veterinär spiegel 2009; 19(02): 88-89
DOI: 10.1055/s-0029-1185761
kleintiere & heimtiere
Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Interview zur Entwicklung der Zeckenpopulation in Europa

N. N.
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29 June 2009 (online)

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Prof. Agustín Estrada-Peña ist Professor für Tierparasitologie an der Universität Saragossa, Spanien. Im Laufe der vergangenen 25 Jahre hat er sich auf Zecken sowie auf die von Zecken übertragenen Krankheiten (Tick-Borne Diseases/TBD) spezialisiert; sein besonderes Interesse gilt dabei dem Habitat dieser Parasiten. Ziel seiner Arbeit ist die Entwicklung effektiverer Kontroll- und Präventionsstrategien.

veterinär spiegel: Prof. Agustín Estrada-Peña, an welchen Projekten bezüglich Zecken waren Sie beteiligt?

Prof. Agustín Estrada-Peña: Ich war an insgesamt 4 europäischen Projekten beteiligt, bei 2 davon hatte ich die Leitung inne. Das erste Projekt befasste sich mit der Borreliose, die beiden weiteren waren Projekte der Initiative „Integrated Consortium of Ticks and Tick-Borne Diseases (ICTTD)“ und erst vor Kurzem habe ich am Arbo-Zoonet, einem internationalen Forschungskoordinationsprogramm teilgenommen, das von der EU gegründet wurde und sich mit der näheren Erforschung des durch Arthropoden, wie der Zecke, übertragenen hämorrhagischen Fiebers beschäftigt. Außerdem gehöre ich auch einigen weltweit tätigen Arbeitsgruppen, wie z. B. einer Untergruppe der Food and Agriculture Organisation (FAO) an.

vs: Hat der Klimawandel größere Auswirkungen auf die Zeckenpopulationen?

E.-P.: Kurz gesagt, ja. Zecken reagieren sehr sensibel auf das Klima. Bei manchen Arten wächst die Population, während andere Arten unter Umständen verschwinden. So konnte z. B. in den letzten 10–15 Jahren beobachtet werden, dass die Zecke Ixodes ricinus jetzt in höheren Regionen lebt und dass die Fälle der durch Zecken auf Menschen übertragenen Enzephalitis in manchen Gebieten Mitteleuropas zunehmen.

Auf der anderen Seite ist da Rhipicephalus sanguineus, eine beim Hund häufige Zeckenart, die nun auch in städtischen Vororten und Wohngebieten zu finden ist. Noch vor 20 Jahren waren dort kaum solche Zecken zu finden. Im Moment lässt sich jedoch schwer sagen, ob dies auf den Klimawandel zurückzuführen ist oder ob die Menschen ihr Habitat verändern und dadurch den Zecken gute Lebensbedingungen schaffen. Wenn wir also von Zecken sprechen, müssen wir auch die Lebensumstände der Menschen und andere Faktoren wie eben den Klimawandel berücksichtigen; dies alles kann dazu beitragen, dass manche Zeckenarten davon profitieren, während andere eventuell zugrunde gehen.

vs: Was die geografische Verbreitung der Zecken betrifft, wird es zu einer größeren Vielfalt von Zeckenarten in einem bestimmten Gebiet kommen oder bleiben bestimmte Zecken immer in der von ihnen bevorzugten, speziellen Umgebung?

E.-P.: Ich glaube, es wird zu einer größeren Diversität kommen. Die Flora und Fauna der Mittelmeerländer ist generell deutlich vielfältiger als jene von Mittel- oder Nordeuropa. Wenn sich dieses Habitat vergrößert, werden bestimmte Zeckenarten in Gebieten auftauchen, in denen sie davor nicht heimisch waren.

vs: Sie meinen also, dass wir wahrscheinlich Veränderungen in unserer Region erleben werden, die sich von Süden nach Norden ausbreiten …

E.-P.: Genau. Wenn sich ein Hund kurze Zeit im Mittelmeerraum aufgehalten hat und danach z. B. in eine mittlere Region DeutschIands zurückkehrt, könnte er ja unter Umständen nur mit Zeckenlarven infestiert sein. In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit des Einschleppens und der Etablierung einer neuen Zeckenart bzw. ‒population begrenzt. Kommt der Hund allerdings mit vollgesaugten Zeckenweibchen im Fell zurück, dann werden diese Weibchen 4000–5000 Eier legen, aus denen etwa 3000-4000 Larven werden – das kann dann ein ernstes Problem werden.

vs: Was ist, Ihrer Meinung nach, die wichtigste durch Zecken übertragene Krankheit bei Hunden in Europa? Und welche Krankheiten zählen zu den aufkommenden Bedrohungen?

E.-P.: In Europa stellt die Borreliose oder Lyme-Krankheit wahrscheinlich die für den Menschen wichtigste, von Zecken übertragene Krankheit dar. Nicht zu vergessen ist allerdings die durch Zecken übertragene Enzephalitis (TBE), auch Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) genannt, die für betroffene Menschen tödlich enden kann.

