Zusammenfassung
Die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit bzw. Krankheit sind
bekannt und gelten als gesichert. Zahlreiche Studien haben bisher gezeigt, dass eine
niedrigere Sozialschicht mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden ist.
Hierfür sind unterschiedliche Ursachen verantwortlich, sie beinhalten ungünstige Lebensumstände,
ungesunde Verhaltensweisen und Risikofaktoren und schließlich schichtspezifische Zugänge
zur medizinischen Versorgung. Die genannten Aspekte stehen in Wechselwirkung, in jedem
Fall finden sie ihren Niederschlag in einer erhöhten Krankheitsprävalenz und geringerer
Lebensqualität bei Personen unterer Sozialschichten. Der vorliegende Beitrag beschäftigt
sich mit der Frage nach dem Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und medizinischer
Rehabilitation, ein Thema, das in der Ungleichheitsforschung nur selten aufgegriffen
wurde. Anhand der Daten von 911 Rehabilitationspatienten wird der Frage nachgegangen,
ob hinsichtlich der Inanspruchnahme der medizinischen Rehabilitation, der rehabilitativen
Versorgung, des Rehabilitationserfolgs und der Zufriedenheit mit der Reha-Maßnahme
schichtspezifische Unterschiede bestehen. Hierfür wurde aus den Merkmalen Schule,
Beruf und Einkommen ein Schichtindex gebildet anhand dessen die Rehabilitanden der
Unter-, Mittel- oder Oberschicht zugeordnet werden können. Die vorliegenden Daten
zeigen, dass sich vorliegende Erkenntnisse der Ungleichheitsforschung auch für den
Bereich der medizinischen Rehabilitation bestätigen lassen. Patienten der Unterschicht
kommen mit schlechterem Gesundheitszustand in die Rehabilitation und verlassen diese
auch mit ungünstigeren Befunden als Patienten höherer Sozialschichten. Hinsichtlich
der tatsächlichen Veränderungen während der Reha-Maßnahme profitieren allerdings die
Patienten der Mittelschicht am wenigsten. Gezielte Patientenvorbereitung und auf spezifische
Lebenslagen ausgerichtete Nachsorgemaßnahmen könnten vermutlich die Nachteile, die
aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialschicht entstehen, abmildern.
Abstract
The association of social inequality and health is well known and well documented.
Numerous studies have shown that a lower socio-economic status is associated with
higher morbidity and mortality. This association is caused by various circumstances
such as unfavourable work and living conditions, unhealthy life styles and risk factors
and, last but not least, the access to medical care depending on socio-economic status.
These aspects are correlated in various ways, at any rate they cause a higher prevalence
of diseases and lower quality of life in persons with lower socio-economic status.
The present article discusses the association between social inequality and medical
rehabilitation, a problem which is rarely investigated in present research on social
inequality and health. In our study, 911 rehabilitation patients were included. Analyses
of socio-economic differences with respect to rehabilitation care address the following
questions: are there differences in access to medical rehabilitation, in rehabilitation
care, with respect to success of rehabilitation and satisfaction with rehabilitation?
To assign patients to a social class − lower, middle and upper class − we constructed
an indicator of social status based on education, occupation and income level. Our
findings in a sample of rehabilitation patients are in line with the results of existing
research on social inequality and health. Patients from the lower social class enter
the rehabilitation care system with a poorer health state and leave it with less favourable
results than patients with higher social status. However, with regard to the effect
of rehabilitation care, middle class patients benefit least. It can be speculated
that systematic information of patients about the aims of the rehabilitation programme
and specific after care focusing on relevant aspects of daily living may reduce the
disadvantages of lower class patients.
Schlüsselwörter
soziale Ungleichheit - subjektive Gesundheit - medizinische Rehabilitation
Key words
social inequality - subjective health - medical rehabilitation
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1 Im vorliegenden Text wurden soweit möglich neutrale Personenbezeichnungen verwendet,
ansonsten wurde jeweils die männliche Form angewandt. Dies erfolgte ausschließlich
zur Verbesserung der Lesbarkeit.
Korrespondenzadresse
Dr. R. Deck
Institut für Sozialmedizin
Universität Lübeck
Beckergrube 43–47
23552 Lübeck
Email: ruth.deck@uk-sh.de