Dtsch Med Wochenschr 2010; 135(4): 119
DOI: 10.1055/s-0029-1244826
Editorial
Kardiologie
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Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie erhöhen den medizinischen Standard

Guideline based diagnosis and therapy can improve medical standardsE. Erdmann1
  • 1Herzzentrum der Universität zu Köln
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Publication Date:
25 January 2010 (online)

Kürzlich fragte mich ein befreundeter Pharmakologe, wofür denn eigentlich die vielen Leitlinien, die man jetzt überall abgedruckt fände, gut seien. Jeder Kranke stelle doch einen Sonderfall dar und diese oft komplexen pathophysiologischen Zusammenhänge ließen sich doch kaum durch für alle Kranken geltenden Leitlinien zur Diagnostik und Therapie verallgemeinern. Ich antwortete ihm damals, dass ich selbst an Therapiestudien teilgenommen hätte, in denen nach Leitlinien behandelte Patienten eine deutlich bessere Prognose gehabt hätten und ich dies darauf zurückführe, dass leitliniengerechte Diagnostik und Therapie den medizinischen Standard erhöhten. Gewisse Minimalanforderungen an unser ärztliches Handeln hätten zweifellos Vorteile für die Patienten. Schließlich würden Lufthansapiloten auch trotz einer Vielzahl von unfallfrei absolvierten Flügen jedes Mal neu nach einer Checkliste vorgehen, wenn sie ein Flugzeug übernähmen. Dieses standardisierte Vorgehen würde regelmäßig geübt und ständig überprüft. Nur so sei die extrem niedrige Unfallrate der Lufthansa zu verstehen – übrigens vertraute ich bei jedem Flug auf diese Sorgfalt der Piloten.

Beim Lesen der erstaunlichen Untersuchungsergebnisse von Korb et. al. (siehe Seite 120), die darauf hinweisen, dass die hier analysierten Fachärzte für Allgemeinmedizin nur in weniger als der Hälfte der Fälle bei ihren Patienten mit Herzinsuffizienz die von anerkannten Fachleuten vorgeschlagene und richtige Routinediagnostik durchführen würden, dachte ich sofort an mein Gespräch mit dem theoretisch denkenden Pharmakologen. Wenn man davon ausgeht, dass die Stichprobenauswahl der Studie von Kolb und Mitarbeitern korrekt war und annimmt, dass nicht dokumentierte Untersuchungen auch nicht durchgeführt wurden (ein Merksatz, den ich als ärztlicher Gutachter vor Gericht häufig hörte!), dann ist das Ergebnis dieser Untersuchung wahrlich erschreckend. Nun kann man zwar der Meinung sein, dass ein sehr erfahrener Arzt die Diagnose Herzinsuffizienz auch ohne genaue körperliche Untersuchung, ohne EKG, ohne Röntgenbild und ohne Herzecho, nur durch eine genaue Anamnese stellen kann. Bei der Vielzahl von wesentlichen Differentialdiagnosen würde ich mir das aber nicht zutrauen. Ich fürchte, meine Fehldiagnosen (und Fehlbehandlungen) wären vorprogrammiert und zahlreich. Man muss also fragen, warum einige/viele (?) Fachärzte für Allgemeinmedizin, die ja die meisten Patienten mit Herzinsuffizienz behandeln, es an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen. Sind sie überlastet, haben sie zu viele Patienten, bleibt vielleicht keine Zeit mehr zum Lesen von Leitlinien oder nehmen sie die Dokumentationsmängel billigend in Kauf, um mehr Kranke versorgen zu können? Man kann nur spekulieren und hoffen, dass wenigstens die ärztliche Therapie nach anerkannten Regeln, also leitliniengerecht durchgeführt wurde. So mancher Medikamentenplan, den mir die stationär aufgenommenen Patienten vorweisen, lässt allerdings auch daran zweifeln. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass manche Ärzte undiszipliniert autistisch denken und handeln – und deshalb benötigen wir Leitlinien, dokumentierte Fortbildungsveranstaltungen und möglicherweise ebenso kontinuierliche Wissensüberprüfungen. Auch unsere kritischen, häufig gut vorinformierten Patienten sollten uns Ärzten genauso gut vertrauen können, wie ich dem leitlinientrainierten Lufthansapiloten!

Prof. Dr. med. Erland Erdmann

Herzzentrum der Universität zu Köln

Kerpener Straße 62

50937 Köln

Phone: 0221/478-32511

Fax: 0221/478-32512

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