Zusammenfassung
Ziele der Studie
Mehr als 35 Jahre nach dem Mauerfall besteht weiterhin ein Mangel an
repräsentativen Daten zu den verschiedenen Formen von
SED-Unrechtserfahrungen über alle Neuen Bundesländer hinweg. Es fehlen noch
Antworten auf die Fragen, inwiefern sich Betroffene von SED-Unrecht von
nicht Betroffenen im Hinblick auf psychosoziale Merkmale unterscheiden,
welche Repressionsformen gemeinsam auftraten und welche Betroffenengruppen
sich möglicherweise psychosozial differenzieren lassen. Dies ist von
Bedeutung, um ein klareres Verständnis von Repressionen der SED-Diktatur zu
schaffen und Implikationen für die weitere Aufarbeitung der nächsten Jahre
abzuleiten.
Methodik
In einer repräsentativen Querschnittstudie in den Neuen Bundesländern wurden
zwischen Mai und September 2022 insgesamt N=3011 Personen
(Ausschöpfungsquote 45%) befragt. Zunächst wurden Gruppenunterschiede
zwischen Betroffenen und nicht Betroffenen von SED-Unrecht im Hinblick auf
psychosoziale Merkmale untersucht. In einem weiteren Schritt wurden die
Angaben zu Repressionen mittels je einer Latenten Klassenanalyse für jüngere
Befragte, die die DDR selbst nicht mehr miterlebten, und ältere Befragte,
die in der DDR sozialisiert wurden (Grenzwert: Geburtsdatum 01.01.1980)
ausgewertet. Anschließend erfolgten weitere Untersuchungen zu
Gruppenunterschieden basierend auf den Klassenlösungen.
Ergebnisse
Von SED-Unrecht Betroffene weisen mehr Angst-, Depressions- und somatische
Symptome auf als nicht Betroffene. Die DDR-Sozialisation geht mit erhöhten
psychischen Belastungswerten und geringerem Vertrauen in Institutionen
einher, insbesondere bei von SED-Unrecht Betroffenen. In den Klassenanalysen
fand sich für die jüngeren Befragten eine 2-Gruppenlösung und für die
älteren eine 4-Gruppenlösung. Die Gruppen unterschieden sich bezüglich der
persönlichen Betroffenheit von Repressionen sowie der Gesamtanzahl an
berichteten Repressionen. Die Gruppen wiesen Unterschiede im Hinblick auf
Resilienzfaktoren auf. Bei der psychischen Gesundheit zeigten sich keine
Gruppenunterschiede.
Diskussion und Schlussfolgerung
Der Aufarbeitung und aktiven Auseinandersetzung mit SED-Unrecht kommt noch
heute zentrale Bedeutung zu. Mögliche Interventionen sollten sowohl
allgemein auf eine Stabilisierung der psychischen Gesundheit für alle
Betroffenen von SED-Unrecht ansetzen wie auch – gruppenspezifisch – auf den
Aufbau von Vertrauen in Institutionen fokussieren.
Abstract
Objective
More than 35 years after the fall of the Berlin Wall, there is still a lack
of representative data on the various forms of SED injustice in former East
Germany. There is also a lack of answers to the question how those affected
by SED injustice differ from those not affected related to psychosocial
characteristics, which forms of repression occurred together and which
groups of those affected can be differentiated. This is important for
creating a clearer understanding of the repression during the SED
dictatorship and deriving implications for further reprocessing and dealing
with the past in the coming years.
Methods
In a representative cross-sectional study in former East Germany a total of
N=3011 individuals (response rate 45%) were surveyed between May and
September 2022. First, group differences between those affected and those
not affected by SED injustice were calculated for psychosocial variables.
Next information provided on repression was evaluated using a latent class
analysis for younger respondents who did not experience the GDR themselves,
and for older respondents who were socialized in the GDR (cutoff point: date
of birth January 1st, 1980). Subsequently, further analyses of group
differences between the class solutions were performed.
Results
Those affected by SED injustice exhibit more anxiety, depression and somatic
symptoms than those who were not affected. GDR socialization appears to be
associated with more psychological symptoms and less trust in institutions,
especially among those affected by SED injustice. The class analyses
revealed a two-group solution for the younger respondents and a four-group
solution for the older ones. The groups differed in terms of personal
proximity to the repression and the total number of reported repressions.
The groups showed further differences with regard to resilience factors. No
group differences were found related to mental health.
Discussion and conclusions
On the one hand, interventions should focus on the mental health of all
people affected by SED injustice. On the other hand, group-specific measures
should be taken into account, as e. g. interventions on (re)building trust
in institutions. The reprocessing of SED injustice still plays a key role
today.
Schlüsselwörter
Psychotherapie - Repressionen - Systemwechsel - DDR - Vertrauen in Institutionen
Keywords
psychotherapy - repression - system change - GDR - institutional trust