Einleitung
Programmplanung in der Gesundheitsförderung
Gesundheitförderung wird häufig durch die Regierung, Gesundheitsbehörden, Krankenkassen
oder den öffentlichen Gesundheitsdienst geplant und gesteuert. Diejenigen, die in
der Gesundheitsförderung arbeiten, z. B. Projektleiter/innen[1], sind oft im öffentlichen Gesundheitsdienst angestellt und haben die Aufgabe, für
die Bereitstellung und Weiterleitung von Informationen, Mitteln und Dienstleistungen
an einzelne Personen, Gruppen oder Gemeinden zu sorgen. Die Informationen bzw. Maßnahmen
richten sich dabei an verschiedene Zielgruppen (zum Beispiel Jugendliche, schwangere
Frauen, übergewichtige Männer mittleren Alters), um ihre Gesundheit zu fördern und
ihre Lebensqualität zu verbessern. In der Praxis wird Gesundheitsförderung meistens
durch eine Kombination von verschiedenen Aktivitäten im Rahmen eines Projekts, einer
Intervention oder Programms durchgeführt; man kann von Programmplanung in der Gesundheitsförderung
sprechen. Die Programmplanung liegt in der Regel beim Programmleiter und beeinhaltet
Phasen der Forschung und Bedarfsermittlung, Konzipierung, Implementierung, Aufrechterhaltung
und Evaluation.
Gesundheitsförderungsprogramme werden meist professionell geplant und geleitet. Die
Programmleiter oder ihre Auftraggeber bestimmen die Gestaltung, die Art der Implementierung
und der Evaluation des Programms. Dies beinhaltet auch die Auswahl von Zielgruppen,
von Strategien, mit denen sie erreicht werden sollen, und die Allokation von Ressourcen.
Die Initiierung des Programms und das Engagement bei der Umsetzung hängen ebenso vom
Programmleiter ab. Er befindet sich somit in einer relativ einflussreichen Position
gegenüber den Personen, für die das Programm entwickelt wurde [1].
Eine der grundlegenden Fragen bei der Programmplanung ist, durch welche Vorgehensweise
die gesundheitlichen Anliegen angegangen werden sollen. Dies kann auf zwei verschiedenen
Wegen geschehen: über „Top-down”- oder „Bottom-up”-Ansätze. Der „Top-down”-Ansatz
beschreibt Programme, bei denen das Ziel der Maßnahme durch vorgesetzte Strukturen
bzw. Autoritäten definiert wird (top), z. B. die Steigerung von körperlicher Aktivität, und an die Zielgruppe, z. B. eine
Gemeinde[2], weitergeleitet wird (down). Der „Bottom-up”-Ansatz meint genau das Gegenteil – die Gemeinde oder eine bestimmte
Gruppe identifiziert ihre Probleme selbst und teilt diese dann den Entscheidungsträgern,
z. B. der jeweils zuständigen Behörde, mit, z. B. asoziales Verhalten von Jugendlichen
in örtlichen Parkanlagen. Diese zwei Ausdrücke („Top-down”- und „Bottom-up”-Ansatz)
unterstreichen sehr gut die Machtverhältnisse, die in Gesundheitsförderungsprogrammen
existieren. Zu den „Top-down”-orientierten Programmen gehören fast alle Maßnahmen
der Gesundheitsaufklärung und -erziehung sowie Interventionen, die auf den individuellen
Lebensstil und gesundheitsbezogenes Verhalten abzielen. „Top-down”-Ansätze sind die
bei weitem vorherrschende Vorgehensweise bei Gesundheitsförderungsprogrammen. „Bottom-up”-orientierte
Programme sind seltener; gelegentlich stellen sie ein eigenes Unterprojekt im Rahmen
von umfassenden „Top-down”-orientierten Programmen dar [2].
