Ultraschall Med 2009; 30(5): 434-437
DOI: 10.1055/s-0028-1109797
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Haben Sie die Intima-Media-Dicke gemessen?

Did You Measure the Intima-Media Thickness?K. A. Jäger1 , D. Staub1
  • 1University Hospital, Basel, Switzerland
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Publication Date:
07 October 2009 (online)

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Haben Sie bei Ihrem Patienten die Dicke der Intima-Mediaschicht der A. carotis gemessen? Nein – dann haben Sie wahrscheinlich einen wichtigen prognostischen Indikator für spätere kardiovaskuläre Erkrankungen Ihres Patienten verpasst.

Eine Erfolgsgeschichte

Pignoli et al. haben 1986 im B-Bild der A. carotis an der Innenwand eine Doppelkontur beschrieben, welche histologisch als Intima-Mediaschicht des Gefäßes identifiziert werden konnte [1]. Diese „Line of Pignoli” hat in der Folge große Aufmerksamkeit erhalten und es finden sich in PubMed mehr als 4500 Publikationen zum Thema Intima-Media-Dicke (IMT). In dieser Ausgabe berichten Schreuder et al. über eine neue, radiofrequenzbasierte Technik zur Messung der IMT [2]. In früheren Ausgaben wurde verschiedentlich über IMT, analoge Techniken und entsprechende Risikostratifikationen berichtet [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]. Es wurde bereits früh erkannt, dass eine verdickte Innenschicht des Gefäßes einem wichtigen Hinweis auf die systemische Arteriosklerose des betroffenen Patienten entspricht. Die Arteriosklerose wird heute als entzündliche Erkrankung und als Reaktion der Gefäßwand auf die vaskulären Risikofaktoren verstanden [10] [11] [12]. Mehrere große Studien haben die klare Korrelation von IMT mit dem Vorliegen einer systemischen Arteriosklerose belegt [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18]. Bei Patienten mit Symptomen, seien es koronare Herzkrankheit mit Angina pectoris und Herzinfarkt, oder Symptome der Hirndurchblutungsstörung wie transient ischämische Attacke oder Hirnschlag, ist die Korrelation noch deutlicher. Die Verdickung der IMT wurde als erstes morphologisches Korrelat zur beginnenden Arteriosklerose erkannt. Zusammen mit dem zurzeit geltenden Verständnis der Entstehung der Arteriosklerose ist es auch nicht überraschend, dass eine Zunahme der IMT bereits bei entsprechender Disposition und beim Vorliegen von vaskulären Risikofaktoren zu finden ist. Speziell untersucht wurden die Risikofaktoren Dyslipidämie, Hypertonie und Diabetes mellitus, wobei bereits die gestörte Glukosetoleranz (prädiabetisches Stadium) die IMT negativ beeinflusst [17] [19].

Neben dem Vorliegen einer Risikosituation oder einer manifesten Arteriosklerose interessiert natürlich vor allem im Langzeitverlauf der prognostische Wert der IMT-Messung [3] [14] [15] [16] [17] [18] [19]. In 8 Beobachtungsstudien wurden mehr als 37 000 Personen der allgemeinen Bevölkerung prospektiv während durchschnittlich 5,5 Jahren untersucht [19]. Eine klare und zumeist hoch signifikante Korrelation zwischen IMT und dem Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen ist dokumentiert. Robuste und für Alter und Geschlecht korrigierte Daten ergeben für eine IMT-Differenz von 0,1 mm eine Zunahme des zukünftigen kardiovaskulären Risikos um 10 – 15 %, für den Hirnschlag von 13 – 18 %.

Ist die Progredienz der IMT und des kardiovaskulären Risikos schicksalhaft gegeben, oder kann dieses durch therapeutische Interventionen günstig beeinflusst werden? Auch hierzu gibt es eine Fülle von Daten, welche den positiven Effekt der Therapie im Sinne einer verlangsamten Progredienz des IMT-Wachstums oder sogar teilweise eine Regredienz dokumentieren [15] [16] [17] [18] [19].

Betreffend Dyslipidämie finden sich alleine zum Effekt der Statine auf die IMT 8 prospektive Studien mit insgesamt mehr als 3580 Patienten und einem jeweils signifikanten Unterschied zugunsten der Statine gegenüber Placebo [18]. In 5 Studien wurde, bei einer Beobachtungszeit von 2 – 4 Jahren, eine Regredienz der IMT unter Therapie gemessen. Zur Behandlung der arteriellen Hypertonie können mindestens 22 randomisierte, kontrollierte Studien mit verschiedenen therapeutischen Substanzen identifiziert werden. Der hohe arterielle Druck hat pathophysiologisch wahrscheinlich eine andere Auswirkung auf die Innenschicht der Gefäße als die biochemischen Risikofaktoren Dyslipidämie und Diabetes oder Nikotin. Auch hier kann die Progression der Innenschichtverdickung durch die Medikation verlangsamt werden [17] [18].

Zum Typ-2-Diabetes mellitus gibt es 11 prospektive Interventionsstudien [17]. Für die meisten der geprüften Substanzen wurde eine Verlangsamung der IMT-Zunahme gefunden. Auffallend ist, dass die Abnahme der Blutzuckerwerte, respektive des HbA 1C sich nicht einheitlich auf die IMT auswirkt. Auch wenn 2 Produkte eine vergleichbare Glukosesenkung bewirken, muss der positive Effekt auf die IMT nicht identisch sein, weil möglicherweise auch andere Faktoren das Wachstum der IMT beeinflussen.

