Z Gastroenterol 2010; 48(9): 1113-1116
DOI: 10.1055/s-0029-1245728
Präsidenteneditorial 2010

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Zukunft der DGVS

Future of the German Society of GastroenterologyG. Adler1
Further Information

Publication History

Publication Date:
10 September 2010 (online)

Zur Eröffnung des letztjährigen Kongresses in Hamburg hat der damalige Präsident Herbert Koop gute Gründe für notwendige Änderungen der Leitungsstruktur der DGVS genannt. Vorrangig ging es darum, die Planung und Organisation des jeweiligen Jahreskongresses von der inhaltlichen und perspektivischen Ausrichtung der DGVS personell zu trennen. Dieser Vorschlag wurde im Vorstand intensiv diskutiert und in den letzten Monaten mit den verschiedenen Gruppierungen und Verbänden der DGVS abgestimmt. Die nächste Mitgliederversammlung wird über diese grundlegende Änderung entscheiden. Der zukünftige Vorstand soll um 3 Personen erweitertet werden, denen verschiedene Aufgabenbereiche wie Öffentlichkeitsarbeit, Leitlinienentwicklung und Weiterbildung übertragen werden. In enger Abstimmung mit den Verbänden der DGVS wird der Vorstand die strategische Ausrichtung und öffentliche Wahrnehmung der Gastroenterologie in Deutschland nachdrücklich stärken. In einem – positiv gesprochen – so dynamischen, sich ständig verändernden Gebiet wie dem Gesundheitswesen ist dies eine echte Herausforderung. Die DGVS und ihre Mitglieder müssen aktiv in die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems eingebunden sein und rechtzeitig Schwachstellen und Fehlentwicklungen erkennen und offenlegen.

Nach der Umsetzung dieser wesentlichen Forderung der letztjährigen Jahrestagung müssen wir uns fragen, was die weiteren, zentralen Herausforderungen für die Entwicklung und Stärkung unseres Fachgebiets sind.

Im Mittelpunkt muss aus meiner Sicht die intensive Bemühung um den ärztlichen und wissenschaftlichen Nachwuchs in der Gastroenterologie stehen. Seit Jahren weist der Facharztindex für die Gastroenterologie den niedrigsten Wert aller Fächer auf. In keinem anderen Fach der klinischen Medizin bewerben sich so wenige qualifizierte Ärztinnen und Ärzte um freie Stellen wie in der Gastroenterologie.

Die intensiv geführte Diskussion, ob es in Deutschland bereits einen Ärztemangel gibt oder wann er eintreten wird, kommt seit Jahren nicht wesentlich voran. Von Seiten der gesetzlichen Krankenversicherung werden lediglich einige Engpässe in ländlichen Gebieten, aber ein erhebliches Maß an Überversorgung in den Ballungsräumen zugestanden. Dagegen warnen Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Deutsche Krankenhausgesellschaft eindringlich vor einem wachsenden Ärztemangel sowohl im stationären als auch im niedergelassenen Bereich. In der Gesundheitspolitik wächst die Besorgnis über Versorgungsengpässe und Ärztemangel und es wird eine Modifikation des Numerus clausus gefordert, um mehr Studierwilligen den Zugang zum Studium der Medizin zu ermöglichen. Es ist zu befürchten, dass die jetzt schon schwierige Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses für die klinische Forschung in der Zukunft weiter erschwert wird. Durch personalbedingte Engpässe in der Krankenversorgung und andere strukturelle und finanzielle Hemmnisse werden eher noch weniger Personalressourcen für die Forschung zur Verfügung stehen.

Sowohl im Hinblick auf die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung als auch im Hinblick auf die Rekrutierung des ärztlichen Nachwuchses ist es notwendig, verlässliche Angaben über den zukünftigen Ärztebedarf in Deutschland zu bekommen und über die Stellung der Gastroenterologie im Gesamtkanon der klinischen Medizin nachzudenken.

