Aktuelle Dermatologie 2010; 36(5): 171-176
DOI: 10.1055/s-0029-1244018
Eine Klinik im Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Skalpierung in der Dermatochirurgie

Medical Scalping in Dermatologic SurgeryC.  Löser1 , E.  Dippel1
  • 1Hautklinik, Klinikum Ludwigshafen gGmbH (Direktor: Prof. Dr. Edgar Dippel)
Further Information

Dr. Christoph Löser

Leitender Oberarzt, Hautklinik Ludwigshafen
Klinikum Ludwigshafen gGmbH

Bremserstr. 79
67063 Ludwigshafen

Email: C.Loeser@derma.de

Publication History

Publication Date:
16 March 2010 (online)

Table of Contents

Zusammenfassung

Die Entfernung großer Areale der Kopfhaut im Sinne einer Skalpierung oder Teilskalpierung gehört zu den größeren dermatochirurgischen Maßnahmen. Sie ist die Ultima ratio bei massiven Befunden am Kapillitium. Dazu gehören ausgedehnte epitheliale oder sarkomatöse Tumore und die zunehmend auftretende Feldkanzerisierung mit spinozellulären Karzinomen. Anhand von drei klinischen Verläufen berichten wir exemplarisch über Erfahrungen in der Durchführung dieser Eingriffe in Lokal- und Allgemeinanästhesie. Die verwendeten Verschlusstechniken reichen von gestaffelten Verfahren über sofortige Transplantatdeckungen bis hin zur alleinigen Sekundärheilung. Die Vorzüge der Skalpierung und Meshgraft-Deckung in einer Sitzung in Allgemeinanästhesie werden dargestellt.

Abstract

The surgical removal of large areas of the scalp is one of the more extensive procedures performed by dermatologic surgeons. It is chosen when there is massive involvement by epithelial or sarcomatous tumors, especially the increasing problem of field-cancerisation by spinocellular carcinoma. Presenting three clinical cases we describe the technical performance under local and general anaesthesia. The methods used for closure reach from staged procedures to immediate transplantation and include healing by second intention as well. Advantages in performing surgical scalping and closure by transplantation with meshgraft in one procedure will be discussed.

Einleitung

Die Kopfhaut ist besonders bei spärlichem Deckhaar oder Glatzenbildung verstärkt Lichteinflüssen ausgesetzt. Dies erklärt das flächenhafte Auftreten von aktinischen Keratosen, welche als Feldkanzerisierung in multiple spinozelluläre Karzinome übergehen können. Eine iatrogene Immunsuppression bei organtransplantierten Patienten führt gehäuft zu schweren Verläufen, wie in unserem Beispiel 3 dargestellt [6]. Atrophe, aktinische Altershaut neigt zu Wundheilungsstörungen und erschwert die Behandlung. Auch ausgedehnte Basalzellkarzinome oder sarkomatöse und andere Tumore werden an der Kopfhaut beobachtet. In frühen Stadien verfügt die Dermatologie über ein weites Spektrum an Behandlungsoptionen, welche von der flächenhaften Kürettage über topische Immunmodulation, kryo- oder laserchirurgische Verfahren und die fotodynamische Therapie bis zur mikrografisch kontrollierten Exzision reichen [7]. Bei sehr ausgedehntem oder rezidivierendem Befall mit epithelialen Tumoren bleibt als Radikallösung eine Skalpierung oder Teilskalpierung [2] [3] [5] [8].

Methode

Vorzugsweise in Intubationsnarkose, unterstützt durch Infiltrations- oder Tumeszensanästhesie, erfolgte die Umschneidung des betroffenen Areals mit dem Skalpell, die Präparation bis zur Faszie und dann die stumpfe Ablösung der Kopfhaut. Anschließend wurde eine Defektdeckung durch Transplantation mittels Spalthaut vom Oberschenkel (Meshgraft) unmittelbar in der gleichen Sitzung oder nach einer vorausgegangenen Granulationsphase vorgenommen.

Beispiel 1 ([Abb. 1 8])

Eine 1927 geborene Patientin mit einem Brooke-Spiegler-Syndrom entwickelte im Laufe des Erwachsenenalters typische Turban-Tumore am Kopf. Mehrere Familienmitglieder sind ebenfalls betroffen. Erst die zunehmende Ulzeration der Knoten im fortgeschrittenen Lebensalter veranlassten die Patientin zur Vorstellung. Voreingriffe waren nicht erfolgt. Im Jahr 2007 wurde die betroffene Kopfhaut in Vollnarkose komplett exzidiert. Nach einer mehrwöchigen Granulationsphase unter Feuchtverbänden erfolgte die Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel.

