Ultraschall Med 2010; 31(5): 443-444
DOI: 10.1055/s-0029-1245665
Editorial/Editorial

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Das Gendiagnostikgesetz – Hilfe oder Verwirrung in der pränatalen Diagnostik?

The Genetic Diagnostics Law – Help or Confusion in Prenatal Diagnostics?E. Merz1
  • 1Frauenklinik, Krankenhaus Nordwest, Frankfurt/Main
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Publication Date:
04 October 2010 (online)

Am 1.2.2010 trat das neue Gendiagnostikgesetz (GenDG) [1] [2] [3] [4] [5] in Kraft. Es regelt den Umgang mit genetischen Untersuchungen und den damit verbundenen Daten und zeigt die Beschränkung gendiagnostischer Untersuchungen auf. Ziel des Gesetzes ist es, die mit der Untersuchung menschlicher genetischer Eigenschaften verbundenen möglichen Gefahren von genetischer Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für den einzelnen Menschen zu wahren [2].

Gemäß § 3 Nr. 3 GenDG ist die vorgeburtliche Risikoabklärung eine Untersuchung des Embryos oder Fötus, mit der die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen bestimmter genetischer Eigenschaften mit Bedeutung für eine Erkrankung oder gesundheitliche Störung des Embryos oder Fötus ermittelt werden soll. D. h., es fallen nicht nur die invasiven Techniken wie Chorionzottenbiopsie [6], Amniozentese [7] und Nabelschnurpunktion [8] unter diese Regelung, sondern auch die nicht invasiven Untersuchungen wie Ersttrimester-Test [9] [10] [11] [12], Triple-Test [13] und der weiterführende Ultraschall [14] [15] [16]. Nicht einbezogen ist hingegen der Routineultraschall im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge.

Ein Resümee über die ersten 6 Monate Gendiagnostikgesetz zeigt, dass derzeit im Wesentlichen 3 noch nicht gelöste Problemfelder bestehen:

1. Das Gesetz besteht, die dafür notwendigen Ausführungsbestimmungen fehlen jedoch noch. Diese sollen von der Gendiagnostikkommission, die beim Robert Koch-Institut in Berlin angesiedelt ist, bis zum 1.2.2012 ausgearbeitet werden. Dies bedeutet Rechtsunsicherheit noch für die nächsten 1 œ Jahre.

2. Das Gesetz schreibt eine ausgedehnte Beratungspflicht vor, es gibt jedoch bislang keine einheitlichen Aufklärungsbögen hierzu. Fazit ist, dass verschiedene Fachgesellschaften ihren Mitgliedern Aufklärungsbögen zur Verfügung gestellt haben. Diese unterscheiden sich jedoch inhaltlich nicht unerheblich. Die Unsicherheit über das Ausmaß und den konkreten Inhalt der zu erbringenden Aufklärung hat innerhalb der letzten 6 Monate deshalb zu einer starken Verunsicherung in der Ärzteschaft geführt. Hinzu kommt, dass die Aufklärung mit einem deutlichen zeitlichen Mehraufwand in der täglichen Praxis verbunden ist, der bislang nicht vergütet wird. Gleichermaßen werden viele Patientinnen durch die ausgedehnte Beratung verunsichert und fühlen sich durch die Fülle der Informationen teilweise überfordert und in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeengt, obwohl das Gesetz dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen einen hohen Stellenwert zuschreibt.

3. Unklar ist bislang, wer die genetische Beratung durchführen darf und wie die Anforderungen an die Qualifikation sein sollen. Da sowohl vor und nach einer invasiven wie auch einer nicht invasiven Ersttrimester- oder einer intensiven Zweittrimester-Ultraschalluntersuchung eine genetische Beratung zu erfolgen hat, steigt der Beratungsbedarf um ein Vielfaches an. Würde man diese Beratungen nur den Humangenetikern zusprechen, würde dies zu einem nicht zu rechtfertigenden massiven Engpass in der Beratung kommen. Eine ausreichende Beratungskapazität ist nur dann zu erreichen, wenn man alle Ärzte, die sich bislang schon intensiv mit der pränatalen Diagnostik beschäftigt haben, in das gesetzliche Beratungsmodell mit einbezieht.

Somit ist zu wünschen, dass die Gendiagnostikkommission innerhalb der nächsten 1 œ Jahre klare Ausführungsbestimmungen zum GenDG erarbeitet, die den betreuenden Ärzte eine praktikable Umsetzung erlauben und bei den Schwangeren nicht zu einer Verunsicherung [17] führen.

