Einführung: Empowerment – ein schillernder Begriff
Einführung: Empowerment – ein schillernder Begriff
„Empowerment” hat in Prävention und Gesundheitsförderung seit der Ottawa-Charta der
WHO von 1986 große Bedeutung. Gleichwohl war das Konzept immer von Skepsis begleitet,
es sei unklar [1]
[2], ein traditionsreiches „buzz word” [3]. Ein erheblicher Anteil der Wirkungsbelege [4]
[5] entstand in sehr armen Regionen oder Ländern, in brüchigen oder autokratischen politisch-administrativen
Systemen oder bei soziokulturellen Minoritäten, wird aber ohne Prüfung der interkulturellen
Übertragbarkeit verallgemeinert. Empowerment zieht auch theoretische Einwände auf
sich: Wer Menschen zur Selbstgestaltung befähigen will, nimmt an, sie bräuchten Expert/-innen
und Interventionen, um ihr Leben angemessen zu bewältigen [6]
[7], sie lebten also in unbewusster Knechtschaft und litten unter eingeschränktem Bewusstsein.
Das Konzept erfreue sich so großer Beliebtheit, weil es – als stets unabgeschlossene
Aufgabe – ganze Berufszweige auf Dauer stelle und dabei gleichermaßen gezielte Veränderung
und soziale Versöhnung verheiße – eine lächelnde Sozialtechnologie [8].
Erst ein klares, empirisch gehaltvolles Konzept kann zuverlässig seine praktische
Nützlichkeit entfalten. Daher ist zu klären, welche Dimensionen und Erhebungsmöglichkeiten
„Empowerment” in Prävention und Gesundheitsförderung aufweist, und welche Folgerungen
sich daraus ergeben.
Methodik
Methodik
Zur Klärung der theoretischen Bedeutungsdimensionen und empirischen Operationalisierungsebenen
von „Empowerment” wurde ein Konzeptueller Review durchgeführt. Diese Methode verschafft
eine Übersicht über heterogene Veröffentlichungsgebiete; sie eignet sich besonders
dafür, unterschiedliche Perspektiven transparent zu machen und zu systematisieren
[9]. Das Vorgehen entspricht einem systematischen Review, die Literaturauswahl ist jedoch
auf exemplarische Beiträge konzentriert, die Auswertung folgt Regeln der qualitativen
Sozialforschung [10]. Die Suche erfolgt stichwortgeleitet über Fachdatenbanken, Schneeball-Tracking und
Expertenbefragung. Die Texte müssen Einschluss- und Ausschlusskriterien genügen. Sie
sollen jedoch nicht den empirischen Forschungsstand (z. B. die Wirksamkeit einer Behandlung)
abbilden, sondern die Begrifflichkeiten und Theorien darüber. Dafür werden vorab die
relevanten Wissensarten oder -felder definiert und aus jedem Bereich mehrere Quellen
einbezogen, möglichst aktuelle Reviews und Überblicksarbeiten, ergänzend hochwertige
Einzelstudien oder Methodenbeiträge. Die Auswertung erfolgt nach der Entdeckenden
Heuristik, einer Methode zum Auffinden von Gemeinsamkeiten [11], z. B. in der Strukturierung des Gegenstands, in Annahmen, Determinanten, Methoden
oder Ergebnissen. Erbringt die Auswertung weiterer Veröffentlichungen mehrmals keine
neuen Aspekte mehr, kann die Liste einbezogener Schriften abgeschlossen werden [11]
[12].
Zu Empowerment in der Krankenversorgung liegt ein Konzeptueller Review über 55 englischsprachige
Studien vor [13]. Er findet keine hinreichenden Grundlagen für eine allgemeine Theorie, jedoch einige
Gemeinsamkeiten in der Verwendung des Konzepts: Empowerment der Patient/-innen beruht
auf Transaktionsprozessen in einer therapeutischen oder pflegerischen Beziehung, die
den Erwerb oder die Kräftigung allgemeiner psychosozialer Fertigkeiten unterstützen.
Methodisch werden dafür überwiegend patientenzentrierte, erlebnisaktivierende Trainings-
und Reflexionsverfahren eingesetzt. Teilkonstrukte und Messverfahren sind heterogen
und nicht auf Empowerment bezogen oder beschränkt.