Empowerment in der Gemeinde
Gemeindebezogenes Empowerment kann als ein Prozess angesehen werden, der es Menschen
ermöglicht, mehr Kontrolle über wichtige Themen zu gewinnen, die ihr Leben und ihre
Gesundheit beinflussen. Das beinhaltet auch, dass Gruppen oder Gemeinden nach und
nach organisiert und mobilisiert werden, um selbst politisch und sozial aktiv zu werden
[3]. Der Empowerment-Ansatz ist mittlerweile zu einer recht weit verbreiteten Strategie
in der Gesundheitsförderung geworden, indem – zumindest in der Theorie – vor der Umsetzung
eines Programmes die Anliegen, die den Zielpersonen wichtig sind, durch Diskussionen,
Bedürfniserhebungen etc. identifiziert und dann gezielt durch das Programm thematisiert
werden. Wie bereits erwähnt kann das, was in der Praxis der Gesundheitsförderung geschieht,
erheblich von dieser Theorie abweichen, was wiederum zu Spannungen führen kann, die
letztendlich auf eine ungleiche bzw. paternalistische Beziehung zwischen dem Programmleiter
und den Personen aus der Zielgruppe hinauslaufen.
Derartige Spannungen zeigen sich bei vielen gesundheitsförderlichen Programmen, sowohl
bei „Top-down”- als auch bei „Bottom-up”-Vorgehensweisen. Im einen Fall nutzt der
Programmleiter seine dominante Stellung, um einen vorher definierten Programmablauf
bei der Zielgruppe durchzusetzen im Sinne einer „vertikalen” Programmgestaltung. Im
anderen Fall versucht eine Gruppe oder Gemeinde, ihre aktuellen Anliegen auf die Tagesordnung
zu setzen, die von denen, die der Programmleiter als wichtig identifiziert hat, durchaus
erheblich abweichen können.
Sowohl ein externer Programmleiter als auch die Zielgruppe oder Gemeinde haben bestimmte
Anliegen oder Bedürfnisse, die sie in einem gesundheitsförderlichen Programm gerne
aufgreifen würden. Die Prioritäten der Programmleiter leiten sich normalerweise aus
epidemiologischen Daten ab, zum Beispiel die Häufigkeit von Übergewicht bei Schulkindern.
Die Prioritäten der Gemeinde leiten sich hingegen typischerweise ab aus:
-
unmittelbaren Bedürfnissen, z. B. die Bereitstellung von Kinderbetreuungsplätzen,
und/oder
-
Problemen, die bereits länger existieren, z. B. Verärgerung und Verunsicherung von
Innenstadt-Bewohnern über kaputte Straßenbeleuchtung oder unzureichende Präsenz der
Polizei in der Gegend.
Manchmal sind die Anliegen des Programmleiters und die der Zielgruppe oder Gemeinde
ähnlich und können bei der Ausrichtung des Programms in Einklang gebracht werden.
Häufiger sind die Prioritäten des Programmleiters und die der Zielgruppe aber grundlegend
verschieden, und es muss ein Kompromiss gefunden werden. Diese Situation führt normalerweise
dazu, dass die Bedürfnisse der Gemeinde im Design eines „Top-down”-Programms nicht
berücksichtigt werden. Die Herausforderung für die Programmplanung ist es, den Ansatz
des Empowerment einer Gruppe oder Gemeinde erfolgreich in die vorherrschende „Top-down”-Orientierung
von Gesundheitsförderung zu integrieren.
Der Ansatz des „parallel tracking”
Um die epidemiologisch gestützten Vorgaben „von oben” und die aktuellen Bedürfnisse
„von unten” zu harmonisieren, ist es hilfreich, „Top-down”- und „Bottom-up”-Ansätze
nicht als eine einander ausschließende Dichotomie zu sehen, sondern vielmehr die Möglichkeit
eines parallelen Prozesses beider Vorgehensweisen innerhalb eines Programmes zu erwägen.
Die Integrierung von Methoden zum Gemeinde-Empowerment kann als Vorgehen gesehen werden,
das begleitend zur hauptsächlichen, „Top-down”-orientierten Programmumsetzung implementiert
wird (sog. „parallel-tracking”, Verfolgen paralleler Pfade, s. [Abb. 1]). Die Konflikte, die sich naturgemäß zwischen den beiden Arten der Programmgestaltung
ergeben, entstehen schrittweise und können so wesentlich besser gelöst werden. In
der Praxis erlaubt dieses Vorgehen eine systematische Integration von beiden Stilen
der Programmplanung. Das Hauptziel des Gesundheitsprogramms bleibt unverändert, mit
einem Fokus auf klassischen „Top-down”-Themen wie z. B. der Reduktion von Krankheitshäufigkeiten.