Auch die Rickettsiose dürfen wir nicht vergessen. Da die Hunde ein Reservoir für den Krankheitserreger darstellen, kann sich die Krankheit leicht unter Hunden und Menschen ausbreiten, d. h. es besteht ein klares Risiko für Tierbesitzer, dass sie von ihrem Hund angesteckt werden.

Was die Gesundheit der Hunde selbst betrifft, macht uns die Ehrlichiose am meisten Sorgen. Angesichts der Ausbreitung von Rhipicephalus sanguineus in neue geografische Regionen und aufgrund eines fehlenden wirksamen Schutzes gegen diesen Parasiten ist Ehrlichia canis wahrscheinlich der Parasit, der am meisten von der „Mediterranisierung“ Europas profitiert.

Zur Bekämpfung der Ehrlichiose ist es entscheidend, dass wir darauf achten, dass sich keine Zecken festgesaugt am Hund befinden und dass die Hunde keine Zecken in das menschliche Habitat einschleppen.

Eine Zecke, die sich erst einmal mit ihrem Stechapparat in der Haut des Hundes verankert hat und ihre erste Blutmahlzeit zu sich genommen hat, sieht keinen Grund, diesen Wirt zu verlassen, da die Nahrungsquelle ja gesichert ist. Anders verhält es sich, wenn sie während der Blutmahlzeit herausgezogen wird oder aus irgendeinem Grund vom Hund abfällt; dann nimmt sie das nächstbeste Lebewesen als Wirt – und das kann natürlich auch der Mensch sein. Manchmal höre ich Hundebesitzer sagen: „Ich habe gesehen, wie Zecken auf meinem Hund laufen, obwohl ich das Produkt X verwende…“ Eine Sache ist es, eine orientierungslose Zecke über das Fell des Hundes laufen zu sehen; eine ganz andere hingegen ist es, lebende Zecken in der Umgebung, also im Haus, vorzufinden: Hier besteht ein eindeutiges Risiko für den Menschen, dass er als Wirt auserkoren wird. Aus diesem Grund muss es unser Ziel sein, nicht nur unsere Tiere durch abschreckende Antiparasitika (Repellenzien) vor einem Befall zu schützen, sondern vielmehr alle Zecken rasch abzutöten, um der Übertragung von pathogenen Organismen vorzubeugen.

vs: Würde es zu weit gehen, zu sagen, dass solche Produkte mit repellierender Wirkung nicht ohne Risiko für den Menschen sind?

E.-P.: Nein, das würde meiner Meinung nach nicht zu weit gehen. Ein gutes Repellens ist ein schlechtes Insektizid. Auch wenn Pyrethroide töten, und das tun sie, setzen sie als gute Repellenzien die Zecke nicht dem Kern der Wirksubstanz aus, in dem die letale Dosis lauert. Der Schutzschild, der bei diesen Produkten vom Hund aufgebaut wird, funktioniert nur insoweit, als die Zecke abgeschreckt wird, d. h. sie saugt zwar vielleicht kurz am Hund, wird aber dann abgeschreckt und bricht die Blutmahlzeit ab. Und genau hier lauert die Gefahr für die Tierbesitzer bzw. die Menschen, die in der Nähe des Hundes leben. Kurz, die beste Lösung ist das Abtöten der Zecken.

vs: Welche der derzeit am Markt befindlichen Substanzen halten Sie für das beste Akarizid?

E.-P.: Zweifelsohne ist Amitraz das derzeit beste Akarizid. Es tötet die Zecken einfach rascher ab. Pyrethroide sind keine schlechten Verbindungen, aber sie besitzen vorwiegend eine gute abwehrende Wirkung. Ich bin auch nicht mit den Produkten einverstanden, bei denen sich die Zecke erst vollsaugen muss, um neues Chitin zu synthetisieren, bevor die Substanzen aktiv werden – wie das bei allen Wachstumshemmern der Fall ist.

vs: Warum ist Amitraz Ihrer Meinung nach den anderen Insektiziden überlegen?

E.-P.: Amitraz ist die einzige Substanz, die zuerst die Oktopaminrezeptoren der Zecke blockiert und dann bewirkt, dass es bei der Zecke zu Übererregbarkeit kommt, sodass sie die Blutmahlzeit unterbricht und bald darauf stirbt. Bekannt ist auch, dass Amitraz eine gewisse hemmende Wirkung auf die Ovarien des Zeckenweibchens hat. Weibliche Zecken, die der direkten Wirkung von Amitraz entkommen konnten und noch in der Lage waren, Eier abzulegen, produzierten weitaus weniger Eier als nicht behandelte weibliche Zecken oder Zeckenweibchen, die mit einem Pyrethroid behandelt wurden. Eine der Theorien besagt, dass Amitraz offenbar auf eine noch nicht geklärte Art und Weise auf die Ovarien der Zeckenweibchen wirkt, eine andere Theorie ist, dass Weibchen, die weniger Blut aufnehmen auch weniger Eier legen. Sollte dem so sein, dann sind dies gute Nachrichten, denn wenn wir bei der Zeckenbekämpfung auf den Schutz des Habitats des Hundes abzielen, so bedeutet dies, dass jene Zeckenweibchen, die überleben, zumindest eine geringere Anzahl an Eiern ablegen.

vs: Ab welchem Entwicklungsstadium kann die Zecke Krankheiten übertragen?

