Schlüsselwörter
Prämie - Return-to-work - Teilhabe am Arbeitsleben
Keywords
Bonus - return to work - participation in working life
Einleitung
Die nachhaltige Wiedereingliederung in das Erwerbsleben von Menschen mit chronischen
Erkrankungen oder Behinderungen ist ein zentrales Ziel der Deutschen
Rentenversicherung (DRV). Neben der finanziellen Absicherung der Betroffenen hat die
Erwerbstätigkeit eine weitreichende Bedeutung für das Individuum und die
Gesellschaft. Arbeit bedeutet soziale Interaktion, sie trägt zur Identitäts- und
Sinnstiftung bei, strukturiert den Alltag und fördert die gesellschaftliche Teilhabe
[1]
[2]. Der Erhalt und die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sind daher
essenzielle Bestandteile der Rehabilitation (§ 42 Absatz 1 Satz 1 SGB) [3]
[4], die
sowohl aus gesundheitspolitischer als auch aus sozialökonomischer Perspektive von
großer Relevanz sind, da sie die Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit
Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen fördert. Sie trägt dazu bei, die
Erwerbsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen und kann so die soziale
Integration fördern und die Lebensqualität verbessern [4].
Trotz bestehender Rehabilitations- und Eingliederungsmaßnahmen stehen viele Personen,
insbesondere nach längeren Krankheitsphasen, vor erheblichen Herausforderungen bei
der Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Personen, die z. B. nach einer
Erwerbsminderungsrente wieder in das Erwerbsleben einsteigen, äußern einerseits
Sorgen und Ängste, wie Versagensangst oder das Empfinden von viel Stress.
Andererseits ist die Rückkehr ins Erwerbsleben verbunden mit Hoffnung auf
Erfolgserleben, soziale Kontakte und Anerkennung. Neben gesundheitlichen und
strukturellen Hürden spielen auch finanzielle Aspekte eine Rolle. Viele Betroffene
erleben durch Einkommenseinbußen eine finanzielle Unsicherheit, die den
Wiedereinstieg in das Erwerbsleben zusätzlich erschwert [5]. Eine zentrale Frage in diesem Kontext
ist, wie finanzielle Anreize genutzt werden können, um den Wiedereinstieg und den
langfristigen Verbleib im Arbeitsmarkt zu fördern.
Bezüglich der Wirkung finanzieller Anreize auf das Verhalten von Erwerbstätigen
zeigen Studien, dass monetäre Belohnungen eine leistungssteigernde Wirkung haben
können und zu einer stärkeren Zielorientierung beitragen [6]
[7]. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass sie allein nicht
ausreichen, um die intrinsische Motivation nachhaltig zu erhöhen [8]. Studien, die Prämienzahlungen im
Zusammenhang mit einem Return-to-Work bei gesundheitlich eingeschränkten Personen
untersuchen liegen bislang nicht vor.
Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der Förderinitiative rehapro das Projekt
Einstiegsprämie (ESP) durchgeführt. Ziel des Projekts war es, die Motivation zur
Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung durch eine zeitlich
befristete, nicht zweckgebundene Prämienzahlung zu fördern. Die Maßnahme wurde von
der DRV Mitteldeutschland (MD) und der DRV Braunschweig-Hannover (BS-H) initiiert
und in Kooperation mit der Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin der
Medizinischen Hochschule Hannover wissenschaftlich evaluiert. Die ESP wurde als
Wahlalternative zum etablierten Eingliederungszuschuss (EGZ) angeboten. Während beim
EGZ finanzielle Mittel an Arbeitgebende ausgezahlt werden, setzt das ESP-Modell
direkt bei den Versicherten an.
Die vorliegende Studie hat das Ziel die Wiedereingliederungsquoten und die mit den
Maßnahmen einhergehenden Kosten zwischen den beiden Gruppen zu vergleichen.