Die wissenschaftliche Datenlage unterstreicht eindeutig den hohen prognostischen Stellenwert der IMT-Messung. Konsequenterweise müssten wir anlässlich der ärztlichen Untersuchung die IMT bestimmen. In der medizinischen Routine laufen wir häufig kleinen Problemen nach, übersehen aber gelegentlich eine für den Patienten prognostisch äußerst bedeutsame und zugleich einfach zu erhaltende Information. Nicht nur bei kardiovaskulären Fragestellungen [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31] [32] [33] [34] [35], sondern auch bei Untersuchungen der Halsorgane, Weichteile [36] [37] [38] [39] [40] [41] [42] [43] oder des Bewegungsapparats scheint zumindest bei älteren Personen die Bestimmung des zukünftigen Risikos bedeutsam [44] [45] [46].

Kehrseite der Medaille

Die positive Darstellung der wissenschaftlichen Datenlage verlangt ebenfalls deren kritische Beleuchtung. Einige kritische Betrachtungen sollten der Euphorie nicht abträglich sein.

Die statistisch eindeutige Korrelation zwischen verdickter IMT und dem Vorliegen des arteriosklerotischen Risikos bezieht sich in den zahlreichen Studien auf definierte Patientenkollektive und nicht auf das Individuum. Betrachtet man die Daten der IMT-Werte getrennt für die Patienten mit oder ohne durchgemachtes kardiovaskuläres Ereignis im Beobachtungsintervall, so fällt die große Streubreite auf. Dies erschwert die Beurteilung des Risikos eines Individuums. Nicht jeder mit einer verdickten IMT/hohem Risiko entwickelt ein kardiovaskuläres Ereignis und andererseits schließt eine dünne IMT nicht ein zukünftiges Ereignis aus. Meinen Patienten kann ich zwar mit einem sorgfältig studierten großen Studienkollektiv vergleichen, die individuelle Abschätzung für diese betroffene Person bleibt aber offen. Diese Limite gilt natürlich für sämtliche in der Medizin zur prognostischen Abschätzung des Risikos verwendeten Scores (PROCAM, SMART, FRAMINGHAM usw.) [3]. Die Interventionsstudien haben für ein gewähltes Therapieschema die Reduktion der IMT gemessen und nur ausnahmsweise den klinischen Outcome (Auftreten von Ereignissen) bestimmt. Für Statinstudien hat man nachträglich berechnet, dass eine mittlere Veränderung der IMT um –0,012 mm/Jahr das Risiko eines Ereignisses halbiert (OR 0,48, CI 0,30 – 0,78) [18].

Die IMT nimmt mit dem Alter zu und somit ist auch die Grenze zum pathologischen Befund altersabhängig [17] [19]. Während Studiendaten altersadjustiert für das Kollektiv eine Normgrenze angeben können, ist dieser Wert für einen individuellen Patienten wenig hilfreich. Aus Berechnungen der mittleren IMT, in Abhängigkeit vom Alter, hat sich bei uns ein individueller Grenzwert für die IMT (mm) aus Altersdekade/ 10 + 0,2 mm bewährt [26]. Für einen 55-jährigen Patienten (6. Lebensdekade) wäre der obere Normwert der IMT somit bei 0,8 mm anzusetzen. Würde man bei ihm eine IMT > 0,8 mm finden, legt dies eine intensive, auch medikamentöse (z. B. Statine) Risikoprophylaxe nahe.

Wenig Einigkeit besteht zurzeit noch darüber, wo genau gemessen werden soll. Aus technischen Gründen ist es die schallkopfferne (und nicht die schallkopfnahe) Gefäßwand. Richtlinien empfehlen, die Messung 1 bis 2 cm proximal der Bifurkation durchzuführen, wobei einige als Bifurkation die Flussteilung Externa/Interna verwenden, andere nehmen die deutlich proximal davon gelegene erste Aufweitung des Bulbus als Referenz [47]. Studienprotokolle setzen eine Standardisierung der Messung voraus, die genannte Stelle ist aber nicht selten von arteriosklerotischen Verdickungen ausgespart [13]. Aus diesem Grund wird empfohlen, die IMT an der Stelle der maximalen Wanddicke der Carotis communis zu messen und zudem auch den Bulbus und die A. carotis interna im weiteren Verlauf zu beachten [10] [13] [16] [19].

Die Messung ist technisch einfach, für den Patienten nicht belastend, relativ kostengünstig und liefert schnell wichtige Informationen. Um relevante Information zu erhalten, muss aber eine adäquate Untersuchungstechnik mit angemessenem Instrumentarium eingesetzt werden, um diese kleinen Veränderungen zuverlässig zu bestimmen. Die in der früheren Literatur beschriebene Variationsbreite von 10 – 15 % ist nicht vertrauensfördernd. Grundlegende technische Verbesserungen und eine (semi)-automatische Auswertung der digitalen Bilder hat den Variationskoeffizienten auf 3 – 5 % reduziert [2] [3].

Die Messung von Plaque-Fläche oder des 3 dimensionalen Plaque-Volumens mag die prognostische Treffsicherheit verbessern [5]. Die IMT-Messung dokumentiert die frühesten arteriosklerotischen Veränderungen, die Messungen verschiedener Dimensionen einer Plaque entsprechen demgegenüber bereits einem deutlich fortgeschritteneren Stadium der Arteriosklerose [13].

Konklusion

Bei unklarer Risikokonstellation sollte klärend eine IMT-Messung durchgeführt werden, da der prognostische Wert als Indikator für eine manifeste Arteriosklerose eindeutig belegt ist. Bei Personen älter als 50 Jahre sollte mindestens einmal eine solche Risikokalkulation durchgeführt werden, um frühzeitig deletäre pathologische Veränderungen einzudämmen.

Literatur

Kurt A. Jaeger

University Hospital, Basel, Switzerland

Email: jaegerk@uhbs.ch