Dieses Bild soll nun mit einem Konzeptuellen Review für Prävention und Gesundheitsförderung
erweitert und ggf. berichtigt oder präzisiert werden. Dafür wurden Abstracts in gängigen
Datenbanken und Forschungsnetzen recherchiert (Medline, Psyndex, Psyclit, PubMed,
Scirus, ISI). Suchbegriffe waren „empowerment” und „health promotion” in Kombination
mit „concept” oder „theory” (644 Funde) oder mit Synonyma für Operationalisierungen
und Erhebungsinstrumente (264 Funde). Deutsch- und englischsprachige Publikationen
mit Abstract wurden gesichtet. Einschlusskriterien waren konzeptuelle oder theoretische
Überlegungen oder Wirkungsanalysen oder gütegeprüfte Messinstrumente zu Empowerment
oder seinen Teilbedeutungen. Einbezogen waren damit 62 deutsche und englischsprachige
Arbeiten: Reviews, narrative und theoretisch-konzeptuelle Überblicksarbeiten und Konzeptklärungen
sowie grundlegende Einzelstudien zur Entwicklung oder Konstruktvalidierung von Messinstrumenten.
Sie streuen über fünf Arbeitsfelder, die alle mit Gesundheitsförderung und Empowerment
befasst sind ([Tab. 1]):
Tab. 1 Einbezogene Teilfelder und Arbeiten des Konzeptuellen Review.
<TD VALIGN="TOP">
Feld
</TD><TD VALIGN="TOP">
Überblicksarbeit/Konzeptklärung
</TD><TD VALIGN="TOP">
Review
</TD><TD VALIGN="TOP">
Einzelstudie
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Prävention und Gesundheitsförderung
</TD><TD VALIGN="TOP">
[17]
[21]
[23]
[24]
[25]
[26]
[27]
[28]
[29]
[30]
[31]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[4]
[5]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[32]
[33]
[34]
[35]
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Krankenversorgung
</TD><TD VALIGN="TOP">
[2]
[6]
[8]
[36]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
[42]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[13]
[43]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[15]
[44]
[45]
[46]
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Rehabilitation
</TD><TD VALIGN="TOP">
[47]
[48]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[49]
[50]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[51]
[52]
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Versorgungsforschung
</TD><TD VALIGN="TOP">
[3]
[18]
[53]
[54]
[55]
[56]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[57]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[1]
[58]
[59]
[60]
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Pflege und Arbeitsbelastung
</TD><TD VALIGN="TOP">
[61]
[62]
[63]
[64]
[65]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[22]
[66]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[67]
[68]
[69]
[70]
[71]
</TD>
-
Prävention und Gesundheitsförderung, insbesondere Motivation, Auswirkungen und Erfolgsfaktoren
von Präventions- und Gesundheitsförderungs-Projekten.
-
Prävention und Gesundheitsförderung in der Krankenversorgung, z. B. im Rahmen psychotherapeutischer
Behandlung, in der Nachsorge für Operationen, in Chroniker-Programmen.
-
Sekundär- und Tertiärprävention in der Rehabilitation, z. B. Patientenschulungen.
-
Versorgungsforschung über Prävention und Gesundheitsförderung: Zusammenhänge von Empowerment
insbesondere mit Inanspruchnahme, Compliance und sozial bedingter gesundheitlicher
Ungleichheit.
-
Pflege und Arbeitsbelastungen: Die Suchbegriffe ergaben neben „Empowerment” als Befähigung
beruflichen Handelns und erweiterter Belastungsfähigkeit in der Pflege auch einige
Einträge für Empowerment im Arbeitsleben allgemein.
Durch die Streuung der ausgewerteten Texte über diese Arbeitsfelder und Beitragsarten
sind die unterschiedlichen Konzepte von Empowerment systematisch repräsentiert. Aus
den Texten extrahiert wurden zentrale Begriffsdimensionen, Beispiele ihrer Operationalisierung
sowie begrifflich-konzeptuelle Grundlagen von „Empowerment”.