Methodik
Die kontrollierte prospektive Interventionsstudie erfolgte im Einzugsgebiet der DRVen
MD und BS-H im Interventionszeitraum von Januar 2020 bis Oktober 2023. Die
Evaluation erfolgte durch Interviews, eine Fragebogenerhebung und die hier
berichtete Analyse der Routinedaten der DRV. Eine fallweise Verknüpfung mit den
Daten der Interviewanalyse und der Fragebogenerhebung war aus datenschutzrechtlichen
Gründen nicht möglich. Das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission der
Medizinischen Hochschule Hannover geprüft (NR. 9533_BO_K_2020). Die prospektive
Studienregistrierung erfolgte im Deutschen Register Klinischer Studien
(DRKS00033870).
Beschreibung der Intervention
Die Einstiegsprämie wurde an Personen gezahlt, die sich eigenständig eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung suchten. Vollzeitbeschäftigte
erhielten dabei eine monatliche Unterstützung von 400 Euro für die ersten 6
Monate, Teilzeitbeschäftigte anteilig weniger. Zusätzlich wurde auf Antrag der
Teilnehmenden eine einmalige Prämie von 600 Euro ausgezahlt, wenn das
Arbeitsverhältnis über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten fortbestand.
Ziel war es, zur Arbeitsaufnahme zu motivieren, finanzielle Barrieren zu
reduzieren und dadurch die nachhaltige berufliche Integration zu
erleichtern.
Stichprobe und Daten
In die Studie konnten alle Personen eingeschlossen werden, die einen EGZ oder
eine ESP im Interventionszeitraum bezogen. Wurde ein Bescheid zur Berechtigung
erteilt, wurde über beide Maßnahmen schriftlich informiert und die Versicherten
konnten sich für eine der beiden Leistungen freiwillig entscheiden. Die DRV BS-H
hat mit allen Versicherten zusätzlich persönliche Beratungs- und
Informationsgespräche durchgeführt. Die DRV MD führte partiell telefonische
Beratungs- und Informationsgespräche durch. Versicherte, die ihr schriftliches
Einverständnis zur Studienteilnahme erklärten, wurden in die Studie
eingeschlossen. Die Routinedaten der Rentenversicherung wurden anonymisiert für
Analysezwecke zur Verfügung gestellt und bedürfen keiner besonderen
Einwilligung.
Die Analyse der Routinedaten untersuchte die Unterschiede zwischen
ESP-Beziehenden und EGZ-Beziehenden. Die Datenbasis bestand aus Datensätzen der
Reha-Statistik-Datenbasis (RSD), den jeweiligen Zahldaten in Euro und der
Statistik 96 (SY96), welche Informationen über bewilligte und durchgeführte
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben enthält. Das primäre Zielkriterium war
die sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsdauer nach Beginn der Maßnahmen
ESP bzw. EGZ. Sekundäre Zielkriterien waren die Maßnahmenkosten pro Fall,
Leistungsabbrüche, die Stellung im Beruf, die Art der Arbeit bei
Antragsstellung, die Beitragszeiten 12 Monate vor dem individuellen
Maßnahmenbeginn und die Branchen, in denen die Teilnehmenden tätig sind.
Die pseudonymisierten Datensätze zur Reha-Statistik-Datenbasis sowie Systemdaten
(SY96) und Zahldaten wurden von den DRVen MD und BS-H im August bzw. November
2024 zur Verfügung gestellt. Die Daten wurden im Dateiformat Excel (DRV MD) bzw.
im Dateiformat Textdatei (DRV BS-H) übermittelt und anschließend im Rahmen des
Datenmanagements bezüglich ihrer Vollständigkeit und Plausibilität geprüft.
Auffälligkeiten und nicht plausible Daten wurden mit den zuständigen
Mitarbeitenden der DRVen geklärt. Daraufhin wurden die Datensätze in die
Statistiksoftware SPSS Statistics (IBM, Version 29.0.1.0) importiert und
zusammengeführt.
Zur Ermittlung der Wiedereingliederungsquoten wurde als Zielkriterium die Dauer
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Maßnahmenbeginn in der
Interventions- versus Kontrollgruppe verglichen. Hauptzielparameter war eine
mind. 15-monatige Beschäftigung. Die Erwerbstätigkeit wurde daher in einem
Zeitraum von bis zu 15 Monaten nach Maßnahmenbeginn erfasst. Zur Evaluation
wurden die Maßnahmenkosten pro Fall in Euro analysiert und damit der finanzielle
Aufwand in den Gruppen der ESP und EGZ vergleichend gegenübergestellt.
