Der Klinikarzt 2009; 38(2): 55
DOI: 10.1055/s-0029-1214168
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gesundheitsmarkt – kein Markt wie jeder andere

Burckart Stegemann
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Publication Date:
26 February 2009 (online)

Der Gesundheitsmarkt ist kein Markt wie jeder andere. Mit seinen sehr komplexen Entscheidungsprozessen und unterschiedlichen Verantwortlichkeiten von Kassen, Ärzten, Krankenhäusern und Patienten ist er mit anderen kaum vergleichbar.

Unser Sozialversicherungssystem kann offensichtlich den politischen Anspruch: „Hochleistungsmedizin für jeden” nicht mehr finanzieren, zumindest nicht ohne drastische Erhöhungen der Beiträge. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb die Politik jetzt den Weg beschreitet, den hochregulierten Gesundheitsmarkt zunehmend dem Kräftespiel des freien Marktes zu überlassen – just zu einer Zeit, in der mit dem Anspruch und der Forderung nach medizinischer Qualität marktschreierisch geworben wird. Ein vormals ethisches Gut soll somit, aus rein ökonomischen Gründen oder Zwängen, marktwirtschaftlich gesteuert werden. Man könnte auch sagen, ein ethisches Gut wird zum Konsumprodukt gemacht.

Woher bekommt aber ein junger Arzt die Fähigkeiten, ein kleines Unternehmen zu führen? Ärzte lernen zwar im Krankenhaus durchaus drastische und rigoros durchgesetzte ökonomische Zwänge kennen, die oft gar nicht zu den eigenen medizinischen Vorstellungen passen. Wenn sie dann aber nach erfolgreicher Ausbildung ihren eigenen „Marktstand”, sprich Praxis, aufbauen, müssen viele trotz massiven Arbeitseinsatzes erkennen, zunehmend durch den Kostendruck in der Entscheidungsfreiheit eingeschränkt zu werden und somit rechtmäßigen Ansprüchen der Patienten nicht mehr gerecht werden zu können. Wenn sie dann noch merken, dass sie von den verbleibenden Einkünften nicht leben können, folgt ein ungläubiges Erwachen. Dann fragt man sich: habe ich vielleicht nicht genug Werbung gemacht? Warum sagen mir Berater, ich hätte wohl nicht aggressiv genug abgerechnet? All das zeigt erfreulicherweise, dass im Empfinden junger Ärzte – trotz allem – wohl noch Gedanken an die eigentliche Berufung im Vordergrund stehen können.

Am Ende schließt man sich gezwungenermaßen dem Kreis der marktorientierten Gesundheitsanbieter an und ist motiviert, seinen Patienten als „Kunden” anzusehen! Von jetzt an ist alles anzuwenden was legitim ist, die Bilanz aufzubessern. Aus dem „IGEL” darf vielleicht sogar ein „Stachelschwein” werden. Aus dem Arzt ist ein Akteur auf dem Gesundheitsmarkt geworden.

Fast logisch, dass auch hier zahllose Manager in vielfältigen Positionen, die im Speckgürtel rund um die Medizin entstanden sind, Spitzengehälter kassieren. Jedoch sind diese an der Basis, wo das Geld eigentlich verdient wird, weder beteiligt, noch tragen sie medizinische Verantwortung. Ihre Kenntnisse reichen aber, um sich per Zwang endlose Statistiken erstellen zu lassen und dann den eigentlichen Leistungserbringern eventuell auch noch Oberflächlichkeit, überhastete Diagnosen und häufig zu wenig Zuwendung sowie Verschwendung vorzuwerfen. Sie sind es auch, die gerne bei Presse, Funk und Fernsehen auftreten, um sich dort für ihre einträglichen Jobs auf dem Gesundheitsmarkt zu profilieren. Der angenehme Bereich, in dem sie agieren, wird vornehm als zweiter Gesundheitsmarkt beschrieben, und es ist eine Frage der Zeit, wann dieser den ersten einholt. Breit vermischt sind sie schon jetzt. Ärzte wenden nun zu Recht alle Mittel an, um vom „Kunden” möglichst viel Geld zu bekommen. Das führt dazu, dass beim Betreten einer Praxis heute vielfältige Angebote aus dem ersten und zweiten Gesundheitsmarkt bestehen, bis hin zu Wellness – woraus auch schnell mal Wellnepp werden kann.

Der „morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich” der neuen Gesundheitsreform, kurz Morbi–RSA genannt, erscheint zwar sehr plausibel. Wenn nun Krankenkassen, oder „Gesundheitskassen”, für Mitglieder mit schwereren Erkrankungen mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommen sollen als für gesunde Mitglieder, hört sich das zunächst gut an. Unklar ist, ob auch mehr Geld bei den Ärzten bzw. Patienten ankommt. Es besteht sogar die Gefahr, ohne etwas unterstellen zu wollen, dass wir nicht nur übermäßig häufig zum Arzt gehen, sondern dass sich die Kassen wünschen könnten, dass wir statistisch immer kranker werden. Geld zieht ja bekanntlich Verhaltensweisen nach sich.

Unlängst wurde bereits in einem Fernsehpolitmagazin berichtet, dass in Süddeutschland Kassen mit dem Ansinnen an ihre Ärzte herangetreten seien, die eingereichten Diagnosen wohl in diesem Sinne noch einmal nachzucodieren!

Wer weiß schon, wohin speziell im Superwahljahr 2009 der Zug fährt? Den Ärzten, als den eigentlichen Akteuren am Gesundheitsmarkt, bleibt wohl nur übrig, sich den ökonomischen Regeln und Zwängen besonders gut anzupassen. Denn sonst kann es passieren, dass sie auf ihrem Markt nicht einmal mehr die „Standmiete” bezahlen können. Oder müssen sie vielleicht sogar auf einen Zug aufspringen, der sie dahin bringt, wo die Verhältnisse besser sind?

Prof. Dr. med. Burckart Stegemann

Hagen

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