Ergebnis: Bedeutungsfacetten und Erhebungsansätze
Ergebnis: Bedeutungsfacetten und Erhebungsansätze
Acht Teildimensionen
„Empowerment” wurde in acht verschiedenen Bedeutungen verwendet. Diese lassen sich
als gesonderte Dimensionen des Konstrukts betrachten, definieren und empirisch bestimmen:
-
Beteiligung an Entscheidungen: Hierunter fielen verschiedene Formen von therapeutischer,
organisationaler, gesellschaftlicher oder politischer Teilhabe an Willensbildungs-
und Entscheidungsprozessen: Die Mitgliedschaft in Organisationen oder Gremien, die
Eingebundenheit von Personen in soziale Netze und Aktivitäten ihrer Gemeinde oder
ihres Wohnviertels sowie Formen von Beteiligung an der Behandlungsgestaltung in der
medizinischen Versorgung (shared decision making).
-
Selbstwirksamkeitserwartung: Diese Dimension umfasste individuelle, kollektive und
politische Wahrnehmung eigenen Einflusses und ein allgemeines oder bereichsspezifisches
Kohärenzerleben (nach Antonovsky).
-
Soziale Unterstützung und soziales Kapital: Hierunter fielen verschiedene Formen erlebter
Hilfe und Ermutigung durch das Nahfeld, Identifikation mit einer Gruppe oder Organisation,
Bindungsdichte und -stärke, Vertrauen in Bezugsgruppen oder Gemeinde, erlebte Gegenseitigkeit
oder Solidarität in Netzwerken.
-
Kompetenzen: Die Veröffentlichungen benannten und erhoben eine Fülle von personalen
Befähigungen und Fertigkeiten. Dazu gehörten kulturelle Techniken (Informationsweitergabe
und -beschaffung), soziale Fertigkeiten (Bündnisse bilden, Zielgruppen überzeugen),
Wissen und Fähigkeiten zur gesundheitsgerechten Alltagsgestaltung sowie Selbstbildung
oder selbstgesteuertes Lernen.
-
Inanspruchnahmeverhalten: Diese Dimension beschreibt, ob Personen in der Lage sind,
sich im Gesundheitswesen zurecht zu finden und die bestmögliche Versorgung für ihre
Bedürfnisse zu finden und zu nutzen. Das hängt nicht allein von Kenntnissen und Fertigkeiten
ab, sondern auch von komplexen Kognitionen (Gesundheitsbewusstsein, subjektive Gesundheitstheorien),
Emotionen und Motivationen (Furcht vor Institutionen, vor Krankheiten, Verantwortungsgefühl
für Familie und eigenes Leben).
-
Zielsetzung und -verfolgung: Hierunter fassten die Studien die Motivation und Fähigkeit,
selbst Ziele zu bestimmen, Präferenzen zu bilden, Ziele stabil zu halten und in Handlungspläne
und schließlich Verhalten umzusetzen. Überwiegend bezog sich dies auf Individualverhalten,
vereinzelt auf Gruppen (z. B. Haushaltsführung in einer Familie).
-
Reflexionsvermögen: Diese Dimension bezeichnet die Leistung, über das eigene Leben
und Verhalten sowie seine Determinanten nachzudenken und durch Begriffe oder Reframing
kognitiven Abstand zu ihnen zu gewinnen. Einige Studien bezogen diesen Abstand auf
die Gesellschaftsordnung: kritisches Denkvermögen, ein Bewusstsein gesellschaftlicher
Verhältnisse, kritisches Bewusstsein und Distanz zur Gesellschaft.
-
Innovation: Viele Studien beschrieben Empowerment als Veränderungsmotivation unter
Unklarheit (Risikobereitschaft) oder als Offenheit für das Experimentieren mit dem
eigenen Verhalten und Umfeld.
Ein komplexes Konstrukt wie Empowerment kann distinkte Dimensionen umfassen, wie etwa
Gesundheitsbezogene Lebensqualität die somatische, psychische, konative, sozioökonomische
u. a. Dimensionen mit entsprechenden Subskalen einbezieht [14]. Um ein Konstrukt beizubehalten, sind jedoch empirische und ätiologische Belege
des Zusammenhangs aller Teildimensionen zu fordern; diese stehen für Empowerment aus,
die Studien verwenden die angeführten Dimensionen zudem eklektisch.