Sekundäres Zielkriterium waren die Beitragszeiten 12 Monate vor Maßnahmenbeginn.
Anhand derer wurde beschrieben, ob die Zielgruppe vor der Maßnahme einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist oder ggf.
Arbeitslosengeld oder andere Leistungen erhalten hat. Um Abbrüche der Maßnahme
zu beschreiben wurde das Ergebnis der Leistung analysiert. Die Tabelle S1 zeigt
einen Überblick über alle Zielkriterien, die Datenquellen und die verwendeten
statistischen Methoden.
Statistische Analysen
Stichprobenkennwerte wurden zunächst deskriptiv analysiert. Die Normalverteilung
wurde anhand des Shapiro-Wilk-Tests überprüft. Zur Prüfung der Unterschiede
wurden je nach Skalenniveau Chi-Quadrat- oder T-Tests bei nicht-gegebener
Normalverteilung der Test nach Mann-Whitney U durchgeführt. Zudem wurde eine
binäre logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Dafür wurde eine
Multikollinearitätsanalyse durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden alle
potenziellen unabhängigen Variablen (Gruppenzugehörigkeit ESP/EGZ, Geschlecht,
Alter, RV Trägerin, Stellung im Beruf, Branche) in eine explorative
Regressionsanalyse inkludiert. Nur jene Prädiktoren mit p<0,05 wurden in
einem zweiten Schritt in die finale binäre Regressionsanalyse mit der Methode
schrittweiser Einschluss inkludiert. Für alle Ergebnisse wurde das
Signifikanzniveau p<0,05 festgelegt. Alle Auswertungen erfolgen durch eine
Mitarbeiterin der Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin der Medizinischen
Hochschule Hannover unter Verwendung von SPSS Statistics (IBM, Version
29.0.2.0).
Ergebnisse
Soziodemografie
Aus dem Zeitraum vom 01.04.2020 bis 31.03.2023 lagen Daten von insgesamt 485
Personen vor, die eine ESP erhalten haben. Die Kontrollgruppe erhielt den EGZ im
Zeitraum 01.10.2020-01.10.2023. Das durchschnittliche Alter der Teilnehmenden
lag bei 49 Jahren. 27,4% waren weiblich ([Tab. 1]).
Tab. 1 Demografie der Gesamtkohorte, der Kohorte der DRV
Mitteldeutschland und der Kohorte DRV Braunschweig-Hannover.
|
Stichprobenmerkmale
|
Gesamtkohorte
|
DRV Mitteldeutschland (MD)
|
DRV Braunschweig-Hannover (BS-H)
|
|
Gesamt
|
ESP
|
EGZ
|
Gesamt
|
ESP
|
EGZ
|
Gesamt
|
ESP
|
EGZ
|
|
Anzahl (n)
|
2.204
|
485
|
1.719
|
889
|
224
|
665
|
1.315
|
261
|
1.054
|
|
Alter in Jahren Mittelwert, Median (Std.-Abw.; Min; Max)
|
49,32; 51 (8,393; 23; 65)
|
48,19; 49 (8,362; 24; 65)
|
49,64; 51 (8,376; 23; 65)
|
49,89; 51 (8,081; 25; 64)
|
49,33; 51 (8,182;28; 64)
|
50,08; 51 (8,043; 25; 64)
|
48,94; 50 (8,579; 23; 65)
|
47,21; 47 (8,406; 24; 65)
|
49,36; 51 (8,572; 23;65)
|
|
Geschlecht männlich n (%)
|
1.600 (72,6)
|
315 (64,9)
|
1.285 (74,8)
|
615 (69,2)
|
150 (67,0)
|
465 (69,9)
|
985 (74,9)
|
165 (63,2)
|
820 (77,8)
|
|
weiblich n (%)
|
604 (27,4)
|
170 (35,1)
|
434 (25,2)
|
274 (30,8)
|
74 (33,0)
|
200 (30,1)
|
330 (25,1)
|
96 (36,8)
|
234 (22,2)
|
|
Altersunterschiede nach Geschlecht und Gruppenzugehörigkeit M
(Std.-Abw.)
