Zeitschrift für Phytotherapie 2010; 31(3): 143-144
DOI: 10.1055/s-0030-1247664
Forschung
Leserbrief
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Wechselwirkung zwischen Johanniskraut und »Pille«: Kommentar zur Interpretation der Johanniskraut-Interaktionsstudie durch Prof. Volker Schulz

Jürgen Drewe, Volker Schulz
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Prof. Dr. Jürgen Drewe

Weinbergstr. 4

CH-8280 Kreuzlingen

Email: Juergen.Drewe@unibas.ch

Prof. Dr. Volker Schulz

Berlin

Email: v.schulz.berlin@t-online.de

Online

http://dx.doi.org/10.1055/s-0030-1247664

Publication History

Publication Date:
05 July 2010 (online)

Table of Contents

Prof. Schulz diskutiert in seinem Kommentar ([1]) die Daten der kürzlich publizierten Johanniskraut-Interaktionsstudie von Will-Shahab et al. ([2]), in der die Wechselwirkung zwischen dem hyperforinarmen Hypericum-Extrakt Ze 117 und einer »Mikropille« (Lovelle®, Ethinlyestradiol und Desogestrel) untersucht wurde. Er kritisiert Unklarheiten in der Datenpräsentation (Vertauschung von Werten der Kontroll- und Hypericumgruppe) in dieser Studie und vergleicht die Studienergebnisse mit anderen Studien, in denen jeweils ein hyperforinreicher Hypericum-Extrakt hinsichtlich der Wechselwirkung mit oralen Kontrazeptiva untersucht wurde ([3]–[5]). Aufgrund von Unklarheiten in der Datenpräsentation in der Studie von Will-Shahab et al. und ausgewählten Pharmakokinetik-Daten der anderen Studien ([3]–[5]) schließt Prof. Schulz, dass kein geringeres Interaktionspotenzial des hyperforinarmen Hypericum-Extraktes verglichen mit hyperforinreichen Johanniskraut-Präparaten abgeleitet werden kann.

In der Tat hatte die Arbeit von Will-Shahab et al. die oben beschriebenen Fehler in der Datenpräsentation. Diese sind aber von den Autoren bereits im Mai 2009 in einem Erratum in demselben Journal adressiert worden ([6]). Unstrittig ist, dass die Autoren keine verminderten, sondern sogar leicht erhöhte Blutkonzentrationen der Kontrazeptiva-Inhaltsstoffe/-Metabolite beobachtet haben.

Andererseits stellt Prof. Schulz meine eigene Studie [Pfrunder et al. ([5])] so dar, als hätte sie keine Interaktionen zwischen dem hyperforinreichem Hypericum-Extrakt LI160 und der »Pille« gefunden. Diese Darstellung ist grob sinnentstellend: Prof. Schulz hat zwar korrekt wiedergegeben, dass wir keine Interaktion für Ethinylestradiol gesehen haben. Er hat aber unterschlagen, dass wir im Gegensatz dazu einen signifikanten (p < 0,001) und relevanten Abfall (–47,9% !) der 3-Ketodesogestrel-Bioverfügbarkeit beobachtet haben. Dieser Abfall war verknüpft mit einer verminderten kontrazeptiven Wirkung in Form einer erhöhten Rate an Durchbruchsblutungen von 6/17 Frauen (Kontrolle) zu 15/17 Frauen (Hypericum), einer mit transvaginalem Ultraschall bestätigten verstärkten uterinen Follikel-Entwicklung (> 12 mm) bei einer Frau in der Kontroll- und bei 3 Frauen in der Hypericum-Gruppe sowie einer partiellen Disinhibition der mittleren endogenen Estradiol-Konzentrationen am Tag 11 des Zyklus: 46 pmol/l (Kontrolle) und 151 pmol/l (Hypericum).

Hall et al. ([3]) konnten ebenfalls für einen hyperforinreichen Extrakt einen signifikanten Effekt auf die Ethinylestradiol-Kinetik zeigen, z.B. eine signifikant (p = 0,023) verminderte Halbwertszeit von 23,4 (Kontrolle) auf 12,2 h (Hypericum). Auch in dieser Studie erhöhte sich die Rate der Durchbruchsblutungen (von 2/12 Frauen [Kontrolle] auf 7/12 Frauen [Hypericum]).