Mikro-, Meso- und Makroebene
Die Teildimensionen wurden auf unterschiedlichen Ebenen gemessen: Empowerment als
Prozess und Ergebnis kann sich auf Individuen, Gruppen (z. B. sozial Benachteiligte),
Teilgruppen einer Population (nach Alter oder Gender), Gemeinden oder Wohnviertel,
Organisationen und schließlich Großgruppen (etwa Minoritäten) oder ganze Gesellschaften
beziehen.
Zur Messung dienten überwiegend Individualinstrumente (Fragebögen für Einzelpersonen),
deren Befunde in Mittelwerten zusammengefasst wurden. Bei größeren Gruppen oder Feldern
mit unklaren Grenzen (z. B. Wohnvierteln) kamen auch Expertenbefragungen zum Einsatz,
sowohl mit quantitativ-formalisierten Instrumenten als auch mit qualitativ ermittelten
Einschätzungen. Daneben wurden Proxy-Indikatoren herangezogen, aus deren allgemeiner
Entwicklung Rückschlüsse über gesundheitsbezogenes Empowerment möglich sei (z. B.
Wahlbeteiligung).
Auf allen drei Ebenen wurde diskutiert, ob Empowerment als Prozess oder – wenigstens
zeitweise stabile – Kompetenz, als strategischer Zwischenschritt, als konfundierende
Variable oder als Interventionsziel zu betrachten sei [3]; diese Mehrdeutigkeit könne durch klare Forschungspläne und multivariate Auswertungen
behoben werden.
Drei Begriffsverständnisse
Die Sichtung von Operationalisierungen für Empowerment zeigte drei unterschiedliche
Grundauffassungen des Konzepts: Eine klinisch orientierte, eine auf organisationale
und professionelle Handlungsbedingungen gerichtete und eine politische. Sie bestimmten
neben Inhalt und Erhebungsebene der verwendeten Indikatoren auch das Verständnis von
Selbstwirksamkeit sowie die untersuchten Hürden und Förderfaktoren ([Tab. 2]).
Tab. 2 Drei Grundverständnisse von Empowerment.
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Klinische Sichtweise
</TD><TD VALIGN="TOP">
Organisational-professionelle Sichtweise
</TD><TD VALIGN="TOP">
Politische Sichtweise
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Indikatoren
</TD><TD VALIGN="TOP">
krankheitsbezogen: gesundheitsbezogene Lebensqualität, spezifische Belastungsindikatoren
(Beschwerden, BMI), Bewältigungsstile (Coping)
</TD><TD VALIGN="TOP">
Vertrauen, Gruppenkohärenz, professionelle Fachkompetenzen
</TD><TD VALIGN="TOP">
Capacity (Proxy- oder Einschätzungsvariablen kollektiver Handlungsfähigkeit), Verfügbarkeit
politischer Interessenvertretung, politische Partizipation
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Selbstwirksamkeit
</TD><TD VALIGN="TOP">
individuell: subjektive Selbstmanagement-Kompetenzen, gesundheitsbezogene Kontrollüberzeugungen
</TD><TD VALIGN="TOP">
individuell: subjektive Leistungsfähigkeit, Fachkompetenzen, Aufgabenerfüllung
</TD><TD VALIGN="TOP">
individuell: Wahrgenommene Machtgefälle; kollektiv: erwartete Wirksamkeit gemeinsamen
Handelns
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Förderfaktoren
</TD><TD VALIGN="TOP">
Zeit (für Gespräche und Interventionen), gezieltes Training, tragfähige therapeutische
Beziehung
</TD><TD VALIGN="TOP">
Unterstützung durch Führung, partizipativer Führungsstil, mitarbeiterorientiertes,
unterstützendes Klima, Informationszugang/Transparenz
</TD><TD VALIGN="TOP">
Meinungsführer der Partizipation, Medienunterstützung, finanzielle Ressourcen
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Hürden/Einschränkungen
</TD><TD VALIGN="TOP">
Wissensmängel, geringe Compliance
</TD><TD VALIGN="TOP">
Hierarchie, Effizienzmängel, Zynismus/innere Kündigung
</TD><TD VALIGN="TOP">
Anomie, politischer und soziokultureller Ausschluss
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Beispiele
</TD><TD VALIGN="TOP">
[15]
[42]
[43]
[44]
[70]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[16]
[68]
</TD><TD VALIGN="TOP">
[5]
[21]
[25]
[32]
[72]
</TD>
Alle drei Auffassungen lassen sich sinnvoll auf Angebote und Aktivitäten der Prävention
und Gesundheitsförderung anwenden. Sie führen jedoch zu unterschiedlichen Betrachtungsebenen,
Schwerpunktsetzungen in den erhobenen Teildimensionen, Operationalisierungen und Datenerhebungsverfahren.