|
|
Gesamtkohorte
|
DRV Mitteldeutschland (MD)
|
DRV Braunschweig-Hannover (BS-H)
|
|
männlich
|
weiblich
|
p
|
männlich
|
weiblich
|
p
|
männlich
|
weiblich
|
p
|
|
ESP
|
48,81 (8,209)
|
47,02 (8,540)
|
,024
|
49,61 (8,278)
|
48,76 (8,010)
|
,446
|
48,09 (8,104)
|
45,69 (8,735)
|
,026
|
|
EGZ
|
49,92 (8,231)
|
48,79 (8,748)
|
,015
|
50,01 (8,149)
|
50,24 (7,809)
|
,737
|
49,88 (8,281)
|
47,56 (9,319)
|
<,001
|
Sowohl in der Kohorte der ESP-Beziehenden als auch in der Gruppe der
EGZ-Beziehenden waren die Männer signifikant älter als die Frauen ([Tab. 1]).
In der Kohorte der DRV MD unterschieden sich sowohl in der Gruppe der
ESP-Beziehenden als auch in der Gruppe der EGZ-Beziehenden Frauen und Männer
nicht im Hinblick auf das Durchschnittsalter. In der Kohorte der DRV BS-H
hingegen unterschieden sich sowohl in der Gruppe der ESP-Beziehenden als auch in
der Gruppe der EGZ-Beziehenden Frauen und Männer signifikant im Hinblick auf das
Durchschnittsalter ([Tab. 1]).
Merkmale der Tätigkeiten vor Maßnahmenbeginn
Ungefähr ein Drittel der Teilnehmenden waren in der letzten Tätigkeit vor
Maßnahmenbeginn in der Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung tätig,
gefolgt von der Branche Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit und der Branche
Bau, Architektur, Vermessung, Gebäudetechnik (Tab. S2). Die Kohorte besteht zu
ca. der Hälfte aus Facharbeiter:innen und zu einem Fünftel aus Angestellten. In
DRV MD ist der relative Anteil an Facharbeiter:innen höher als in DRV BS-H.
Gleichzeitig ist in der DRV BS-H der relative Anteil der Angestellten im
Vergleich zu DRV MD größer (Tab. S3). Bei Antragsstellung gaben 46,9% der
Teilnehmenden in der DRV MD und 13,5% der Teilnehmenden in DRV BS-H an
arbeitslos gemeldet zu sein. Ganztagsarbeit leisteten zu diesem Zeitpunkt 46,3%
in der DRV MD und 76,9% in der DRV BS-H (Tab. S4).
Beitragszeiten vor Maßnahmenbeginn
Im Zeitraum von 12 Monaten vor Maßnahmenbeginn zahlten 19,46% (n=429) der
Teilnehmenden durchschnittlich 5,08 Monate (SD=3,67) keine freiwilligen oder
Pflichtbeiträge. Keine Person zahlte freiwillige Beiträge (n=2.204). In den 12
Monaten vor Maßnahmenbeginn zahlten 40,43% (n=891) der Teilnehmenden im
Durchschnitt für 4,23 Monate (SD=3,467) Pflichtbeiträge aufgrund
versicherungspflichtiger Beschäftigung. Davon zahlten 22,1% für einen bis drei
Monate Beiträge, während weitere 8,7% (n=192) vier bis sechs Monate Beiträge
zahlten. Weitere 4,7% (n=104) zahlten für sieben bis neun Monate Pflichtbeiträge
und 5% (n=108) zahlten zehn bis zwölf Monate Pflichtbeiträge aufgrund
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung vor Maßnahmenbeginn. Keine
Pflichtbeiträge aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung zahlten 59,5%
(n=1.312) der Teilnehmenden in den 12 Monaten vor Maßnahmenbeginn. Das bedeutet,
dass ca. 2/3 der Teilnehmenden min. ein Jahr lang arbeitslos waren, bevor sie
die Leistung bezogen. Ein Drittel war im Jahr vor Maßnahmenbeginn im Schnitt ca.
