Einleitung
Einleitung
Die verschiedenen Formen der akut oder der chronisch verlaufenden Leukämien werden
in ihrer Gesamtheit als maligne Neoplasien hämatopoetischer Zellen des Knochenmarks
aufgefasst. Das biologische Ausbreitungsmuster und die damit verbundenen Folgen für
den Organismus sind bei allen Leukämieformen vergleichbar. Die Generalisation der
leukämischen Zellklone im Knochenmark führt zunächst zu einer Verdrängung, später
zu einer funktionellen Insuffizienz der hämatopoetischen Stammzellen. Durch eine Ausschwemmung
der malignen Zellen in das periphere Blut können alle extramedullären Organsysteme
einschließlich der Haut in den Krankheitsprozess mit einbezogen werden. Beide Mechanismen,
die Insuffizienz des Knochenmarks und die Infiltration extramedullärer Organe, sind
für sich allein oder auch gemeinsam verantwortlich für die umfangreiche dermatologische
Symptomatik der Leukämien. Unabhängig von der jeweiligen Leukämieform werden die assoziierten
dermatologischen Befunde in spezifische und unspezifische Hautveränderungen eingeteilt.
Als spezifisch werden diejenigen bezeichnet, die sich histopathologisch durch ein
leukämisches Infiltrat auszeichnen. Diese spezifischen Läsionen, die unter der Diagnose
Leucaemia cutis zusammengefasst werden, zeichnen sich durch eine ausgeprägte klinische
Polymorphie aus. Dabei zählen erythematöse Papeln, Knoten und Plaques zu den häufigsten
Manifestationen der Leucaemia cutis, während Ekchymosen, infiltrierte Erytheme, Erythrodermien,
Blasen oder Ulzera seltener beobachtet werden [1]
[2]. Die Facies leontina und das Chlorom gelten als klinische Entitäten der Leucaemia
cutis [2]
[3]. Im Gegensatz zu den verschiedenen klinischen Manifestationen der Leucaemia cutis
entwickeln sich die unspezifischen Hautveränderungen der Leukämien als Folge einer
gestörten Hämatopoese oder sind Ausdruck einer neoplastischen Genese. Während sich
die Inzidenzraten der Leucaemia cutis bei den einzelnen Leukämieformen deutlich unterscheiden,
z. B. mit Werten von 2 – 3 % bei der akuten lymphatischen und der chronischen myeloischen
Leukämie oder mit 8 – 27 % bei der chronischen lymphatischen Leukämie, sind die unspezifischen
Hautveränderungen insgesamt häufiger und treten unabhängig von den einzelnen Leukämieformen
bei 25 – 40 % aller betroffenen Patienten auf [4]
[5]
[6]
[7]. Die auf eine gestörte Hämatopoese zurückzuführenden unspezifischen Hautveränderungen
zeigen sich bei Thrombozytopenien als hämorrhagische Läsionen, z. B. in Form einer
Purpura, als Ekchymosen oder Sugillationen. Bei Leukozytopenien oder Funktionsstörungen
der entsprechenden Zellreihen entwickeln sich hingegen akute oder häufiger chronisch-persistierende
Infektionen. Hierzu zählen der nekrotisierende Herpes simplex, der Herpes zoster generalisatus,
chronisch verlaufende bakterielle Infektionen und klinisch ungewöhnliche Mykosen [8]
[9]
[10]. Darüber hinaus werden bei den Leukämien auch kutane Paraneoplasien in die Gruppe
der unspezifischen Hautveränderungen eingeordnet. Neben dem generalisierten, therapieresistenten
Pruritus und Exanthemen unterschiedlicher Morphologie gelten besonders das Sweet-Syndrom
und das Pyoderma gangraenosum als typische Leukämie-bedingte Paraneoplasien [10]
[11]
[12]. Die insektenstichartigen Hautveränderungen stellen eine weitere, weniger bekannte
kutane Paraneoplasie dar, die in der Mehrzahl der Fälle mit einer chronischen lymphatischen
Leukämie assoziiert ist und möglicherweise häufiger vorkommt, als dies aufgrund der
wenigen Literaturberichte vermutet werden darf. Die vorliegende Kasuistik beschreibt
das Krankheitsbild der insektenstichartigen Hautveränderungen in typischer Weise und
soll zu dessen Kenntnis beitragen.