Das verdeutlichen drei idealtypische Beispiele:
(1) Klinische Sicht: Die Empowerment-Skala für Diabetes-Patientinnen und -Patienten[15] umfasst:
-
Selbstmanagement der psychosozialen Belastungen und Beziehungen: Fähigkeiten zur Sicherung
sozialer Unterstützung, Stressmanagement, Selbstmotivation und Entscheidungsfindung.
-
Veränderungsmotivation: Fähigkeiten zur Benennung von Belastungsquellen in der Behandlung
und zur Umstellung der krankheitsbezogenen Lebensgestaltung.
-
Zielsetzung und -erreichung: Fähigkeiten zur Bestimmung realistischer Ziele und zu
ihrer Verfolgung und Erreichung auch bei Widerständen und Hürden.
(2) Organisational-professionelle Sicht: Die Skala Empowerment-förderlicher Sprechhandlungen
[16] beschreibt Fertigkeiten partizipativer Gesprächsführung, mit denen Behandlungs-
und Pflegepersonal Ressourcen und Selbstwirksamkeit von Patientinnen und Patienten
verbessern und damit eigene Fachkompetenzen ausschöpfen können. Zu solchen Fertigkeiten
gehören u. a. der Aufbau gemeinsamer Erfolgserwartungen an ein Gespräch, das Herstellen
einer vertrauensvollen und veränderungsorientierten Atmosphäre, individuell zugeschnittene
Information und Beratung, Reflexionsermutigung und -hilfen, Selbsteröffnung sowie
Anerkennung und Ermutigung der Fähigkeiten und Stärken der Patientinnen und Patienten.
– Auch wenn bei dieser Operationalisierung das Empowerment von Klienten ein Ziel sein
mag, liegt der Fokus auf den Kompetenzen bestimmter Rolleninhaber, die gezielt zur
Prävention und Gesundheitsförderung Dritter befähigt werden sollen. Damit treten die
Determinanten der Rollen (Profession, Organisation) in den Blick.
(3) Politische Sicht: Ein Projekt zur Erhebung von Empower-ment bei Nutzerinnen und
Nutzern gesundheitlicher Versorgungsangebote [17] nennt als Indikatoren u. a.: subjektive und objektive Beteiligung an politischen
Entscheidungen, Zugang zu Informationen und Hilfsquellen, individuelle Belastbarkeit
in Konflikten und Durchsetzungsvermögen, kritisches Reflexionsvermögen, insbesondere
hinsichtlich der eigenen Identität und Kompetenzen, politischer Kontrolloptimismus,
Gruppenkohäsion, soziale Unterstützung, Veränderungen im eigenen Leben, in der Fremdwahrnehmung
durch andere und in der Gemeinde, sowie öffentliche Artikulation eigener Anliegen
und Interessen.
Diskussion und Fazit: Einigkeit dank Wolkigkeit?
Diskussion und Fazit: Einigkeit dank Wolkigkeit?
Die hier dargestellte Bestandsaufnahme weist Grenzen im Hinblick auf Eingrenzung,
Reichweite und narrative Auswertung der einbezogenen Literatur auf: Der Suchbegriff
„health promotion” erbrachte Literatur über unterschiedliche Versorgungszweige, doch
erfolgte für kein Teilfeld eine vollständige Recherche, und die qualitative Verdichtung
war zu ungenau für eine Synopse aller verwendeten Operationalisierungen und ungeeignet
zur Abschätzung von Effekten.
