Dialyse aktuell 2008; 12(7): 397
DOI: 10.1055/s-0028-1103035
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gute Pflege wollen alle, aber wer soll's zahlen?

Stephanie Schikora
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Publication Date:
04 November 2008 (online)

„Mehr als 50 000 Pflegestellen sind in den vergangenen Jahren gestrichen worden” – mit diesen Worten zitiert die Ärzte Zeitung vom 12. September die Präsidentin des Deutschen Pflegerates (DPR), Marie–Luise Müller. Vor gut 10 Jahren habe eine Krankenschwester im Schnitt 6 Patienten versorgt, heute seien es 12! Stress und Anspannung stehen damit auf den Stationen an der Tagesordnung. Handlungsbedarf sieht inzwischen auch das Gesundheitsministerium: Ulla Schmidt will 21 000 zusätzliche Pflegestellen schaffen, um die Personalsituation in den Krankenhäusern zu entspannen. Die Kosten für dieses Programm schätzt Ulla Schmidt auf rund 700 Millionen Euro, die nach ihrer Vorstellung die Kassen übernehmen sollen. Diese haben aber schon abgewinkt, nichts fürchten die Vorstände derzeit mehr als neue Kosten. „Wir wollen gute Pflege haben, haben aber auch die Pflicht, unsere Versicherten nicht übermäßig zu belasten”, sagte Doris Pfeifer, die derzeitige Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, gegenüber der Ärzte Zeitung. Sie sieht in diesem Fall vielmehr die Krankenhäuser in der Pflicht, die diese Kosten über die bestehende Krankenhausvergütung in Form der Fallpauschalen (DRGs, „diagnostic related groups”) auffangen sollen.

Momentan scheint hier eine Pattsituation zu bestehen: Eine bessere Pflege – und auch noch besser qualifizierte Pflegekräfte, die unter Umständen die Ärzte mehr entlasten sollen –, das wünschen sich viele. Wenn es aber um die Finanzierung geht, werden alle ganz leise und der „schwarze Peter” fliegt munter hin und her. Bleibt die Situation aber wie gehabt, könnte dies fatale Folgen haben. Schon jetzt erleiden immer mehr Pflegekräfte ein Burn–out–Syndrom (von Einzelfällen kann man heute kaum mehr sprechen). Doch Stress, Hektik und Zeitmangel können noch mehr auslösen – nämlich Frustration, Anspannung und Aggressionen. Dies kann in eine Vernachlässigung einzelner Patienten, bis hin zur physischen und psychischen Gewalt gegen die „Schutzbefohlenen” münden.

Stefanie Schlieben hat solche Mechanismen, ihre Ursachen und Folgen in ihrem Beitrag „Gewalt in der Pflege” analysiert und aufgearbeitet. Ihr geht es dabei aber nicht um eine Schuldzuweisung, denn Gewaltsituationen können in der Regel nicht Pflegenden oder Patienten allein angelastet werden. Schlieben will vielmehr Handlungsalternativen entwickeln und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Sie fordert zum Beispiel Studien, die sich mit dem Phänomen „Gewalt in der Pflege” beschäftigen – nicht nur in Altenheimen und allgemeinen Stationen, sondern auch in Spezialabteilungen wie der Nephrologie bzw. der Dialyse. Denn auch hier sind viele Patienten vergleichsweise alt und multimorbide und zählen damit zu der am meisten gefährdeten Klientel.

Fälle, bei denen Pflegekräfte ältere oder schwer kranke Menschen sogar ermordet haben, sind glücklicherweise die Ausnahme, schlagen aber verständlicherweise hohe Wellen. Andere, weniger aufsehenerregende Fälle dagegen werden ”unter den Teppich gekehrt„. Eine solche Tabuisierung jedoch ist keine Lösung. Man muss hinsehen und auf entsprechende Vorfälle aufmerksam machen – sowohl in der eigenen Abteilung als auch wenn Patienten aus anderen Bereichen, beispielsweise aus Altenheimen, zur Dialyse gebracht werden, die sich auffällig verhalten.

Wichtig ist auch Strukturen zu schaffen, in denen gewaltbereites Handeln erst gar nicht entsteht. Das fängt bei einem positiven Arbeitsklima sowie einer entsprechenden Gestaltung des Dienstplans an, um so eine übermäßige psychische und physische Belastung der Pflegekräfte zu verhindern, und endet in effektiven Schulungs– und Weiterbildungsmaßnahmen, in denen Pflegende ihre Konfliktfähigkeit und ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion trainieren und parallel die Belange ihrer Schutzbefohlenen besser zu lesen lernen.

Stephanie Schikora

Stuttgart

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