Diese Analyse wird von mehreren Rahmenbedingungen bestimmt. Zum einen nimmt derzeit die Zahl der klinisch tätigen Ärzte in Deutschland ab und es ist durchaus möglich, dass neu approbierte Ärzte die in der Versorgung tätigen, in den nächsten 10 Jahren aus Altersgründen ausscheidenden Kollegen nicht ersetzen können. Auch das Arbeitsvolumen je Arzt im Zeitverlauf wird – bedingt unter anderem durch das Arbeitszeitgesetz – nicht konstant bleiben. Für den Arztberuf wird – von männlichen wie von weiblichen Kollegen – eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert bzw. die Nichtvereinbarkeit als wesentlicher Grund für den Ausstieg bzw. für Veränderungswünsche genannt. Die steigende Zahl an Ärztinnen wird möglicherweise neue Arbeitszeitmodelle, aber auch neue Karriereoptionen in der klinischen Medizin erforderlich machen. Diese Änderungen der Arbeitsvolumina und -zeiten je Arztstelle sind aber bisher nicht ausreichend in Bedarfsprognosen für Ärzte eingegangen.

Schwieriger als das Angebot ist die Nachfrage nach ärztlichem Personal zu definieren. Am ehesten lässt sich die aktuelle Nachfrage nach Ärzten im stationären Bereich aus der Zahl der nicht besetzten Stellen eruieren. Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft finden inzwischen 67 % der Krankenhäuser keine geeigneten Bewerber für offene Arztstellen. Es fehlt immer noch eine verlässliche Datengrundlage zur Feststellung eines tatsächlichen oder nur vermuteten Ärztemangels. Dringend müssen Analysen und Szenarien wissenschaftlich erarbeitet werden, die eine Abschätzung des Ärztebedarfs unter Berücksichtigung der Angebots- und Nachfrageseite erlauben. Damit könnte die Diskussion um den Ärztemangel in Deutschland auf ein anspruchsvolleres Niveau gehoben und politische Entscheidungsgrundlagen für eine mittelfristige Planung geschaffen werden.

Es gibt aber noch eine Reihe weiterer, in ihrer Konsequenz zu analysierende Variablen, z. B. die demografische Entwicklung. Mit einer zunehmenden Überalterung der Bevölkerung wächst die Nachfrage nach medizinischen Leistungen. Hierbei wird sich aber auch das Spektrum der nachgefragten Leistungen deutlich verändern. Inwieweit und welche Leistungen aus dem Spektrum der Gastroenterologie von dieser Entwicklung betroffen sind, ist noch zu klären. Man muss aber kein Prophet sein, um z. B. eine Zunahme von malignen Erkrankungen und Folgeerscheinungen von vaskulären Insuffizienzen im Gastrointestinaltrakt anzunehmen. Während die jüngere Bevölkerung zunehmend in Ballungszentren tätig ist, wohnen ältere Menschen häufig in ländlichen Gebieten, die zunehmend schlechter ärztlich versorgt sein werden. Hier gilt es über die klassische Dichotomie von ambulanter und stationärer Versorgung hinaus neue Modelle zu entwickeln, wie eine flächendeckende kompetente fachärztliche Versorgung im Bereich der Gastroenterologie auch in dünnbesiedelten Gebieten realisierbar ist.

Fortschritte in der Medizin- und Informationstechnologie und die Leistungsverschiebung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung werden ebenfalls das Tätigkeitsspektrum und die Nachfrage nach Leistungen aus dem Bereich der Gastroenterologie verändern. So ist denkbar, dass mit neuen, effektiven serologischen Verfahren zur Früherkennung von gastrointestinalen Tumoren, aber auch neuen Screeningverfahren (z. B. Kolonkapsel) etwa die Zahl der Vorsorgekoloskopien in 10–15 Jahren deutlich rückläufig sein könnte und vor allem interventionelle Koloskopien durchgeführt werden.

Während noch über einen möglichen Ärztemangel gestritten wird, kommt es zu einer zunehmenden Akademisierung der Gesundheitsfachberufe, deren Ausbildung in Deutschland bisher traditionell in Fachschulen erfolgte. Änderungen der Berufsgesetze und Aktivitäten der Berufsverbände führen zur Einrichtung zahlreicher neuer akademischer Ausbildungsgänge für Gesundheitsfachberufe.