8 Monate arbeitslos.
Die Pflichtbeitragszeit wegen sonstigem Leistungsempfang nach § 3 Nr. 3 SGB VI,
§ 4 Abs. 3 SGB VI, also Krankengeld, Übergangsgeld oder Arbeitslosengeld lag bei
76,15% (n=2.205) der Teilnehmenden durchschnittlich bei 7,44 Monaten (SD=3,852).
Darunter waren 12,1%, die über die Dauer von 12 Monaten diese Pflichtbeiträge
zahlten.
Geringfügige Beschäftigung (mit und ohne Befreiung von der Versicherungspflicht
bzw. mit und ohne Verzicht auf die Versicherungsfreiheit (bis 31.12.2012); auch
im Privathaushalt) (§ 8 Abs. 1Nr. 1 SGB IV, § 8a SGB IV) lag in den 12 Monaten
vor Maßnahmenbeginn bei 0,73% (n=15) der Teilnehmenden für durchschnittlich 4,53
Monate (SD=3,523) vor.
Abbrüche der Leistung fanden in der Kohorte der ESP-Beziehenden bei 1,05% und in
der Kohorte der EGZ-Beziehenden bei 2,96% der Teilnehmenden statt.
Beschäftigungsdauer nach Maßnahmenbeginn
Die Beschäftigungsdauer wurde gestaffelt zu drei Messzeitpunkten betrachtet: 6
Monate, 13 Monate und 15 Monate nach Beginn der Maßnahme ESP bzw. EGZ. Eine
mindestens 15-monatige Erwerbstätigkeit erreichten signifikant häufiger
ESP-Beziehende (81,2%) im Vergleich zu EGZ-Beziehenden (63,4%) ([Tab. 2]).
Tab. 2 Beschäftigungsdauer nach Maßnahmenbeginn der
Gesamtkohorte, der Kohorte der ESP-Beziehenden und der Kohorte der
EGZ-Beziehenden.
|
Beschäftigungsdauer nach Maßnahmenbeginn
|
DRV Mitteldeutschland U=58227,000, z=−3,733, p<0,001;
r=0,13
|
DRV Braunschweig-Hannover U=81181,500, z=−6,914, p<0,001;
r=0,21
|
Gesamtkohorte U=278399,000, z=−7,701, p<0,001; r=0,16
|
|
ESP (n=224)
|
EGZ (n=665)
|
ESP (n=261)
|
EGZ (n=1054)
|
ESP (n=485)
|
EGZ (n=1719)
|
|
n
|
%
|
n
|
%
|
n
|
%
|
n
|
%
|
n
|
%
|
n
|
%
|
|
Mindestens 6 Monate
|
210
|
93,8
|
638
|
95,9
|
233
|
89,3
|
897
|
85,1
|
443
|
91,3
|
1535
|
89,3
|
|
Mindestens 13 Monate
|
188
|
83,9
|
502
|
75,5
|
218
|
83,5
|
679
|
64,4
|
406
|
83,7
|
1181
|
68,7
|
|
Mindestens 15 Monate
|
179
|
79,9
|
462
|
69,5
|
215
|
82,4
|
627
|
59,5
|
394
|
81,2
|
1089
|
63,4
|
Maßnahmenkosten
Die Kosten pro versicherte Person beliefen sich in der Gruppe der ESP-Beziehenden
im Mittelwert auf 2.578,83 € und sind in der Gruppe der EGZ-Beziehenden mit
einem Mittelwert von 7.194,42 € 2,8-fach höher ([Tab. 3]). Die Erfolgsprämie wurde an
65,5% (n=171) der ESP-Beziehenden in der DRV BS-H und an 68,6% (n=153) der
ESP-Beziehenden in der DRV MD ausgezahlt.