Das gewährleistet, dass die generelle Ausrichtung des Programms mit den Erwartungen
der Regierung bzw. der Gesundheitsbehörden übereinstimmt und deswegen auf dieser Ebene
eine bessere Akzeptanz findet. Gleichzeitig wird dem Empowerment der Gemeinde aber
eine feste, klar umrissene Rolle in dem Programm zugestanden. Wo Empowerment-orientierte
Ansätze bereits als Programmbestandteil zum Einsatz kommen, können sie durch „parallel-tracking”
systematisch verstärkt und ausgebaut werden. Wo sie noch nicht im Programmdesign existieren,
kann die Struktur des „parallel-tracking” den Programmleiter darauf aufmerksam machen,
an welcher Stelle des Ablaufes sie mit zu berücksichtigen sind [2].
Abb. 1 „Parallel-Tracking”: Berücksichtigung von Empowerment in klassischen „Top-down” Programmen
für chronische Krankheiten.
Im Folgenden wird eine stilisierte Fallstudie vorgestellt, die darlegt, wie „parallel-tracking”
benutzt werden kann, um Empowerment-Ansätze in jede Phase eines beispielhaften Programms
zu integrieren, das auf Menschen mit metabolischem Syndrom zugeschnitten ist.
Die Einbindung von Empowerment-Ansätzen in Programme zur Prävention von chronischen
Krankheiten
Programme zur Prävention von chronischen Krankheiten
Programme zur Prävention von chronischen Krankheiten sollen typischerweise eine Veränderung
des Lebenstils und des Verhaltens herbeiführen und konzentrieren sich zum Beispiel
auf Herz-und Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2, Übergewicht oder Tabakkonsum.
Hier wird das Beispiel des metabolischen Syndroms gewählt. Das metabolische Syndrom
besteht aus mehreren, gleichzeitig existierenden Stoffwechselstörungen einschließliche
Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ 2 und Hypercholesterinämie. Es betrifft
mindestens jeden fünften Übergewichtigen und ist mit erhöhter Morbidität und Mortalität
durch Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen assoziiert.
Gesundheitsförderungsprogramme in diesem Kontext zielen darauf ab, Menschen mit einem
erhöhten Risiko für das metabolische Syndrom dabei zu unterstützen, ihren Lebensstil
und ihr Verhalten in Bezug auf Ernährungsgewohnheiten und körperliche Betätigung zu
ändern. Übergewicht ist auch für Deutschland ein relevantes Public Health-Thema: Die
aktuelle Nationale Verzehrsstudie zeigt, dass in Deutschland 66% der Männer und 50,6%
der Frauen übergewichtig oder adipös sind (BMI >=25 kg/m2) [4].
Die Planungsphase des Programms
Kernfrage: Wer verfügt über die Mittel und entscheidet über die Implementierung und
Leitung des Programms?
In der Planungsphase wird die Machtbeziehung zwischen dem Programmleiter bzw. seinem
Auftraggeber und den vorgesehenen Nutznießern des Programms festgelegt. „Top-down”-Programme
sind typischerweise geprägt von hierarchischen Strukturen, wobei der Programmleiter
in der Regel über die finanziellen Mittel und andere Ressourcen des Programms verfügen
kann.
Der Ansatz des „parallel-tracking” verschiebt die Machtverhältnisse, da der Programmleiter
sich in einer Konstellation wiederfindet, in der Verfügungsgewalt und Kontrolle von
allen geteilt werden. Die Rolle des Programmleiters ist es nun auch, die Zielgruppe
bzw. Gemeinde dabei zu unterstützen, Einfluss zu nehmen und Determinanten, die ihr
Leben und ihre Gesundheit bestimmen, selbst zu beeinflussen. In der Planungsphase
des Programms nimmt der Programmleiter zwei wesentliche Aufgaben zur Förderung des
Empowerments wahr:
-
Der Programmleiter unterstützt die Gemeinde- bzw. Gruppenmitglieder dabei, sich aktiv
einzubringen und im Laufe des Programms ihre Probleme durch eigene Aktivitäten zu
lösen.
-
Der Programmleiter hilft Gemeindemitgliedern dabei, diejenigen Themen und Bedürfnisse
zu identifizieren, die besonders relevant sind und die durch das Programm berücksichtigt
werden sollten, und diese in eine Reihenfolge zu bringen. Eine einfache standardisierte
Umfrage oder Beratung durch einzelne Gemeindemitglieder oder Interessengruppen reicht
dazu in der Regel nicht aus.
