Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(4): 171
DOI: 10.1055/s-0029-1223224
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Über den Wert ärztlicher Arbeit

Ulrich Rendenbach
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Publication Date:
04 May 2009 (online)

Im Gesundheitswesen reden alle vom Geld, und meistens von Milliarden Euro, die zum Beispiel „die Ärzte“ mehr bekommen. Warum sind die Vertragsärzte denn dann so unzufrieden? Wo bleibt das Geld? Ein Beispiel: Allein die 600 (!) Informationspflichten, welche die Vertragsärzte im Jahr 2005 erfüllen mussten, kosteten 1,6 Milliarden Euro, berichtete das Deutsche Ärzteblatt am 25.12.2006. Diese Summe dürfte sich für das Jahr 2009 verdoppelt haben. Fließt das Geld der Versicherten in dieses Fass ohne Boden?

Ursprünglich sollten durch die Solidargemeinschaft der in der gesetzlichen Krankenasse (GKV) Versicherten unverschuldete Notlagen wie Krankheiten und Verletzungen abgesichert werden. Dem ist schon lange nicht mehr so. Heute müssen die Bürger mit ihren Zwangsabgaben zudem die Gesundheitsbürokratie finanzieren. Noch nie wurden sie von Politikern gefragt, was sie eigentlich wollen. Genau genommen zahlen die Versicherten also eine Steuer, die der Staat eintreiben lässt. Dabei ist die Gesamtsumme per Vorschrift begrenzt, die Rationierung vorprogrammiert.

Aus diesem komplizierten System wird die ärztliche Arbeit bezahlt. So kostet die Behandlung einer Pneumonie eines adipösen Diabetikers mit koronarer Herzerkrankung und Herzinsuffizienz – ja wie viel eigentlich? Das Honorar des Arztes hängt ab vom Standort der Praxis, ob er Hausarzt oder Pulmologe ist, wie viele Patienten er im vergangenen Jahr behandelt hat und davon, was die Fachgruppe abrechnet. Die Summe bewegt sich zwischen 0 und 40 Euro, kann aber doppelt so hoch sein, wenn der Patient seine Pneumonie mit ins neue Quartal nimmt. Die anderen Krankheiten aber werden auch dann 3 Monate ohne Honorar behandelt.

Mit einem geschickten System der erneuten Terminvergabe kann eine Praxis aber durchaus Gewinn erwirtschaften. Ein Beispiel ist das oft genug unnötige Wiedereinbestellen zur Kontrolle, 1- oder 2-mal im Quartal, je nach Diagnose. Über die Masse – beispielsweise der Arzt-Patienten-Kontakte – versucht man heute, das Regelleistungsvolumen finanziell auszuschöpfen. Jedes Quartal muss möglichst jeder in mindestens eine Arztpraxis gehen, damit sich das Gebührensystem für die Vertragsärzte rechnet. Ob dies notwendig ist, danach wird nicht gefragt.

Die Gesellschaft leistet sich heute eine Inflation ärztlicher Leistungen zu einem Niedrigpreis des einzelnen Angebots, bei dem die Qualität leiden muss. In der Regel lassen sich die Sorgfalt und die Qualität der Arbeit von „Leistungserbringern“ an deren Honorar messen. Wie ist dies bei Ärzten? Der „Freiberufler“ Arzt darf keine selbst kalkulierten Preise für seine Leistung verlangen. Doch welcher Arzt kann beispielsweise bei der Leichenschau für 14,57 Euro der gesetzlich vorgeschriebenen umfangreichen Dokumentation zur Vorlage beim Standesamt mit der verlangten „höchsten Sorgfalt“ (GOÄ, Ziffer 100) nachkommen? Das Wirtschaftsunternehmen Arztpraxis jedenfalls nicht. Da muss eine „Mischkalkulation“ herhalten, und der Mediziner muss seinen Betrieb über Privatpatienten und IGeL-Leistungen subventionieren.

Im Klartext heißt das: Eine Einzelpraxis, die nur Kranke nach beweisorientierter Medizin (EbM) behandelt und nichts Unnötiges abrechnet, kann wirtschaftlich nicht mehr überleben. Vielleicht wird es zukünftig eine Bundesagentur für Gesundheit geben, angesiedelt direkt neben dem Gesundheitsfonds, denn der Focus meldete schon 2006, nicht weniger als 8 Krankenkassen seien von der Insolvenz bedroht. Bleibt die Frage: Ist eine Allianz zwischen Kassen und Ärzten möglich – vielleicht zur Stärkung der Wirtschaftskraft?

Dr. Ulrich Rendenbach

Duderstadt

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