Fortschr Neurol Psychiatr 2009; 77(11): 655-661
DOI: 10.1055/s-0028-1109666
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Immanuel Kant – ein Genie der Pedanterie und Pünktlichkeit

Immanuel Kant – A Genius of Pedantry and PunctualityS. Häfner1
  • 1Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Stephan Zipfel), Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Tübingen
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Publication Date:
18 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Immanuel Kant (22.4.1724 – 12.2.1804), der das Ideal vom verstandesgeleiteten Menschen formuliert hat, wies sehr viele Eigenwilligkeiten und körperliche Beschwerden auf. Dennoch scheint sein bis ins Detail geregelter Tagesablauf mit ritualisierter Mittagsmahlzeit eine Ressource gewesen zu sein, die trotz seiner körperlichen Schwäche ein gigantisches und epochemachendes Werk ermöglicht hat. Seine „maximierte” Lebensführung scheint weder auf sein Werk noch auf sein Leben nachteilige Auswirkungen gehabt zu haben. Sie machte ihm anscheinend die Arbeit wie auch das Leben angenehmer und trug zum ruhigen und regelmäßigen Fluss seiner Tage bei, den er über alles schätzte. Kants Charakter war gekennzeichnet durch sein stetes Bestreben nach durchdachten und, wenigstens seiner Überzeugung nach, „wohl begründeten Grundsätzen zu verfahren in allem”. So imponiert sein zwanghaftes Wesen als eine unabdingbare Voraussetzung für seine Schaffenskraft.

Abstract

The German philosopher Immanuel Kant (22.4.1724 – 12.2.1804), who formulated the ideal of man lead by consciousness, had a peculiar personality and suffered from many somatic complaints. Nevertheless his ritualized way of living determined by many rules and ritualized lunch seems to be a ressource that enabled a great and epoch-making work despite his physical weakness. His ”maximized” way of living seems to have had no negative consequences either on his work or on his life. It seems that it made his work and life very agreeable and contributed to the legendary calm and regularity he appreciated so much. Kant’s character was specified by his ”constant pursuit for intellectually well-founded principles in every manner” – at least according to his persuasion. So his compulsive personality traits seem to be a necessary condition for his work.

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1 Die pietistische Erziehung wollte aus „Weltkindern” „Kinder Gottes” machen und dazu erst einmal den Willen des Kindes brechen. Es kostete Kant viel Kraft, sich dagegen zu wehren. Er hätte unter der Zucht der Fanatiker „geschmachtet” und es überfielen ihn „Schrecken” und „Bangigkeit”, wenn er an seine Schulzeit dachte.

2 Allerdings könnte aus dem „sedentary life” auch eine Atherosklerose resultiert haben.

3 Man stelle sich vor, Franz Kafka wäre immer um 22 Uhr ins Bett gegangen. „Die Verwandlung” hätte nie entstehen können.

Dr. med. Steffen Häfner

Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Tübingen

Osianderstr. 5

72076 Tübingen

Email: steffen.haefner@med.uni-tuebingen.de

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