Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29(5): 234-235
DOI: 10.1055/s-0028-1101531
Praxis
Kasuistik
© Sonntag Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Chronische abdominelle Beschwerden

Eine KasuistikRoman Huber
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Publication Date:
03 November 2008 (online)

Anamnese

Eine 74-jährige Patientin wurde uns im März 2007 von der Ambulanz eines nahe gelegenen Kreiskrankenhauses überwiesen, die sie zur Abklärung chronischer abdomineller Beschwerden aufgesucht hatte. Sie gab an, dass im Anschluss an eine Enteritis (Durchfall nach Genuss von Schwarzwälder Kirschtorte) seit Juli 2006 stechende Schmerzen im rechten Oberbauch aufgetreten seien, die sich im Verlauf der letzten 7 Monate verstärkt hätten. Die Beschwerden treten vermehrt während oder kurz nach den Mahlzeiten auf.

Weiterhin bestehen schon seit Jahren intermittierend breiige Stühle sowie deutlich vermehrte Blähungen. Die Lebensqualität und der Schlaf seien durch die Beschwerden in letzter Zeit deutlich beeinträchtigt. Trotz gutem Appetit sei sie untergewichtig und nehme nicht an Gewicht zu, das Gewicht sei aber in den letzten 2 Jahren konstant. Die Ernährung ist auf Empfehlung von Ärzten fettarm und ballaststoffreich mit viel Gemüse, Salaten und Vollkornprodukten.

Diagnostik und Labor

Die Beschwerden seien durch Gastro- und Koloskopie abgeklärt worden. Diese zeigten, ebenso wie die Abdomensonographie, einen Normalbefund. Im Abdomen-CT fand sich eine kleine Zyste im Pankreaskopf. Pankreasenzyme, Transaminasen, Bilirubin, Nierenwerte, Elektrolyte, Glukose, Gesamteiweiß, Blutbild und Schilddrüsenwerte sowie Pankreaselastase im Stuhl und Transglutaminase-Antikörper waren unauffällig. Anamnestisch und beim H2- Atemtest mit Laktose fand sich kein Hinweis für eine Laktoseintoleranz.

Die bisherige Therapie mit hoch dosierter Gabe von Pankreasenzymen und Perenterol forte (4 × 2/Tag) brachte keinen Benefit. Iberogast, das der überweisende Facharzt verordnet hatte, führte nur zu einer geringfügigen Besserung der Beschwerden.

Schwierig in Diagnose und Therapie: funktionelle Magen-Darm-Beschwerden.

Vorerkrankungen

Zustand nach Nephrektomie rechts vor Jahrzehnten wegen unklarem Nierentumor (kurativ), rezidivierende Harnwegsinfekte.