Tab. 3 Maßnahmenkosten der Kohorte der ESP-Beziehenden und der
Kohorte der EGZ-Beziehenden in der Gesamtkohorte und nach den
Trägerinnen DRV MD und DRV BS-H aufgeteilt.
|
Maßnahmenkosten
|
Gesamtkohorte
|
DRV Mitteldeutschland (MD)
|
DRV Braunschweig-Hannover (BS-H)
|
|
EGZ (n=1.698)
|
ESP (n=479)
|
EGZ (n=662)
|
ESP (n=222)
|
EGZ (n=1.036)
|
ESP (n=257)
|
|
Summe Gesamtkosten
|
12.216.122,64 €
|
1.235.258,60 €
|
5.185.804,69 €
|
589.300,00 €
|
7.030.317,95 €
|
645.958,60 €
|
|
Mittelwert (Kosten pro Fall)
|
7194,42 €
|
2.578,83 €
|
7.833,54 €
|
2.654,51 €
|
6.786,02 €
|
2.513,46 €
|
|
Median
|
6222,42 €
|
3.000,00 €
|
7.053,01 €
|
3000,00 €
|
6000,00 €
|
3.000,00 €
|
|
SD
|
4602,41 €
|
603,63 €
|
4.370,12 €
|
525,51 €
|
4.701,65 €
|
657,79 €
|
|
Minimum
|
93,00 €
|
200,00 €
|
93,00 €
|
300,00 €
|
500,00 €
|
200,00 €
|
|
Maximum
|
60.000,00 €
|
3.000,00 €
|
33.670,00 €
|
3.000,00 €
|
60.000,00 €
|
3.000,00 €
|
|
Spannweite
|
59.907,00 €
|
2.800,00 €
|
33.577,00 €
|
2.700,00 €
|
59.500,00 €
|
2.800,00 €
|
Zusammenhang zwischen 15-monatiger Erwerbstätigkeit und unabhängigen
Variablen
Die binäre logistische Regressionsanalyse untersuchte, welche unabhängigen
Variablen die Wahrscheinlichkeit des Erreichens von mindestens 15 Monaten
Erwerbstätigkeit nach Maßnahmenbeginn beeinflussten. Es wurde zunächst ein
exploratives Regressionsmodel mit den unabhängigen Variablen Geschlecht,
Branche, Stellung im Beruf, Rentenversicherungsträgerin, Alter und
Gruppenzugehörigkeit zur ESP oder EGZ berechnet, wobei die drei letztgenannten
unabhängigen Variablen signifikant waren und in das finale Regressionsmodel
inkludiert wurden. Das finale Modell mit der Methode Einschluss war als Ganzes
signifikant (Chi-Quadrat(2) 73,207, p<0,001). Die Korrelationen zwischen den
Prädiktoren war gering (r<0,059), was darauf hindeutet, dass
Multikollinearität die Analyse nicht konfundiert hat [9]. Das Nagelkerke R2 lag bei
0,046. ESP-Beziehende hatten eine 2,4-fach erhöhte Chance 15 Monate
Erwerbstätigkeit zu erreichen, als EGZ-Beziehende. Mit jedem Lebensjahr sanken
die Chancen 15 Monate Erwerbstätigkeit nach Maßnahmenbeginn zu erreichen um
0,02%. Versicherte der DRV BS-H hatten eine 1,4-fach höhere Chance die
15-monatige Erwerbstätigkeit zu erreichen als Versicherte der DRV MD (Tab. S5).
Cohens F2 betrug 0,05, was nach Cohen einem schwachen Effekt
entspricht [10].
Diskussion
Die Ausgangsfrage dieser Studie war, ob mit einer neuartigen Leistung in Form einer
nicht zweckgebundenen Direktzahlung eine vergleichbare Wiedereingliederungsquote
erreicht werden kann wie mit etablierten Zahlungen an Arbeitgebende. Die Ergebnisse
zeigen, dass die Return-to-Work-Quoten beider Leistungen nach sechs Monaten
vergleichbar sind und die Personen mit der ESP langfristig signifikant länger im
Erwerbsleben bleiben als Personen mit EGZ-Bezug ([Tab. 2]). Die ökonomische Analyse zeigt,
dass für die guten Effekte der ESP nur 35,8% der Mittel aufgewendet werden mussten
wie für die Regelleistung EGZ ([Tab. 3]).