Als Gründe für die Akademisierung werden vor allem die steigenden Anforderungen an die Gesundheitsfachberufe genannt. Sie ergeben sich u. a. aus der zunehmenden Bedeutung von Qualitätskontrollen, Evidenzbasierung und Spezialisierungen im arbeitsteiligen Versorgungssystem. Auch die Wissenschafts- und Technikentwicklung erfordern entsprechende Anpassungen in Theorie und Praxis. Viele europäische und außereuropäische Länder stärken aus diesen Gründen die akademische Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen. Die deutschen Fachschulabschlüsse erweisen sich gegenüber diesen ausländischen Abschlüssen als ein Hindernis für die internationale Zusammenarbeit und für eine berufliche Mobilität und werden in der Perspektive möglicherweise auch den fachlichen Anforderungen nicht gerecht.

Angesichts steigender Kosten im Gesundheitswesen und kritischer Prognosen zum Ärztemangel wird die Diskussion um Fragen der Arbeitsteilung im Gesundheitssystem intensiver. Mit der Mitte 2009 erfolgten Novellierung der Berufsgesetze der therapeutischen Gesundheitsfachberufe sind weitere Auf- und Ausbauplanungen von akademischen Studiengängen in diesen Berufsfeldern zu erwarten. Es muss vermieden werden, dass dadurch unterschiedliche akademische Kulturen in den Gesundheitsfachberufen und bei den Medizinern entstehen, die ein wechselseitiges Verständnis und die notwendige Zusammenarbeit der Berufsgruppen im alltäglichen Versorgungsgeschehen behindern.

In ihrer Konsequenz läuft diese Entwicklung auch auf eine mögliche Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf akademisch qualifiziertes Gesundheitsfachpersonal hinaus. Dies könnte unter dem zunehmenden Kostendruck zu einer – zumindest bei einigen – willkommenen Verlagerung ärztlicher Tätigkeiten führen und als Argument für eine Reduktion der ärztlichen Weiterbildungsstellen benutzt werden. Bereits jetzt kann aber der Bedarf an qualifizierten Gastroenterologen in Deutschland nicht ausreichend gedeckt werden. Die DGVS muss sich aktiv an dieser Diskussion beteiligen und Modelle entwickeln, wie z. B. im Bereich der Endoskopie und der Funktionsdiagnostik eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen ärztlichem und akademisch qualifiziertem Personal aus den Gesundheitsfachberufen gestaltet werden kann. Der Leitgedanke muss hierbei die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung bleiben.

Überlagert wird diese Diskussion von der expliziten Erwartung, dass im Krankenhausbereich durch Einführung von mehr Wettbewerb Überkapazitäten abgebaut werden. Dieser ökonomische Druck führt unweigerlich zu einer Diskussion über die Personalausstattung, die eng mit der Erlössituation verknüpft ist. Hier trifft es die Gastroenterologie, die im stationären DRG-System eher benachteiligt ist. Insbesondere die hochkomplexen Fälle mit einer Vielzahl von endoskopischen Interventionen sind im DRG-System nicht ausreichend abgebildet und in ihrer Erlössituation für die Kliniken problematisch. Wir müssen in der DGVS selbstkritisch fragen, ob von Beginn der DRG-Einführung an alles unternommen und mit Nachdruck vertreten wurde, um eine angemessene Abbildung der gastroenterologischen Leistungen sicherzustellen. Noch im Jahr 2007 ergab ein internes Benchmark der DGVS, dass von 97 Projektkliniken lediglich eine Klinik eine leistungs- und fallbezogene Vollkostenerfassung von Personal- und Sachkosten und somit eine valide Datenerfassung für eine Kostenträgerrechnung durchgeführt hat. Durch eine Anpassung des Kalkulationshandbuchs bezüglich der fallbezogen verbrauchten Einmalartikel und der Erhebung der Personalkosten muss zukünftig eine sachgerechte Bewertung und Vergütung der endoskopischen Verfahren gewährleistet sein. Ein erster Schritt ist die vor Kurzem vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) in den Pflichtenkatalog aufgenommene fallbezogene Dokumentationspflicht von Einmalmaterial (Neufassung der Anlage 10).