Kasuistik
Kasuistik
Anamnese
Bei dem zum Zeitpunkt der ersten Vorstellung 72-jährigen Patienten war im Mai 2003
die Diagnose einer chronischen lymphatischen Leukämie (B-CLL) gestellt worden. Vom
Februar bis zum Oktober 2007 erfolgte eine Behandlung mit Chlorambucil. Im April 2008
wurde eine Bendamustin-Therapie eingeleitet, die jedoch bereits nach dem ersten Zyklus
wegen einer ausgeprägten Panzytopenie wieder beendet werden musste. Einen Monat nach
Abbruch der Bendamustin-Therapie im Mai 2008 bemerkte der Patient heftig juckende
Hautveränderungen am Stamm, später auch an den Extremitäten. Die dermatologische Behandlung
wurde in der Folgezeit mit einer Triamcinolon-Rezeptur und mit Permethrin durchgeführt.
Zusätzlich erhielt der Patient verschiedene orale Antihistaminika (Cetirizin, Loratadin
und Fexofenadin). Einen Einfluss auf den Pruritus hatten diese Behandlungsmaßnahmen
nicht, gleichzeitig entwickelten sich kontinuierlich neue Läsionen. Obwohl der Patient
keine Insekten oder Insektenstiche beobachtet hatte, wurden im Schlafzimmer wiederholt
Insektizide ausgebracht. Eine Auswirkung auf den Verlauf der Dermatose zeigte aber
auch diese Maßnahme nicht. Die Ehefrau des Patienten hatte im Übrigen zu keinem Zeitpunkt
vergleichbare Hautveränderungen entwickelt. Im Oktober 2008 stellte sich der Patient
dann erstmals in der Hautklinik Bremerhaven vor.
Dermatologischer Befund
Am Rücken einzelne oder gruppiert stehende, hingegen gluteal, an den Unterschenkelstreckseiten
und in den Außenknöchelbereichen ausschließlich in Gruppen angeordnete, überwiegend
linsengroße, erythematöse Papeln oder gleich große Exkoriationen mit Umgebungserythem
([Abb. 1 3]).
Abb. 1 Linsengroße, teilweise exkoriierte erythematöse Papeln Schulter links.
Abb. 2 Detailaufnahme erythematöser Papeln am Rücken.
Abb. 3 Teilweise neue, teilweise in Abheilung befindliche Exkoriationen Außenknöchelbereich
rechts.
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Histopathologische Befunde
Biopsie einer Papel am Rücken: Superfizielle und in die Tiefe reichende perivaskuläre
Dermatitis ohne Veränderungen der Epidermis, insbesondere auch keine Spongiose. Die
von den fleckförmigen Infiltrationen umgebenen Gefäße sind geringfügig erweitert.
Die Infiltrate bestehen aus Lymphozyten und einigen Eosinophilen ([Abb. 4]).
Abb. 4 Mäßig dichtes lymphohistiozytäres, perivaskulär akzentuiertes Infiltrat mit eosinophilen
Granulozyten. Venolen mit geschwollenen Endothelzellen (HE × 400)
Zelldifferenzierungsbefund: CD 3- und CD 5-stark positiv, CD 20- und CD 23-negativ, CD 43-positiv. Population
von T-Lymphozyten ohne Hinweis auf Infiltrat der bekannten chronischen lymphatischen
Leukämie.
Diagnose: Bei anamnestisch bekannter chronischer lymphatischer Leukämie entspricht der Befund
einer insektenstichartigen Hautveränderung bei Leukämie, die klinisch und histopathologisch
eine Arthropodenreaktion simuliert (Dr. C. Diaz, Einsendungslabor für Dermatopathologie,
Freiburg).
