Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(11): 518
DOI: 10.1055/s-0029-1243750
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Fatale Duos – Depression verkürzt die Lebenserwartung – nach Herzinfarkt und bei Krebspatienten

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Publication Date:
01 December 2009 (online)

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Dass Patienten nach einem Herzinfarkt in ein „Stimmungstief“ fallen, ist bekanntermaßen gar nicht so selten. Etwa jeder 5. Infarktpatient ist betroffen. Den behandelnden Arzt sollte dies stets in „Alarmbereitschaft“ versetzen. Denn bekommt er die Depression nicht unter Kontrolle, steigt das Risiko des Patienten, in den folgenden Monaten zu versterben – und zwar umso mehr, je schwerer die depressive Störung ausgeprägt ist [1].

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Herzinfarkt und Depression: ausgeprägte Korrelation

Innerhalb von 7 Jahren verstarben 20,9  % der Patienten aus dem Kollektiv der SADHART[1]-Studie – insgesamt waren dies 369 depressive Herzinfarktpatienten. Dabei hatten die Studienteilnehmer mit einer relativ schweren Depression (Hamilton-Skala > 18) ein mehr als doppelt so hohes Risiko wie die Studienteilnehmer mit einer nur milden Depression (hazard ratio 2,30; p < 0,006).

Noch wichtiger als die Schwere der Depression scheint allerdings zu sein, wie schnell sich die Patienten davon erholten. So verstarben nur 15,6  % der Patienten, bei denen verhältnismäßig schnell eine Besserung eintrat. Persistierte die Depression über den Beobachtungszeitraum von 6 Monaten, betrug die Sterberate jedoch 28,4  % (hazard ratio 2,39; p < 0,001).

Dementsprechend halten es die Studienautoren für angebracht, Herzpatienten stets auch auf eine Depression hin zu testen. Bei einem positiven Ergebnis sei ganz klar eine antidepressive Behandlung indiziert. Zusätzlich gilt es natürlich, auch das kardiovaskuläre Risiko der Patienten strikt leitliniengerecht zu behandeln.

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Was kommt zuerst – Depression oder Infarkt?

Überraschenderweise jedoch hatte es keinen Einfluss auf das Ergebnis, ob es sich bei der Depression um eine Erstmanifestation – also eine Reaktion auf die Herzerkrankung – handelte, oder ob die Patienten schon vor ihrem Herzinfarkt an depressiven Episoden gelitten hatten. Möglicherweise triggern sich also Depressionen und koronare Herzerkrankungen wechselseitig. Unklar bleibt aber der Zusammenhang: Ist es die koronare Herzerkrankung, die Depressionen verursacht oder führen Depressionen zu Herzinfarkten?

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Stecken die Gene dahinter, oder das viszerale Fett?

Möglicherweise besteht zumindest eine gemeinsame genetische Prädisposition. Beispielsweise könnten schwere Depressionen und eine mikrovaskuläre Dysfunktion bzw. eine frühe Atherosklerose gemeinsame genetische Marker besitzen [2]. Eine andere Arbeitsgruppe wiederum spricht dem viszeralen, stoffwechselaktiven Fett eine wichtige Rolle zu. Sie fanden bei Frauen, die an einer klinisch relevanten Depression litten, fast 25  % mehr intraabdominelles Fett als Probandinnen mit weniger stark ausgeprägten depressiven Symptomen [3]. Besonders ausgeprägt war die Korrelation bei übergewichtigen bzw. adipösen Studienteilnehmerinnen.