Murphy et al. ([4]) konnten schließlich mit einem hyperforinreichen Extrakt eine signifikante Verminderung der Bioverfügbarkeit von Norethidron (von 113,3 [Kontrolle] auf 98,9 ng h/ml [Hypericum]; p = 0,021) und Ethinylestradiol (von 994 [Kontrolle] auf 854 pg•h/ml [Hypericum]; p = 0,013) zeigen. Auch in dieser Studie führte die Behandlung mit dem hyperforinreichen Extrakt zu signifikanten Steigerungen der Durchbruchsblutungen (von 3/16 Frauen (Kontrolle) auf 8/16 Frauen (Hypericum), p < 0,05). Weiter konnten die Autoren aufgrund von diversen Hormonbestimmungen und Untersuchungen mit transvaginalem Ultraschall eine erhöhte Rate an wahrscheinlichen Ovulationen (von 1/16 Frauen [Kontrolle] zu 6/16 Frauen [Hypericum]) schätzen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass konsistent alle Studien mit hyperforinreichen Extrakten ([3]–[5]) unabhängig von unterschiedlichen Auswertungsmethoden signifikante Verminderungen in einem oder beiden Kontrazeptiva-Inhaltsstoffen aufweisen. Konsistent dazu ist ebenfalls, dass sich in diesen Studien zusätzlich Zeichen einer verminderten kontrazeptiven Wirkung nachweisen ließen. Im Gegensatz dazu zeigte die Studie Will-Shahab et al. ([2]) mit dem hyperforinarmen Extrakt keine Verminderung der Plasma-Spiegel der Kontrazeptiva-Inhaltsstoffe bzw. ihres Metaboliten (3-Ketodesgestrel) sowie der Sexualhormone (FSH, LH, und SHBH) und keine erhöhte Rate an Durchbruchsblutungen.

Es ist literaturbekannt, dass Hyperforin ein sehr starker Induktor von Enzymen des Cytochrom-P450-Systems ist. Dies kann meiner Meinung nach neben den oben beschriebenen pharmakokinetischen und klinischen Beobachtungen eine mechanistische Untermauerung der These eines verminderten Interaktionspotenzials von hyperforinarmen Hypericum-Extrakten darstellen. Aus diesem Grunde erscheint mir die Konklusion von Prof. Schulz nicht nachvollziehbar.

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Antwort

Fehler in Publikationen kommen vor. Die Beiträge unserer ZPT-Serie »Klinische Forschung aktuell« werden aber vorbeugend an eine Korrespondenz-Adresse der jeweils referierten Arbeit übermittelt. Im vorliegenden Falle hat die Erstautorin Will-Shahab unsere Postsendung vom 18.1.2010 aber gar nicht beantwortet. Dem Referierenden kann über ein solches Angebot hinaus nicht zur Last gelegt werden, ein nachträglich abgedrucktes Erratum nicht zur Kenntnis genommen zu haben.

Herrn Kollegen Drewe gebührt dennoch unser Dank dafür, die korrigierten Angaben zur Studie D mitgeteilt und auf die fehlende Zeile zu Ketogestrel in der Studie A aufmerksam gemacht zu haben. Letzteres war ein Versehen, für das ich mich ausdrücklich entschuldige. Die Tabelle mit den Daten nach heutigem Stand wird nachfolgend noch einmal abgedruckt. Sie eröffnet zugleich die Möglichkeit, unsere kritischen Leser auf weitere Schwachstellen der Beweisführung in Bezug auf vermutete Johanniskraut-Interaktionen mit der »Pille« aufmerksam zu machen.

Herkömmliche Johanniskraut-Extrakte resp. das darin enthaltene Hyperforin gelten in erster Linie als Induktoren des Cytochrom-P450-Subenzyms CYP3A4, das wiederum vor allem für den Abbau von Ethinylestradiol, nicht aber für denjenigen von Desogestrel/Ketogestrel (vorwiegender Abbau durch CYP2C9/CYP2C19) verantwortlich gemacht wird ([1]). Vor diesem Hintergrund sind die ermittelten AUC-Änderungen in der Studie A (siehe dort Spalte »Differenz«) in keiner Weise schlüssig!

Tab. 1: Vier Studien zur Interaktion von Johanniskraut und »Mikropille«. Studie D wurde mit einem hyperforinarmen Extrakt (Tagesdosis < 1 mg vs. > 20 mg Hyperforin in den anderen Studien) durchgeführt. Angegeben sind AUC-Mittelwerte und Differenzen vor/nach Johanniskraut in %.
ParameterKontrolleHypericumDifferenz
Studie A: 18 × Ethinylestradiol/Desogestrel 20/150 μg (Pfrunder et al., Br J Clin Pharmacol 2003; 56: 683–690)
Ethinylestradiol [ng•h/l]437437±0% n.s.
Ketogestrel [ng•h/l]3118−43,9% sig
Studie B: 12 × Ethinylestradiol/Norethindron 35/1000 μg (Hall et al., Clin Pharmacol Ther 2003; 74, 525–535)
Ethinylestradiol [ng•h/l]21771661−23,4% n.s.
Norethindron [ng•h/l]132118−10,6% n.s.
Studie C: 16 × Ethinylestradiol/Norethindron 20/1000 μg (Murphy et al., Contraception 2005; 71: 402–408)
Ethinylestradiol [ng•Eh/l]994854−14,1% sig.
Norethindron [ng•Eh/l]11399−12,6% sig.
Studie D: 16 × Ethinylestradiol/Desogestrel 20/150 μg (Will-Shahab et al., Eur J Clin Pharmacol 2009; 65: 287–294)
Ethinylestradiol [ng•Eh/l]153197+ 28,8% n.s.
Ketogestrel [ng•Eh/l]3641+ 13,1% n.s.