Laborbefunde
Blutbild: Leukozyten 6.4 (NW: 4 – 10,5/nl), Erythrozyten 3.95 (NW: 3.5 – 5.8/pl), Hämatoglobin
12.6 (NW: 14.0 – 18.0 g/dl), Hämatokrit 37.2 (NW: 38 – 51 cl/l), MCV 94.4 (NW: 93 – 99 fl),
HbE 32.0 (NW: 27 – 34 pg/Ery), RDW 13.8 (NW: 11 – 16 % VC), Thrombozyten 117 (NW:
130 – 450/nl).
Differenzialblutbild: Stabkernige 10 (NW: 0 – 6 %), Segmentkernige 20 (NW: 45 – 85 %), Eosinophile 1 (NW:
0 – 6 %), Monozyten 2 (NW: 1 – 11 %), Lymphozyten 55 (NW: 10 – 50 %), atypische lymphatische
Zellen 12 (NW: 0 – 3 %).
Ohne pathologische Befunde: Nierenpflichtige Substanzen, Lebertransaminasen, Bilirubin, BZ, HbA1c, Elektrolyte,
Eiweißelektrophorese und Urinstatus.
Ergänzende Untersuchungen
Rö.-Thorax ohne pathologische Befunde. Oberbauchsonografie Splenomegalie (21 × 8 cm),
sonst unauffällige Befunde.
Therapie und Verlauf
Therapie und Verlauf
Bei einem Körpergewicht von 79 kg wurde eine orale Behandlung mit 40 mg Prednisolon
täglich eingeleitet. Bei einer Wiedervorstellung nach 2 Wochen bestand subjektiv kein
Pruritus mehr. Im Bereich der ursprünglich vorhandenen erythematösen Papeln zeigten
sich nun postinflammatorisch braun pigmentierte Maculae. Die Prednisolon-Dosis wurde
im Verlauf der nächsten zwei Monate auf 5 mg täglich reduziert. Erneut klagte der
Patient über Pruritus im Bereich der persistierenden Pigmentierungen. Unter Beibehaltung
der Prednisolon-Dosis von 5 mg täglich wurde zusätzlich eine Prednicarbat-haltige
Creme verordnet, wodurch sich der Pruritus zurückbildete. Bei der oralen Behandlung
ist es in den folgenden drei Monaten zu keiner erneuten Symptomatik gekommen.
Diskussion
Diskussion
Robert Weed veröffentlichte 1965 einen Artikel über ungewöhnliche Insektenstichreaktionen
bei Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie [13]. Er bezeichnete diese Reaktion als „exaggerated response to insect bites”. Innerhalb
einer Gruppe von 89 Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie war es bei 8
Patienten zu gesteigerten Insektenstichreaktionen gekommen. Alle Patienten hatten
die Insekten bei den Stichen bemerkt oder es zeigten sich im Zentrum der Läsionen
Insektenstichmerkmale in Form punktförmiger Hämorrhagien. Diejenigen Patienten, die
die Stiche beobachten konnten, gaben übereinstimmend an, dass es sich bei den Insekten
um Moskitos gehandelt hatte. Die klinischen Befunde waren bei allen Patienten zwischen
Mai und September aufgetreten, der üblichen Flugzeit der Moskitos im Wohngebiet der
Patienten in Rochester. Die Dynamik der auftretenden Insektenstichreaktionen wurde
von den Betroffenen in vergleichbarer Weise beschrieben. Die einzelnen Läsionen entwickelten
sich langsam, erreichten nach 12 – 24 Stunden ihre maximale Ausprägung und bildeten
sich anschließend in einem Zeitraum von 2 – 14 Tagen vollständig zurück. Als bevorzugte
Lokalisation waren das Gesicht und die Extremitäten betroffen. Die klinische Morphologie
beschrieb Weed als mehrere Zentimeter durchmessende, ödematös infiltrierte, erythematöse
Plaques, die an ihrer Oberfläche vereinzelt hämorrhagische Blasen oder Erosionen aufwiesen.