Gut ins Bild passt in diesem Zusammenhang die prospektive Whitehall-II-Kohortenstudie [4], die klar einen Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und einem erhöhten Adipositasrisiko darstellt. Laut dieser prospektiven epidemiologischen Studie erhöht eine psychische Störung das Risiko für die Entwicklung starken Übergewichts, die umgekehrte Assoziation ist weniger stark ausgeprägt. Die Korrelation ist übrigens „dosisabhängig“: Deutete sich in der Befragung einmal eine psychische Erkrankung an, stieg das Risiko der Betroffenen um 33  %, bei 2 solcher Ergebnisse sogar um 64  % und auf mehr als das Doppelte, wenn 3 Ereignisse in den Folgeuntersuchungen dokumentiert waren (p < 0,001). Zudem war die Zunahme des Body-mass-Index umso größer, je öfter die Probanden psychische Symptome angaben.

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Auch bei Krebspatienten erhöht eine Depression das Sterberisiko

Auf eine potenzielle Depression zu achten, lohnt sich möglicherweise auch bei Krebspatienten. Denn größere depressive Störungen beeinflussen deren Mortalität. So haben Krebskranke mit einer ausgeprägten Depression ein um 39  % höheres Risiko, (p = 0,03), an ihrer Krebserkrankung zu versterben, als psychisch unauffällige Krebspatienten [5]. Erste Symptome einer Depression erhöhten das Sterberisiko immerhin um 25  % (p < 0,001). Eine Assoziation mit der Krankheitsprogression scheint allerdings nicht zu bestehen.

Aber auch wenn die Endpunkte dieser Metaananalye das Signifikanzniveau erreichten: Anders als die Assoziation, die zwischen dem Herz und der Depression besteht, ist das mit den depressiven Symptomen assoziierte Mortalitätsrisiko bei Krebspatienten relativ klein. Dementsprechend gering ist wohl auch die Rolle, die Depressionen für das Sterberisiko bei Krebspatienten spielen. sts

Diagnose von Depressionen – Nicht nur Hausärzte tun sich schwer

Wenn es darum geht, eine Depression korrekt zu diagnostizieren, schneiden Hausärzte – ebenso wie Ärzte aus anderen Fachgruppen – nicht wirklich gut ab. Nur in etwa 50  % der Fälle gelingt „Nichtpsychiatern“ eine treffsichere Diagnose, und nur gut ein Drittel dokumentiert die Angaben zu der Erkrankung korrekt in den Patientenakten [6]. Besser waren die Ärzte aufgestellt, wenn es um den Ausschluss einer depressiven Störung ging: Hier lagen sie in 81  % der Fälle richtig.

Dabei muss die korrekte Diagnose gar nicht so schwer sein. Ein probates Mittel scheint zu sein, Patienten, bei denen ein Verdacht auf eine depressive Störung aufkommt, erneut in die Praxis einzubestellen. Schon mehrere Patientenkontakte reichen der Metaanalyse zufolge aus, um die Treffsicherheit bei der Diagnose deutlich zu erhöhen.

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Literatur:

  • 1 Glassman AH. et al. . Arch Gen Psychiatry. 2009;  66 1022-1029
  • 2 Vaccarino V. et al. . Arch Intern Med. 2009;  169 1668-1676
  • 3 Everson-Rose SA. et al. . Psychosom Med. 2009;  71 410-416
  • 4 Kivimäki M. et al. . BMJ. 2009;  339
  • 5 Satin JR. et al. . Cancer. 2009;  115 5349-5361
  • 6 Mitchell AJ. et al. . Lancet. 2009;  374 609-619

1 Sertraline Anti-Depressant Heart Attack Randomized Trial

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Literatur:

  • 1 Glassman AH. et al. . Arch Gen Psychiatry. 2009;  66 1022-1029
  • 2 Vaccarino V. et al. . Arch Intern Med. 2009;  169 1668-1676
  • 3 Everson-Rose SA. et al. . Psychosom Med. 2009;  71 410-416
  • 4 Kivimäki M. et al. . BMJ. 2009;  339
  • 5 Satin JR. et al. . Cancer. 2009;  115 5349-5361
  • 6 Mitchell AJ. et al. . Lancet. 2009;  374 609-619

1 Sertraline Anti-Depressant Heart Attack Randomized Trial