Schaut man sich darüber hinaus alle 8 gemittelten AUC-Änderungen in der Tabelle an, so fällt auf, dass nur 3 davon statistisch signifikant waren, was auf erhebliche Unschärfen der Analysemethoden hinweist. Im gleichen Sinn dürften die Streuungen der AUC-Absolutbeträge bei Ethinylestradiol zu deuten sein. Diese unterscheiden sich zwischen den Studien A, C und D, die alle mit der gleichen Tagesdosis von 20 μg Ethinylestradiol durchgeführt worden sind, um maximal den Faktor 6; bei der Studie B mit knapp doppelter Tagesdosis sogar um den Faktor 14!

Das Vorzeichen der AUC-Änderungen betreffend, sei daran erinnert, dass Gefährdungen durch pharmakokinetische Interaktionen nicht nur durch Induktionen, sondern ebenso durch Hemmungen der Enzyme des Arzneistoffwechsels verursacht werden können. Bei den Phenprocumon-Präparaten, um ein Beispiel zu nennen, kann das eine zur Thromboembolie, das andere zur Blutung beim Patienten führen. Im relativen Vergleich waren die AUC-Zunahmen in der Studie D jedoch keineswegs nur »leicht erhöht«, sondern lagen numerisch in gleicher Größenordnung wie die AUC-Abnahmen in den anderen Studien.

Die Entscheidung, ob sich aus solchen Daten ein größeres oder kleineres Interaktionsrisiko für den einen oder anderen Hypericum-Extrakt herleiten lässt, sei nunmehr dem Leser überlassen.

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Literatur

  • r1 Schulz V.. Wechselwirkung zwischen Johanniskraut und »Pille«: Kinetik-Studie mit einem hyperforinarmen Extrakt durch kontroverse Daten entwertet?.  Z Phytother. 2010;  31 90-91
  • r2 Will-Shahab L, Bauer S, Kunter U, Roots I, Brattstrom A.. St John's wort extract (Ze 117) does not alter the pharmacokinetics of a low-dose oral contraceptive.  Eur J Clin Pharmacol. 2009;  65 287-294
  • r3 Hall SD, Wang Z, Huang SM. , et al. The interaction between St John's wort and an oral contraceptive.  Clin Pharmacol Ther. 2003;  74 525-535
  • r4 Murphy PA, Kern SE, Stanczyk FZ, Westhoff CL.. Interaction of St. John's Wort with oral contraceptives: effects on the pharmacokinetics of norethindrone and ethinyl estradiol, ovarian activity and breakthrough bleeding.  Contraception. 2005;  71 402-408
  • r5 Pfrunder A, Schiesser M, Gerber S, Haschke M, Bitzer J, Drewe J.. Interaction of St John's wort with low-dose oral contraceptive therapy: a randomized controlled trial.  Br J Clin Pharmacol. 2003;  56 683-690
  • r6 Will-Shahab L, Bauer S, Kunter U, Roots I, Brattström A.. St John's wort extract (Ze 117) does not alter the pharmacokinetics of a low-dose oral contraceptive.  Erratum. Eur J Clin Pharmacol. 2009;  65 541
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Weitere Literatur

  • r7 Mannel M.. Drug interactions with St John's wort: Mechanisms and clinical implications.  Drug Safety. 2004;  27 773-797

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Berlin

Email: v.schulz.berlin@t-online.de

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Literatur

  • r1 Schulz V.. Wechselwirkung zwischen Johanniskraut und »Pille«: Kinetik-Studie mit einem hyperforinarmen Extrakt durch kontroverse Daten entwertet?.  Z Phytother. 2010;  31 90-91
  • r2 Will-Shahab L, Bauer S, Kunter U, Roots I, Brattstrom A.. St John's wort extract (Ze 117) does not alter the pharmacokinetics of a low-dose oral contraceptive.  Eur J Clin Pharmacol. 2009;  65 287-294
  • r3 Hall SD, Wang Z, Huang SM. , et al. The interaction between St John's wort and an oral contraceptive.  Clin Pharmacol Ther. 2003;  74 525-535
  • r4 Murphy PA, Kern SE, Stanczyk FZ, Westhoff CL.. Interaction of St. John's Wort with oral contraceptives: effects on the pharmacokinetics of norethindrone and ethinyl estradiol, ovarian activity and breakthrough bleeding.  Contraception. 2005;  71 402-408
  • r5 Pfrunder A, Schiesser M, Gerber S, Haschke M, Bitzer J, Drewe J.. Interaction of St John's wort with low-dose oral contraceptive therapy: a randomized controlled trial.  Br J Clin Pharmacol. 2003;  56 683-690
  • r6 Will-Shahab L, Bauer S, Kunter U, Roots I, Brattström A.. St John's wort extract (Ze 117) does not alter the pharmacokinetics of a low-dose oral contraceptive.  Erratum. Eur J Clin Pharmacol. 2009;  65 541
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Weitere Literatur

  • r7 Mannel M.. Drug interactions with St John's wort: Mechanisms and clinical implications.  Drug Safety. 2004;  27 773-797

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