Da es sich um eine Wahlleistung handelt, sind die Ergebnisse nicht so zu
interpretieren, dass die ESP den EGZ ersetzen kann, jedoch für einen großen Teil der
Zielgruppe die langfristig geeignetere Maßnahme zu sein scheint und für den
Sozialversicherungsträger in vielen Fällen einen wesentlich effizienteren
Mitteleinsatz bedeutet. Parallel durchgeführte Fragebogen- und Interviewanalysen
zeigten außerdem eine hohe Akzeptanz und Zufriedenheit der Versicherten. Diese Daten
werden an anderer Stelle publiziert [11].
Es zeigte sich, dass Personen, die die ESP gewählt hatten, häufiger 15 Monate
Erwerbstätigkeit bei geringeren Kosten erreichten, als die Vergleichsgruppe mit
Personen, deren Arbeitgebende den EGZ erhalten hatten. Dieser längere Verbleib im
Erwerbsleben könnte auch durch eine leistungssteigernde Wirkung und stärkere
Zielorientierung gefördert worden sein, die schon bei anderen Studien über
Prämienzahlungen beobachtet wurden [6]
[7].
Die bereits erwähnten Interviewanalysen, die im Rahmen dieser Studie durchgeführt
wurden ergaben, dass die ESP zumeist für Mobilität, Arbeitskleidung und finanzielle
Stabilisierung verwendet wurde. Konkret am Beispiel der Mobilität wurde die ESP
u. a. für die Verbesserung des Arbeitswegs durch Monatsfahrkarten und eine
Autoteilfinanzierung verwendet [11]. Geht
man davon aus, dass diese Anschaffungen als Arbeitsplatzinterventionen deklariert
werden können, dann stehen unsere Ergebnisse im Einklang mit Reviews, die zeigten,
dass Maßnahmen am Arbeitsplatz wirksam dazu beitragen, Personen wieder in Arbeit zu
bringen [12]
[13]
[14]. Wir konnten zwar zeigen, dass die Personen der ESP-Gruppe länger
erwerbstätig waren, als die Personen in der EGZ-Gruppe, allerdings können wir daraus
nicht schließen, dass die ESP generell besser geeignet ist als der EGZ. Vielmehr ist
davon auszugehen, dass mit der Wahlmöglichkeit zwischen ESP und EGZ die Passung der
Leistung mit den jeweils sehr individuell gelagerten Fällen verbessert wird. Während
bspw. eine Person mit starken Einschränkungen ggf. ausschließlich mit der
Unterstützung durch den EGZ einen Arbeitsplatz erhält, kann eine andere Person die
ESP verwenden, um mit dem Auto pünktlich und flexibel die Arbeitsstelle zu
erreichen.
Um eine Überlegenheit der ESP gegenüber dem EGZ zu zeigen, müsste eine randomisierte
Zuordnung ohne Wahlmöglichkeit erfolgen. Damit könnten u. a. person- und
umweltbezogene Faktoren identifiziert werden, die als Förder- bzw. Hemmfaktoren für
eine Rückkehr ins Erwerbsleben eine Rolle spielen können.
Die höhere Chance von Versicherten der DRV BS-H eine 15-monatige Erwerbstätigkeit
zu
erreichen, könnte neben den unterschiedlichen Arbeitsmarktsituationen unter anderem
an zwei unterschiedlichen Beratungsprozessen liegen. Während Versicherte der DRV
BS-H mindestens ein Beratungsgespräch erhielten, wurden die Bescheide zur
Genehmigung der ESP in der Regel von der DRV MD nach Aktenlage versendet.
Möglicherweise besteht in der persönlichen Beratung ein Potential für die Abklärung
von Hürden und den Verweis auf andere Leistungen. Eine angemessene Beratung ist ein
zielorientierter Prozess, in dem Fachleute Ratsuchende zu Themen der beruflichen
Rehabilitation unterstützen. Sie kann Personen mit gesundheitlichen
Beeinträchtigungen dabei helfen, neue berufliche Perspektiven zu entdecken [15]. Sternberg et al. zeigen, dass eine
gemeinsame Einschätzung von Klient:innen und Fachberatenden erfolgsversprechend ist
[16].