E.-P.: Zecken verbreiten Krankheiten während ihres gesamten Lebenszyklus. Man nennt dies „transovarielle Transmission“, d. h. dass ein mit bestimmten pathogenen Organismen infiziertes Zeckenweibchen diese Erreger an die Nachkommenschaft überträgt, sodass ein bestimmter Prozentsatz der später geschlüpften Larven den parasitierenden Erreger ebenfalls in sich trägt und diesen auch übertragen kann. Dies geschieht zum Beispiel bei der Übertragung von Rickettsien und Babesien.

vs: Als chemische Verbindung wird Amitraz als toxischer wahrgenommen als andere Akarizide. Was ist Ihre Meinung dazu?

E.-P.: Fest steht, dass Amitraz aufgrund seiner oralen Toxizität nicht bei Welpen unter 8 Wochen angewandt werden sollte. Abgesehen davon habe ich, seit ich mit dieser Substanz arbeite, noch niemals irgendein ernsthaftes Problem bei einem Hund gehabt. In kontrollierten Studien an Hunden würde ich keinerlei Nebenwirkungen infolge von peroraler oder perkutaner Aufnahme erwarten. Ja, Amitraz ist toxisch, aber wenn man die Anwendungshinweise für das Produkt sowie die Empfehlungen zur Haltung der Hunde nach der Applikation befolgt, so sollte es zu keinerlei Nebenwirkungen kommen.

vs: Da es sich also um eine potente und hoch wirksame chemische Verbindung handelt, ist eine rigorose Einhaltung der Vorschriften zur Anwendung Ihrer Meinung nach unverzichtbar …

E.-P.: Wenn wir mittlerweile gewohnt sind, bei der Einnahme von z. B. Antibiotika bestimmte Regeln zu beachten, so sollten wir die Anwendungsvorschriften auch bei der Applikation von topischen Arzneimitteln befolgen, vor allem, wenn es sich um einen aktiven und potenten Wirkstoff handelt.

Das korrekte Anlegen eines antiparasitären Halsbands oder die richtige Applikation einer Lösung zum Auftropfen ist nicht ganz so einfach wie das Verabreichen einer Tablette wie z. B. Ivermectin zur Herzwurmprophylaxe. Bei der Tablette kommt es nur darauf an, dass der Hund sie schluckt. Bei topischen Präparaten ist das nicht ganz so simpel, da die Produkte ja auf der Haut bleiben.

vs: Was ist Ihre Meinung zur Demodikose?

E.-P.: Die Demodikose ist ein ernstzunehmendes Problem. Die dafür verantwortliche Milbe, Demodex spp., ist Bestandteil der natürlichen Fauna der Haut des Hundes und lebt in den Haarfollikeln, von dessen Sekretionen sie sich ernährt. Erst wenn das Immunsystem des Hundes geschwächt ist, steigt die Empfänglichkeit für die Demodex-Räude. So wird das Immunsystem eines Hundes, der in einem kalten und feuchten Zwinger gehalten wird, deutlich mehr gefordert als das eines Hundes, der sich im gemütlichen Haus aufhalten kann. Auch jede Art von Stress, z. B. durch schlechte Ernährung, falsche Haltungsbedingungen oder gleichzeitige Infestation mit anderen Parasiten etc. belastet und schwächt das Immunsystem, sodass es zur Entwicklung einer klinisch manifesten Demodikose kommen kann.

Amitraz ist die einzige gute und wirksame Verbindung zur Behandlung der Demodikose. Es ist jedoch wichtig, diagnostisch genau abzuklären, um welche Art von Parasit bzw. Räude es sich handelt, da nur dann das richtige Mittel entsprechend wirksam eingesetzt werden kann.

vs: Was die Demodikose betrifft, so wird doch manchmal Ivermectin verwendet. Wie ist dessen Wirksamkeit im Vergleich zu Amitraz?

E.-P.: Das einzige Produkt, das die Demodikose wirksam bekämpfen kann, ist Amitraz. Tatsächlich tötet Ivermectin Ektoparasiten ab. Solange die Demodikose nur schwach ausgeprägt ist, sind die Hautveränderungen nur minimal und das Immunsystem des Hundes erholt sich rasch. Hier könnte auch mit Ivermectin eine teilweise Heilung erreicht werden, da die klinischen Symptome reduziert werden. Für alle schwereren klinischen Fälle allerdings ist Amitraz von allen verfügbaren Wirkstoffen die beste Wahl.