Eine 2010 von der Kommission für Berufsfragen der DGVS unter der Leitung von Ulrich Rosien durchgeführte Umfrage unter den kalkulierenden Krankenhäusern mit gastroenterologischen Abteilungen gibt aber zur Sorge Anlass. Die vom InEK geforderte Änderung der internen Dokumentation wird nur von jeder dritten Abteilung realisiert, nur ein Drittel wurde überhaupt von ihrer Kliniksverwaltung über die Änderung informiert und nur 25 % erhalten eine Meldung, welche Daten aus der Verwaltung an das InEK weitergeleitetet werden. Der Vorstand der DGVS sieht die dringende Notwendigkeit, die kalkulierenden Krankenhäuser bei der leistungsgerechten Kostenerfassung so intensiv wie möglich zu unterstützen und berät derzeit über das geeignete Vorgehen. Eine sachgerechte Abbildung unserer Leistungen im DRG-System kann nur durch beharrliche und konsequente Diskussionen auf der Basis solider Daten erreicht werden und bleibt in der Perspektive eine zentrale Aufgabe der DGVS.

Die Diskussion um Strukturen und Kosten beschäftigt im gleichen Maße auch die niedergelassenen Gastroenterologen. Die derzeitige Honorarsystematik für die ambulante Gastroenterologie basiert auf Daten, die bis zu 15 Jahre alt sind und die Weiterentwicklung der gastroenterologischen Methoden und Verfahren unzureichend berücksichtigen. Eine Datenerhebung des bng zeigte, dass die hinterlegten Kosten um mehr als 30 % zu niedrig kalkuliert sind. Hinzu kommt, dass die Ösphagogastroduodenoskopie und die Sonografie als gastroenterolgische Kernleistungen bei der aktuellen Honorarverteilung über Regelleistungsvolumina nicht angemessen berücksichtigt werden, von der intensiven Betreuung chronisch kranker Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Lebererkrankungen ganz zu schweigen. Hier ergibt sich die besondere Situation, dass derzeit die extrabudgetäre Vergütung von Vorsorgekoloskopien zur Querfinanzierung anderer, nicht angemessen erstatteter Leistungen herhalten muss. Da Patienten mit gastroenterologischen Krankheitsbildern zunehmend ambulant gesehen und versorgt werden, stellt die Stärkung der ambulanten Strukturen und die bessere Vernetzung mit dem stationären Bereich eine wichtige Herausforderung für die Weiterentwicklung unseres Fachgebiets dar.

Die Forderung nach einer angemessenen Erstattung ärztlicher Leistungen in Klinik und Niederlassung ist nicht zu trennen von der Diskussion um begrenzte Ressourcen, Priorisierung, Rationierung und Rationalisierung im Gesundheitssystem. Der diesjährige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Jürgen Schölmerich, sagte dazu: „Eine offene Rationierung gibt es nicht. Aber eine verdeckte Priorisierung kann niemand bestreiten.” Diese implizite Priorisierung findet statt z. B. im Rahmen von Budgetierungen im ambulanten und stationären Bereich, über die Einführung von Fallpauschalen und über finanzielle Anreizsysteme. Die derzeitige Diskussion um diese Themen ist überwiegend bestimmt durch die Fragen, wer dafür verantwortlich ist und wer darüber entscheiden soll.

Ich halte es für falsch, diese Problematik alleine der Gesundheitspolitik zu überlassen und sich auf die Forderung nach mehr Ressourcen im System zu beschränken. Der Umgang mit endlichen Mitteln im Gesundheitswesen liegt nicht nur in der Verantwortung der Politik, der Medizintechnik- und der Pharmaindustrie. Jeder im Gesundheitssystem Beschäftigte und auch die Bürger/Patienten tragen Verantwortung dafür, dass mit den vorhandenen Ressourcen angemessen umgegangen wird. Alle müssen sich fragen, für welchen der nachfolgend genannten Gründe der Knappheit von Mitteln im Gesundheitswesen sie verantwortlich sind, welche vermeidbar sind und welche in einem solidarisch strukturierten Gesundheitssystem akzeptiert werden können:

Eigeninteresse aller Akteure Mengenausweitung Produktverteuerung widersprüchlicher politischer Wille Altersstruktur der Bevölkerung fehlende Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern Subspezialisierung in der Medizin Absicherungsmedizin unkontrollierter Ressourceneinsatz: überbordende Diagnostik, überflüssige Therapien

Differenziert hat das der Philosoph Ottfried Höffe dargestellt: „Dem Menschen wohnt eine tendenzielle Unersättlichkeit inne, jene Pleonexie, ein Immer-mehr-Wollen, das schon nach Platon alles Menschliche mit einer ausufernden Begehrlichkeit ausstattet.” Die Vielzahl unnötiger Röntgen- und Laboruntersuchungen, der unüberlegte Einsatz von Tumormarkerbestimmungen, die Doppel- und Dreifachuntersuchungen sind Beispiele für eine bewusste oder unbewusste Pleonexie. Die einzige richtige Antwort darauf ist nach Höffe die Sophrosyne, die Besonnenheit und das Maß, die weit tiefer ansetzt als alle Rationalisierungs- oder Rationierungsvorhaben. Anreize zum maßvollen und begründeten Einsatz der Mittel im Gesundheitswesen lassen sich aber nur auf der Grundlage empirischer Daten finden.

Eine Fachgesellschaft wie die DGVS hat dazu mehrere Instrumente zur Hand, die sie konsequent nutzen sollte. Zum einen die Fort- und Weiterbildung, zum anderen die Aufklärung zu gesunder Lebensführung und das Angebot zu Vorsorgeuntersuchungen und schließlich die Erstellung von Leitlinien.

Im Bereich der Weiterbildung ist die erfolgreiche Arbeit der Kommission unter Leitung von Markus Lerch zu nennen. Nach lebhaften Diskussionen innerhalb der DGVS wurde Konsens erreicht, dass keine grundsätzliche Änderung der Weiterbildungsordnung für das Fachgebiet Gastroenterologie erforderlich oder sinnvoll ist. Unterschiedliche Weiterbildungen zum Gastroenterorologen 1. und 2. Ordnung würden die Einheit des Faches gefährden. Es wird aber auch kritisch festgestellt, dass die Weiterbildungsinhalte teilweise überfrachtet sind und deshalb nicht mehr an allen Weiterbildungsstätten garantiert werden können. Dazu kommt, dass einige Krankheitsbilder der Gastroenterologie inzwischen überwiegend im ambulanten Bereich diagnostiziert und therapiert werden. Die Weiterbildungskommission wird klare Aufgaben und Ziele definieren, um die Qualität der Weiterbildung zu stärken und die Zahl der gastroenterologischen Fachärzte zu steigern.

Ein wichtiges und sehr erfolgreiches Instrument der Fort- und Weiterbildung sind die DGVS-Seminare. Die Kurse für Onkologie, Hepatologie, chronisch entzündliche Darmerkankungen und Ernährung sind sehr stark nachgefragt und über Jahre ausgebucht. Auf der Warteliste für den Onkologiekurs stehen alleine 230 Ärztinnen und Ärzte. Die DGVS trägt damit ganz wesentlich zu einer nachhaltigen Qualifizierung ihrer Mitglieder bei und muss jetzt erreichen, dass diese Qualität sichtbar und anerkannt wird. Die Vorreiterrolle der DGVS wird dann deutlich, wenn die Ärztekammern in hoffentlich absehbarer Zeit Programme wie die DGVS-Seminare als Weiterbildungsmodule anerkennen. Ein erfreulicher Beweis für die Nachhaltigkeit des Seminarprogramms ist, dass nach der Status-quo-Erhebung des BVGD inzwischen 41 % der gastroenterologischen Chefärzte das DGVS-Zertifikat Onkologie besitzen und für 61 % der Befragten die gastroenterologische Onkologie den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausmacht. Die besondere Heraushebung dieser Zahlen an dieser Stelle muss man vor dem Hintergrund sehen, dass es ein langjähriges und intensives Bestreben von Wolff Schmiegel und dem diesjährigen Präsidenten ist, die Onkologie in der Gastroenterologie dauerhaft als Schwerpunkt zu etablieren.

