Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(34/35): 1673
DOI: 10.1055/s-0029-1233997
Editorial
Nephrologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die vielfältigen, spannenden Arbeitsgebiete der experimentellen und klinischen Nephrologie

The manifold and exciting areas of investigation in experimental and clinical nephrologyG. A. Müller1
  • 1Abteilung Nephrologie und Rheumatologie, Universitätsmedizin Göttingen
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Publication Date:
25 August 2009 (online)

Die neu gegründete Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), die im Wesentlichen aus Mitgliedern der Gesellschaft für Nephrologie (GfN) und der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Nephrologie (DAGKN) hervorgegangen ist, hält ihre erste Jahrestagung im September 2009 in Göttingen, der Stadt mit langer, erfolgreicher Tradition in der Nierenheilkunde sowohl in Forschung wie auch Klinik. So begehen wir in diesem Jahr den 200. Geburtstag von Friedrich Gustav Jacob Henle (*19. Juli 1809), der viele Jahre in Göttingen schöpferisch tätig war. Alljährlich ehrt die Medizinische Fakultät der Universität Göttingen herausragende Persönlichkeiten auf allen Gebieten der medizinischen Forschung mit der Jacob Henle Medaille. Gerade die Forschungsaktivitäten im Bereich der Nierenheilkunde haben in den vergangenen Jahren dazu geführt, zahlreiche Erkrankungen der Nieren besser zu verstehen und damit auch besser behandeln zu können.

Die paarig angelegten Nieren mit ihrer ausgefeilten architektonischen und funktionellen Struktur haben vielfältige Aufgaben. Bereits geringe Störungen der Nierenfunktion wirken sich erheblich auf das kardiovaskuläre Risiko und damit auch auf die Morbidität und Mortalität der Patienten aus. Derzeit nimmt die Anzahl der Patienten mit terminaler, dialysepflichtiger Niereninsuffizienz weltweit zu. Neben den Belastungen für den Betroffenen stellt diese Entwicklung eine enorme Herausforderung für alle Gesundheitssysteme dar.

Das akute Nierenversagen ist mit einer hohen Mortalität verbunden ist. Eine eindeutige Charakterisierung war in der Vergangenheit aufgrund mangelnder einheitlicher Kriterien schwierig. In den vergangen Jahren wurde diese Erkrankung anhand der sog. RIFLE-Kriterien neu definiert (RIFLE = Risk, Injury, Failure, Loss and End Stage in relation to kidney function). In der Behandlung der Komplikationen kommen verschiedene Dialyseverfahren zum Einsatz. Sowohl der Zeitpunkt des Dialysebeginns als auch die „Dialysedosis” sind von besonderer Wichtigkeit.

In jüngster Zeit wurde unser Verständnis der Pathogenese und -mechanismen der Chronizität und Progression der Nierenerkrankungen sowohl aufgrund zell- und molekularbiologischer, aber auch tierexperimenteller Untersuchungen erheblich erweitert. Dabei spielen neben dem Immunsystem verschiedene Differenzierungsgrade unterschiedlicher Zelltypen vor allem eine Reihe von Botenstoffen (Zytokine), insbesondere aus der TGF-β-Superfamilie im Hinblick auf die Zelldifferenzierung eine ganz besondere Rolle. Dies ließ sich auch im Rahmen der sog. Epithelial Mesenchymalen Transition (EMT) nachweisen. Dabei können polare, nicht mobile Epithelzellen zu mobilen Fibroblasten differenzieren. Auch der umgekehrte Vorgang ist möglich, wobei derzeit noch wenig über die Funktionalität der so entstandenen Epithelzellen bekannt ist. Die Prozesse der Fibrogenese können z. B. durch BMP-7, einem Mitglied der TGF-β-Superfamilie, verhindert und damit die Nierenfunktion erhalten werden. Basierend auf diesen Erkenntnissen werden sich in der Zukunft neue therapeutische Aspekte ergeben.

Die erfolgreiche Nierentransplantation ist das beste Verfahren zur Therapie der terminalen dialysepflichtigen Niereninsuffizienz. Der Erfolg der Transplantation hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere von der Beeinflussbarkeit des Immunsystems, das für die Erkennung von fremden Eiweißen und damit auch von fremden Zellen und Geweben verantwortlich ist und diese deshalb zu elimieren versucht. Dies geschieht im Rahmen von Abstoßungsreaktionen, wobei vor allem die sog. HLA-Antigene („Transplantationsantigene”) von Bedeutung sind.

In jüngster Zeit wurden wesentliche Schritte in der Pathogenese der membranösen Glomerulonephritis aufgedeckt, die in unterschiedlichen Typen auftreten kann und für die es ein klassisches Tiermodell (Heymann-Nephritis) gibt. Im Erwachsenenalter ist sie Hauptursache einer großen Proteinurie verbunden mit all ihren Folgen. Es herrscht allgemeiner Konsens hinsichtlich der Behandlung von Begleiterkrankungen wie der arteriellen Hypertonie; allerdings ist bis heute offen, inwieweit eine immunsuppressive Therapie erfolgreich ist.

In der Diagnostik von Nierenerkrankungen hat die Beurteilung des Harns wie zu allen Zeiten einen hohen Stellenwert, so bereits in der klinischen Routinediagnostik, z. B. über die Albuminurie und Mikroalbuminurie. Mit Hilfe moderner Techniken, wie der proteomischen Harnuntersuchung sind wir auf der Suche nach verbesserten diagnostischen Parametern, z. B. sog. Biomarkern, die möglicherweise Nierenschäden in einem sehr frühen Stadium detektieren bzw. mit deren Hilfe eine Risikostratifizierung für den einzelnen Patienten möglich wird.

Die für dieses Schwerpunktheft ausgewählten Artikel geben nur einen kleinen Einblick in die vielfältigen, spannenden Arbeitsgebiete der experimentellen und klinischen Nephrologie. Die beiden Nieren werden noch lange Zeit wissenschaftliche Geheimnisse bergen, die es Wert sind, untersucht zu werden. Diesen Herausforderungen stellt sich die Nephrologie.

Prof. Dr. Gerhard A. Müller

Direktor der Abteilung Nephrologie und Rheumatologie, Universitätsmedizin Göttingen Georg-August-Universität

Robert-Koch Str. 40

37075 Göttingen

Email: gmueller@med.uni-goettingen.de

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