Dialyse aktuell 2008; 12(5): 284
DOI: 10.1055/s-0028-1085085
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nierenkrank und schwanger – eine besondere Situation

Ralf Dechend
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Publication Date:
06 August 2008 (online)

1843 realisierte John Lever als erster die besondere Bedeutung der Nieren in der Schwangerschaft. Er konnte zeigen, dass die Proteinurie in Zusammenhang mit Konvulsionen eine eigene Entität bildet, die unabhängig von einer chronischen Nierenerkrankung ist. Auch die besondere Gefährdung von Patientinnen mit chronischer Nierenerkrankung in der Schwangerschaft ist lange bekannt. Noch 1936 wurde die Beendigung der Schwangerschaft empfohlen, wenn eine Nephrose vor der 30. Schwangerschaftswoche auftrat. Zu dieser Zeit standen noch keine adäquate Therapie gegen akutes Nierenversagen und keine Antihypertensiva, keine Antibiotika und keine Steroide zur Verfügung. Siebzig Jahre später fehlt es an großen Studien, wie und in welcher Form die zur Verfügung stehenden Therapieformen in der Schwangerschaft einzusetzen sind. Daher sind viele der Empfehlungen „Expertenmeinungen”, dennoch hat sich die Betreuung von Patienten mit chronischer Nierenerkrankung während der Schwangerschaft deutlich verbessert. Zusammen mit enormen Forschritten in der Neonatologie, konnte bei Schwangeren mit vorbestehenden schweren Nierenerkrankungen das Überleben der Neugeborenen auf über 90 % gesteigert werden.

Wie Marshall Lindheimer in mehreren publizierten Studien zeigen konnte, ist das Serumkreatinin vor Beginn der Schwangerschaft von entscheidender Bedeutung. Die Entität der Nierenerkrankung spielte eine untergeordnete Rolle. Unabhängig von der arteriellen Hypertonie ist die chronische Nierenerkrankung (CKD) ein wichtiger Risikofaktor für Schwangerschaftskomplikationen. Nach neusten Erhebungen erhöht eine CKD die Komplikationen um den Faktor 8.

Während der Schwangerschaft kommt es zu einer substanziellen Erhöhung des renalen Blutflusses und der glomerulären Filtrationsrate (GFR). Die GFR steigt um bis zu 50 % ab Mitte der Schwangerschaft, um dann bis zum Ende der Schwangerschaft auf diesem Niveau zu bleiben. Diese Hyperfiltration bildet sich zirka 3 Monate nach Beendigung auf die Ausgangswerte vor der Schwangerschaft zurück. Diesen physiologischen Veränderungen liegen eine Erhöhung des extrazellulären Volumens, eine Erhöhung des Herzzeitvolumens und eine Verminderung des renalen Gefäßwiderstands mechanistisch zugrunde.

Die häufigsten Ursachen für CKD bei schwangeren Patientinnen sind diabetische Nephropathie, chronische Glomerulonephritis, Refluxnephropathie, tubulointerstitielle Nierenerkrankungen, systemischer Lupus erythematodes und polyzystische Nierenerkrankungen. Die Häufigkeiten sind in verschiedenen retrospektiven Erhebungen, die zum Teil sehr klein waren und in denen die Diagnose auf administrativen Datenblättern beruhte, sehr variabel und heterogen.

Nur wenige Studien haben untersucht, ob die Äthiologie der Nierenerkrankung das mütterliche und fetale Outcome beeinflusst. Die meisten Studien zeigen jedoch, dass die Ursache der Nierenerkrankung eher eine untergeordnete Rolle spielt. Eine Proteinurie, die größer als 1 g/d ist, hat jedoch eine prognostische Bedeutung. Die schwangerschaftsassoziierte Verminderung der glomerulären Filtrationsrate ist um 50 % erhöht und das ESRD–Stadium („end stage renal disease”) wird um den Faktor 2 häufiger erreicht. Zudem besteht Barcelo et al. zufolge ein inverser Zusammenhang zwischen Geburtsgewicht und Proteinurie.

Die Möglichkeit chronische Nierenerkrankungen mit Dialyse und Nierentransplantation zu behandeln, hat die Schwangerschaft verändert. Ein weiterhin bestehendes Problem ist die geringe Fertilität von Patientinnen an der Dialyse. Lag diese in den 1960er–Jahren noch bei unter 20 %, zeigen neuere Register einen Anstieg auf etwa 50 %. Dennoch ist die Konzeptionshäufikeit unter der Dialyse mit 0,3–1,5 % sehr gering. Die fetale Sterblichkeit und Frühgeburtlichkeit ist unter Dialyse höher als bei anderen Nierenerkrankungen. Die hohe fetale Sterblichkeit (insbesondere am Ende der Schwangerschaft) hat dazu geführt, dass viele geburtshilfliche Zentren von aggressiven Infertilätsmaßnahmen bei Patientinnen mit ESRD abraten und empfehlen, eine mögliche Schwangerschaft auf die Zeit nach einer Nierentransplantation zu verschieben.

Die erste erfolgreiche Schwangerschaft nach einer Nierentransplantation erfolgte 1956 bei einer Patientin, die eine Niere von einem eineiigen Zwilling erhalten hatte. Die ersten Schwangerschaften unter Immunsuppression (1965) ergaben sich ohne dass die behandelten Ärzte davon wussten und wurden zum Teil erst im 7. Monat entdeckt. Heute wissen wir, dass eine immunsuppressive Therapie auch unter einer Schwangerschaft möglich ist. Die meisten Erfahrungen liegen für Azathioprin vor.

Der medizinische Fortschritt in der Geburtshilfe, der Neonatologie und der Nephrologie hat die mütterliche und kindliche Prognose deutlich verbessert, es bleibt aber für beide „Patienten” eine gefährliche Situation, die nur durch eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit bewältigt werden kann. Dies beinhaltet ein ständiges Lernen von und Forschen mit den anderen Fachdisziplinen.

Dr. Ralf Dechend

Berlin

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