Dennoch zeigten die berichteten Ergebnisse – in Übereinstimmung mit aktuellen internationalen
Überblicksarbeiten [5]
[13]
[18] – eine extreme Heterogenität der unter dem Konzept des Empowerment betriebenen Forschungen
und Anwendungen. Der Begriff hat im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung
(wenigstens) acht unterschiedliche Teildimensionen, die auf drei Ebenen – Mikro-,
Meso- und Makrosystem – erhoben werden können. Das Konzept ist in drei divergierende
Grundverständnisse eingebunden, Messungen streuen über eine Fülle unterschiedlicher
Operationalisierungen. Dieses Gesamtbild hätte bei umfassenderer Recherche und genauerer
Auswertung Bestand; allenfalls wäre mit noch mehr Teildimensionen und Instrumenten
zu rechnen.
Wirkungsbelege müssen unter diesen Bedingungen mit großer Vorsicht gelesen werden.
Einige Reviews fassen alle Studien über „Empowerment” zusammen, gleich, auf welcher
Ebene, mit welchem Verständnis und welchen Erhebungsinstrumenten sie arbeiteten [5]. Reviews über die Effekte von Interventionen sollten die untersuchten Interventionen
und Konstrukte jedoch eingrenzen [19], sonst bleiben deren Übertragbarkeit bzw. Geltungsbereich ungesichert. Bei Empowerment
treten weitere zwingende Gründe für eine Präzisierung hinzu: Erstens kann Empowerment
zugleich Behandlungsergebnis (Outcome) und -voraussetzung (Throughput oder Confounder)
oder Zwischenstufe (Korrelat oder Output) einer Intervention sein [3]. Zweitens sind Befunde nicht unbesehen zwischen Mikro- und Makroebene übertragbar.
So greift individuelle gesellschaftlich-politische Teilhabe nur unter bestimmten Moderatorbedingungen,
darunter hohe Kontrollüberzeugung und körperlich aktiver Lebensstil, auf (subjektive)
Gesundheit zu [20]. Drittens bilden die Messinstrumente teils indikationsspezifische, teils übergreifende
Einstellungen, Motivationen, Kompetenzen und Verhalten ab.
Wie ist mit dem Konzept nun umzugehen? Zur Einordnung und besseren Nutzung der Belege
wären Präzisierungen in der Forschung wünschenswert:
-
Der theoretische Rahmen sollte benannt werden, um Befunde sicher vergleichen zu können
[21]. Die hier beschriebenen Grundverständnisse, Teildimensionen und Erhebungsebenen
bieten dafür eine Taxonomie.
-
Klinisches, organisational-professionelles und politisches Grundverständnis von Empowerment
sollten je für sich weiterentwickelt werden. Dafür sprechen einerseits ihre verschiedenen
Blickwinkel und Begriffsverständnisse und – damit verbunden – ihre teilweise unterschiedlichen
Gegenstandsbereiche, andererseits forschungspragmatische Gründe: Alle drei Blickwinkel
sind kaum in einer Studie zu erfassen, da die Länge der Fragebögen oder Interviewleitfäden
bildungsferne, also gesundheitlich besonders belastete Gruppen abschrecken würde und
das Risiko hoher Selbstselektion in den Stichproben mit sich brächte. Qualitative
Designs könnten zwar das jeweilige Grundverständnis erfassen und dabei Verständigungshürden
mindern, brächten aber Probleme externer Validität und Vergleichbarkeit mit sich,
sind ebenfalls für Selbstselektion anfällig (aufgrund sprachlicher Kompetenzen der
Befragten oder ihrer Vertrautheit mit einem präventiven Projekt) und für breite Datenerhebung
zu aufwendig.
-
Möglichst viele der acht Teildimensionen sollten erhoben werden, um Zusammenhänge
und Entwicklungen hinter punktuellen Einstellungs- und Verhaltensaspekten zu verstehen
[13]
[22].
Für die Versorgungspraxis ist ermutigend, dass Empowerment in acht verschiedenen Teildimensionen
vorangebracht werden kann, sodass der jeweilige Ansatzpunkt nach den Bedingungen vor
Ort gewählt und auch gewechselt werden kann, und dass schon einfache Techniken der
Gesprächsführung dafür hilfreich und wirksam sind.