Subjektiv wurde von den Patienten ein deutlicher Pruritus angegeben. Die so beschriebenen,
zweifellos nachvollziehbar als gesteigerte Insektenstichreaktionen bezeichneten Morphen
waren bei den von Weed beobachteten Patienten 1 – 4 Jahre nach der jeweiligen Diagnose
einer chronischen lymphatischen Leukämie bemerkt worden. Im Vergleich zu Patienten
mit einer chronischen myeloischen Leukämie oder allergologischen Grundkrankheiten
sowie einer Gruppe des medizinischen Klinikpersonals waren gesteigerte Insektenstichreaktionen
bei den Patienten mit einer chronischen lymphatischen Leukämie deutlich häufiger.
Aufgrund seiner Untersuchungen postulierte Weed einen kausalen Zusammenhang zwischen
der chronischen lymphatischen Leukämie und den gesteigerten Insektenstichreaktionen
auf der Basis einer veränderten immunologischen Reaktionsweise der Lymphozyten.
Im Gegensatz zu den von Weed beschriebenen gesteigerten Insektenstichreaktionen berichteten
Barzilai et al. 1999 über Patienten mit verschiedenen hämatologischen Neoplasien,
bei denen Läsionen aufgetreten waren, die klinisch-morphologisch Insektenstichen entsprachen
[14]. Allerdings ergaben sich bei diesen Patienten keine Hinweise für tatsächlich erfolgte
Insektenstiche. Zunächst hatten die Patienten selbst keine Insekten bei Stichen beobachtet.
Die Befunde waren gleichmäßig verteilt im Bereich bedeckter und unbedeckter Körperpartien
entstanden. Eine jahreszeitliche Abhängigkeit des Auftretens konnte nicht festgestellt
werden. Die einzelnen Morphen bestanden jeweils für etwa eine Woche bei typischerweise
chronisch-rezidivierendem Verlauf der ständig neu entstehenden Läsionen. Bei einzelnen
Patienten konnten Krankheitsverläufe von bis zu 5 Jahren ermittelt werden. Der Verzicht
auf Aktivitäten im Freien und der Einsatz von Insektiziden oder Insektenschutzmitteln
zeigte keinen Einfluss auf den Verlauf der Dermatose. Anders als Weed beobachten Barzilai
et al. bei ihren 8 Patienten zwei voneinander deutlich abweichende klinisch-morphologische
Varianten. Neben mehrere Zentimeter durchmessenden erythematösen Plaques, identisch
mit den Befunden von Weed, konnten Barzilai et al. zusätzlich überwiegend linsengroße,
häufig zentral exkoriierte, erythematöse Papeln beschreiben, die, wie eine Fotodokumentation
des Artikels der Autoren beispielhaft zeigt, in umschriebenen Lokalisationen gleichmäßig
verteilt aufgetreten waren. Diese unterschiedlichen klinischen Läsionen wurden von
Barzilai et al. bei ihren Patienten jeweils für sich allein oder vereinzelt auch in
Kombination gesehen. Sowohl die Plaqueform als auch die kleinpapulöse Variante sind
später wiederholt auch von anderen Autoren beschrieben worden [15]
[16]
[17]
[18]
[19]. Das klinische Bild unseres hier vorgestellten Patienten entspricht im Übrigen der
kleinpapulösen Form in typischer Weise. In Abgrenzung zu der von Weed beschriebenen
gesteigerten Insektenstichreaktion bezeichneten Barzilai et al. die von ihnen beobachtete
Dermatose als „insect bite-like reaction” oder unter Berücksichtigung der histopathologischen
Befunde auch als „eosinophilic eruption of hematoproliferative disease”. Die gesteigerte
Insektenstichreaktion von Weed und die insektenstichartigen Hautveränderungen von
Barzilai et al. sind durch identische histopathologische Befunde gekennzeichnet. Bei
unauffälliger Epidermis findet sich in der Dermis ein zumeist dichtes perivaskuläres