Literatur

  • 1 Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG).  Bundesgesetzblatt. 2009;  50 2529
  • 2 Henn W. Das neue Gendiagnostikgesetz und seine Konsequenzen für den Frauenärztlichen Alltag.  Frauenarzt. 2010;  51 14-18
  • 3 Schwerdtfeger R. Pränataldiagnostik und das Gendiagnostikgesetz: Was? – Wer? –Wie?.  Frauenarzt. 2010;  51 20-23
  • 4 Harlfinger W, Eiben B. Das „Gendiagnostik-Aufklärungssyndrom” und seine Folgen.  Frauenarzt. 2010;  51 514-516
  • 5 Umlandt A, Combé D. Das neue Gendiagnostikgesetz: Fluch und Segen!.  Frauenarzt. 2010;  51 518-521
  • 6 Battagliarin G, Lanna M, Coviello D et al. A randomized study to assess two different techniques of aspiration while performing transabdominal chorionic villus sampling.  Ultrasound Obstet Gynecol. 2009;  33 169-172
  • 7 Kozlowski P, Knippel A, Stressig R. Individual risk of fetal loss following routine second trimester amniocentesis: A controlled study of 20460 cases. Individuelles Risiko für Schwangerschaftsverlust nach Routineamniozentese im 2. Trimenon: Eine kontrollierte Studie von 20460 Fällen.  Ultraschall in Med. 2008;   29  165-172 
  • 8 Ralston S J, Craigo S D. Ultrasound-guided procedures for prenatal diagnosis and therapy.  Obstet Gynecol Clin North Am. 2004;  31 101-123
  • 9 Merz E, Meinel K, Bald R et al. DEGUM Level III recommendation for „follow-up” ultrasound examination (= DEGUM Level II) in the 11 – 14 week period of pregnancy.  Ultraschall in Med. 2004;  25 299-301
  • 10 Merz E, Thode C, Alkier A et al. A new approach to calculating the risk of chromosomal abnormalities with first-trimester screening data. Ein neues Verfahren zur Berechnung des Risikos von Chromosomenanomalien unter Verwendung von Ersttrimester-Screening-Daten.  Ultraschall in Med. 2008;   29  639-645
  • 11 Staboulidou I, Wüstemann M, Vaske B et al. Interobserver variability of the measurement of fetal nasal bone length between 11 + 0 and 13 + 6 gestation weeks among experienced and inexperienced sonographers. Vergleich der Messbefunde der fetalen Nasenbeinlänge zwischen erfahrenen und unerfahrenen Untersuchern während der 11 + 0 und 13 + 6 Schwangerschaftswoche.  Ultraschall in Med. 2009;   30  42-46
  • 12 Axt-Fliedner R, Hartge D, Chiriac A et al. Long-term outcome for children born after a first-trimester measurement of increased nuchal translucency with a normal karyotype: A retrospective analysis. Langzeitoutcome von Feten mit erweiterter Nackentransparenz und normalem Karyotyp: retrospektive Analyse.  Ultraschall in Med. 2009;   30  558-563
  • 13 Kazerouni N N, Currier B, Malm L et al. Triple-marker prenatal screening program for chromosomal defects.  Obstet Gynecol. 2009;  114 50-58
  • 14 Merz E, Eichhorn K H, Hansmann M et al. Qualitätsanforderungen an die weiterführende differential-diagnostische Ultraschalluntersuchung in der pränatalen Diagnostik (= DEGUM-Stufe II) im Zeitraum 18 bis 22 Schwangerschaftswochen.  Ultraschall in Med. 2002;  23 11-12
  • 15 Sieroszewski P, Perenc M, Budecka E B et al. Sonographical integrated test for detection of chromosomal aberrations. Der integrierte Ultraschalltest für die Diagnostik der chromosomalen Aberrationen.  Ultraschall in Med. 2008;   29  190-196
  • 16 Berg C, Kaiser C, Bender F et al. Atrioventricular septal defect in the fetus – associated conditions and outcome in 246 cases. Der atrioventrikuläre Septumdefekt des Feten – assoziierte Befunde und Outcome in 246 Fällen.  Ultraschall in Med. 2009;   30  25-32
  • 17 Tschudin S, Holzgreve W, Conde N et al. Wie beurteilen Schwangere die pränatale Beratung und was wissen sie im Anschluss daran? Pregnant Women’s Assessment and Level of Knowledge of Prenatal Counseling.  Ultraschall in Med. 2009;   30  157-162

Prof. Dr. E. Merz

Past-Präsident der DEGUM, Vorsitzender der Fetal Medicine Foundation Deutschland, Chefarzt der Frauenklinik, Krankenhaus Nordwest

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60488 Frankfurt/Main

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