Ein weiterer Schritt zur Qualitätssicherung in der Gastroenterologie ist die Erstellung von hochwertigen Leitlinien. Die DGVS ist hier deutlich konsequenter und erfolgreicher als die meisten anderen Fachgesellschaften. Aktuell existieren 10 gültige S 3-Leitlinien, in Arbeit sind 5 Leitlinienprojekte. Es sei nochmals ganz herzlich Wolfgang Fleig, dem bisherigen Leiter der Leitlinienkommission, für seine Arbeit gedankt. Die Leitlinien der DGVS tragen wesentlich zur Reduktion ungeprüfter, zufälliger Entscheidungen in Diagnostik und Therapie bei, identifizieren Schwachstellen in der Evidenz und stärken den effizienten Einsatz der Ressourcen. Bei ihrer konsequenten Umsetzung in der stationären und ambulanten Versorgung besteht jedoch noch erheblicher Nachholbedarf. Mit Sorge müssen aber auch die stark gestiegenen methodischen Anforderungen und Kosten für die Implementierung von S 3-Leitlinien gesehen werden. (Vielleicht ein deutsches Problem der Perfektionierung?) Für die Erstellung von S 3-Leitlinien wurden seitens der AWMF verschärfte Kriterien zum formalen Konsensusprozess, zum klinischen Algorithmus, zur wissenschaftlichen Beweisführung, zur formalen Analyse der Kosten-Effektivität und zur klinischen Relevanz aufgestellt. Die geforderten Kriterien haben durchaus ihre Berechtigung, um die Validität einer Leitlinie zu begründen und für den Anwender eine Transparenz zu schaffen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die medizinischen Fachgesellschaften diese Kriterien erfüllen können und ob die ausführliche Vorgehensweise auch vor einem internationalen Hintergrund gerechtfertigt und sinnvoll erscheint. Dies ist deshalb von Bedeutung, da bei Nicht-Einhalten der Kriterien eine Aberkennung des S 3-Status durch die AWMF erfolgen kann. Die DGVS muss auch unter dem Aspekt der für die Leitlinienerstellung vorhandenen finanziellen Mittel einen Konsens finden, welche S 3-Leitlinien den größten Nutzen für die Patientenversorgung bringen und deshalb mit hoher Priorität bearbeitet werden müssen. Es muss auch Konsens erreicht werden, für welche Krankheitsbilder die Erarbeitung einer Handlungsempfehlung ausreichend ist.

Die DGVS und ihre Verbände zeichnen sich aus durch eine kontinuierliche, qualifizierte Fort- und Weiterbildung ihrer Mitglieder, durch die Erarbeitung empirisch belegter Handlungs- und Leitlinienempfehlungen, durch eine international anerkannte Forschung und durch eine engagierte Arbeit in der Vorsorge und Aufklärung. Wichtige Handlungsfelder für die Zukunft sind verstärkte Bemühungen um einen qualifizierten Nachwuchs in Klinik und Forschung, ein deutlich stärkeres Engagement in der Durchführung gemeinsamer, großer klinischer Studien und eine realistische Abbildung gastroenterologischer Leistungen. Wichtige Herausforderungen sind die stärkere Ausrichtung einer wirkungsvollen Therapie auf den einzelnen Patienten im Sinne der personalisierten Medizin, eine qualifizierte Versorgung chronisch kranker und immer älter werdender Patienten in Ballungszentren wie in der Fläche und die Prävention vermeidbarer Erkrankungen. Um diese Ziele zu erreichen, müssen auf der Basis quantitativer und qualitativer Daten zu gastroenterologischen Erkrankungen Perspektiven für die Zukunft der Gastroenterologie erarbeitet werden.

Prof. Dr. Guido Adler

Klinik für Innere Medizin I Zentrum für Innere Medizin Universitätsklinikum Ulm

Albert-Einstein-Allee 23

89081 Ulm

Email: guido.adler@uniklinik-ulm.de

    >