von DiGAs durch die DDG entspricht. Indem der Fokus der Evidenzbewertung differenziert die Studienqualität bewertet, kann der DDG-Kriterienkatalog auch für Hersteller eine Orientierung bietet, um qualitativ hochwertige Studien zu planen und die Evidenzgrundlage für DiGAs zu stärken.


Individuelle Therapieziele

Aktuell bildet der DDG-Kriterienkatalog noch nicht die unterschiedlichen Zielsetzungen von DiGAs ab. Insbesondere die individuellen Therapieziele und Bedürfnisse der DiGA-Nutzenden stellen eine entscheidende Komponente dar, die maßgeblich beeinflusst, welche DiGA im konkreten Fall verordnet wird. Eine stärkere Berücksichtigung dieser Aspekte könnte dazu beitragen, die Bewertungssystematik differenzierter zu gestalten und die Eignung der jeweiligen DiGA für verschiedene Nutzergruppen besser abzubilden. Ein Entscheidungsbaum kann sich eignen, der über einen generischen Score hinaus individuelle Therapieziele und -bedürfnisse berücksichtigt. So können DiGAs nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ bei der Bewertung berücksichtigt werden.

Im Evaluationsprozess wurde außerdem deutlich, dass aus Herstellersicht die Kategorie Nutzerfreundlichkeit im Kriterienkatalog aktuell noch zu wenig Beachtung bekommt, obwohl sie maßgeblich die Adhärenz und den Therapieverlauf beeinflusst. Es wurde angeregt, externe Evaluationen oder Analysen der Hersteller hinsichtlich App-Store-Bewertungen zu integrieren, um die Nutzerfreundlichkeit differenzierter zu betrachten. Das Ziel des DDG-Kriterienkatalogs ist jedoch eine objektive, wissenschaftliche Bewertung durch die DDG. Entsprechend sollten Items ergänzt werden, die Hersteller dazu anregt, Parameter in Studien zu untersuchen und abzubilden, die Aussagen über die Nutzerfreundlichkeit sowie Adhärenz zulassen.


Regulatorische Rahmenbedingungen

Insbesondere Items der Kategorie Integration in den Patientenpfad bilden Aspekte ab, die aus wissenschaftlicher Sicht sowohl für Behandelnde als auch PatientInnen wünschenswert wären, jedoch im rechtlichen Rahmen der DiGA derzeit nicht umsetzbar sind. Dies betrifft vor allem den stärkeren Einbezug von Behandelnden in die Nutzung der DiGA, beispielsweise durch einen bilateralen Zugriff auf die Anwendung. Solche Funktionen könnten dazu beitragen, DiGAs besser in bestehende Strukturen wie Diabetesschulungen zu integrieren und deren Einsatz im Therapiealltag zu erleichtern. Auch wenn diese Aspekte im Rahmen der aktuellen DIGAV nicht angedacht sind, sollten sie als positiv zu bewertende Items für digitale Anwendungen außerhalb der DiGA-Richtlinien Teil des DDG-Kriterienkatalogs bleiben.

Zuletzt hat sich gezeigt, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Zulassung und Verordnung von DiGAs, welche sich u.a. kontinuierlich weiter entwickeln, zur Folge haben, dass einige Items bzw. ganze Subkategorien des DDG-Kriterienkatalogs außerhalb des Einflussbereichs von DiGA-Herstellern liegen. So scheint es, dass gesetzliche Vorgaben einzelne Items des Kriterienkatalogs obsolet machen könnten. Im Hinblick auf die geplante Erweiterung des Kriterienkatalogs auf digitale Gesundheitsanwendungen für die Diabetestherapie, die außerhalb des rechtlichen Rahmens der DiGA angesiedelt sind, bleiben sie jedoch relevant. Sie könnten zur weiteren Differenzierung von (nicht-)DiGAs beitragen, auch um die Vielfalt digitaler Gesundheitslösungen präziser abzubilden.

Sowohl die regulatorischen Rahmenbedingungen als auch neue technische Möglichkeiten führen dazu, dass der Bereich der DiGA nicht statisch, sondern dynamisch ist. Entsprechend gilt es auch, den DDG-Kriterienkatalog als dynamisches Instrument kontinuierlich anzupassen. Diese Herausforderung muss bei einer finalen Version des DDG-Kriterienkatalogs mitgedacht werden.


Der DDG-Kriterienkatalog im Vergleich zu bestehenden Qualitätsstandards

Empfehlungen zur digitalen Diabetestherapie wurden bereits in viele Leitlinien und Empfehlungen aufgenommen, jedoch ohne dabei individuell digitale Anwendungen zu bewerten [5] [6]. Die American Diabetes Association hat in Kooperation mit den National Committee for Quality Asurance 2023 einen Leitfaden für Qualitätsstandards- und -maßnahmen zur Bewertung digitaler Anwendungen und deren Integration in die Versorgung erarbeitet [7]. Wie auch im DDG-Kriterienkatalog werden zur Bewertung verschiedene Bereiche (technische Aspekte, die Qualität und Evidenz, Sicherheit, etc.) betrachtet. Im Unterschied zum DDG-Kriterienkatalog steht jedoch nicht die wissenschaftliche Bewertung der Evidenz im Vordergrund.

Dass DiGA-Fasttrack-Verfahren hat zudem dazu geführt, dass Deutschland das erste Land war, indem DiGAs verschreibungs- und erstattungsfähig wurden und somit nach wie vor Vorreiter ist [8]. Beispiele wie diese verdeutlichen auch, dass länderspezifisch je nach politischen und finanziellen Rahmenbedingungen den verschiedenen digitalen Therapiemöglichkeiten eine andere Bedeutung und Relevanz in der Diabetesversorgung und -therapie zukommt. Entsprechend müssen auch Bewertungskonzepte, die durch Fachgesellschaften entstehen, vor dem Hintergrund individueller regulatorischer Rahmenbedingungen betrachtet werden.



Fazit

Die genannten Limitationen des Kriterienkatalogs, die sich bei der ersten Evaluation gezeigt haben, sollen in weiteren Schritten gezielt adressiert, diskutiert und in eine weiterentwickelte, finale Version integriert werden. Zudem sollte in einer weiteren Evaluation auch digitale Anwendungen einbezogen werden, die (noch) nicht als DiGA zertifiziert sind, um ein umfassenderes Bild der verfügbaren digitalen Lösungen in der Diabetologie zu erhalten und die jeweiligen Stärken und Schwächen abzubilden.



Interessenkonflikt

MV, SV, DMW, PS sind Mitglieder der Komission Digitalisierung der DDG. DMW und PS sind in der Funktion als Principal Investigator sowie als wissenschaftlicher Berater für Unternehmen tätig, die digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) entwickeln und vertreiben. LR ist im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit an der Auswertung und Bewertung von Evidenzstudien zu DiGA beteiligt.


Korrespondenzadresse

Lena Roth
Prävention und Versorgung von Typ-2-Diabetes, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Medizinische Fakultät III
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
Germany   

Publication History

Received: 14 February 2025

Accepted after revision: 05 June 2025

Article published online:
08 October 2025

© 2025. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution License, permitting unrestricted use, distribution, and reproduction so long as the original work is properly cited. (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/).

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Abb. 1 Gesamtergebnisse der Bewertung der digitalen Gesundheitsanwendung.
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Abb. 2 Ergebnisse der Bewertung der digitalen Gesundheitsanwendung pro Kategorie.