Dialyse aktuell 2008; 12(4): 219
DOI: 10.1055/s-0028-1082098
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nierentransplantation – Quo vadis?

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Publication Date:
10 July 2008 (online)

Dieses erste Schwerpunktheft der Dialyse aktuell beschäftigt sich mit den „Risiken des Organempfängers”. Drei erfahrene Kollegen meiner Klinik berichten in diesem Zusammenhang über die Themen: Outcome, aktuelle Aspekte der Immunsuppression nach Nierentransplantation und Evaluation des Organempfängers.

Nachdem mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen ist, seitdem die erste erfolgreiche Nierentransplantation im Jahr 1954 die Tür zur Erfolgsgeschichte der Transplantationsmedizin weit aufgestoßen hat, ist es an der Zeit die brennenden Fragen im Jahr 2008 ohne Vorurteile erneut zu benennen.

Die erfolgreiche Transplantation aller soliden Organe bleibt eine Therapie des Mangels. Mit anderen Worten: Die beste medizinische Behandlungsoption, zum Beispiel die präemptive Lebendspende vor der Dialyse, kann nur einem Bruchteil der Patienten angeboten werden. In Deutschland gibt es rund 75000 Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz, davon stehen rund 8000 Patienten auf der Liste von Eurotransplant in Leiden (Niederlande) und warten auf ein Spenderorgan. 2007 wurden 2325 Nieren postmortal gespendet. Die jährliche Sterblichkeit an der Dialyse beträgt zwischen 10 und 20 %, nach erfolgreicher Nierentransplantation ist sie weit geringer.

Gibt es Möglichkeiten diese Situation zu verbessern? Alle Fachleute werden hier mit einem eindeutigen „Ja” antworten. Dies betrifft sowohl die Frage nach einer Steigerung der Lebendorganspende von direkten Verwandten oder nahestehenden Personen, als auch die schwierigen ethischen Fragen nach einer Steigerung der postmortalen Spende. Während in den USA und einigen skandinavischen Ländern die Rate der Lebendspende 40 % und über 50 % erreicht, liegen die Werte in den deutschen Zentren in der Regel deutlich unter 25 %. Die postmortale Organspende mit signifikant schlechteren Langzeitergebnissen als zum Beispiel die präemptive Lebendspende kämpft unverändert mit einer hohen individuellen Ablehnungsrate von bis zu 40 %, bedingt durch die Extremsituation von Arzt und Angehörigen im Anblick des Sterbenden über seinen letzten Willen zu entscheiden: War er für oder gegen eine Organspende?

Die Frage einer Neuorientierung von der erweiterten Zustimmungslösung hin zur Widerspruchslösung muss jetzt neu diskutiert werden. Denn Länder mit Widerspruchslösung haben um Längen mehr Organspender als Länder mit Zustimmungslösung. Auch wenn sich viele gerade in der Politik noch „zieren”, muss diese Frage jetzt erneut unter Beachtung der ethischen Prinzipien gestellt werden. „Wegducken” gilt nicht mehr. Eine neue Chance eröffnet sich möglicherweise mit der Einführung der Gesundheitskarte – ein Chip auf dem persönlich und frühzeitig eingetragen werden kann, ob man als Individuum bereit ist, seinen humanen und humanistischen Idealen zu folgen. Ein persönliches „Nein” zur Organspende wird von der Gesellschaft akzeptiert werden müssen – und das zwingend ohne erhobenen Zeigefinger.

Die Verbesserung der Langzeitfunktion transplantierter Organe ist ebenso ein entscheidender Beitrag zur Milderung des Problems Organmangel. Die mittlere „Halbwertszeit” transplantierter Nieren nach postmortaler Organspende beträgt rund zehn bis zwölf Jahre, nach Lebendspende werden Erfolge von 15–20 Jahren berichtet und erwartet. Wir kennen Verläufe von mehr als 25–30 Jahren. Die Übeltäter für den vorzeitigen Organverlust sind mittlerweile gut bekannt: (1) der Tod des Patienten mit funktionierendem Transplantat als Folge schwerwiegender vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankungen (2) ein „chronische Transplantatdysfunktion” genannter Entzündungs– und Vernarbungsprozess, an dem die eingesetzten Immunsuppressiva Anteil haben, und (3) das Wiederauftreten (Rekurrenz) der ursprünglichen Nierenerkrankung im Transplantat (Beispiel fokal segmentale Glomerulonephritis).

Der Chirurg am Peter Bent Brigham Hospital in Boston (USA), Joseph E. Murray, erhielt 36 Jahre nach der ersten erfolgreichen Nierentransplantation unter eineiigen Zwillingen – Richard und Ronald Herrick – im Jahr 1990 den Medizin–Nobelpreis. An dem bahnbrechenden Erfolg waren 1954 auch der Nephrologe

J. P. Merill und der Urologe J. Hartwell Harrison – ein „glorreiches Team” – beteiligt. Soweit bekannt erreichte der Spender mindestens das 74. Lebensjahr und hat damit den entscheidenden Beweis erbracht, dass Lebendorganspende nicht das Leben verkürzt, sondern ethisch uneingeschränkt vertretbar ist. Deshalb die Ziele:

Priorität für die Lebendspende in der Nierentransplantation mit dem klaren Ziel der präemptiven Nierentransplantation vor Dialysebeginn wo immer möglich. Jeder Monat, jedes Jahr an der Dialyse verschlechtern den Transplantationserfolg Anpassung des Transplantationsgesetzes an die Wirklichkeit: Widerspruchslösung statt informierte Zustimmungslösung Weiterentwicklung non–nephrotoxischer Immunsuppressiva Das virtuelle Ziel – die Toleranz transplantierter Organe, ist nach Ansicht des Autors noch in weiter, weiter Ferne.

Prof. Dr. Hans–H. Neumayer

Berlin

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