Frauenheilkunde up2date 2009; 3(3): 225-240
DOI: 10.1055/s-0028-1098934
Gynäkologische Spezialgebiete und Methoden

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Unerwarteter Tod im Säuglingsalter – Schicksal oder Misshandlung?

Mod. nach Erstpublikation in Notfallmedizin up2date 2007; 2 : 173”184Holger  Schiffmann
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Publication Date:
29 June 2009 (online)

Kasuistik zum fallorientierten Lernen

Alarmmeldung an die Rettungsleitstelle: „Säugling atmet nicht”. Bei Eintreffen des Notarztes ist das Kind tief zyanotisch ohne Eigenatmung. Das EKG zeigt eine bradykarde Herzaktion mit deformierten Kammerkomplexen. Durch Intubation, Beatmung mit 100 % Sauerstoff und endotrachealer Adrenalingabe stellt sich rasch wieder ein Spontankreislauf ein.

Anamnestisch ist zu erfahren, dass es sich um das erste Kind der Eltern handelt, Schwangerschaft und Geburt seien unauffällig gewesen, ebenso die weitere Entwicklung des Kindes. Seit einigen Tagen habe es Schnupfen und aktuell mehrmals erbrochen. Der Vater habe das Kind von der Großmutter abgeholt. Schon im Auto sei ihm aufgefallen, dass es eigenartig geatmet habe. Zu Hause habe er dann noch versucht, ein Fläschchen zu füttern, daraufhin habe das Kind die Atmung vollständig eingestellt. Er habe unmittelbar den Notarzt angefordert, eine Laienreanimation wurde nicht vorgenommen. Das Kind wird in eine nahegelegene pädiatrische Abteilung verbracht. Es zeigt im weiteren Verlauf keine Spontanmotorik, die ausgeprägte metabolische Azidose ist spontan rückläufig, das Routinelabor ist im Übrigen unauffällig. Das Kind wird zur Abklärung eines Stoffwechseldefektes in ein Zentrum der Maximalversorgung verlegt.

Der Säugling verbleibt tief komatös, die Hirnstammreflexe sind erhalten, das zur weiteren Abklärung durchgeführte kraniale Computertomogramm zeigt ein ausgeprägtes Hirnödem sowie Zeichen einer subduralen Blutung. Das Röntgenbild des Thorax zeigt multiple Rippenfrakturen unterschiedlichen Alters. Bei genauer Inspektion des Kindes finden sich keine äußeren Verletzungszeichen ([Abb. 9]). Am Folgetag wird eine Untersuchung des Augenhintergrundes veranlasst, bei der ausgedehnte retinale Einblutungen dokumentiert werden können. Im weiteren Verlauf wird dann die radiologische Diagnostik vervollständigt, um mögliche weitere Frakturen nachzuweisen. An den Extremitäten sind multiple metaphysäre Absprengungen erkennbar. Das Kind bleibt kardio-pulmonal stabil und kann bei erhaltenen Schutzreflexen rasch extubiert werden. Die neurologische Situation bessert sich allerdings nicht, das Kind verbleibt letztlich in einem vegetativen Zustand. Die bildgebende Diagnostik im Verlauf zeigt die ausgeprägte Hirnschädigung ([Abb. 3] [3 b] [3 c] [3 d] ).

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Abb. 9 Zwei Monate alter Säugling nach schwerem Schütteltrauma ohne äußere Verletzungszeichen.

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Prof. Dr. H. Schiffmann

Zentrum für Neugeborene, Kinder und Jugendliche Klinikum Nürnberg

Breslauerstraße 201

90471 Nürnberg

Email: holger.schiffmann@klinikum-nuernberg.de

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