Es konnte gezeigt werden, dass knapp 60% der Teilnehmenden mindestens ein Jahr vor
der Intervention nicht versicherungspflichtig beschäftigt waren. Die Frage, ob mit
der ESP insbesondere „Langzeitarbeitslose“ adressiert werden konnten, kann
allerdings nicht mit Sicherheit beantwortet werden.
Limitationen
Als Limitation ist zu nennen, dass bei der Interpretation der Ergebnisse beachtet
werden muss, dass es sich um eine Wahlleistung handelt und die Teilnehmenden
sich jene Maßnahme auswählen konnten, die ihnen mehr zusagte. Damit ist ein
Selektionsbias nicht auszuschließen. Zur Berechnung der Maßnahmenkosten wurden
im Rahmen der Plausibilitätsprüfung ESP-Kosten aus der Analyse ausgeschlossen,
wenn sie den bei der ESP möglichen Höchstwert von 3.000 € überstiegen. Dies trat
im Datensatz DRV BS-H auf. Es kann dadurch nicht ausgeschlossen werden, dass
immer noch Zahlungen im Datensatz DRV BS-H enthalten sind, die nicht im Kontext
der ESP geleistet wurden. Möglicherweise könnte dadurch die Summe der ESP-Kosten
von DRV BS-H höher ausfallen, als sie real war. Die Kosten für den
ESP-Maßnahmenzeitraum und die ESP-Prämie sind im Datensatz von DRV MD eindeutig
identifizierbar, da es sich bei den Maßnahmenkosten stehts um Werte bis 2.400 €
bei den ESP-Maßnahmenkosten und 600 € bei den ESP-Prämien handelt. Im Datensatz
DRV BSH waren die Werte nicht eindeutig zuzuordnen, daher kann hier keine
separate Analyse über ESP-Maßnahmenkosten und ESP-Prämienkosten erfolgen. Unklar
bleibt, ob die unterschiedlichen Arbeitslosigkeitsquoten bei Antragstellung mit
der Möglichkeit der nachträglichen Bewilligung zusammenhängen. Bei der DRV BS-H
war es üblich, dass die ESP z. T. 2 Monate rückwirkend bewilligt wurde. Hierbei
ist unklar, welche Arbeit vor dem Antrag von den Versicherten angegeben worden
ist: ob es sich um die neue Arbeitsstelle handelt oder um die Arbeitsstelle vor
Bezug der ESP. Mit der nachträglichen Bewilligung wollte die DRV ihren
Versicherten die Wahl zwischen ESP und EGZ offenhalten, um die Arbeitsaufnahme
nicht zu gefährden, wenn Arbeitgebende nicht auf den EGZ verzichten wollten.
Der Interventionszeitraum lag im Zeitraum der COVID-19-Pandemie. Wir können nur
spekulieren, welche Auswirkungen dies auf die Studie hatte, da wir keine
systematischen Daten dazu erfasst haben. Allgemein war diese Zeit von unsicheren
Arbeitsplätzen z. B. in der Gastronomie geprägt und von sozialer Isolation.
Möglicherweise konnte die ESP in diesen Fällen neue Optionen ermöglichen und
berufliche Teilhabe zu fördern durch die freie Wahl zwischen ESP und EGZ. Im
Studienverlauf führte die Pandemie zu einer verzögerten Rekrutierung für die
Interviews.
Eine Stärke der Studie ist, dass sie in einem realistischen Setting getestet
wurde, in dem bewusst auf Selbstselektion gesetzt wurde. Des Weiteren handelt es
sich um eine Vollerhebung. Die hier dargestellten Ergebnisse sind damit relevant
für eine mögliche Verstetigung.
Kernbotschaft
Die Einstiegsprämie ist eine nicht zweckgebundene Leistung an Arbeitnehmende. Im
Vergleich zu Zahlungen an Arbeitgebende erzielt sie als Wahlalternative eine sehr
gute Eingliederungsquote bei niedrigeren Kosten. Sie zeichnet sich durch besonders
gute Ergebnisse für langfristige Beschäftigungsverhältnisse aus.
Fördermittel
Bundesministerium für Arbeit und Soziales — Fördernummer: 1S013465030P1