Untersuchungsbefund Guter Allgemeinzustand und untergewichtiger Ernährungszustand (43 kg bei 163 cm Körpergröße, BMI 16) der etwas ängstlich und deutlich angespannt wirkenden Patientin. Lebhafte Gestik und Mimik, deutlich verminderte muskuläre Entspannungsfähigkeit (untersucht im Sitzen, bei Aufforderung den linken Arm zu entspannen und passiv bewegen zu lassen). Die Akren sind (konstitutionell) kühl, der Puls mit 84/min etwas beschleunigt, RR 130/90 mmHg bei anamnestisch niedrigeren Werten. Abdomen im rechten und mittleren Oberbauch sowie rechten Unterbauch druckschmerzhaft ohne Abwehrspannung oder Resistenzen. Etwas hypersonorer Klopfschall über Magen und Dickdarm bei dünnen Bauchdecken als Hinweis für vermehrte Luft. Therapeutische Überlegungen und Therapieplan Angesichts der differenzialdiagnostischen Abklärung, die auch für seltenere organische Ursachen der chronischen Oberbauchbeschwerden wie Angina abdominalis, Fruktosemalabsorption, Gallengangssteine etc. keinen Hinweis ergab, gingen wir von einer funktionellen Ursache aus. Die Ernährung der Patientin war zwar für ihren übergewichtigen, kardiovaskulär erkrankten Ehemann optimal, für sie selbst wurde sie allerdings hinsichtlich Kalorienversorgung wie auch bezüglich Verträglichkeit (Rohkost führt zu vermehrten Blähungen und Schmerzen) von uns als ungünstig eingeschätzt. Die fehlende Gewichtszunahme trotz gutem Appetit konnten wir der Patientin gut damit erklären, dass sie durch Anspannung und viel Bewegung einen hohen Energieumsatz habe. Der Eindruck einer vermehrten psychovegetativen Anspannung gründete neben der schlechten muskulären Loslassfähigkeit auf dem nervösen, besorgt wirkenden Gesamteindruck der Patientin, was auch dadurch erklärbar war, dass sie trotz Besuchen bei Haus- und Facharzt keine Hilfe gegen ihre Beschwerden erfahren hatte. Kalte Akren, die bei normal- oder übergewichtigen Personen ebenfalls ein sehr guter Indikator für eine vermehrte Sympathikusaktivierung darstellen, dürfen bei untergewichtigen Personen aufgrund der Wärmephysiologie (Wärmeverluste im Verhältnis zur Körperoberfläche erhöht) nicht überbewertet werden. Der stechende, krampfartige Charakter der Beschwerden spricht, wie auch die von der Patientin berichtete Besserung durch eine Wärmflasche, für eine vermehrte glattmuskuläre Kontraktion als Mitursache. Wegen der schlechten Verträglichkeit von Rohkost und den vermehrten Blähungen vermuteten wir zudem eine Sekretionsschwäche der Oberbauchorgane (Magen, Gallenblase, Pankreas). Aus diesen Überlegungen heraus wurden bei der Patientin folgende Maßnahmen durchgeführt bzw. empfohlen: beruhigendes aufklärendes Gespräch über die Zusammenhänge der Entstehung der Beschwerden. Reduktion des Ballaststoffanteils in der Ernährung. Mehrere kleine Mahlzeiten pro Tag, deutliche Steigerung der Fettzufuhr in Form von Sahne, Butter, hochwertigen pflanzlichen Ölen. Mischung aus Tinctura Archangelicae 40.0, Tinctura Valerianae 40.0, Tinctura Belladonnae 20.0 ad 100.0; D.S.: vor und nach dem Essen jeweils 10 Tropfen mit etwas Wasser verdünnt. Epikrise Bei telephonischer Rücksprache 2 Wochen nach der Konsultation berichtete die Patientin über eine rasche Besserung der abdominellen Beschwerden, das Gewicht lag unverändert bei 43 kg. Die Patientin war mit der Entwicklung zufrieden. Bei erneuter telephonischer Rücksprache 6 Wochen nach Konsultation gab die Patientin an, dass nur noch gelegentlich abdominelle Beschwerden auftreten. Sie habe das Gefühl, die Tinktur habe angeschlagen. Gewicht 43,2 kg. Wegen eines Harnwegsinfektes wurde sie vom Hausarzt antibiotisch behandelt. Unterstützend wurde eine Teemischung aus Birkenblättern, Brennnesselblättern und Löwenzahn empfohlen. Drei Monate nach der Konsultation berichtete die Patientin, dass die abdominellen Beschwerden weitgehend verschwunden seien. Auch die Stuhlbeschaffenheit habe sich normalisiert. Die Tinktur soll nur noch bedarfsweise eingenommen werden. Gewicht weiterhin 43 kg. Vier Monate nach der Konsultation stellt sich die Patientin akut vor, da in letzter Zeit ein diffuser Schwindel aufgetreten sei. Der Schwindel konnte durch mehrere Injektionen von Gelsemium D 4 an die positiven Sell’schen Druckpunkte behoben werden. Außerdem berichtete die Patientin, dass nach Genuss eines fettigen Steaks wieder Schmerzen im rechten Oberbauch aufgetreten seien. Die Beschwerden besserten sich erneut nach Einnahme der Tinktur. Auch bei neuerlichen abdominellen Beschwerden 6 Monate nach der Konsultation konnten diese wieder kurzfristig durch Einnahme der Tinkturenmischung behoben werden. Gewicht weiterhin 43 kg.

Dr. Roman Huber

Uni-Zentrum Naturheilkunde Freiburg

Breisacherstr. 115 B

79106 Freiburg

Email: roman.huber@uniklinik-freiburg.de

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