oder auch interstitiell angeordnetes Infiltrat, bestehend aus eosinophilen Granulozyten,
Lymphozyten und vereinzelten Histiozyten [13]
[14]
[20]
[21]. Das histopathologische Bild entspricht somit den typischen Befunden einer Iktus-Reaktion
und ist von dieser nicht zu trennen. Die Übereinstimmung der klinischen und histopathologischen
Befunde der gesteigerten Insektenstichreaktion von Weed und der insektenstichartigen
Hautveränderung von Barzilai et al. hat vereinzelt zu der Annahme geführt, dass es
sich bei den beiden Dermatosen um ein identisches Krankheitsbild handelt [19]. Aufgrund der anamnestischen Angaben der Patienten, der Verteilung und des unterschiedlichen
jahreszeitlichen Auftretens der Morphen sowie der deutlich voneinander abweichenden
zeitlichen Verläufe kommt eine Mehrzahl der Autoren jedoch zu der Auffassung, dass
es sich bei den von Weed und Barzilai et al. beschriebenen Dermatosen um zwei unterschiedliche
Erkrankungen handelt [16]
[17]
[22]
[23]. Die Pathogenese der insektenstichartigen Hautveränderungen ist nicht geklärt. Einer
Hypothese von Barzilai et al. zufolge könnte eine Störung der Zytokinexpression mit
einer verstärkten Produktion von IL-4 und IL-5 eine gesteigerte Proliferation maligner
B-Zellen verursachen, was wiederum eine veränderte Immunantwort bedingen könnte, charakterisiert
durch ein eosinophiles Infiltrat [14]. Die Behandlung der insektenstichartigen Hautveränderung ist schwierig. Übereinstimmend
wurde in allen Publikationen auf die Therapieresistenz der Dermatose hingewiesen.
Dabei zeigten sich Behandlungen mit topischen Glukokortikoiden, antipruriginösen Rezepturen
oder Antiscabiosa als ebenso wenig wirksam wie systemische Therapien mit Antibiotika,
Antihistaminika oder alpha-Interferon. Auch die UVB-Fototherapie erwies sich als weitgehend
wirkungslos [14]
[16]
[20]. Unter oraler Behandlung mit Prednisolon in Dosierungen von mindestens 40 mg täglich
konnten wiederholt Rückbildungen der insektenstichartigen Hautveränderungen beobachtet
werden. Bei einigen dieser Patienten kam es nach Dosisreduktion oder Beendigung der
Prednisolontherapie zu Rezidiven, sodass in diesen Fällen nur von einem morbostatischen
Therapieeffekt ausgegangen werden kann [14]
[16]
[20]. Neben der systemischen Therapie mit Glukokortikoiden konnte einzelnen Berichten
zufolge auch Dapson erfolgreich zur Behandlung der insektenstichartigen Hautveränderungen
eingesetzt werden [16]
[24]. Für die Einordnung der insektenstichartigen Hautveränderungen in die Gruppe der
kutanen Paraneoplasien ist die Frage von besonderem Interesse, welchen Verlauf die
Dermatose bei einer Chemotherapie der zugrunde liegenden malignen Neoplasie zeigt.
Tatsächlich konnten wiederholt Rückbildungen unter Chemotherapie beobachtet werden
[16]
[19]
[20]
[23]. Bei einer Patientin, deren akute lymphatische Leukämie als geheilt eingeordnet
wurde, kam es ohne weitere dermatologische Therapie zur vollständigen Rückbildung
der insektenstichartigen Hautveränderungen [14]. Bei den klinischen Differenzialdiagnosen müssen bei der kleinpapulösen Form der
insektenstichartigen Hautveränderungen eine Skabies, eine Follikulitis simplex und
ein follikuläres Ekzem berücksichtigt werden. Die großknotige oder plaqueförmige Variante
der Dermatose ist hingegen von gesteigerten Insektenstichreaktionen, einer Leucaemia
cutis, einer nodösen Vaskulitis oder einem Erythema exsudativum multiforme abzugrenzen
[1]
[14]
[17]
[24].