Das Ziel dabei ist, aktiv mit der Gemeinde oder ihren Vertretern in Kontakt zu treten
und ihnen eine Stimme zu verleihen, so dass sie ihre Sorgen und Bedürfnisse selbst
ausdrücken können. Das kann auf einer allgemeinen Basis geschehen (z. B. „Was sind
Ihre Anliegen im Bezug auf Gesundheit?”), oder spezifisch auf das Programm bezogen
sein (z. B. „Was sind Ihre Anliegen im Bezug auf Herzkrankheiten?”). Bezogen auf das
Beispiel von chronischen Erkrankungen bzw. dem metabolischen Syndrom können die Anliegen
der Gemeinde z. B. beeinhalten:
-
Bessere Sportanlagen, die gut zugänglich und finanziell erschwinglich sind und so
ausgebaut, dass körperliche Bewegung attraktiv wird
-
Spezielle Wander- oder Lauf-Gruppen für ältere Menschen, auch als Mittel, um soziale
Kontakte zu knüpfen
-
Mehr Information über Diabetes mellitus, die über verschiedene Kommunikationskanäle
der Gemeinde verfügbar sind
Auf dem „Präventionspfad” wird parallel dazu festgelegt, welche Präventions-Ziele
das Programm erreichen soll. In Bezug auf das metabolische Syndrom würden diese Ziele
z. B. beeinhalten:
-
Reduzierung von Übergewicht, gemessen durch den Body Mass Index
-
Verringerung von Bluthochdruck
-
Verringerung von Fettstoffwechselstörungen (Hypercholesterinämie)
Der entscheidende Punkt bei der Programmplanung ist nun, wie der „Präventionspfad”
(festgelegt durch die Autorität von außen) während der verschiedenen Schritte des
Programms mit dem Empowermentpfad (bestimmt durch die Gemeinde) verknüpft werden kann.
Ziel des Programms muss es sein, die Präventionsziele zu erreichen und gleichzeitig
Empowerment auf Gemeindeebene aufzubauen. Wie die finanziellen, materiellen, personellen
und intellektuellen Ressourcen, die dem Programm zur Verfügung stehen, verteilt werden,
um beiden Zielsetzungen nachzukommen, muss in Verhandlung mit den Gemeinde- bzw. Gruppenmitgliedern
ausgehandelt werden.
Bei der Planung des Programms muss auch berücksichtigt werden, dass bei der Zielgruppe
oder Gemeinde anfangs die notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen wenig entwickelt
sind. Daher sollten in dieser ersten Phase des Programms bereits Strategien verankert
werden, um die Kenntnisse und Qualifikation zu vermitteln, die in der Zielgruppe erforderlich
sind, wenn sie tatsächlich mehr Einfluss auf die Programmgestaltung ausüben soll.
Wie lange es dauert, bis eine Gemeinde oder Gruppe sich diese Kompetenzen angeeignet
hat, hängt von den individuellen Fähigkeiten sowie der Leistungsfähigkeit der gesamten
Gruppe ab. Hat ein Programm zur Gesundheitsförderung einen zu engen Zeitrahmen, so
besteht das Risiko, dass Empowerment- und Kompetenz-bezogene Veränderungen auf Ebene
der Gemeinde initiiert werden, die Unterstützung aber endet, bevor die angestrebten
Fähigkeiten und Qualifikationen erreicht wurden.
Festlegen der Ziele des Programms
Kernfrage: Wie werden die Programmziele zur Prävention und die Empowermentziele in
der Programmgestaltung in Einklang gebracht?
Die Zielsetzung in Präventionsprogrammen für chronische Krankheiten konzentriert sich
normalerweise auf die Reduktion der Morbidität und Mortalität und auf die Veränderung
von Lebensstil und gesundheitsbezogenem Verhalten. Die Zielsetzung im Empowerment
konzentriert sich hingegen auf das Ausmaß der Entscheidungsmacht, die die Gemeinde
in Bezug auf Determinanten hat, die ihre Gesundheit beeinflussen. Die spezifische
Art der Präventionsziele wird je nach inhaltlicher Ausrichtung des Programms variieren.
Der Zweck des „parallel-tracking” ist es, Empowermentziele zu entwickeln, die die
Präventionsziele ergänzen.
