PPH 2009; 15(1): 1
DOI: 10.1055/s-0028-1109220
Editorial

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Psychopharmaka – kritische pflegerische Auseinandersetzung erforderlich

H. Schädle-Deininger
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Publication Date:
12 March 2009 (online)

Seit einiger Zeit sind Medikamente wieder in die Diskussion geraten. Wissenschaftliche Untersuchungen über Wirkung und Nebenwirkungen der Psychopharmaka weisen unterschiedliche Ergebnisse auf.

Die Resultate internationaler Studien lassen aufhorchen und sind hochaktuell: Gravierende Gesundheitsschädigungen durch Nebenwirkungen bei Betroffenen und erhöhtes Mortalitätsrisiko bei chronisch psychisch kranken Menschen. Diese vielschichtigen Sachverhalte müssen dringend auf breiter Basis und in allen beteiligten Berufsgruppen diskutiert werden.

In einigen Gremien werden die unterschiedlichen Aspekte aus verschiedenen Richtungen bereits erörtert, in der täglichen Versorgung psychisch kranker Menschen ist dies jedoch bisher kein zentrales Thema.

Gerade wir in der psychiatrischen Pflege Tätige haben in vielen Zusammenhängen mit den Wirkungen und Nebenwirkungen zu tun. Deshalb muss uns das Thema interessieren, denn die Folgen sehen wir vor allem im ambulanten und komplementären Bereich tagtäglich.

In einem vor Kurzem geführten Gespräch gab ein seit Jahrzehnten erkrankter Psychiatrie-Erfahrener zu bedenken, dass er ja den Teufel mit dem Belzebub austreibe. Auf der einen Seite habe er mehr oder weniger nachgewiesen Folgeerkrankungen von Medikamenten, wie beispielsweise eine Herzschädigung mit Atemnot, einen Diabetes mellitus II und eine Niereninsuffizienz. Auf der anderen Seite benötige er in entsprechender Dosis Medikamente, um einigermaßen ausgeglichen zu sein, seinen Alltag so bewältigen zu können, dass er am gesellschaftlichen Leben teilhaben und sinnvollen Tätigkeiten nachgehen kann. Seine Forderung war, dass es Möglichkeiten geben müsse, die sich aus diesen Tatsachen ergebende Ambivalenz offen diskutieren zu können, ohne dass sofort „Noncompliance“ bzw. Unzuverlässigkeit in der Medikamenteneinnahme unterstellt wird. Oft werde eine Begleitung durch Professionelle abgelehnt, wenn ein psychisch Kranker den Anspruch hat, die Reduzierung der Medikamenteneinnahme oder gar deren Absetzen auszuprobieren.

Ein professionelles Angebot psychiatrischer Pflege könnte hier viele Aspekte gleichzeitig im Blick haben. Es kann in der alltäglichen Begegnung darum gehen, mit dem Psychiatrie-Erfahrenen das Für und Wider der Einnahme von Psychopharmaka zu erarbeiten und dies mit den Vor- und Nachteilen der Auswirkungen auf die Erkrankung und auf sein Alltagshandeln in Beziehung zu setzen. Denn ein informierter Patient ist nicht nur kritisch, sondern auch aktiv und wirkt daran mit, dass für ihn in der Zusammenarbeit (mit dem Arzt) die passende Medikation gefunden wird. Diese geduldige gemeinsame Arbeit führt zu einem tragfähigen Arbeitsbündnis, und dazu müssten mehr Konzepte entwickelt werden.

Denn das ist ein wichtiger Teil der Berufsausübung, wenn psychiatrische Pflegekräfte durch Milieu- und Beziehungsgestaltung sowie Hilfe bei der Alltags- und Krankheitsbewältigung mit allen Facetten, vor allem zur Befriedigung von Grundbedürfnissen, beitragen. Aus meiner Sicht geht es für die Pflege um das Zusammenspiel von Beziehungskontinuität und das Erarbeiten notwendiger – auch medikamentöser – symptomatischer Unterstützung sowie das Ernstnehmen des körperlichen Eingriffs durch Medikamente und das damit verbundene subjektive Erleben.

Eine entsprechende Pflegeforschung kann und muss die Konzepte auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen, wobei es hier vor allem um qualitative Methoden gehen muss. Eine qualitative Forschung ist gefordert, ethische Dimensionen im Zusammenhang mit der Gabe von Medikamenten zu erschließen und diese Fragen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen und Angehörigen breit zu diskutieren. Eine spannende Aufgabe für die Pflege, der wir uns zeitnah stellen sollten!

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