Die insektenstichartigen Hautveränderungen können zu den kutanen Paraneoplasien gezählt
werden. Nur in einem einzigen Fall konnten Barzilai et al. ein spezifisches Infiltrat
im Bereich insektenstichartiger Hautveränderungen nachweisen, sodass in Einzelfällen
grundsätzlich auch einmal die Möglichkeit bestehen mag, die insektenstichartigen Hautveränderungen
als Ausdruck einer Leucaemia cutis zu werten [14]. Unter dem Begriff der kutanen Paraneoplasien werden sehr unterschiedliche Dermatosen
zusammengefasst, deren Auftreten nicht direkt auf die Anwesenheit eines gleichzeitig
bestehenden malignen Tumors zurückzuführen ist. Folgerichtig werden Hautmetastasen
eines viszeralen Malignoms oder einer myeloproliferativen Neoplasie nicht als kutane
Paraneoplasie verstanden. Eine Acanthosis nigricans maligna bei einem Magenkarzinom
oder eine Akrokeratose Bazex bei einem Karzinom im oberen Gastrointestinaltrakt zählen
hingegen zu den kutanen Paraneoplasien, da sie quasi „neben” dem Tumor als begleitendes
dermatologisches Phänomen auftreten. Neben der Existenz einer malignen Tumorerkrankung
gelten eine ungewöhnliche Therapieresistenz der tumorassoziierten Dermatose sowie
ein paralleler Verlauf der onkologischen und der dermatologischen Erkrankung als weitere
Eigenschaften kutaner Paraneoplasien [25]
[26]. Die insektenstichartigen Hautveränderungen erfüllen diese Kriterien einer kutanen
Paraneoplasie. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, zu denen möglicherweise vergleichbare
Hautveränderungen bei HIV-Infektionen gezählt werden können, sind die insektenstichartigen
Hautveränderungen nur bei Patienten mit malignen myeloproliferativen Neoplasien beschrieben
worden [27]
[28]. Bei der Mehrzahl der Patienten konnten chronische lymphatische Leukämien und Mantelzelllymphome
beobachtet werden, seltener akute lymphatische Leukämien, akute Monozytenleukämien
und großzellige Non-Hodgkin-Lymphome [14]
[16]
[18]
[21]
[24]. Die Therapieresistenz der kutanen Paraneoplasien ist eine weitere Eigenschaft,
die auch für die insektenstichartigen Hautveränderungen typisch ist. Nur eine systemische
Prednisolon-Therapie hat sich wiederholt als wirksam erwiesen, jedoch in den meisten
Fällen nur vorübergehend in Abhängigkeit von der Dosierung und der Therapiedauer.
Die zeitliche Beziehung zwischen dem Auftreten der insektenstichartigen Hautveränderungen
und der malignen Grunderkrankungen sowie deren jeweiliger Verlauf lassen sich ebenfalls
mit der Definition einer kutanen Paraneoplasie vereinbaren. In der Mehrzahl der Fälle
entwickelten sich die insektenstichartigen Hautveränderungen erst Jahre nach der Diagnose
der Leukämie oder des Lymphoms, eine zeitliche Beziehung, die in der Regel auch für
andere kutane Paraneoplasien typisch ist [14]
[18]
[26]. Seltener, und auch dies in Analogie zur gesamten Gruppe der kutanen Paraneoplasien,
ist eine Umkehr der zeitlichen Abfolge mit primärer Manifestation der Dermatose und
erst nachfolgender Diagnose der onkologischen Grunderkrankung beobachtet worden [16]
[18]. Als weiterer Beleg für die paraneoplastische Genese der insektenstichartigen Hautveränderungen
kann der Einfluss der onkologischen Behandlung auf den Verlauf der Dermatose herangezogen
werden. Während der Chemotherapie der malignen Neoplasien mit Verbesserung der klinischen
und laborchemischen Parameter konnten Rückbildungen der insektenstichartigen Hautveränderungen
dokumentiert werden [16]
[19]
[20]
[23]. Bei der kurativen Behandlung einer akuten lymphatischen Leukämie wurde eine Abheilung
der Dermatose beschrieben [14].
Als Resümee der hier vorgestellten Kasuistik lässt sich die Empfehlung formulieren,
dass bei vermeintlichen Insektenstichen, die einen chronisch persistierenden Verlauf
nehmen, zur „Unzeit” im Herbst oder Winter auftreten und eine ungewöhnliche Therapieresistenz
zeigen, auch an die Diagnose der insektenstichartigen Hautveränderungen bei einer
malignen myeloproliferativen Neoplasie gedacht werden sollte.