Die Empowermentziele basieren auf den Bedürfnissen und Anliegen der Gemeinde. Die
Rolle des Programmleiters ist es, den Gemeindemitgliedern dabei zu helfen, Ziele zu
formulieren, die klar und erreichbar, realistisch und messbar sind. Weiterhin ist
er dafür verantwortlich, dass spezifische Aktivitäten aufgezeigt werden, die zur Erreichung
der Ziele notwendig sind, und diese Aktivitäten in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht
werden. Zudem sollte er Gemeindemitglieder bei der Festlegung von konkreten Aufgaben
und individuellen Verantwortlichen unterstützen, um einen erfolgreichen Ablauf zu
gewährleisten. Dazu gehört auch das Festlegen eines realistischen Zeitrahmens sowie
sinnvoller Indikatoren.
Am Beispiel eines Präventionsprogramms für das metabolische Syndrom könnten die Empowermentziele folgendes enthalten:
-
Unterstützung der Gemeinde, zwei geeignete Sportanlagen in ihrer näheren Umgebung
ausfindig zu machen und zu nutzen – bis zum Ende des Jahres 2008.
-
Unterstützung der Gemeinde bei der Gründung von fünf Walkinggruppen für Männer und
Frauen bis zum Ende des Jahres 2008.
-
Die Durchführung von 30 Seminaren und Diskussionsveranstaltungen zum Thema Diabetes
mellitus an verschiedenen Veranstaltungsorten bis zum Ende des Jahres 2008, mit der
Möglichkeit der Weiterverweisung von Personen, die einen weiteren Informationsbedarf
haben.
Die Empowermentziele müssen flexibel sein, da es sehr wahrscheinlich ist, dass sie
sich mit der wachsenden Erfahrung der Gemeindemitglieder im Laufe der Zeit ändern.
Dieser Prozess kann durch Diskussion und Problemanalyse mit Hilfe des Programmleiters
unterstützt werden und hilft der Gruppe dabei, sich auf unmittelbare und lösbare Probleme
zu fokussieren, wie zum Beispiel bessere Zugangsmöglichkeiten der Sportanlagen für
Behinderte.
Die Präventionsziele müssen ebenfalls klar und erreichbar sein, zum Beispiel:
-
Reduktion des Body Mass Index um 10% bei 50% der untersuchten Bevölkerungsgruppe bis
Ende 2008.
-
Das Erreichen von normalen Blutdruckwerten bei 50% der untersuchten Bevölkerungsgruppe
bis Ende 2008.
-
Das Erreichen von normalen Cholesterinwerten bei 50% der untersuchten Bevölkerungsgruppe
bis Ende 2008.
Entwicklung des strategischen Ansatzes
Kernfrage: Wie ist der strategische Ansatz des Präventionspogramms mit dem strategischen
Ansatz für Empowerment verknüpft und unterstützt diesen?
Eine Verknüpfung der strategischen Ansätze beider „Pfade” kann erreicht werden, indem
die Stärken und die Eigenschaften der Zielgruppe bzw. Gemeinde (sog. „assets”) in
die Programmgestaltung integriert werden. Insbesondere geht es dabei um die Bereiche,
die der Zielgruppe erlauben, sich durch soziale und politische Veränderung selbständig
zu organisieren und zu mobilisieren hin zu einem Empowerment auf Gemeindeebene. Bei
Empowerment auf Gemeindeebene sowie Gemeinde-Kapazität („capacity”) handelt es sich
um zwei überlappende Prozesse, die grundlegende Formen sozialer Organisation und Mobilisation
darstellen und versuchen, Ungleichheiten im Leben der Menschen zu überwinden [3]. Die Gemeindekapazität setzt sich aus neun Dimensionen zusammen:
-
Verbesserung der aktiven Teilhabe der Bürger
-
Entwicklung von lokalen Führungsqualitäten (sog. „Leadership”)
-
Ausbildung von organisatorischen Strukturen, die Empowerment fördern
-
Fähigkeit zur Problemanalyse
-
Ermutigung zu einem kritischen Bewusstsein
-
Verbesserung der Mobilisierung von Ressourcen
-
Vernetzung mit anderen Organisationen und Akteuren
-
Ausbildung einer gleichberechtigten Beziehung zu Auftraggebern und Experten
-
Erhöhter Einfluss auf die Programmdurchführung
Eine ausführlichere Darstellung dieser Kapazitätsdimensionen findet sich bei Laverack
G, „Messung, Bewertung und strategische Weiterentwicklung von Gemeindekapazität und
-empowerment: Vorstellen eines qualitativen Instruments” in dieser Ausgabe (S. 764).
