Suchttherapie 2009; 10(1): 32
DOI: 10.1055/s-0028-1128148
Kommentar

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leichtes, versöhntes Leben üben[1]

Practising an Easy and Reconciled Life
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Publication Date:
16 February 2009 (online)

Alte Leute: Warum sollen die sich nicht sorglos was Gutes tun, herzhaft dem Wein zusprechen, sich immer dann eine Zigarette gönnen, wenn das Bedürfnis da ist? Man muss sich ja nicht ewig die Gesundheit aufsparen. Ein Schauspieler meinte letzthin: „Viele Leute leben so vorsichtig, dass sie noch ganz neu sind, wenn sie sterben”.

Das Trostfläschchen im Küchenbuffet oder in einer verborgenen Ecke des Nachttischchens im Altersheim, das Trostfläschchen mit dem Wein oder ruhig auch etwas Schärferem immer dann, wenn der Rest des Lebens allzu sinnlos, allzu schmerzhaft und verlustreich ist – man wenigstens für eine Weile erlöst sein möchte von den Fragen, warum alles so ganz anderes herausgekommen ist als geplant und für was man denn noch da sein sollte, jetzt, wo alles, was einem lieb und teuer war, gegangen ist?

Ich freue mich für die Alten, dass es das Trostfläschchen gibt und verteidige es gegen die Gesundheitsterroristen, die meinen, man müsse sich bis ins hohe Alter für die eigene Fitness abstrampeln. Die strammen Gesundheitspfleger haben wenig Ahnung, wie die Lebenswehmut im Alter tut, die Erfahrung der eigenen Minderwertigkeit in den Augen unserer leistungssüchtigen Gesellschaft, die für Gebrechlichkeit und langsamer werden nichts übrig hat. Am besten versteckt man diese und tut so, als wäre man noch jung.

Der Psychoanalytiker und Afrikaforscher Paul Parin schildert, wie er, nachdem die Afrikafahrten altersbedingt zu Ende gegangen waren und er und seine geliebte Frau Goldy am Horizont die bevorstehende unausweichliche Trennung durch den Tod erblickten, abends zur Whiskyflasche griffen und die alten Eheleute ihr zusprachen, bis sie beinahe ohne Bewusstsein einschlummerten. Parin konnte sich diese Barmherzigkeit gegen sich und seine Frau leisten. Er ist berühmt und finanziell so gestellt, dass weder Familie noch Behörden einschreiten könnten.

Ich selber bin in meiner Kindheit nachhaltig auf Lustverzicht gedrillt worden. Ich habe nie im Leben eine Zigarette geraucht und Wein trinke ich höchstens ein Glas, von mehr wird es mir übel. Manchmal bedauere ich das. Die italienischen Verwandten meines Mannes haben es gemütlicher. Sie setzen sich nicht ,trocken‘ den Familienkonflikten aus, sondern am Familientisch macht die bauchige Weinflasche die Runde, entschärft so manche Unversöhnlichkeit.

Manchmal gehe ich in meinem 75. Altersjahr abends, wenn mich der Lebensschmerz überkommen will, ans Schränkchen und gieße mir ein Gläschen Cognac ein – aber es ist mir, als müsste ich es noch üben, das leichte, mit sich selbst versöhnte Leben.

1 Erstabdruck im Suchtpräventionsmagazin „laut & leise” Nr. 2 – 07, Herausgeber: Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich (Schweiz)

1 Erstabdruck im Suchtpräventionsmagazin „laut & leise” Nr. 2 – 07, Herausgeber: Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich (Schweiz)

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