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Abb. 1 Klinischer Befund mit multiplen, teils exulzerierenden Knoten am behaarten Kopf.

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Abb. 2 Klinischer Befund mit multiplen, teils exulzerierenden Knoten am behaarten Kopf.

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Abb. 3 Zustand nach der Operation in Vollnarkose im Jahr 2007.

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Abb. 4 Präparat zur Veranschaulichung der Ausdehnung.

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Abb. 5 Drei Wochen nach Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel nach vorausgegangener Granulationsphase.

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Abb. 6 Ansicht von oben. Kontrollbefund zwei Jahre nach dem Eingriff im Jahr 2009.

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Abb. 7 Ansicht von vorne. Kontrollbefund zwei Jahre nach dem Eingriff im Jahr 2009.

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Abb. 8 Patientin mit Perücke, im Jahr 2009.

Beispiel 2 ([Abb. 9 14])

Bei einen 1923 geborenen Patienten mit rezidivierendem spinozellulärem Karzinom am Vertex mit schrittweiser Ausbreitung auf die Stirn auf einer Fläche von über 80 cm² erfolgte 2007 die flächenhafte Exzision der Kopfhaut. Nach einer mehrwöchigen Granulationsphase unter Feuchtverbänden wurde der Defekt mit Spalthaut vom Oberschenkel gedeckt.

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Abb. 9 Klinischer Befund mit multiplen flachen Knoten, Erosionen und krustig belegten Arealen.

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Abb. 10 Zustand unmittelbar nach der Operation in Vollnarkose im Jahr 2007.

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Abb. 11 OP-Präparat.

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Abb. 12 Ansicht von oben. Befund sechs Wochen nach Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel nach vorausgegangener Granulationsphase.

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Abb. 13 Ansicht von seitlich-vorne. Befund sechs Wochen nach Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel nach vorausgegangener Granulationsphase.

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Abb. 14 Kontrollbefund ein Jahr nach dem Eingriff im Jahr 2008.

Beispiel 3 ([Abb. 15 20])

Unter der immunsuppressiven Behandlung nach einer Nierentransplantation entwickelte ein 1947 geborener Patient wiederholt spinozelluläre Karzinome am Kapillitium. Nach einer Vielzahl von Voreingriffen erfolgte im Mai 2008 die flächige Exzision mit unmittelbarer Spalthautdeckung.

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Abb. 15 Klinischer Befund mit multiplen rezidivierenden spinozellulären Karzinomen am Kapillitium bei Immunsuppression nach Nierentransplantation und zahlreichen Voreingriffen.

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Abb. 16 OP-Präparat nach der Skalpierung in Vollnarkose im Jahr 2008.

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Abb. 17 Befund nach unmittelbar angeschlossener Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel.

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Abb. 18 Befund 10 Tage nach Deckung.

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Abb. 19 Befund drei Wochen nach Deckung.

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Abb. 20 Kontrollbefund 6 Monate nach dem Eingriff im Jahr 2008 mit kleinem Residualdefekt frontal links.

Diskussion

Die anhand von drei Beispielen gezeigte Methode mutet heroisch an, verkürzt jedoch im Einzelfall eine langjährige Leidensgeschichte. Der Eingriff selbst ist bei entsprechender Übung unproblematisch. Die typischerweise stärkere Blutung bei ausgedehnten Eingriffen am Kopf erfordert eine zügige Präparation und rasche Blutstillung. Die anschließende Phase bis zur vollständigen Abheilung ist, abhängig von der Beschaffenheit des verbliebenen Wundgrundes vor der Transplantation, mitunter langwierig. Von großer Bedeutung ist die konsequente feuchte Wundbehandlung, um ein Austrocknen zwingend zu vermeiden. Die Konvexität der Wundfläche ist dabei eine verbandstechnische Herausforderung. Geeignet sind Salbe-Gaze-Verbände oder so genannte moderne Wundauflagen, beispielsweise Hydrogel unter Folien- oder Hydrokolloidverbänden. Bei Schaumauflagen oder Vakuumverbänden ist das Risiko der Austrocknung möglicherweise erhöht. Eine Granulationsphase zwischen der Exzision (Skalpierung) und der Deckung ist sinnvoll, wenn nach der Exzision die Kalotte stellenweise freiliegt oder das histologische Ergebnis abgewartet werden soll. Wird die ungestörte Granulation durch regelmäßige Wundkontrollen und angepasste Verbandswechsel sichergestellt, können auch große Defektzonen granulieren. Durch das Anbringen von Bohrlöchern in die Kalotte oder das Spannen von resorbierbarem Nahtmaterial als Granulationsschienen kann die Granulation unterstützt werden. Bleibt über dem Schädelknochen eine gefäßtragende Schicht erhalten, dann kann ein zweiter Eingriff durch unmittelbare Deckung vermieden werden. Wiederum besteht das größte Risiko in der Austrocknung mit Folge von Nekrosen. Nach Vorbestrahlung ist die Gefahr einer Osteomyelitis möglicherweise erhöht [4]. Die Infektionsgefahr wird im Allgemeinen jedoch eher überschätzt. Eine prophylaktische, systemische Antibiose kann die Wundheilung stören und ist nach unserer Erfahrung bei fehlenden Entzündungszeichen entbehrlich.