Die geschilderte Entwicklung der Gemeindekapazität soll als Teil des „parallel-trackings”
in der strategischen Ansatz-Phase des Programms zum Einsatz kommen.
Implementierung des Programms
Kernfrage: Wie fördert die Implementierung des Präventionspfads den Aufbau von Entscheidungsmacht
und Einflussnahme durch die Gemeinde?
Programme zur Gesundheitsförderung werden typischerweise von Experten geleitet. Zu
den Aufgaben der Programmverantwortung gehört es traditionell, die Planung, Organisation
und Implementierung von Maßnahmen zur Erreichung der Präventionsziele zu überwachen
und leiten. Dabei soll der Erfolg des Programms im Sinne von Effektivität (Ausmaß
der Zielerreichung) und Effizienz (Effektivität im Vergleich mit anderen Möglichkeiten
der Zielerreichung) sichergestellt werden [5].
Bei „Bottom-up”-Ansätzen, die auf Empowerment der Gemeinde abzielen, ist es die Aufgabe
der Projektleitung, dem Engagement der Gemeinde gegenüber offen zu sein und es zu
einer motivierenden Erfahrung für die Gemeindemitglieder zu machen. Das kann dadurch
erreicht werden, dass die Zielgruppe bzw. Gemeinde ermutigt wird, vermehrt Verantwortung
für die Programmleitung zu übernehmen und dass Fähigkeiten und Kompetenzen gefördert
werden, die es den Menschen ermöglichen, an Tätigkeiten wie Berichterstattung, Budgetierung
und Evalutation teilzunehmen. [Tab. 1] zeigt einen Überblick über Beispiele einer solchen Kompetenzförderung, die in jeder
Stufe des Gesundheitsförderungsprogrammes umgesetzt werden kann.
Tab. 1 Beispiele der Kompetenzen, die bei den Gemeindemitgliedern im Rahmen des Empowerment-Pfades
gefördert bzw. ausgebildet werden sollten.
<TD VALIGN="TOP">
Programmphase
</TD><TD VALIGN="TOP">
Ausbildung von Fähigkeiten
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
1. Planung
</TD><TD VALIGN="TOP">
– systematische Literaturrecherche
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Analyse von epidemiologischen Daten
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Identifizierung der Bedürfnisse der Gemeinde
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Bewertung des Programmplans
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
2. Festlegung der Ziele
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Entwicklung von Zielen, die den SMART-Kriterien entsprechen (spezifisch, messbar,
angemessen, relevant, terminiert)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Entwicklung eines strukturierten Arbeits- und Zeitplans
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
3. strategischer Ansatz
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Strategien zur Ermutigung und Befähigung von Individuen, Gruppen und der Gemeinde
als Ganzes
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Entwicklung von Materialen
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Theorien und Modelle der Gesundheitsförderung
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– interpersonelle Kommunikation
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Moderation von Workshops
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Durchführung von effektiven Gruppentreffen und öffentlichen Vorträgen
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
4. Implementierung des Programmes
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Mittelbeschaffung (Fundraising) und Gewinnen von Ressourcen
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Entwicklung eines Kostenplans
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Konfliktmanagement
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Personalmanagement
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– Umgang mit Empfehlungen
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
5. Evaluation
</TD><TD VALIGN="TOP">
– partizipative Erhebungstechniken
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– qualitative Forschungsmethoden
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– quantitative Forschungsmethoden
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
– visuelle Darstellung der Ergebnisse*
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
*s. Laverack G, „Messung, Bewertung und strategische Weiterentwicklung von Gemeindekapazität
und -empowerment: Vorstellen eines qualitativen Instruments” in dieser Ausgabe
</TD>
Ein anderer Weg, um die Fähigkeiten bei der Zielgruppe auszubauen, ist ihre Einbindung
in kurzfristige Aufgaben, die im Rahmen des Projekts anfallen und deren Umsetzung
realistisch und erreichbar ist. Das ist wichtig, weil kurzfristige Erfolge dabei helfen
können, Menschen für längerfristige Ziele zu motivieren. Der Fortschritt sollte regelmäßig
mit der Gemeinde begutachtet und bewertet werden, um ihre Erfolge und Misserfolge
reflektieren zu können [6]. Am Beispiel des Präventionsprogrammes für das metabolische Syndrom könnte das bedeuten,
dass man den Teilnehmern die Fähigkeiten vermittelt, selbst aktiv zu werden, um eigenständig
monatliche Walking-Gruppen zu gründen. Im weiteren Verlauf kann man sie dabei unterstützen,
regelmäßige wöchentliche Walking-Gruppen einzuführen, für deren Betreuung und Umsetzung
sie verantwortlich sind.
Das Anliegen der Programmleitung sollte es sein, der Gemeinde nach und nach mehr Kontrolle
über die Verantwortlichkeiten zu geben, die bei der Implementierung des Programms
anfallen. Dies setzt voraus, dass das Programmdesign eine Strategie beeinhaltet, die
Kompetenz, Fähigkeiten und Kapazitäten der Gemeinde systematisch entwickelt, damit
die Gemeindemitglieder ausreichend Qualifikationen und Selbstvertrauen besitzen, um
ihre Stärke und Vitalität zu entfalten.
Evaluation
Kernfrage: Inwieweit berücksichtigt die Evaluation des Programms Empowerment-Aspekte?
Der letzte Schritt des „parallel-tracking” ist die Evaluation der Ergebnisse im Hinblick
auf das Präventionsprogramm und auf Empowerment. Empowerment auf Gemeindeebene ist
häufig ein langer Vorgang, und wenn es nur im Rahmen der Ergebnisevaluation bewertet
wird, kann das, was erreicht wurde, durch den bei Evaluationen üblichen, relativ engen
Zeitrahmen übersehen werden. Die Evaluation von Empowerment als dynamischem Prozess
ist daher immer der Evaluation eines konkreten Empowerment-Ergebnisses vorzuziehen.
Um das Beispiel des Präventionsprogramms für das metabolische Syndrom wieder aufzugreifen:
Hier könnte die Evaluation von Empowerment folgende Indikatoren in Anlehnung an die
gesetzten Ziele verwenden:
-
Die Anzahl der Personen, die sich durch das Programm bei den Sportangeboten und -einrichtungen
angemeldet haben.
-
Die Anzahl der aktiven Walking-Gruppen, die sich während des Programms eigenständig
gegründet haben.
-
Die Anzahl der abgeschlossenen Seminare und die Anzahl der Personen, die sich für
weiterführende Kurse und Diätklassen angemeldet haben.
Indem Empowerment als Prozess gemessen wird, ist es möglich, die wechselseitige Beeinflussung
von Kapazitäten, Fähigkeiten und Ressourcen sowohl auf individueller als auch organisatorischer
bzw. Gemeinde-Ebene während des gesamten Programms zu erfassen. Die Evaluation des
Programms kann gleichzeitig eine ermächtigende („empowernde”) Erfahrung für die Gemeinde
sein. Daher sollte sie idealerweise durch die Zielgruppe bzw. Gemeinde selbst vorgenommen
werden, bzw. diese sehr stark einbeziehen. Auf individueller Ebene ist Empowerment
häufig unmittelbarer zu messen, z. B. durch eine Steigerung von Selbstbewusstsein
und Vertrauen. Bei der Evaluation sollte dennoch nicht der individuelle Fokus im Vordergrund
stehen, sondern die Entwicklung auf kollektiver Ebene, denn sie zeigt die Fähigkeit
auf, Empowerment innerhalb der Gruppe auszubilden.
Um das Empowerment und die Kapazität auf Ebene einer Gruppe oder Gemeinde als Prozess
zu messen, bietet sich eine systematische Vorgehensweise an, bei der Mitglieder der
Gruppe oder Gemeinde ihren Stand bei den neun Kapazitätsbereichen (s. o.) selber bewerten.
Die Selbsteinschätzung wird durch ein Spinnennetz-Diagramm visualisiert (s. Laverack
G, „Messung, Bewertung und strategische Weiterentwicklung von Gemeindekapazität und
-empowerment: Vorstellen eines qualitativen Instruments” in dieser Ausgabe, S.764).
In einem Gesundheitsförderungs-Programm mit begrenzten Ressourcen hat dies den Vorteil,
dass die benötigte Zeit und die benötigten Ressourcen auf ein Minimum reduziert werden,
da der Fokus auf relevante Bereiche gelegt wird.
Der Autor ist an einem Erfahrungsaustausch mit Forschern oder Programmleitern aus
Deutschland interessiert, die ähnliche Ansätze zur Ausbildung und Messung von Empowerment
auf Gemeindeebene verwenden.