Alleine die Vorstellung einer Skalpierung kann den Patienten psychisch stark belasten und auch eine längere Granulationsphase bedarf der einfühlsamen Führung. Beim behandelnden Personal sollte eine Gewöhnungsphase bedacht werden. Bei einer sofortigen Deckung wird die mögliche seelische Belastung vermindert. Bei komplikationslosem Verlauf ist die Heilungsphase den Transplantationen in anderen Lokalisationen vergleichbar. Vereinzelt können Defekte mit freiliegender Kalotte auftreten und die komplette Abheilung verzögern.

Letztlich wurde der Aufwand und die vorübergehende Belastung für den Patienten in allen Fällen unabhängig vom Alter durch den Erfolg und die anhaltende Erscheinungsfreiheit gerechtfertigt.

Danksagung

Herr Prof. Dr. Volker Voigtländer, vormaliger Direktor der Hautklinik Ludwigshafen, hat die Einführung dieser ausgedehnten operativen Maßnahmen gefördert. Dem OP- und dem Pflegeteam der Hautklinik Ludwigshafen gilt ein herzlicher Dank für die hingebungsvolle pflegerische Unterstützung, insbesondere bei den aufwändigen Verbandswechseln.

Literatur

Dr. Christoph Löser

Leitender Oberarzt, Hautklinik Ludwigshafen
Klinikum Ludwigshafen gGmbH

Bremserstr. 79
67063 Ludwigshafen

Email: C.Loeser@derma.de

Literatur

Dr. Christoph Löser

Leitender Oberarzt, Hautklinik Ludwigshafen
Klinikum Ludwigshafen gGmbH

Bremserstr. 79
67063 Ludwigshafen

Email: C.Loeser@derma.de

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Abb. 1 Klinischer Befund mit multiplen, teils exulzerierenden Knoten am behaarten Kopf.

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Abb. 2 Klinischer Befund mit multiplen, teils exulzerierenden Knoten am behaarten Kopf.

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Abb. 3 Zustand nach der Operation in Vollnarkose im Jahr 2007.

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Abb. 4 Präparat zur Veranschaulichung der Ausdehnung.

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Abb. 5 Drei Wochen nach Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel nach vorausgegangener Granulationsphase.

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Abb. 6 Ansicht von oben. Kontrollbefund zwei Jahre nach dem Eingriff im Jahr 2009.

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Abb. 7 Ansicht von vorne. Kontrollbefund zwei Jahre nach dem Eingriff im Jahr 2009.

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Abb. 8 Patientin mit Perücke, im Jahr 2009.

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Abb. 9 Klinischer Befund mit multiplen flachen Knoten, Erosionen und krustig belegten Arealen.

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Abb. 10 Zustand unmittelbar nach der Operation in Vollnarkose im Jahr 2007.

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Abb. 11 OP-Präparat.

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Abb. 12 Ansicht von oben. Befund sechs Wochen nach Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel nach vorausgegangener Granulationsphase.

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Abb. 13 Ansicht von seitlich-vorne. Befund sechs Wochen nach Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel nach vorausgegangener Granulationsphase.

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Abb. 14 Kontrollbefund ein Jahr nach dem Eingriff im Jahr 2008.

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Abb. 15 Klinischer Befund mit multiplen rezidivierenden spinozellulären Karzinomen am Kapillitium bei Immunsuppression nach Nierentransplantation und zahlreichen Voreingriffen.

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Abb. 16 OP-Präparat nach der Skalpierung in Vollnarkose im Jahr 2008.

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Abb. 17 Befund nach unmittelbar angeschlossener Deckung mittels Spalthaut vom Oberschenkel.

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Abb. 18 Befund 10 Tage nach Deckung.

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Abb. 19 Befund drei Wochen nach Deckung.

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Abb. 20 Kontrollbefund 6 Monate nach dem Eingriff im Jahr 2008 mit kleinem Residualdefekt frontal links.